AW: Fantasy
Bücherwurm schrieb:
Und weil ich gerade richtig schön in Fahrt bin, beim Aufregen über Tolkien, gehts gleich weiter.
Hier mal die schlimmsten Standard-Elemente, an denen er schuld ist:
Ich würde hier zu der Liste gerne noch das völlig unglaubwürdige Ausblenden jeglicher Religiösität der diversen menschlichen und anderen Völker hinzufügen wollen. - Dies hat zur Folge gehabt, daß Religionen in "typischen" Tolkien-inspirierten Fantasy-Welten eine kulturell überhaupt nicht integrierte, eine aufgesetzte oder - im Extremfalle - gar keine Rolle spielen.
Dem gegenüber sind Welten wie Glorantha, wo Glaube TEIL der jeweiligen Kultur eines Volkes ist, wesentlich glaubwürdiger. Auch unsere historischen Kulturen sind nicht mit von der sonstigen Kultur separierter Religion ausgestattet (gewesen).
Ich vermisse in einem pseudo-mittelalterlichen Mittelerde-Kulturenraum die Beschäftigung mit den typisch menschlich-sterblichen Fragen nach dem Woher, Wohin, Warum und dem Was kann ich tun, Was soll ich tun. Klar haben die superschlauen uralten Völker mit Alterssicherung keine Probleme damit, aber die vielen menschlichen Völker werden sich, eben WEIL es ja Menschen sein sollen, genau dieselben Fragen stellen, wie sie unsere Vorfahren auch gestellt - und mit ihrer jeweiligen Religion auch beantwortet - haben.
Bücherwurm schrieb:
Naja, Tolkien ist ja wirklich nur dünn verschleierte Christenpropaganda
Obwohl man inhaltlich ähnliche, archetypische Bilder (siehe Wiederauferstehung) finden kann, so kann ich das Christliche - eigentlich sogar das gesamte Religiöse - bei Tolkien nicht erkennen. Er lebte seine Religion sicherlich aus. Eventuell hielt er es daher nicht für notwendig für seine Fantasy-Welt eine oder mehrere eigene Alternativ-Religionen zu entwickeln. Wenn er dies getan hätte, und wenn diese via seiner Figuren in den Romanen eine bestimmte Lehre, ein bestimmtes Wertesystem transportiert hätten, dann würde ich hier eventuell zustimmen wollen.
Nur auf kulturell keineswegs vom Christentum gepachtete Versatzstücke, die unter anderem auch bei Tolkien auftauchen, würde ich diesen "Christlichkeits-"Vorwurf nicht aufbauen wollen. - Im Gegenteil: diese Versatzstücke wie Auferstehung - eigentlich eine Sonderform der Transformation - finden sich auch in anderen Kulturkreisen wieder, und zwar, weil sie von Menschen so gedacht und von Menschen so gewünscht und gebraucht sind.
Für mich ist sein Werk eher spirituell naiv, gesellschaftlich ungelenk, bisweilen herzzerreißend unspannend erzählt, aber ohne den "weltanschaulich gefestigten", moralischen Zeigefinger.
Tolkien sägt sich selbst von den mythologischen Wurzeln, aus deren Quellen er sich bedient hatte, ab. Und gleichzeitig läßt er seine eigene, für ihn ja spirituell reale Glaubenswelt ebenfalls außen vor. - Somit wirkt Mittelerde wie ein spirituelles Vakuum. Da ist nichts, was die Geister, die Seelen der Bewohner mit dem füllt, auf daß sie sich zurückfallen lassen können, wenn das Leben mal wieder härter ist, als sie es ertragen zu können glauben: ihre Religion.
Eine Fantasywelt, die Menschen als Charakter-Rasse (eigentlich wohl eher Art) aufweist, und die dann nicht die menschlich-typischen Grundfragen in den Kulturen dieser Menschen der Fantasywelt adressiert, die taugt nichts, weil sie von Grund auf unstimmig und schlichtweg "falsch" wirkt. - Anders sieht dies bei Welten aus, in denen KEINE Menschen auftreten und die somit keine Erwartungshaltung nach typisch menschlichen Verhaltensweisen und historischen Entwicklungsbildern wecken. Nur sind letztere oftmals so fremdartig, daß dann wiederum die Spieler, vor allem Neueinsteiger, den Zugang zu all der - möglicherweise ja sehr coolen - Fremdartigkeit nicht bekommen.