Sonstiges Eignen sich Old-School-Rollenspiele, um neue Leute ins Rollenspiel einzuführen?

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Ja.

Warum?

Die Spielgruppe muss nicht die Regeln kennen, um spielen zu können.

Die Charaktererschaffung ist schnell und einfach.


Die Spielgruppe muss nicht die Regeln kennen!


Eines der wichtigsten Merkmale klassischer Rollenspiele ist, dass die Spielenden die Regeln nicht kennen müssen.

Die Spielleitung (SL) beschreibt die Situation mit einfachen Worten, die Spielgruppe stellt Fragen an die SL und trifft auf Basis der der Antworten Entscheidungen. Wenn ein Würfelwurf erforderlich wird, kann die SL den Spielenden mitteilen, welcher Teil des Charakterbogens

Einige meiner schönsten Spielerfahrungen bestanden darin, mit Leuten zu spielen, die nie zuvor ein Rollenspiel gespielt hatten. Es war deshalb so gut, gerade weil die Spielgruppe die Regeln nicht kannte. Manchmal führt gerade das Nichtwissen, darüber ob eine Handlung durch Regeln abgedeckt wird, zu besonders fantasievollem Rollenspiel. Bedenke, dass fast alle anderen Arten von Spielen nur das zulassen, was die Regeln als zulässig beschreiben.

Die meisten haben nur diese Variante von Spielen gespielt. Sobald neue Spieler:innen verstehen, dass man im Rollenspiel nahezu alles versuchen kann, lassen sie sich voll und ganz auf dieses Konzept ein. Sie loten die Grenzen dieser neu entdeckten Freiheit ernsthaft aus. Es ist ein Vergnügen, SL zu sein, wenn das passiert.

Da die Spielenden die Regeln nicht kennen, interagieren sie mit der einzigen Sache, die sie über das Spiel wissen: das gemeinsame Gedankengebäude, das durch den Dialog zwischen SL und Spielgruppe entstanden ist.

Schnelle und einfache Charaktererschaffung


Die meisten OSR-Spiele besitzen einen einfachen und geradlinigen Charaktererschaffungsprozess. Du führst ein paar Würfe durch, notierst Zahlen und ordnest sie ein paar Attributen zu. Es sind ein paar Entscheidungen über Klasse, Spielvolk und Ausrüstung zu treffen. Der Charakterbogen ist einfach zu verstehen und du bist schnell im Spiel, weshalb du ja da bist.

Eine begrenzte Anzahl von Entscheidungen verhindert Entscheidungsüberforderung


Wenn menschliche Wesen mit zu vielen Wahlmöglichkeiten konfrontiert werden, fühlen sie sich überwältigt. Einige Untersuchungen kommen zum Ergebnis, dass wir dann mit unseren Entscheidungen weniger glücklich sind, weil wir uns ausmalen, dass die andere nicht gewählte Option die bessere hätte sein können. Indem die zu entscheidenden Punkte und die Entscheidungsoptionen begrenzt werden, machen sich die Spieler:innen keine Sorgen um die Charaktererschaffung; denn die Würfel haben die möglichen Optionen bereits eingeengt. Eine von drei Alternativen auszuwählen ist eine deutlich einfachere Entscheidung, als eine Entscheidung über ein Dutzend Optionen zu treffen.

Es ist nicht schwierig zu erklären, was Charaktere ausmacht und was sie in OSR-Spielen tun


Ich habe B/X-Spiele (Anm. d. Ü.: die D&D-Regelversion der frühen 1980er) für eine Gruppe Kinder geleitet, die zuvor noch nie ein Rollenspiel gespielt hatten. Wir gingen die Charaktererschaffung gemeinsam in der Gruppe durch. Es dauerte zwar eine Stunde, bis alle fertig waren, aber die Hälfte der Zeit verbrachte ich damit, die Art von Fragen zu beantworten, die Kinder stellen (Kann ich einen Tiergefährten haben? Wo hast du diese coolen Würfel gekauft?) und die weniger Aufmerksamen zurück an den Tisch zu bringen. Außerdem wurden in dieser Zeit Charakterillustrationen gezeichnet und Snacks geknabbert. Wenn es einem halben Dutzend Zehnjährigen gelingt, Charaktere zu erstellen, dann können das alle.

