Rezension Opus Anima Investigation

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Investigation


Opus Anima Setting


“Opus Anima Investigation” (OAI) ist ein kleines Rollenspiel aus der Reihe “Pocket-RPG” in der Welt von “Opus Anima” (das Grundregelwerk erschien letztes Jahr zur Spielemesse in Essen) und kann gleichzeitig als Quellen- oder Abenteuerband genutzt werden. Es enthält alle Regeln und Hintergrundinformationen (sogar ein Beispielszenario), die man benötigt, um sofort loszuspielen.

Die Idee von OAI schließt eine wichtige Lücke, die sein “Mutterrollenspiel” hinterließ, es liefert nämlich einen einfachen spielerfreundlichen Einstieg in die Welt von “Opus Anima”. Die Spieler übernehmen Mitglieder der “Ermittlungsgruppe: Bizarromantie und Okkultes”, die sich in der Stadt Schelfberg mit ungewöhnlichen Phänomenen und bizarren Ereignissen auseinandersetzt. Sie verkörpern also Leute, die im “Opus Anima”-Grundbuch Gegner der Spielercharaktere sind.

Das Design des DIN-A5-Heftes ist pragmatischer als das vom Grundregelwerk: Funktionalität und zügige Fertigstellung wurde über Experimentierfreude gesetzt, was im Endeffekt genauso hübsch ist, ohne durch verzerrte Buchstabenreihen im Fließtext oder unübersichtliche Karten den Lesespaß zu mindern. Die Bilder sind ausnahmslos gelungen. Nur wird leider durch die Verwendung von relativ dickem Papier – so edel das auch wirkt – schon durch bloßes Blättern die an sich stabile Bindung stark strapaziert, sodass sie vermutlich nicht allzu lange halten wird. Das ist aber ein kleines Manko verglichen mit dem ansonsten großartigen Äußeren des Buchs.

Nach einer kurzen Einleitung über die Welt, den Äther und Sinn und Zweck von OAI beginnt das Buch direkt mit den Spielmechanismen. Ein Abenteuer sieht normalerweise so aus: Der Kommissar (Spielleiter) ruft seine Leute zusammen und beschreibt einen Fall, den es zu bearbeiten gilt. Er schlägt eine Zusammensetzung des Teams vor und erklärt, wie viel Budget für Ausrüstung zur Verfügung steht. Die Spieler diskutieren die Truppenzusammensetzung mit dem Kommissar und einigen sich auf ein paar Leute, die von ihnen anschließend als Spielercharaktere erschaffen werden. Zu diesem Zweck stehen acht Charaktertypen zur Verfügung, die nur noch individualisiert werden müssen. Anschließend füllen die Charaktere Materialanforderungsscheine aus (geniale Bögen, auf denen man die mitgenommene Ausrüstung einfach ankreuzt) und ziehen ins Abenteuer. Für die Zwecke von OAI könnte ich mir keine bessere Charaktererschaffung vorstellen. Durch Verwendung von immer neuen Charakteren können Spieler und Spielleiter experimentieren und der Vorgang ist so schnell, dass man ihn auch problemlos auf Cons einsetzen kann. Einzig dass auch Kontakte, Freunde und Familie in diesem Zuge erschaffen werden sollen, halte ich für Quatsch: Zum einen kommen sie viel zu selten in Abenteuern dieser Art vor und zum anderen ist es der aufwendigste Schritt der gesamten Charaktererschaffung. In der Praxis wird er vermutlich meist weggelassen werden.

Die Regeln sind die gleichen wie im OA-Grundregelwerk. Die Spieler würfeln eine gewisse Anzahl beliebiger Würfel (ziehen Karten oder werfen Münzen), wobei jeder Würfel eine Erfolgschance von 50% hat. Erzielt man eine bestimmte Anzahl an solchen Teilerfolgen, ist die Probe gelungen. Im Kampf würfeln die Spieler geheim und teilen die Teilerfolge vor dem Schlagabtausch auf Parade, Angriff und Initiative (PAI) auf. Modifiziert von der Ausrüstung ergibt sich daraus, ob sie ihren Gegner verletzen oder selbst verletzt werden. Die taktische Komponente dieser Vorgehensweise gefällt mir sehr gut, obwohl ich sie für einen Kampf mit einer größeren Anzahl an Teilnehmern für zu klobig halte. Im Text wird auf einen PAI-Bogen verwiesen, der aber nirgendwo zu finden ist. Ich hoffe auf einen Download – zusammen mit den vielfach angekündigten fertigen Charakteren, dem Charakter- und den Ausrüstungsbögen (bis auf den PAI-Bogen bereits unter Opus Anima - Startseite erhältlich).

