[November 2006] - der Tunnel

Eldrige

Zombie-Survival Experte
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Rüdiger war alleine hier vorne am großem Bohrkopf und es war ihm überhaupt nicht wohl dabei. Schon seit einigen Tagen hatte er ein seltsames Gefühl bei seiner Arbeit, einen unerklärlichen Schweißfilm in seinem Nacken, die Ahnung das etwas ihn anstarrte sobald er sich umwandte, das Gefühl aus dem Augenwinkel etwas gesehen zu haben.
So erging es in letzter Zeit vielen hier unten.
Eigentlich war es gute Arbeit. Das Projekt Großfinstertal sah vor das zur Verbindung der beiden Stadteile diverse unterirdische Tunnel gegraben werden sollten. Man wollte etwas prestigeträchtiges, etwas von dem es in einigen Jahrzehnten bei einer Stadtführung für Touristen heißen sollte... 'der Großfinstertaler Tunnel war lange Zeit ein Vorzeigemodell für viele Städte und Gemeinden - modern, ökonomisch und dennoch in einem angemessenem Design'.

Zu Beginn war es alles nur Routine gewesen. Rüdigers Boss hatte seinen Leuten die Rede vom hartem anpacken gehalten und die Stadt war ein angenehmer Bauherr gewesen. Natürlich gab es Termindruck, aber die Zeitpläne waren nicht völlig schwachsinnig und von einem ahnungslosem Idioten entworfen worden, sondern realistisch und gut einhaltbar.
Die Überstunden wurden sehr gut bezahlt und die Arbeit ging zügig voran.

Dann hatte es angefangen... zuerst hatten einige Kollegen davon erzählt das sie sich beobachtet fühlten. Sie behaupteten das Werkzeuge ganz sicher in der einen Kiste gewesen waren und später waren diese dann an einer völlig anderen Stelle aufgetaucht. Natürlich hatte man sie geschimpft und ihre Beteuerungen mit einem Achselzucken als Ausreden für ihre Gedankenlosigkeit und Schlampigkeit abgetan.
Dann, als die Tunnel tiefer wurden und man langsam den Druck der umgebenden Erde spüren konnte, als man allmählich den Geschmack von Grab auf der Zunge schmecken konnte, hatten einige Leute plötzlich 'etwas' gesehen. Einen Schatten, einen Schemen zunächst. Später behauptete gar einer der Männer steif und fest eine 'Teufelsfratze' gesehen zu haben die ihn aus der Dunkelheit des Tunnels angegrinst hatte.
Rüdiger und die anderen seiner Freunde hatten auch das mit einem Lachen und einem Achselzucken abgetan. Das waren halt die Luschis vom Straßenbau gewesen. Halbe Hühnchen die bei leichtem Nieselregen schon mit verschnupfter Stimme Dinge wie Schlechtwettergeld gemurmelt hatten.
Er und seine Kumpels waren da aus anderem Holz. Sie hatten im Bergbau gelernt und gearbeitet bis die Zechen geschlossen wurden, hatten die großen Maschinen unter Tage gewartet für die es schon seit Jahren keine Ersatzteile mehr gab.
Sie waren pragmatische und harte Burschen. Untereinander noch loyal und ein Wort war ein Wort. Ein Handschlag war noch etwas wert untereinander und Schlechtwettergeld war etwas für Weicheier die es gewohnt waren das die Sonne nicht nur schien wenn sie arbeiteten, sondern die sie auch noch sehen mußten.


Dann hatte Karl angefangen zu spinnen. War immer nervöser und blasser geworden wenn er zur Schicht kam. Schließlich hatte man es an einem Feierabend über einem Kasten Bier aus ihm herausbekommen. Stimmen... Karl meinte er hätte Stimmen in den Wänden gehört. Ein Flüstern zuerst, doch dann hatten sie ihm gemeine boshafte Dinge gesagt, hätten ihn beschimpft und ihm erzählt das seine Frau es Zuhause mit dem feinem Nachbarn trieb, diesem ekelhaftem Möchtegern Typen mit dem Bürojob der im Sommer beim Straßenfest immer Zigarren rauchte. Blöde, billige Zigarren aus dem Supermarkt, das Arschloch.
Die Stimmen wußten viel über die Männer, berichtete Karl mit bebenden Lippen und hatte beschämt zu Boden geschaut wie ein Schuljunge.
Die Jungs hatten mitleidig und betreten dreingeschaut und dann ein paar halbherzige Witze gemacht, hatten dem armen Karl auf die Schulter geklopft, ihm empfohlen noch ein Bierchen zu trinken und morgen einen gelben Schein zu nehmen und sich mal auszuschlafen. Rüdiger mußte sich noch immer schütteln als er sich an den verzweifelten Blick seines Freundes erinnerte und gesehen hatte wie dessen Augen stumpf wurden als er erkannte das ihm niemand glaubte, nicht einmal er selbst.
Mittlerweile wußte er was sein Freund durchgemacht hatte. Die quälenden Fragen ob man selber den Verstand verloren hatte oder ob alle anderen blind geworden waren und die Zeichen nicht sahen.

Er hatte nicht eine Träne bei Karls Beerdigung vergossen. Der Arme war ja schon seit Tagen so verwirrt gewesen und hatte Unsinn gestammelt, war ja nur eine Frage der Zeit gewesen bis so etwas passieren würde.
Rüdiger hatte wortlos bei all diesen dämlichen Phrasen genickt und sich wie ein Verräter gefühlt.
Der arme Karl war von einem Gerüst in eine Maschine zu Tode gestürzt.