Das ist eine Kämpferin. Sie ist gut darin zu kämpfen.

Das ist ein Kleriker. Er ist ein Priester, der das Böse bekämpft und sich für seine Religion einsetzt.


Das sind Konzepte, die nicht viel Erklärung benötigen.

Du hast ein Schwert. Damit kannst du Leute piksen.

Es gibt nur wenige Regelmechanismen wie z. B. Trefferpunkte und Rüstungsklasse, die auf einem Charakterbogen erscheinen. Wer bereits ein Videospiel gezockt hat, ist mit diesen Konzepten vertraut. Und aktuell ist das die Mehrheit der Bevölkerung.

Da neue Spieler:innen die Regeln zum Spielen nicht wissen müssen, fällt es leicht, die jeweiligen Regeln dann zu erklären, wenn sie im Spielgeschehen relevant werden. Du kannst ungewohnte Konzepte wie Rettungswürfe dann erklären, wenn ein Charakter von einem Riesentausendfüßler oder einem Ghul verletzt wurde.

Tipps, um Neulinge mit OSR-Spielen ins Hobby einzuführen

Halte es einfach.


Wer von uns sich schon eine Weile mit unserem Hobby beschäftigt, macht die Dinge tendenziell kompliziert. Wir fügen Hausregeln und neue Charakterklassen zum Spiel hinzu, erfinden neue Zauber oder borgen Regeln und Konzepte aus anderen Spielen und Blogs aus. Das ist ein Teil des Spaßes in unserem Hobby.

Neue Spieler:innen in bestehenden Kampagnen


Am einfachsten führst du neue Spieler:innen in ganz neue Spielgruppe ein. Wenn alle in der Gruppe gerade erst anfangen, ist es unwahrscheinlicher, dass sie das Gefühl bekommen „nicht richtig zu spielen“.

Wenn du einen Neuling in die laufende Kampagne einer bestehenden Gruppe einführst, gibt es ein paar Herausforderungen.

Einige erfahrene Mitglieder der Spielgruppe tendieren dazu, Neulingen die beste Vorgehensweise für ihren SC zu erklären. Neue Spieler:innen werden oft erfahrenere Gruppenmitglieder um einen solchen Rat bitten. Als SL versuche ich das gleich zu unterbinden. Ich erinnere die übrige Gruppe daran, dass dies die Entscheidung des Neulings ist.

Es ist ok, wenn erfahrenere Gruppenmitglieder Neulingen ein paar Wahlmöglichkeiten vorstellen. Wenn sie mal nicht weiterwissen, schlage ich ihnen oft Handlungsalternativen vor: „Du kannst das Monster angreifen, weglaufen, versuchen, mit ihm zu reden, den Halbling als Schutzschild vor dich halten oder wir können etwas anderes probieren, wenn du eine bessere Idee hast.“

Gelegentlich ist es notwendig, dass Spieler:innen eine Regel verstehen


Es ist wichtig, dass die Spielgruppe nicht das Gefühl hat, dass die SL willkürliche Entscheidungen trifft. Die Regeln sind einfach genug, sodass die SL eine relevante Regel in unter einer Minute erklären kann. Wenn sich Spieler:innen nicht sicher sind, warum eine ihrer Entscheidungen unerwartete Konsequenzen hatte, erkläre es ihnen.

