Politische Anleihen aus Heldenmythen von Diktaturen?

Maximiliano

Methusalem
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Moin

Ich bin ja fast aus den Latschen gefallen, als die Beschreibung von Oderin du Metuant im AB 151 gelesen habe. Nicht weil ich sie sehr gelungen finde (was ich tue), sondern weil mir dort ein Begriff ins Auge gesprungen ist, der wohl leider nun der aventurischen Geschichtsschreibung angehört. Und zwar der "Lange Marsch".

Ich kann es schütteln, drehen und auf den Kopf stellen: diesen "Begriff" nach Aventurien zu bringen halte ich für die schlimmste Tat seit langem. Mit karmalen Atombomben komme ich ja noch klar - aber erstens muss ich bei diesem neuen aventurischen Mythos immer sofort an den realen Mythos einer immer noch aktuellen Diktatur denken und zweitens haben Begriffe die menschenverachtende Regime benutzen um sich selbst zu glorifizieren in meinem Hobby nichts zu suchen!

Wie wäre es, wenn der Horas als nächstes "Mein Kampf" schreibt? Das ist doch zum kotzen!

Das schön an solchen Fantasywelten voller Magie und Legenden ist doch, dass man im Kopf das Märchen abspulen lassen kann, sich an Rittern in Rüstungen und dem Luxus mächtiger Granden erfreuen kann. Ohne auf die Schattenseiten vergangener Epochen hingewiesen zu werden. Schon die Dämoneninvasion an der Ostküste hat mir mein Aventurien zu sehr verdunkelt (ohne jetzt auf die vielen handwerklichen und konzeptionellen Fehlleistungen einzugehen). Aber damit kann man noch halbwegs leben. Dort gibt es noch das Konzept von Gut und Böse, Helden und Schurken.

Aber wenn ich mich mit Menschen beschäftigen will, die aus Machtgier Dinge anstellen, die selbst Dämonen vor Neid erblassen lassen, dann sehe ich mir die Nachrichten an. Irgendwo muss der verfickte "Realismus" doch mal halten machen, verdammt noch mal.
 
Öhh bevor ich gerade das Wiki gefragt hat kannte ich den Begriff nichtmal muss ich ehrlich sagen.
 
Japp. Finde ich auch ziemlich geschmack- und phantasielos. Vielleicht wäre es ja keine schlechte Idee, das der Redax mal per Email mitzuteilen? Ich weiß natürlich nicht, wie viele der Spieler das interessiert.

Eine weitere Bestätigung in meiner Einstellung, dass mir "aktuelle Entwicklungen" in Aventurien einfach nur am Hintern vorbeigehen...
 
Ein langer Marsch ist ein langer Marsch ist ein langer Marsch.

Hab ich kein Problem mit.
 
Allerdings, ist mir gerade mal so aufgefallen, kann es eigentlich kein langer Marsch gewesen sein. Bei den popeligen Entfernungen in Aventurien dürfte er höchsten 2 Wochen gedauert haben. Man hätte es einfach "Marsch auf (spoiler)" nennen sollen.

Verdammt, jetzt muss ich mir die Rabenkampagne doch anschauen, um zu sehen wer das verbrochen hat ... Hrmpf ...
 
Wenn sie trifft...

Wobei ich z.B. Langer Marsch schon einem Near Future SCIFI Setting eingebaut habe. "Sehr Langer Marsch" das Generationenschiff der VR China.
 
Der Begriff des "Langen Marsches" taucht eigentlich schon länger in der Literatur auf. Auch schon vor Maos "Langem Marsch" durch China und der während dieser Zeit stattfindenden Glorifizierung seiner Person zum Obermufti der KPC.

So spielt zum Beispiel Raphael Chirbes in seinem Werk "Der lange Marsch" ebenfalls darauf an, ohne jedoch den Kommunismus zu glorifizieren. (Er setzt es in den Kontext des Spaniens nach dem Bürgerkrieg).

Ich sehe also keine Schwierigkeit damit, den Begriff zu verwenden.
Zugegeben, mit einigen Begriffen KANN man gar nicht anders umgehen, als sie mit ihnen genau an den historischen Kontext zu erinnern, aus dem sie berühmt-berüchtigt wurden (Endlösung, Lebensraum-Politik, Holocaust, etc. ), trotzdem finde ich, sollte man nicht gleich seine politische Entrüstung übers Knie brechen.
 
