Rezension Pantheon

Ioelet

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Pantheon

Eine Brettspielrezension [Team-Rezi] von Ioelet

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Vor wenigen Tagen bin ich eher zufällig auf dieses Brettspiel gestoßen und es hatte mich vom Ersteindruck her sofort begeistert: Ein Spiel bei dem man die Götter eines Pantheons spielt und die antiken Völker als Marionetten für die eigenen Machtspielchen nutzt? Gekauft.
Aber fangen wir doch einmal etwas strukturierter an…

Aufmachung und Umfang

PANTHEON – Völker, Götter, Monumente!
Das Bild auf der Verpackung hat sofort meine Aufmerksamkeit gewonnen. Verschiedene Götter, die sich an einer prächtigen Säule von Angehörigen verschiedener antiker Völkern anbeten lassen. Darüber in monumental-zornhau’schen Großbuchstaben der Titel und dazwischen eingebettet ein stimmungsvolles Trikolon, das stilistisch meinen Latein-Lehrer sicherlich begeistert hätte.
Das fängt doch schon einmal gut an – und wenn das Innere der Schachtel ebenso liebevoll aufgemacht ist…
Doch was ist das?
(An dieser Stelle möchte ich als Erstrezensent kurz auf eine ganz individuelle Macke von mir hinweisen: Ich hasse Holzklötzchen-Spielsteine in Brettspielen. Gibt es etwas das liebloser und stimmungstötender wirkt, als einen Haufen klobiger unförmiger Holzklumpen, die nach dem Aussägen in verschiedene Eimer mit Farbe geschmissen wurden?)

Obwohl dieser Holzklötzchenschock bereits beim Betrachten der Rückseite der Packung geschehen war, hatte das Spiel dennoch eine Chance erhalten und ich konnte das Material nach dem Kauf aus der Nähe betrachten:

1 Spielplan
104 Holzteile
8 Völkerplättchen
32 Opferplättchen
40 Beuteplättchen
40 Gottheiten
21 Halbgötter
4 50/100 Punktemarker
6 Bonusplättchen
90 Karten
1 Stoffbeutel
1 Spielregel
4 Kurzregeln

Ich habe es für 15 Euro in einer Buchhandlung gefunden. Eindeutig ein günstiger und guter Preis für das erst 2011 erschienene und beim Spielepreis auf Platz 7 gewertete Spiel des Hans-im-Glück-Verlages. Laut Verpackung ist das Spiel auf 2-4 „gewitzte Strategen“ ab 10 Jahren ausgelegt und dauert zwischen 60 und 90 Minuten.
Ein Strategiespiel also – wollen wir doch einmal sehen, ob es mich ein wenig fordern kann.

Also zurück zum Innenleben:
Zum Schutz der Holzteile muss ich vorab ergänzen, dass diese im Spiel entweder recht abstrakte Bedeutung haben (als Punktezähler oder zur Kennzeichnung eines zurückgelegten Weges) oder eine Säule darstellen. Der wirklich große Stimmungsschock, dass ich beispielsweise eine Armee von Holzquader-Soldaten in eine Schlacht führen sollte, blieb mir somit erspart.
Und die übrige Aufmachung gefiel mir sogar sehr gut. Eine Europakarte als Spielbrett (in blassen Farben um nicht abzulenken) interessante Bilder der Götter, die für einen Fan alter Göttermythen als eine Vermischung aus Klischees verschiedener Götterwelten erkennbar ist, schöne Bilder auf den Opfermarkern, die je nach Stufe des Markers immer prächtiger werden – kurz: Trotz der Holzklötzchen ein sehr stimmungsvolles Gesamtbild und ein Umfang, der die 15€, die ich gezahlt hatte natürlich absolut rechtfertigte.

Außerdem: Plastiktütchen. Ein ganzer kleiner Stapel an verschließbaren Plastikbeuteln um das Spielmaterial nach der Partie ordentlich zu verpacken liegen dem Spiel bei. Das ist praktisch und der Verlag wirkt sympathisch.

