Oblivion

Crystal

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19. Mai 2004
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OBLIVION

Laut knallten die Hagelkörner gegen die alten Fensterläden, welche gegen die gesprungenen Scheiben klapperten. Draußen pfiff der eisige Winterwind um dir Ecken und zwischen den rostigen Blitzableiterdrähten. Innen war das Licht sehr gedämpft. Eine halbausgebrannte, milchige 30W Glühbirne hing nackt von der Decke und baumelte im Luftzug hin und her. Darunter stand ein einziger Schreibtisch. Davor saß er auf einem klapprigen Hocker und bearbeitete die alte Schreibmaschine, deren klappern vergeblich gegen das des Hagels ankämpfte. Das Licht war sehr schlecht und immer wieder kniff er die Augen zusammen. Seine Handgelenke schmerzten.

Er schrieb ungeschickt mit zwei Finger, aber neben ihm auf dem Boden stapelten sich die beschriebenen Blätter. Er schrieb und schrieb. Schon fast ganz durch! bEr hatte längst jede Vorstellung davon verloren, wie lange er hier schon saß. Es mussten Tage sein, aber in der schmutzigen, verschatteten Kammer unterschieden sich Tag und Nacht kaum voneinander. Nichts war zu hören, außer dem Hagel, den Tasten und dem immerwährenden Wind.

Leise Schritte näherten sich der Tür. Obwohl er wusste, dass sie kam zuckte er zusammen, als die Tür in den Angeln quietschte. Leise betrat sie den Raum, zwei Tassen Kaffee in der Hand. Wortlos stellte sie eine neben die Maschine und zog sich einen Klappstuhl, schlürfte das heiße Getränkt und beobachtete ihn beim Tippen. Eine Stunde, zwei Stunden saß sie da und er arbeitete angestrengt, ließ seinen Kaffee kalt werden. Seine Augen taten weh. "Das Licht ist zu dunkel" stellte sie fest. Er schwieg, wie schon die ganzen letzten Tage. Endlich war es soweit. Der Wind hatte sich einen noch größeren Durchgang gesucht und das Licht schwankte stärker, sodass die Schatten hin und her tanzten. "Nimm es. Geh." Seine Stimme kratzte vor Anstrengung. "Wider dem Vergessen."

Sprach es und zog das letzte Blatt aus der Schreibmaschine. Kaum war es auf den restlichen Stapel gesegelt schlug sein Kopf auf der Tischplatte auf, er war fest eingeschlafen. Sie wusste, dass ihr nicht viel Zeit blieb, aber lange Zeit brachte sie es nicht über sich, zu gehen. Schließlich stand sie auf und hob das Papier vom Boden auf. Wider dem Vergessen. Sanft strich sie ihm ein letztes Mal über den Kopf und küsste ihn auf die Stirn. Was geschehen würde, wusste sie nicht, aber ein Widersehen würde es ganz sicher nicht geben.

"Ich liebe dich" flüsterte sie und verließ dann, die Blätter unter dem Arm, geräuschlos dem Raum. Es hagelte jetzt noch stärker. Scharf und schmerzhaft schlug das Eis gegen ihr Gesicht. Sie trug das Kostbare Papier unter dem Mantel, den sie fest um ihren Körper gewickelt hatte. Es war seiner, ihr eigentlich viel zu groß. So schnell es ging, schritt sie durch die verlassenen Straßen. Die Richtung war ihr bekannt, aber sie kannte ihr eigentliches Ziel nicht. Das Papier musste dorthin. Um jeden Preis. Wider dem Vergessen. Und dann kamen sie. Wie Gestalt gewordene Dunkelheit stiegen sie aus den Gassen, aus den Fenstern, aus den Abflüssen. Krochen durch die Straßen. Und suchten. Mahlströme ihrer eigenen Macht. Sie spürte sie ganz sicher und begann schneller zu gehen. Wie ein Licht durch die verdunkelten Straßen. Und doch kamen sie näher. Ohne Zweifel wussten sie genau, wo sie sich befand. Und sie hatten Zeit, viel Zeit. Panik griff nach ihr. Sie würden niemals zulassen, dass sie tatsächlich die Grenze erreichte mit ihrer kostbaren Last.