Und wenn ein Diktator eine Foltermethode entwickelt, die er "Kochtopf" oder "Lagerfeuer" nennt, welche dann traurige Berühmtheit erlangen? Darf es dann keine Kochtöpfe und Lagerfeuer in Aventurien mehr geben?
 
Kann es sein, dass es sich hier im Grunde lediglich um eine Variation der Frage, ob man Begriffe aus der realen Geschichte/Welt in einer klassischen Fantasy-Welt benutzen sollte, handelt? Das Thema ist bei DSA ja nicht gerade neu. Ich betrachte den Begriff nicht als derartig vorbelastet, dass man ihn nur mit Samthandschuhen anfassen sollte, nur weil er von der Propaganda missbraucht wurde. Ich hätte jetzt auch keine grundsätzlichen Probleme mit der Verwendung von Begriffen wie Sputnik oder Apollo 11. Nun, bei DSA schon, aber eben nicht, weil es Propagandabegriffe waren. Natürlich darf jeder selbst entscheiden, wovon man schockiert ist, aber es wundert mich nicht, dass der verantwortliche Autor den Begriff nicht als Tabu betrachtet.
 
Kann es sein, dass es sich hier im Grunde lediglich um eine Variation der Frage, ob man Begriffe aus der realen Geschichte/Welt in einer klassischen Fantasy-Welt benutzen sollte, handelt?
Nein, darum geht es nicht. Es geht darum, ob man (vor)belastete Begriffe aus der Geschichte verwenden darf. Die deutsche Sprache enthält heutzutage eine Menge "ganz normaler Begriffe", die man aber einfach nicht mehr benutzen darf/sollte, weil sie instrumentalisiert wurde. Das mag man doof finden und auch nicht einsehen wollen, aber zumindest in der medialen Öffentlichkeit sind solche Dinge tabu. Maximiliano hat lediglich versucht, diese Tabuzone über das übliche Nazi-Vokabular hinaus auch auf andere menschenrechtlich fragwürdige/belastete Begriffe auszuweiten.

Ich glaube der wesentlich Punkt ist hierbei, ob die Autoren im Boten einfach nur die Worte "lang" und "Marsch" kombiniert haben oder ob sie bewusst den Begriff aus der jüngeren chinesischen Geschichte benutzt haben.

grundsätzlichen Probleme mit der Verwendung von Begriffen wie Sputnik oder Apollo 11.
Soweit ich weiß haben weder Sputnik noch Apollo 11 um die 80.000 Menschenleben gekostet.
 
Nein, darum geht es nicht. Es geht darum, ob man (vor)belastete Begriffe aus der Geschichte verwenden darf. Die deutsche Sprache enthält heutzutage eine Menge "ganz normaler Begriffe", die man aber einfach nicht mehr benutzen darf/sollte, weil sie instrumentalisiert wurde. Das mag man doof finden und auch nicht einsehen wollen, aber zumindest in der medialen Öffentlichkeit sind solche Dinge tabu. Maximiliano hat lediglich versucht, diese Tabuzone über das übliche Nazi-Vokabular hinaus auch auf andere menschenrechtlich fragwürdige/belastete Begriffe auszuweiten.

Ich glaube der wesentlich Punkt ist hierbei, ob die Autoren im Boten einfach nur die Worte "lang" und "Marsch" kombiniert haben oder ob sie bewusst den Begriff aus der jüngeren chinesischen Geschichte benutzt haben.

Tja, dann hat Maximilano eine wesentlich ändere Tabugrenze als ich. Aus meiner Sicht handelt es sich nur um ein relativ normales Ereignis aus der chinesischen Geschichte, dass in den Fokus der Propaganda geriet (daher der Vergleich zu Sputnik, Apollo 11).

Soweit ich weiß haben weder Sputnik noch Apollo 11 um die 80.000 Menschenleben gekostet.

Es war halt ein Ereignis aus einem Krieg. Wär mir neu, dass im Rollenspiel der Bezug auf echte Kriegsereignisse als Tabu gilt. Die Große Hungersnot hat wohl so eine Million Tote gekostet, auch ein Tabu? Oder der Schwarze Tod?