Regeln

Mit gerade einmal 12+4 Seiten für meine Verhältnisse ein ziemliches Regel-Leichtgewicht, das darüber hinaus viele erklärende Beispiele enthält und (fast) alle Fragen sofort beantwortet. Darüber hinaus, befand sich auf der Verpackung ein Aufkleber zu einem Youtube-Link. In dem entsprechenden Video werden die Regeln direkt am Spielbrett ebenfalls mit Beispielen erklärt. Zwar hatte ich sie dennoch zuerst selbst gelesen, aber war dann beim Regeln-Erklären sehr dankbar für die Hilfestellung. Ich hatte meiner Mitspielerin einfach entspannt das Video vorführen können, die fehlenden Dinge ergänzt und schon konnten wir losspielen.

Eine kleine Enttäuschung gab es leider schon zu Beginn für mich. Man spielte doch keine Götter, sondern… nun, um ehrlich zu sein, hab ich nicht die geringste Ahnung, aber auf diese Frage werde ich im nächsten Abschnitt noch genauer eingehen.

In dieser Rolle als Was-auch-immer durchlebt man nun im Spiel sechs Epochen, in denen jeweils eines der acht Völker (Ägypter, Gallier, Germanen, Griechen, Römer, Iberer, Karthager und Perser) Europa dominiert, was jedes Mal zu Beginn eine kleine regeltechnische Auswirkung mit sich bringt und das jeweilige Land auf der Karte zum Ausgangspunkt der nächsten Spielzüge macht. Die Spieler versuchen nun möglichst viele Säulen zu errichten, indem sie durch das Ausspielen ihrer Karten Wege zu den Bauplätzen errichten. Dabei sind sowohl die Holzfüße, die den Weg markieren, als auch die Säulen anfangs zahlenmäßig begrenzt und müssen zusätzlich aus dem allgemeinen in den persönlichen Vorrat mit Geldkarten eingekauft werden, falls sie nicht mehr ausreichen.

Nach und nach können die Spieler außerdem zahlreiche Boni erwerben, die die Anzahl der Schritte, die sie pro Zug zurücklegen können verändern, dem Spieler erlauben mehr Karten nach zu ziehen, einen Goldbonus auf Einkäufe geben, und und und…

Der wohl wichtigste Weg um an diese Boni zu kommen, sind die Götterplättchen. In jeder Epoche werden einige davon offen ausgelegt und können mit Hilfe von Opfergaben auf die eigene Seite gezogen werden. Diese Opfergaben sind ebenfalls durch die eigenen Handkarten repräsentiert, sowie durch die oben bereits erwähnten schicken Opferplättchen, die im Gegensatz zu den Karten durch Geld erworben werden und nach Benutzung nicht abgelegt werden müssen.

Nach drei Epochen wird zum ersten Mal abgerechnet, nach weiteren drei folgt die Endabrechnung. Es gibt Punkte für Säulen, Götter, sowie eigesammelte Halbgötter-Plättchen.
Die Ergebnisse werden addiert – wer also zu Beginn viele Säulen errichtet, wird in der Abrechnung dafür sogar zweimal belohnt, da die Säulen auch nach der ersten Abrechnung auf dem Plan bleiben. Hier muss man sich also entscheiden, ob man zu Spielbeginn lieber Boni sammelt, die das spätere eigene Spiel wesentlich vereinfachen oder sich ein kleines Punktepolster erarbeitet.

Das Spiel ist relativ einfach gehalten, aber taktisch reizvoll. Im Spiel ab drei Spielern kommt beim Errichten der Wege zu den Säulen hinzu, dass jedes Feld nur von zwei Spielern genutzt werden darf (bereits bei zwei Spielern kostet die Zweitnutzung das Doppelte an Bewegungspunkten). Deshalb gehe ich davon aus, das das Spielgefühl sich bei drei oder vier Spielern noch einmal deutlich von unserer 2-Spieler-Partie unterscheiden dürfte – aber auch diese war spielerisch recht interessant verlaufen.

Nur als Randnotiz: Als die Partie nach etwas weniger als zwei Stunden endete, hatte ich ziemlich deutlich verloren.

Stimmung und Spielgefühl

Wenn ich ein Brettspiel spiele, möchte ich nicht nur Figuren über ein Brett schieben, sondern zugleich in eine Geschichte eintauchen. Ich möchte als Feldherr meine Truppen in die Schlacht führen, als Trainer meine Mannschaft lenken, gemeinsam mit Frodo den Ring vernichten oder was das Spiel mir eben sonst zu bieten hat.