Die Straße, in die sie einbog, war eine Sackgasse. Sie drehte sich um. Hinter ihr war der Weg nun auch verschlossen, mit einer Wand aus wabernden Schatten, von denen sie instinktiv wusste, dass sie sie niemals berühren durfte. Auch auf den Dächern saßen sie und hingen an den Fassaden. Aber noch kamen sie nicht näher. Eine letzte Chance, ein verzweifelter, letzter Versuch! Fanden sie die Papiere, würden sie vernichtet werden. Fanden sie sie... nun sie wusste nicht, was dann geschehen würde. Aber vielleicht blieb ihr ja genug Zeit! Sie hatte nicht sein Gedächtnis, aber in Willen und Loyalität stand sie ihm nicht nach. Und so begann sie. Kauernd in dem Eingang eines der Häuser, legte sie die Blätter auf ihre Knie und begann das unmögliche. Sie begann zu lesen. Was dort stand, begriff sie nicht im geringsten, aber sie hoffte, dass sie es in ihr Gedächtnis zwängen und irgendwie, irgendwann wieder vorbringen könnte. Der Teil von ihr, der wusste, dass sie es nicht schaffen konnte, wurden von ihrer panischen automatik einfach überschrieben. Es musste einfach klappen. Es war viel zu wichtig, als dass sie versagen konnte. Das durfte einfach nicht geschehen, und so verdrängte sie die Möglichkeit.

So las sie, ohne zu verstehen. Die Buchstaben und Zeichen verschwammen ihr vor Augen und ihr Füße froren in der Pfütze, in der sie saß. Lesen, lesen, merken. Die Schatten kamen nun näher, aber das nahm sie nicht wahr. Ihr Geist war nur darauf fixiert, zu lesen. Wie ein Tropfen löste es sich aus der Masse und glitt über die Straße auf sie zu, ganz langsam. Fast sah man es lächeln, so mutig und hilflos war ihr Versuch. Dann stand es über ihr.

In den zu großen Mantel gewickelt, zusammengekauert in dem Häusereingang, hektisch lesend. Noch langsamer streckte es seine Hand aus. Da sah sie auf.

Eine kalte, dunkle Berührung strich unendlich sanft über ihre Wange. Tränen rollten aus ihren Augen, als sie begriff. Mit der anderen Hand strich es eben so sanft über die Blätter, in denen sie sich festgekrallt hatte. In dem Augenblick, wo ihr Herz brach flüsterte es ihr fast zärtlich ins Ohr:

"Welcome to Oblivion".
 
Hat was, gefällt mir auch.
Von der Stimmung her erinnert es mich irgendwie an Chthulhu
oder Kult...
 
wirklich gute stimmung aufgebaut, aber bitte erkläre mir das uwas für wesen das sind und wa smit oblivion gemeint ist... was hat der mann aufgeschrieben, das so wichtig ist?
 
Ich finde es gerade so spannend das nicht erwähnt wird WAS der Mann geschrieben hat und er wer er oder die Frau ist!

Dadurch ist auch die Frage was das ganze mit dem Vergessen zu tun hat und was diese Kreaturen sind hinfällig und lässt genug Spielraum für die eigene Fantasie!

Ich finde es ist eine hervorragende Kurzgeschichte die wirklich gute Stimmung aufkommen lässt, gerade durch die kurzen abgehackten Sätze die sehr schön die Panik der Frau wieder geben und den Leser dazu zwingen immer schneller zu lesen!

Eine dicke eins plus von mir!
 
*lächel*
Ich danke euch allen!


Nein, Kurzgeschichten werden nicht erklärt.
Oblivion ist das Vergessen.
Alles andere lasse ich in den fähigen Händen des Lesers...
*g*
 
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