AW: Macht die Schule den Spaß am Lesen kaputt?
Die Literatur, die man in der Schule vorgestellt bekommt, ist zwar teilweise schwierig und deutlich anspruchsvoll. Aber sie vermittelt ein wirklich gutes Deutsch. Und allein das macht zumindest mir Lust am Lesen. Mir kommt nämlich die Galle hoch, wenn da wieder irgendein "Schriftsteller" nicht so recht weiß, wie die deutsche Sprache funktioniert und nicht mal zwei Sätze geradeaus schreiben kann.
Das kann ich nur zu gut nachempfinden.
Mir geht es da sehr ähnlich. Jedoch ist die Verallgemeinerung "Die Literatur, die man in der Schule vorgestellt bekommt, ist ... anspruchsvoll." eben genau das - eine Verallgemeinerung.
Man KANN anspruchsvolle, von souveräner, ja geradezu genialer Sprachbeherrschung geprägte, den Geist des Lesers anregende Literatur von seinen Lehrern vorgesetzt bekommen. Es geht aber auch anders. Ganz anders.
Und längst nicht jeder Deutschlehrer ist vorbildlich in der Beherrschung der deutschen Sprache in Wort und Schrift. Ich habe da sehr konkrete Gegenbeispiele - wirklich niederschmetternder Art - in meiner Schulzeit erleben dürfen. Aber vielleicht ist das in den letzten 20 Jahren ja alles viel besser geworden?
Und was auch immer man vorgesetzt bekommt, es kann (und wird) alles zerredet werden. Totanalysiert. Viel zu viel eigene, nie in Zweifel zu ziehende Meinung des Lehrkörpers als die eine, richtige, allseits gültige Auslegung des Textes in die Köpfe der Schüler hineingelehrt. - Das ist etwas, was nicht nur den Deutschunterricht betrifft, sondern eine grundsätzliche Problematik des Lehrens, wie wir es kennen, auch in anderen Fächern, z.B. den Naturwissenschaften, darstellt. Es ist auch keine einfache Lösung dafür in Sicht, da die Art der Wissensvermittlung in der zeitlich kompakten Form, wie sie unser Massenschulsystem vorsieht, solche Vorgehensweisen erfordert.
Daher braucht es etwas, das über die schulisch-verpflichtende Beschäftigung mit Sprache (oder Naturwissenschaften, oder Musik, oder welch andere Fächer auch immer) hinausgehen kann.
Und das ist das geweckte eigene Interesse bei den Schülern.
Wer nicht (oder besser: nur das Unvermeidliche) liest, dem verschließen sich nicht etwa ganze andere Welten, andere Gedankengänge, andere Ansichten. Nein. Er schließt sie sich SELBST nicht auf!
Ein Buch - egal was für eines - zu nehmen und zu lesen. Das erfordert eine Aktivität, die in unserer heutigen Medienlandschaft von weit weniger "Aktivierungsenergie" benötigenden Angeboten Konkurrenz bekommt. Sich etwas als Film anzusehen, statt das Buch zu lesen, ist leichter, zeitlich gesehen kürzer, ist aber auch flüchtiger, da die Momente im Film schneller vorüberziehen und man nicht den packenden Absatz noch einmal oder noch einmal lesen kann, weil man diesen Teil des Textes intensiver betrachten möchte. Klar könnte man bei einer Szene im Film anhalten, zurückgehen, und sie noch einmal laufen lassen. Doch ist das Medium Film dafür nicht gedacht. Es macht keine natürlichen Pausen wie Prosatexte, die mit Absätzen, Kapiteln, Seiten, usw. aus dem Medium heraus Einschnitte zum Verweilen, zum Nachdenken, zum Pausieren, zum Kaffeeholen darstellen.
Das ist für mich auch ein Grund, warum ich Hörbücher, so gut die Leistung der Sprecher bisweilen auch ist, eigentlich nicht mag. Wenn ich denselben Text, der mir da gesprochen dargeboten wird, selbst lesen könnte, dann hätte ich weit mehr Kontrolle über Geschwindigkeit, Akzente, Wiederholungen. Mir wird dieser für mein persönliches Leseerlebenwollen sehr wichtiger Aspekt der KONTROLLE über das Gelesene, der EIGENEN GESTALTUNGSMÖGLICHKEIT des Lesens durch das passive Konsumieren von Vorgespieltem oder Vorgelesenem genommen.
Lesen ist - so mein Stand zum Lesen an sich - eine AKTIVE Sache.
Und da Lesen etwas Aktives ist, also Aktivität erfordert, ist es - so es denn die Aufgabe der schulischen Literaturhinführung sein soll - wichtig, daß die Lehrer den Schülern zeigen, wie man aktiv an ein Buch herangeht, daß sie die Lust (Energie) wecken, etwas zu lesen.
Denn wie Lesen etwas Aktives ist, so ist - wie an allem Aktiven - auch ein Lustempfinden damit verbunden.
Ich habe Lust am Lesen.
Wenn Lesen, wenn der Begriff "Lesen", wenn die Tätigkeit des Lesens jedoch mit UNLUST verbunden ist, dann - siehe Threadtitel - ist "der Spaß am Lesen kaputt".
Man kann nicht erwarten, daß jeder Deutschlehrer nun Leselust in seinen Schülern erwecken kann. Man sollte aber wohl erwarten können, daß JEDER Deutschlehrer eventuell vorhandene Leselust nicht abtötet, oder gar LeseUNlust erzeugt.
Und wenn es Lesern von Fantasy-Romanen LUST macht diese zu lesen, und wenn sie mehr davon lesen wollen, und wenn diese Roman nicht zu dem begnadetsten Schaffen deutschsprachiger Literatur zählen, so ist es doch die LUST der Leser das Lesen zu können, was ihnen Freude bereitet.
Manchmal würde ich auch gerne anderen Leuten zwangsweise eine weitere, freiere Sicht auf Literatur verpassen wollen (Natürlich MEINE Sicht, die ICH als "weiter" und "freier" empfinde, nicht die von jemand anderem!). Sie dazu bringen doch mal etwas "Anspruchsvolles", etwas sprachlich Findiges, etwas inhaltlich "Wertiges" lesen zu wollen.
Doch so geht das nicht.
Wer etwas aktiv liest, der entscheidet SELBST. Nicht ICH entscheide, was jemand anderes Lesen muß, oder ob dies Buch "besser" ist als jenes. Ich kann nur empfehlen, aber lesen muß man selbst (und wollen).