Pantheon präsentiert mir ein antikes Europa mit Göttern und Tempeln und Opfern und Halbgöttern… aber was, bei Zeus, spiele ich jetzt eigentlich in dieser Welt?
Bin ich ein Mensch? Offensichtlich nicht, ich durchlebe mehrere Epochen.
Lenke ich das Schicksal eines Volkes? Nein, ich hab in allen Völkern meine Hände drin.
Bin ich ein Gott? Nein, vermutlich auch nicht – die Götter sind diese Typen auf den Götterplättchen.
Und was mach ich da eigentlich? Ich lege auf einer Karte Füße aneinander und baue Säulen, wenn die Strecke fertig ist. Wozu?
Will ich Ruhm? Will ich Macht? Will ich die Götter ehren?

Na gut, ich bin als regelmäßiger Spielleiter zu ein wenig Kreativität fähig und konnte mir dann schon ein bisschen Immersion aus den Fingern saugen, aber nachdem sonst alles so liebevoll detailliert ausgearbeitet wurde, hätte man mir das doch schon auch noch erklären können.

Überhaupt scheinen Autor und Verlag nicht so viel über die Stimmung nachgedacht zu haben – oder hatten vielleicht auch verschiedene Vorstellungen. Die schöne und eigentlich völlig ernsthafte Aufmachung wird durch flapsig hingerotzt kalauernde „Ingame-Kommentare“ in den Regeln durchbrochen.
Der Gott mit Bocksfüßen wird da kommentiert mit „Wenigstens bin ich mir sicher, dass er meine Schuhe nicht heimlich anzieht.“.
…?

Ernsthaft? Soll das witzig sein?

Und so toll ich die Sache mit den Youtube-Regeln finde. Schaut euch einmal die ersten 2 Sekunden des Videos an: Muss diese pseudo-episch überdreht-geheimnisvolle Stimme wirklich bei jedem einzelnen Video die ganze Zeit so sein?

Nehmt euer Spielthema doch bitte entweder ernst, macht daraus konsequent eine Parodie oder zieht es einfach als locker-leichtes Götterspielchen durch – aber bitte nicht alles drei auf einmal!

Fazit

Pantheon ist ein gutes Spiel. Das Spielprinzip ist einfach und interessant, die Regeln sind gut erklärt. Auf der rein spielerischen Meta-Ebene ist es sogar ein wirklich sehr gutes Spiel, das perfekt in die Schnittstelle zwischen Casual Gamer und Spiele-Freak passt. Es ist einfach, liebevoll bunt gestaltet, aber zugleich thematisch sehr speziell und recht umfangreich. Es besitzt überraschend interessante Spielmechanismen, die aber schon fast lächerlich einfach sind. Die verschiedenen Völker, die im Spiel aktiviert werden sorgen für Abwechslung und Wiederspielwert, ohne das Spiel komplizierter werden zu lassen.
Durch die Handkarten erhält das Spiel einen gewissen Zufallsanteil, der aber zumindest gefühlt recht fair ausgeglichen werden kann, da sich doch mit den meisten Karten etwas anfangen lässt, wenn man bereit ist die Strategie entsprechend anzupassen. Die Bezeichung „Strategiespiel“ ist somit durchaus zutreffend, wenn ich natürlich auch mit Spielen wie Axis&Allies ganz andere Kaliber gewohnt bin.
Alles in allem denke ich deswegen, wer die Siedler von Catan, Risiko und Pandemie in seinem Schrank liegen hat, wird mit diesem Spiel ebenfalls Spaß haben.
Und ich wäre von diesem Spiel auch begeistert, wenn da eben nicht dieser Wehrmutstropfen wäre: Ein Spiel ist für mich mehr als der reine Mechanismus und das sahen die Leute von Hans-im-Glück wohl genauso, sonst hätten sie das Spiel nicht „Pantheon“ sondern „das Säulenspiel“ genannt. Warum also muss man eine so stimmungsvolle Idee, die mit einem wirklich schönen Artwork umgesetzt wurde, so flapsig und lieblos abrunden?

