AW: Prag bei Nacht - Vorstellung einer Onlinechronik
Toll, jetzt hab ich offline einen Text verfasst und ihr seid schon viel weiter und wollt nicht mehr antworten
Ich poste jetzt einfach trotzdem, wer nicht lesen mag, muss ja nicht
Aber vielleicht findet der eine oder andere hier noch ein paar Antworten auf aufgekommene Fragen.
Achja, danke für den Hinweis mit dem Dark Pack, das werden wir uns dann mal durchlesen, ist uns wohl bisher erfolgreich entgangen.
In diesem Thread, in dem ja ein Projekt vorgestellt werden soll, halte ich es nicht für allzu sinnvoll, wenn jetzt jeder schreibt „hm das finde ich komisch, ich mache das so und so“
Das ist wohl eher was für Diskussionsthreads á la „Wie handhabt ihr eigentlich…“. Aber ich kann, nachdem daran ja offenbar Interesse besteht, gerne ein bisschen erklären, warum wir dies oder jenes so und nicht anders machen. Vieles haben wir früher anders gemacht, im Laufe der Zeit haben sich dann die gegenwärtigen Regelungen als die besten herausgestellt. Wenn wir Fehler bemerken, feilen wir aber natürlich immer weiter dran
I.
Zunächst möchte ich vielleicht kurz mit einem Missverständnis aufräumen, was sich hier offenbar ergeben hat:
Wir sind kein Haufen von Newbies die da grad mal irgendwas zusammengeschustert haben
„Prag bei Nacht“ ist seit über 10 Jahren aktiv und lebendig und ist damit eine der ältesten offenen deutschen Online-Chroniken für Vampire überhaupt. An Erfahrung wird man uns so schnell also nicht schlagen
Daher dürft ihr uns ruhig glauben, dass wir Ahnung haben von dem, was wir tun.
Sodann ist noch wichtig zu verstehen, dass eine Online-Chronik (zumindest so wie wir sie verstehen und betreiben) was völlig anderes ist als eine Pen’n’Paper Chronik, die halt zufällig online abläuft.
Online-Chroniken bieten (ja nach Konzept in unterschiedlichem Maße):
- Große Einflussmöglichkeiten der Spieler auf die Spielwelt
- Individuelle Handlungsstränge für jeden Spieler, und zwar zu beliebigen Zeiten
- Nur durch die Freizeit der Spielleitung begrenzte Spielerzahl, generell aber viel mehr als selbst in großen PnP Runden
- Eine Vielzahl von beliebig detailliert ausgearbeiteten Gefolgsleuten für jeden Spieler
- Intrigen, Spionage, Gegenspionage, Sabotage von Spielern gegen Spieler, wobei absolute Geheimhaltung technisch möglich ist
- Zeitdeckendes Spielen: 1 Tag RL = 1 Tag Ingame
- Langzeitspielspaß über Monate und Jahre: Arbeite einen Charakter vom Boden an die Spitze… oder scheitere spektakulär beim Versuch
Dabei dürfte schon klar werden, dass Online-Chroniken ganz andere Ansprüche, Methoden und Ziele haben als PnP. Man kann daher nicht einfach PnP-Regeln auf Online anwenden und erwarten, dass das dann alles passt
II.
Wir haben viele Jahre mit mehr oder weniger dem ursprünglichen EP-System gespielt und dann festgestellt, dass wir für unsere Ziele ein anderes System benötigen.
Diese Ziele sind, in Kürze und unter anderem:
- Das EP-System soll eine langfristige Charakterentwicklung ermöglichen
- Dabei soll sowohl vermieden werden, dass Charaktere in kürzester Zeit zu Monstern heranwachsen, aber auch, dass ihre Werte stagnieren
- Spieler, die viel spielen, sollen für ihre Aktivität belohnt werden, an einer lebhaften Chronik erfreuen sich schließlich alle Spieler mehr
- Gleichzeitig sollen aber auch Spieler, die vielleicht nur 1-2x die Woche spielen können, nicht total ins Hintertreffen geraten
- Eine einigermaßen realistische Berücksichtigung von äußeren Umständen soll im System integriert sein (man lernt schneller mit einem guten Lehrer, manche „Disziplinen“ liegen einem Charakter mehr als einem anderen, etc.)