Einschließlich aller weiteren Regeln wie Heilung oder dem seelischem Schaden durch unwirkliche Begegnungen sind die regeltechnischen Erläuterungen auf S. 47 beendet. Bis dahin sollte kurz und knapp alles gesagt sein, was man im Normalfall benötigt.

Es schließen sich Beschreibungen der Stadt Leuterskoog, alltäglicher Grundlagen (Mode, Sitte und Moral, etc.) und der Verzerrungen (einschließlich einer schönen Liste mit Beispielen) an. Wie alles im Buch sind sie kurz gehalten. Der Welt hätten ein oder zwei Seiten mehr an Informationen nicht geschadet (besonders über die Dampftechnik), auf der anderen Seite ist die Stadtbeschreibung imponierend, denn trotz ihrer Kürze verbreitet sie Flair und liefert das eine oder andere interessante Detail.

Im nächsten Kapitel erfährt der Leser alles über die Schutzwacht: den Aufbau, die Aufgaben, Hierarchie und dort arbeitenden Personen. Sehr schön ist die gut gemachte Liste mit Persönlichkeiten. Jede Person wird durch eine Silhouette bildlich dargestellt und mit Werten und einer stimmungsvollen aber nicht überladenen Beschreibung versehen.

Der Rest des Buches widmet sich dem Spielleiter. Die allgemeinen Tipps rufen hauptsächlich zur Experimentierfreudigkeit auf und erklären, wie man aus den vielen gelieferten Ideen einen Fall stricken könnte. Man soll u. a. einen Grund für die Verzerrung finden, die untersucht werden soll, doch da nach meinem Verständnis eigentlich keine Gründe für Verzerrungen vorhanden sein müssen und auch kein Beispiel gegeben wird, fühle ich mich an dieser Stelle etwas allein gelassen. Das Beispielabenteuer gibt dann aber doch ein Beispiel, auch wenn es ansonsten etwas fleischlos ist. Die zwei Seiten mit Abenteuerideen liefern eine weitere Liste mit Ideen für Verzerrungen. Zusätzlich sind Verzerrungsideen als Zwischentexte im Buch verteilt – alles schöne Spukphänomene, auch wenn ich nicht so recht den Unterschied zwischen den drei angebotenen Varianten erkennen kann. Das Sahnehäubchen auf dem Kuchen wäre es, wenn die Ideen auch gleich eine Abenteuerhandlung suggerieren würden. Hier hätten die Autoren dem Spielleiter noch ein Quäntchen besser unter die Arme greifen können.

Mögliche Gegner – u. a. die Beschreibung von Charaktertypen aus dem Grundregelwerk aus Sicht der Ermittlungsgruppe – befinden sich in einem eigenen kleinen Kapitel. Die Liste liest sich gut und gibt viele Ideen, da hätte ich sogar gern noch ein paar mehr gesehen.

Das Buch endet mit der Beschreibung der Ausrüstungsgegenstände, die auf den Materialanforderungsscheinen genannt werden, Vorlagen der besagten Bögen, dem Charakterbogen und einem kurzen Index.

“Opus Anima Investigation” liefert das konsequenteste Design, das mir bei deutschen Rollenspielprodukten in den letzten Jahren über den Weg gelaufen ist. Die Anforderungen eines “Pocket-RPG” sorgen für schnelle und kurze Beschreibungen mit einer Informationsdichte, wie ich sie sonst meist schmerzlich vermisse. Sie beweisen, dass man mit drei oder vier Sätzen eine Figur, ein Monster oder Stadtteil auch ohne ausschweifende Stimmungstexte gut darstellen kann. Trotzdem wird eine Gruppe nicht lange ohne das Grundbuch von “Opus Anima” auskommen, doch zum Glück kann man es für den Übergang komplett als PDF herunterladen.

OAI bietet viele Möglichkeiten: Es kann zum Einsatz kommen, wenn man neugierig auf „Opus Anima“ ist, aber keine Lust hat, sich durch das massive 400-Seiten-Regelwerk zu wühlen. Es kann als Abwechslung in einer längeren Kampagne genutzt werden. Und es bietet „Opus Anima“-begeisterten Spielleitern die Möglichkeit, ihre Spieler auf einfache und schnelle Weise mit dem Hintergrund und den Regeln in Kontakt zu bringen, ohne sie stundenlang über zerstörte Seelen, Sonderfertigkeiten und Mythologien aufklären zu müssen. Haben sie erst ein paar Runden gespielt und sind die Spieler begeistert, kann er das dicke Grundregelwerk auf den Tisch knallen und fragen: „Hättet ihr Lust am eigenen Leibe zu erfahren, was hinter den gruseligen Ereignissen der letzten Wochen steckt?“Den Artikel im Blog lesen
 
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