Kurz darauf hatte Rüdiger den Schatten das erstemal gesehen und gewußt das er nicht mehr alleine hier unten in seinem Teil des Tunnels war. Plötzlich waren alle die Weicheier und Deppen die sich Dinge einbildeten und sponnen weil sie die Tiefe nicht ertragen konnten nicht mehr 'die Anderen', sondern richtige Menschen mit einem echtem Problem das der grobschlächtige, pragmatische Mann nachvollziehen konnte.
Verbissen hatte er weiter gearbeitet, hatte sich Mühe gegeben nicht aufzuschreien wie ein Mädchen wenn er wieder etwas an sich vorbeihuschen sah. Er hatte den Kumpels nichts erzählt, er würde auch nichts erzählen. Niemals, kein Wort, zu niemandem, sonst würden sie ihm auf die Schulter klopfen und mitleidig nicken.
Rüdiger knurrte und biss die Zähne zusammen, während er eine schwere Kupplung des Bohrkopfes entriegelte.

Wenige Tage später hatte die Dunkelheit das erstemal mit ihm gesprochen.

Zuerst war es nur ein unverständliches Flüstern gewesen und er hatte immer seinen Gehörschutz abgenommen und die Maschinen angehalten, dann aber nichts mehr hören können.
Irgendwann waren die Stimmen aber deutlicher geworden. Er hatte sich nichts anmerken lassen, bis zu jenem Abend an dem er es nicht mehr ausgehalten hatte. Er hatte seinen Helm vom Kopf gerissen und ihn in die Dunkelheit des Schachtes geschleudert.

'Laßt mich in Ruhe...ich habe euch nichts getan....ihr kriegt mich nicht.....ihr habt Karl gekriegt...aber mich kriegt ihr nicht'

Er schrie es in die tiefe des Schachtes. Er hatte gezittert und geweint als sich Wochen des Nervenkrieges schließlich ihren Weg gebahnt hatten.
Seine Kumpels hatten ihn schnell rausgebracht, an die frische Luft.
Ist ja kein Problem hatten sie gesagt... das kann jedem mal passieren...wegen der Tiefe und so...und der Sache mit Karl...er war bestimmt einfach nur nervös und angespannt.

Ab diesem Abend waren die Stimmen immer zu ihm gekommen, ganz so als hätte er sich dadurch das er auf sie reagiert hatte verraten. Sie wußten nun das er sie hören konnte.
Sie beschimpften ihn und flüsterten ihm Dinge zu und seit diesem Abend passiertem ihm laufend Dinge die einfach nicht passieren durften. Er vergaß wichtige Sicherungen richtig zu schalten, nein, das war so nicht richtig, er war sich absolut sicher das er sie nicht vergessen hatte, aber als er das nächste mal nachsah waren sie raus.
Er brachte bestimmte Reihenfolgen in seiner Arbeit durcheinander und einmal ruinierte er eine ganze Woche Arbeit und brachte einen Tunnel zum Einsturz den er gesichert hatte.
Niemand hatte ihm geglaubt das er alles dreimal überprüft hatte, das er ganz sicher war das alles stimmte.
Seine Kumpels waren nervös geworden und murmelten Dinge über ihn. Man traute ihm nicht mehr. Er war nicht mehr ganz dicht. Er würde noch so enden wie Karl. Sie hatten die Stimmen doch sicherlich auch gehört. Die Schweine.

Als Gerd beim reinigen und ölen eines Kolben der Arm abgequetscht wurde war es klar das Rüdiger schuld sein mußte. Er hätte Gerd besser sichern müssen, es war seine verdammte Aufgabe gewesen.
Rüdiger war sich sicher das die Maschine im Leerlauf gewesen war, es hätte nichts passieren dürfen. Er hatte alles richtig gemacht.
Gerd hatte ihm das nicht geglaubt. Er hatte kein Wort mit ihm gesprochen als er ihn im Krankenhaus besucht hatte, hatte nur weggesehen, aus dem Fenster.

Rüdiger hatte seit diesem Vorfall nur noch alleine gearbeitet. Die Anderen wollten nicht einmal mehr mit ihm in einem Abschnitt sein. Er war verrückt, hatten sie gesagt.
Die Gerüchte aus den Anderen Tunneln hatten sie ignoriert. Dort sollte es spuken. Alles Blödsinn.
Er grunzte und schraubte ein paar große Muttern wieder fest. Dann wischte er sich den Schweiß ab und drehte sich um zu seinem Kontrollpult um die schwere und große Maschine wieder in Gang zu bringen.

Sein Blick fiel dabei auf die Wand gegenüber. Rote Kreide, sie benutzten sie um Markierungen auf dem Stein zu machen. Auf die Steine war in riesigen, scharlachroten Buchstaben geschrieben.

VERSCHWINDE


Er schrie entsetzt auf und sprang rückwärts, schlug hart gegen das Metall in seinem Rücken und wäre dabei beinahe von seiner Arbeitsbühne gestürzt.
Die Stimmen...sie waren hier...und sie würde es nicht bei Worten belassen.

Mit einem panischem Schrei lief der hünenhafte Bauarbeiter den Tunnel entlang, zurück nach Oben. Raus... nur raus.
Rüdiger wußte nun das die Finsternis hier Unten, tief unter der Stadt, schon jemandem gehörte. Jemandem, oder etwas.
Sollten sie sich einen anderen Idioten suchen der hier unten bei den Schatten und dem Flüstern blieb. Der Wahnsinn sickerte aus diesen Wänden und drang in seinen Verstand wenn er hier bleiben würde. Sollten SIE die Tunnel seinetwegen haben. Er würde morgen kündigen und nie wieder einen Fuß in dieses verdammte Grab setzen.

Das letzte was er hinter sich zu hören glaubte war ein meckerndes, schadenfrohes Lachen, das klang als würde ein rostiges Scharnier über Reisnägel kratzen.
 
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