All diese Punkte, das hat die Erfahrung der letzten 4 Jahre gezeigt, werden mit unserem gegenwärtigen System erreicht. Das kann man aus den nackten Regeln nicht einfach so herauslesen, das muss man einfach im Spieler erleben und über Monate/Jahre hinweg verfolgen.
Wer erfahrene und qualifizierte Meinungen dazu hören möchte, schaut am besten einfach mal bei uns im Chat vorbei und fragt die Spieler, die schon ein paar Jahre mit dem System spielen. Das ist eh immer die beste Methode, an gute Infos über eine Chronik ranzukommen. Oder man schreibt eine Mail an die Spielleitung und fragt einfach mal konkret nach.
Für den gewöhnlichen Spieler ist das aber eigentlich unwichtig. Diese Details stehen auf der Homepage, damit jemand, der sich explizit dafür interessiert, das nachlesen kann. Es gibt keine Geheimregeln irgendwo, sondern alles ist für alle einsehbar. Transparenz schafft Vertrauen, und Vertrauen ist unabdingbar für Online-Chroniken.
Interessierte brauchen sich aber nicht abschrecken lassen vom komplex wirkenden EP- und Steigerungssystem: Wenn einen die genauen Mechanismen nicht interessieren, kann man einfach den Excel-Charaktereditor nehmen, der einem das Rechnen abnimmt, und sich ganz aufs Spielen konzentrieren.
Also alles kein Problem, auch nicht für Neulinge. Anfangs muss man sich vielleicht kurz eingewöhnen, aber nachher kann man sich dann an einem ausgereiften System erfreuen, das Langzeitspielspaß garantiert.
III.
Dann, zu der Frage der Ansprüche bei einer Bewerbung: Das ist halt auch so eine Geschmacksfrage. BMW erfordert ja auch andere Bewerbungen für den Job als Gruppenleiter als die Pommesbude um die Ecke für den Nebenjob in der Nachtschicht
Auch hier würde ich nicht sagen, „unsere Methode ist die einzig richtige“. Verschiedene Konzepte von Chroniken, verschiedene Methoden. Und wie gesagt ist der Sinn des Threads hier ja auch nicht dass jeder reinschreibt „finde ich doof, ich machs anders“
Ich kann aber wieder erklären, warum wir die Bewerbungen so behandeln, wie wir es tun:
Wir legen Wert darauf, dass unsere Spieler nicht nur gute Rollenspieler sind, sondern auch schöne Texte verfassen können. Zu behaupten, man könne nur entweder das eine oder das andere, ist Unsinn, wir sammeln bei uns Gegenbeispiele
Wir möchten halt nicht lesen „Gregor regt sich schrecklich auf“, sondern wir wollen das dann schon schön beschrieben sehen. Die Chronik soll sich wie ein spannendes, gutes, und eben auch gut geschriebenes Buch lesen.
Das ist nun mal unser Konzept, wenn jemand das nicht mag, gibt es genug andere Chroniken mit anderen Konzepten. Wir zwingen ja niemanden zum Mitspielen und betteln auch keinen an, wir wollen nur diejenigen informieren, die so was vielleicht schon lange erfolglos gesucht haben.
Klar, wenn man schon sagt, dass man den „Quatsch“, den Spieler als Hintergrund schreiben, „ja dann lesen muss“, dann wird man an so einem Konzept wohl keine Freude haben, da wird man dann wo anders fündig. Freude am Lesen gehört bei uns genauso dazu wie Freude am (schönen) Schreiben.