Spieler:innen müssen verstehen und daran glauben, dass sie ihre Charaktere direkt vertreten. Sie müssen verinnerlichen, dass ihre Entscheidungen Konsequenzen haben – seien es gute oder schlechte. Manche Spieler:innen, die mit Videospielen oder Visual Novels vertraut sind, erkennen das nicht. Es ist eine neue Erfahrung, dass ihre Entscheidungen nicht nachträglich rückgängig gemacht werden können. Es gibt keine Speicherpunkte im Spiel und ihre Charaktere können sterben.

Wenn Spieler.innen etwas tun, das nicht durch Regeln abgedeckt ist, so sollte die SL die Logik der Regelung erklären, die sie für die Spielsituation getroffen hat. Das schafft Vertrauen. Und Vertrauen ist essenziell.

Manchmal solltest du Spieler:innen eine Regel oder ein Vorgehen schon vorab erklären. Hüte dich davor, „Erwischt!“ zu spielen. Wenn Neulinge aus Regelunwissenheit etwas tun, dann weise auf die Regel hin, bevor ihr Charakter beispielsweise in einen Brunnenschacht stürzt und 10W6 Schaden erleidet. Wenn sie sich nach Erklärung der möglichen Konsequenzen dennoch entscheiden, etwas Dummes zu tun, dann liegt es bei ihnen.

Zuhören, zusehen, kommunizieren


Wenn man viele Jahre oder sogar Jahrzehnte Rollenspiel spielt, vergisst man leicht, wie es sich anfühlt, ein Neuling zu sein.

Einige Neulinge brauchen ein paar Begegnungen im Spiel, um den Dreh herauszubekommen, was ihre Charaktere tun können. Gehe nicht davon aus, dass sie alles verstehen, was gerade passiert.

Nimm dir Zeit und höre sorgfältig zu. Wenn es den Anschein hat, dass sie falsche Annahmen treffen, gute Gelegenheiten übersehen, sich dort unvorsichtig verhalten, wo sie vorsichtig sein sollten oder übervorsichtig sind, wo sie forsch vorgehen sollten – dann könnte es die Spielgruppe als hilfreich empfinden, wenn du Vorschläge machst oder darauf hinweist, dass ihnen Handlungsmöglichkeiten zur Wahl stehen, die sie noch nicht ausgelotet haben.

Behalte neue Spieler:innen im Auge und sei dir ihrer non-verbalen Signale bewusst. Runzeln sie die Stirn? Sitzen sie angespannt auf der Stuhlkante? Schauen sie verwirrt auf ihren Charakterbogen? Lächeln sie? Stapeln sie Würfel? Das sind alles Hinweise darauf, was sie gerade denken und fühlen. Möglicherweise musst du sie fragen, worüber sie gerade nachdenken oder wie sie sich beim Spiel fühlen, damit du ihnen das Spiel näherbringen oder dein Vorgehen anpassen kannst.

Stelle sicher, dass du kommunizierst. Nur weil du etwas gesagt hast, heißt das noch nicht, dass Kommunikation stattgefunden hat. Wenn jemand am Spieltisch verwirrt oder frustriert wirkt oder den Eindruck macht, dass es ihm keinen Spaß macht, dann nimm dir einen Augenblick, um zu verstehen, was gerade passiert. Versucht dann einen anderen Ansatz, um zu erklären, was ihr/ihm vielleicht entgangen ist.

Sorge dafür, dass Spieler:innen klar verstehen, dass es sich um ein Rollenspiel handelt, in dessen Verlauf sie auch Sachen improvisieren können. Keine andere Art von Spiel ermöglicht das. Diese Offenheit ist eines der Hauptmerkmale von Rollenspielen.

Fazit


Sind Old-School-Rollenspiele geeignet, um neuen Spieler:innen Rollenspiel näher zu bringen?

Ja, natürlich.

Spieler:innen brauchen die Regeln nicht zu kennen. Charaktere können schnell erschaffen werden und sind leicht zu verstehen.