Darüber hinaus gibt es auch noch leichte Schwächen bei den Regeln. Ein Spielelement (das Bonusplättchen) soll in einer Spielvariante anders verteilt werden; aber eine Erklärung, was man damit in der Variante oder dem Normalspiel nun genau macht, fehlt komplett. Es ist zwar ungefähr klar, aber eben nur ungefähr. Zudem ist die Online-Anleitung zum Teil etwas missverständlich. Wenn Regeln ausgelassen werden, sollte dies auch an der jeweiligen Stelle erwähnt werden. Das allgemein erwähnte „Diese Regeln sind nicht vollständig.“ führt den Zweck eines solchen Videos ad absurdum, weil man dann die kompletten Regeln nach diesen fehlenden Dingen absuchen muss.

Ideal ist das nicht.

Das Spiel hat mir dennoch Spaß gemacht und mit dieser Spieleidee hätte es sogar das Potenzial gehabt eines meiner Lieblingsspiele zu werden, aber abseits der Regelmechaniken ist die Anleitung eben leider (egal ob Heftchen oder Video) ein totaler Stimmungskiller – wahlweise könnte man auch kritisieren, dass das Artwork den locker-flapsigen Humor des Spiels nicht trifft.
Wie auch immer: Es wirkt absolut nicht stimmig.

Das ist verdammt schade.
 
Bin schon dabei.

Mal ne Frage in die Runde an alle Rezensionsleser:
Ist das ein persönlicher Tick von mir, dass ich so viel Wert auf eine stimmungsvoll passende Sprache bei der Formulierung der Regeln lege - oder geht euch das auch so?
Munchkin bspw. zieht seinen Humor ab der ersten Zeile der Regln bis zur letzten Zeile der Spielkarten konsequent durch. Da hab ich Spaß beim Regeln lesen.

Ein ernstes komplexes Strategiespiel bringt mich auch und gerade durch eine sehr zweckmäße schnörkellose Sprache in die richtige Stimmung. Wenns dann bei Axis&Allies hieße "Beispiel: Wenn Tanjas Würfel so liegen, wie auf der Skizze hier, dann kann sie schmollen so viel sie will - dann ist die Ostfront zusammengebrochen"; würde das Ding in der Tonne landen.
Und von nem Spiel mit Rollenspielelementen erwarte ich eben in den Regeln auch Stimmungstexte oder Ingame-Übersetzungen wie "ein Erfolg bedeutet, dass der tapfere Held den Ansturm der Oger zurückschlagen kann".

Wenn das nicht stimmt, kann das Spiel gut sein wie es will - ich nehm dem Spiel dann sein Thema nicht mehr ab. Es verkommt zu einem rein mechanischen Spiel wie Mensch-Ärgere-dich-nicht.
 
Naja, wir sind hier auch primär ein Rollenspielforum. Da darf man als Rezensent ruhig mal ein Auge auf die Immersion werfen.
Ich gebe Dir definitiv recht, dass ein Spiel nicht einfach nur ein interessanter Mechanismus ist, sondern eben auch eine Geschichte erzählt und Stimmung aufbaut. Daher ist es durchaus angebracht, das hier zu bemängeln :)
 
Ich sage immer: Als Rezensent dienst Du zwei Herren.

Die erste und oberste Pflicht ist es, Deinen Lesern gegenüber ehrlich zu sein. Dazu gehört es, kein Produkt in den Himmel zu loben, das das nicht verdient hat oder Tatsachen vorzugaukeln, die so nicht der Fall sind.

Allerdings hat man meiner Meinung auch die Aufgabe, dem Verlag gegenüber ehrlich zu sein. Die wenigsten User lesen liebendgerne Verrisse und seitenlange Rants. Und in den meisten Produkten steckt auch jede Menge Arbeit und Liebe drin, selbst wenn das bei einigen dann durch Ungeschicktheit oder Konzeptlosigkeit wieder zunichte gemacht wird. Man sollte auch den Verlagen gegenüber fair bleiben und sie nicht gezielt schädigen. Mängel zu verschweigen oder offensichtliche Schwächen zu verhehlen gehört jedoch nicht dazu ;)
 
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