Wir lesen alles, was die Spieler schreiben, allein schon aus Respekt vor der Mühe, die sich jemand gemacht hat. Aber wenn die richtigen Leute schreiben, dann ist das auch keine Pflicht, sondern ein Vergnügen. Oft sind die Hintergrundgeschichten, die zur Bewerbung eingereicht werden, schon so gut, dass man es kaum erwarten kann, bis der Charakter endlich ins Spiel einsteigt
Übrigens noch mal: Bitte nicht GUT mit VIEL verwechseln. Keiner wird gezwungen, sich einen Wolf zu schreiben, es geht um QUALITÄT, nicht Quantität. Ein gewisses Niveau muss halt da sein, aber du wirst nirgends finden, dass wir fordern, dass jemand viel schreiben muss.
Aber klar: Wenn jemand ein ausgefallenes Konzept spielen will, dann muss er halt in der Bewerbung zeigen, dass er das gut und stimmungsvoll rüberbringen kann. Wir suchen z.B. nicht den Powergamer, der einen Blutmagier nur spielen will weil es da die tollen Rituale gibt, sondern den kreativen Rollenspieler, der sich dafür begeistern kann, den Ritualen durch Ideenreichtum und Schreibkunst eine faszinierende mystische Aura zu verpassen.
Ein nur albern gespielter Malk oder ein lieblos powergamig hingerotzter Blutmagier kann in einer Chronik sehr viel Stimmung kaputtmachen.
IV
Zu dem juristischen Kram möchte ich mich eigentlich nicht mehr groß äußern, das ist ja extrem off-topic, und eigentlich nur eine Fußnote, die hier übertrieben aufgebauscht wurde: Es geht absolut nicht drum, irgendwelche Texte zu nehmen und in ein Buch zu packen oder jemandes Ideen zu stehlen und die an Hollywood zu verkaufen oder so einen Quark. Es geht einzig und allein darum, Kontinuität und Stimmung in der Chronik zu wahren. Da mit Gericht und juristisch haltbar anzukommen heißt mit Kanonen auf Spatzen zu schießen. Wir sind ja auch nicht ansatzweise kommerziell. Es geht um ein Spiel und ein gemeinsames Hobby, das allen Spaß macht. Ich denke wir können übereinkommen, dass Anwälte darin nichts zu suchen haben
Auch auf den bisherigen Real-Life-Treffen kam noch keiner mit einem Gerichtsbeschluss an und forderte, dass eine getöteter Gefolgsmann wieder belebt werde oder so
Aber das ist eine ganz wertvolle Info (danke für den Hinweis!), wenn der Satz so missverstanden wird, dann sollten wir den vielleicht mal umformulieren
Der Satz steht da nur, damit Neueinsteiger, die vielleicht ja noch nie in Kontakt mit Rollenspiel gekommen sind, zwei einfache Dinge akzeptieren:
Erstens, dass, wenn Spieler etwas erfinden und es in die Spielwelt einbringen, die Spielleitung diese Erfindungen trotzdem steuern und beeinflussen kann. Also nur das Grundprinzip von einer geleiteten Rollenspielrunde!
Nur, dass man in einer Online-Chronik üblicherweise sehr viel mehr selbst ausarbeiten wird als in einer PnP Runde. Die Vorgeschichte meines Knechts interessiert beim PnP vielleicht niemanden, aber bei der Online Chronik ist die Vorgeschichte des Knechts vielleicht der Grund, wie mein Feind an ihn rankommen und mir schaden kann.
Folgendes kurzes und absurdes Beispiel sollte endgültig demonstrieren, was wir vermeiden wollen.
Spieler: Ghul Albrecht wacht 24/7 über die Zuflucht von Gregor.
Spielleitung: Naja, länger als vielleicht 24h wird er kaum wach bleiben können…
Spieler: Hey! Albrecht habe ich mir ausgedacht, der ist topfit, der kann wachbleiben!