Das verringert den Aufwand, den Spieler:innen möglicherweise verspüren könnten, denn ihr persönlicher Zeit- und Arbeitsaufwand bleibt überschaubar. Wenn sie nicht eine Stunde für die Charaktererschaffung oder viele Stunden zum Lesen eines Regelbandes benötigen, dürften sie eher bereit sein, Rollenspiel auszuprobieren. Sobald sie erstmal losgelegt haben, wird ihnen ein rasches Eintauchen in die Spielwelt ermöglicht, dank der leichten Regeln und weil sie selbst bestimmen was ihr Charakter tun soll.

Mit dem Fokus auf die Spielcharaktere anstatt der Regeln können sie eine Erfahrung machen, die sich deutlich von anderen passiven Formen des Entertainments unterscheidet.



Autor des Originals: Travis Miller, 10.3.2022, Übersetzung: Günther Kronenberg, Übersetzung und Website-Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors

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Es ist schön, wenn Travis Miller diese Erfahrung gemacht hat, aber es kommt natürlich alleinig auf das Klientel, das Umfeld und womit die Spieler in der Vergangenheit an RPGs Kontakt hatten, an (OD&D in USA ist was ganz anderes, als hier).

Ich hab 3 Jahre einen OSR Open Table geleitet, darunter waren auch neue Spieler. Gerade auch mit neuen Spielern waren die Erfahrungen am Besten, das kann ich bestätigen. Und ich habe meine Spieler über jeden Schritt aufgeklärt, jedoch jeder inzelne Spieler hatte Skepsis gegenüber den Regeln. Kein einziger wollte die Regeln "nicht kennen", "nicht verstehen" oder eine "schnelle Charaktererschaffung". Genau das Gegenteil war der Fall, jeder wollte mehr Regeln und jeder wollte sich seinen Wunschcharakter genau zusammenbauen.
Wenig überraschend wurden großenteils Aktionen unternommen, welche die Regeln nicht abdeckten, so dass es eine große Flut an sich ständig verändernen Hausregeln und Rulings gab - Beifall gab es nicht, sondern mein Eindruck war, dass die meisten (nicht alle) Spieler das als Systemschwäche ansahen. So gut wie niemand war bereit, sich in das Enge Korsett des OSR-Ablaufes zu begeben (Rein in den Dungeon, Raus aus dem Dungeon). Nach Beendigung der Kampagne wanderten insbesondere 2 Neulinge dann zu DSA5 ab (hörthört!)

Tatsächlich war die Unwilligkeit (später auch die Spielerabwanderung) so groß, dass ich mich gezwungen sah, das Projekt "OSR" einzustampfen und mich anderen, komplexeren und technischeren Systemen zuzuwenden. RPG in Deutschland ist halt doch nochmal was anderes.
 
Ich persönlich halte den Einfluss des Systems tatsächlich für relativ gering.

Das wichtigste um Interesse am Rollenspielhobby zu fördern ist doch eine gute Erfahrung. Die wird in erster Linie durch die Spielgruppe und den Umgang miteinander haben.
Es geht auch nicht um Konkurrenz zu anderen Rollenspielsystemen. Als "Einstieg" verstehe ich ein Anködern. Dementsprechend ist es auch nicht wichtig, ob die Spieler dann bei ursprünglichen Einstiegssystem bleiben oder sich weiter mit dem Thema Rollenspiel beschäftigen.
"Mensch Ärgere Dich nicht" ist auch ein perfekter Einstieg ins Brettspiel-Hobby. Aber es ist nicht relevant, ob Spieler danach auf Risiko, Twilight Imperium oder Gloomhaven umsteigen, sondern nur ob sie weiter Brettspiele zocken.

Um also zurück zur ursprünglichen Frage zu kommen: Das System ist ein kleiner Bestandteil, wichtig ist wie sattelfest die Gruppe ist, wie leicht sie es dem Neuling machen und ob eine gute Stimmung dabei aufkommt.
 
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