Müßig alle Beispiele auseinanderzudiskutieren. Ich persönlich sehe halt das einzige Problem mit dem Langen Marsch darin, dass relativ viele Leute sich an das Ereignis aus der realen Geschichte erinnert fühlen dürften - und das sollte man möglicherweise in einem "harmlosen" Fantasy-Setting a la DSA vermeiden.
 
Ich persönlich sehe halt das einzige Problem mit dem Langen Marsch darin, dass relativ viele Leute sich an das Ereignis aus der realen Geschichte erinnert fühlen dürften - und das sollte man möglicherweise in einem "harmlosen" Fantasy-Setting a la DSA vermeiden.
Das ist ja mehr oder weniger auch mein Standpunkt.
 
Tja dazu müsste ich jetzt erstmal wissen um welches aventurische Ereignis es sich denn dabei handelt. Den Rückzug der Al'Anfaner nach dem Khomkrieg?
 
Müsste "Inquisition" als Begriff nicht auch kritisch betrachtet werden? Immerhin sind ein Haufen Menschen dank der Inquisition gestorben und Unzählige wurden gefoltert und verstümmelt. Aber dennoch findet man den Begriff ohne derartige Diskussionen in diversen Systemen und Settings. Wieso gibt es da keine ähnliche Diskussion?
 
Sehr guter Punkt. Vorindustrielle Fantasywelten enthalten aber immer eine Menge Elemente, die wir aus heutiger Sicht falsch finden. Und "Inquisition" ist ja kein Propagandabegriff (wie eben der Lange Marsch) oder Euphemismus (wie Endlösung), sondern einfach eine Bezeichnung für eine sozio-religiöse Institution, die es irdisch ja nicht einmal, sondern in verschiedenen Formen gab. Insofern ist "Inquisition" nichts anderes als "Feudalismus", "Krieg" oder "Rassismus" - alles Dinge, die unsere Gesellschaft ablehnt, aber nicht Tabuwörter.
 
Tolle Argumentation! Das kann ich gut nachvollziehen.

Aber ein anderes Beispiel: Bei DSA gilt auch der Begriff der "hochnotpeinlichen Befragung" für Folter. Das ist ein ziemlich klarer Eupheismus.
 
Es geht mir vor allem darum, dass hier ein Bezug zum "zentralen Heldemythos" einer Diktatur, unter der immer noch Menschen leiden müssen, hergestellt wird. Zumindest für mich. (Und man sollte meinem Beitrag wohl ansehen, dass ich in erster Linie meinen Zorn darüber an die Luft gelassen habe.)

Möglicherweise ist der Begriff für die Allgemeinheit nicht so sehr besetzt wie für mich, sondern ähnlich "belanglos" wie die Formulierung "Marsch auf", die ich weder Hitler noch Mussolini ohne nachzudenken zuordne (auch weil sie in der Geschichte schon sehr oft auch für andere "Märsche" benutzt wurde, was auch nicht verwundert). Für mich steht "Langer Marsch" halt in einer Reihe wie "Mein Kampf" oder "Reichskristallnacht" und an so etwas will ich in meinem Lieblingshobby nicht erinnert werden.

Der "Lange Marsch" in Aventurien ist ein aktuelles Ereignis, deshalb ein Spoiler.

Der "Lange Marsch" in Aventurien war der Marsch von Oderin du Metuant auf Al'Anfa, um dann dort die Herrschaft zu übernehmen. Habe die Rabenkampagne noch nicht gelesen, aber auch wenn der Marsch sicherlich schwierig war und bestimmt Tote gefordert hat, war er mit Sicherheit nicht lang genug, um diese Bezeichnung überhaupt zu verdienen. Wahrscheinlich hat er auch nicht 90% seiner Soldaten verloren, von denen er eigentlich auch nicht viele gehabt haben durfte. Aber wie gesagt, das konkrete Ereignis habe ich noch nicht nachgelesen.
 
Von wo ging der den im Spiel? Weil man kann ja nicht hingehen und sagen: " Die Entfernungen sind ja nicht weit, also war das nicht lang." Das sollte ja schon irgendwo in Bezug auf die Größe der wichtigen Welt stehen.
 
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