Damit ist hoffentlich klar, worum es geht… ganz grundlegend eben, keine große Sache.
Zweitens geht es eben auch um das Beispiel von vorher, mit dem Pferdehändler Lemmek.
Caninus hatte ja eine weitere Methode vorgeschlagen: Die Spielleitung könne ja Lemmek einfach verreisen lassen und so aus der Chronik nehmen.
Damit kommt man aber ums Problem nicht herum: Wenn ein Spieler darauf besteht (bzw. bestehen kann), dass die Spielleitung über die Figur „Lemmek“ nicht (mehr) verfügen darf, dann darf die Spielleitung die Figur ja auch nicht verreisen lassen. In dem Fall bliebe wirklich nur, ihn einfach aus der Spiel-Realität rauszulöschen, *puff*.
Und eben drum wird man, wenn man einsteigt, bei uns eben zustimmen müssen, dass wir die erfundenen Figuren und geschriebenen Texte mit dem Ausscheiden des Spielers nicht augenblicklich alle rauslöschen.
Bei geposteten Texten im Forum wäre es ziemlich bescheuert, wenn plötzlich eine Hälfte eines Dialoges fehlen würde. Ich vermute, dass Facebook auch deswegen eine ähnliche Regelung eingeführt hat (was man auf den Pinnwänden anderer User postet, kann man nicht mehr entfernen, selbst wenn man seinen Facebook-Account kündigt).
Und bei Figuren wie Lemmek wäre es ja auch jammerschade, wenn sie einfach verschwinden würden. Zum einen wird ein aktiver Charakter im Laufe der Zeit Dutzende von Kontakten und Gefolgsleuten ansammeln und oft auch nach seinem Geschmack ausarbeiten, beispielsweise könnte er eine Reihe von Gasthäusern eröffnen. Die müssten ja dann mit dem Ausscheiden des Charakters allesamt verschwinden.
Und wie gesagt, wäre es nicht sehr frustrierend, wenn ein Spieler vielleicht monatelang Gerüchte gegen einen Wirt streut und belastendes Material gegen ihn sammelt, und dieser dann einfach verschwindet?
Daher versuchen wir, solche Eingriffe in die Spielwelt durch „höhere Gewalt“ der Spielleitung möglichst zu vermeiden. Wenn wir so was machen, dann meist, um etwas hinzuzufügen und nicht, um etwas wegzunehmen.
Und umgekehrt, jede Generation von Spielern trägt eben mit ihren Ideen und Figuren zur Gesamthistorie und der Atmosphäre der Chronik bei. Wenn man will, kann man das als die Gegenleistung der Spieler für die oft mühevolle Arbeit der Spielleitung sehen
Jedenfalls ist es oft so, dass ein fast schon vergessener Gefolgsmann eines früheren Spielers von einem neuen Spieler (vielleicht zufällig) aufgestöbert wird, und plötzlich ist die gesamte Vorgeschichte dieser Figur wieder da. Über diese Figur können dann vielleicht auch Teile der Geschichte des ursprünglichen „Besitzers“ erforscht werden, welche man vielleicht wiederum gegen die Freunde dieses Vampirs einsetzen kann, usw. So ergibt sich für die Chronik eben Schicht um Schicht ein immer reichhaltiger und immer dichterer Hintergrund, von dem jeder profitiert, die Welt fühlt sich dadurch sehr plastisch und sehr echt an.
So, genug geschrieben, ist eh schon wieder zu viel. Das passiert halt, wenn man begeistert ist
Also ich kann nur empfehlen, wenn einen das Konzept interessiert und man sich vorstellen könnte, an so was Spaß zu haben, einfach mal im Chat vorbeischauen und mit den Spielern sprechen, oder die Spielleitung anschreiben. Man kann nix verlieren, aber wenn einem diese Art des Vampire-Spielens taugt, die man eben nur online finden kann, dann kann es einem laaaaaaange lange lange einen Heidenspaß bereiten.