Düsterniss

SiebenSiegel

Nomael (Raphaelit)
Registriert
29. Januar 2004
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Er lag in seinem Bett. Die Decke über den Kopf gezogen. Kein Laut durchbrach die eisige Stille
die sich über das dunkle Schlafzimmer gelegt hatte. Er lag da. Nur ein kleines Loch machte er in die schützende Hülle der Decke, um halbwegs Atmen zu können. Er versteckte sich. Vor den Dämonen die seinen Gedanken selbst entsprangen, die Fragen, die ihn quälten, ihn bewegten. Er dachte nach über Dinge die da kommen werden und wie sie kommen würden. Doch nicht fröhlich und heiter, aber düster und schwermütig waren die Gedanken und sie sprachen von Trauer und Schmerz, Krankheit und Tod. Und sie kreisten. Immer weiter kreisten sie von einem Szenario zum nächsten. "Und wenn Großvater jetzt wirklich sterben sollte, wie wird sich das anfühlen? Was wird geschehen? Und was wird aus Großmutter, sie wird sicherlich sehr traurig sein. Wenn ein Mensch stirbt, dann heisst das ja ihn nie wieder zu sehen, und was würden wir ohne Opa machen? ..." Er war traurig und wie ein eisiges band legten seine tiefsten Ängste und seine Überlegungen sich um sein Herz, bis es so weh tat, dass er weinte.
So ging es von Nacht zu Nacht. Kein Engel stieg herab und tröstete ihn. Er betete zu Gott um ein langes Leben für seinen Großvater und alle seine Freunde. Doch keine Antwort erhielt er. Nur die Nacht. Sie legte sich nicht nur über das Land, sondern auch über seine Seele. Kam die Nacht, so musste er weiterhin nachdenken. Obgleich er nicht wollte musste er es erörtern. Das und nichts anderes machte ihn weiser als alle anderen die er kannte. Er sah es. Er wusste es und er litt unter dieser Gabe und sie zerbrach ihn langsam.
"Komm sofort hier herunter", durchbrach ein lauter Schrei die Dunkelheit und seine Gedanken. "Was hast du dir dabei gedacht? Bist du von allen guten Geistern verlassen?" Er hatte gewusst, seine Mutter würde kurz nachdem er sich niederlegte nachhausekommen und hatte ihr ein paar blumen und eine brennende kerze am Tisch hinterlassen, sie sollten sie willkommen heissen. Er wollte ihr eine Freude machen. Morgen war schliesslich Muttertag. Doch wieder hatte er alles falsch gemacht und sie nannte ihn gedankenlos und er räumte alles wieder weg. "Gute Nacht Mama" meinte er schliesslich und schlich hinauf in sein Zimmer. "Gute Nacht." Es klang nicht freundlich und sie war noch immer ziemlich verärgert.
Zurück in der Dunkelheit. Erst lag er ruhig da, doch dann kreisten seine Gedanken und sie kreisten immer wilder und heftiger, bis sich schliesslich alles um ihn herum drehte und er leise wimmernd wieder die Decke über seinen Kopf zog. Sie nahmen ihn mit in die Zukunft und es war ein düsterer, grausamer Ort, wo nichts besser aber vieles schlechter geworden war. Seine Mutter und sein Vater waren tot. Seine Großeltern schon lange im Grab...
Doch da regte sich etwas in seiner Seele und ein inneres Licht überstrahlte seine düsteren Vorstellungen und schien auf alles. Ja. Er machte Fehler. Er wollte ihr doch nur eine Freude machen. Er konnte nichts dafür verdammt. Das helle Licht war die Gabe des Zorns, die der Mensch mit vom Baum der Erkenntnis erhalten habe. Der Zorn über die Ungerechtigkeit. Er fühlte ihn in sich toben. Zorn und Wut über seine Freunde in der Schule, seine Mutter und Gott, der so unerbittlich war, den Tod in die Welt zu senden. Dann klarte alles wieder auf und Freude legte sich über seinen Geist und er erkannte die Ironie in den Handlungen der Menschen und die Weisheit in den Worten und Gleichnissen der Bibel. Dann wurde es kalt und nur die Vernunft beherrschte seinen Geist und er rezitierte die alten Philosophen, von denen er gelesen hatte. "Denn solange wir sind, ist der Tod nicht, und wenn der Tod ist, sind wir nicht mehr" und er sah, dass es gut war. Dann lachte er. Nicht das bittere Lachen vorhin, sondern ein freies fröhliches Lachen, das ihn an die glücklichen Stunden in seinem Leben erinnerte und ihn lehrte, dass die Welt ein Ort des Lichts war.
An diesem Tag versiegelte er seine düsteren Visionen von der Zukunft hinter diesen sieben Siegeln:
Dem Zorn und seiner Schwester der Ironie, der Erkenntnis und ihrer Schwester der Vernunft, der Höflichkeit und ihrer Schwester der Freundlichkeit und seinem Willen, dem Glauben an Gott.

Mögen jene ihm vergeben die erlebt haben, dass er die Siegel nicht halten konnte.

Wehe dem der diese Siegel bricht und heil der, die die Wunden seiner Seele versteht und lindert, denn heilen werden sie nie.

Wecke nicht den schlafenden Drachen.
Don't come between the Dragon and his wraith

There is nothing eternal
There is nothing cruel
There is nothing fullfilling
But the love of a dragon.
 
mir auch... grinsend auf die Finger haut .. das macht ja süchtig....

Aber ich find es sehr schön, hab ich dir ja gesagt...
 
Hallo SiebenSiegel und willkommen im Forum der Blutschwerter.

Eine schöne Geschichte. Hat was von biblischer Qualität. Aber für wen steht der Drache?
 
Die Zeit verging und der Spott der Klassenkameraden glitt mehr und mehr von ihm ab und seinen Schmerz darüber überspielte er mit falscher Fröhlichkeit und Spott für andere. Sein Herz wollte ihm zerspringen in seiner Brust und nur sein Wille und der Drache hielten es davon ab.
Doch wiederum sah das Schicksal einen wichtigen Tag in seinem Leben vor doch er wusste es nicht. Gestern erst hatte er die lockeren Schrauben in einem der Schränke der Küche nachgezogen doch heute sollte ihm jene Arbeit vergolten werden.
"Du hast den noch immer nicht weggeräumt! Was soll das! Ich bin doch nicht dein Buttler!" schrie seine Mutter. Sie war gerade erst von der Arbeit nachhause gekommen und es war kein leichter Tag für sie gewesen und all die hilflose Wut, die sich angesammelt hatte schwelte nun in ihr, hatte gerade ein Ventil gefunden und entlud sich. Auf ihn.
Der kleine Junge nahm den Schraubenzieher wortlos und trat hinaus auf den Flur, der übers Treppenhaus in den Keller in die Werkstatt seines Großvaters führte, von dem er ihn geliehen hatte. Doch soweit führten seine Schritte ihn nicht. Sie endeten an jenem Treppenansatz und er blickte hinunter. Das düstere Licht der Dämmerung tauchte die Wände in ein seltsames Zwielicht und Schatten und Licht verflossen miteinander. Langsam, ganz langsam hob er den Schraubenzieher und setzte ihn an seine Brust, direkt über dem Herzen. Fester und fester drückte er ihn hinein und es schmerzte ihn. Schon sah er vor seinem Auge sein kleines Herz gegen das Eisen hämmern, das es langsam durchbohrte und tränen rannen über sein Gesicht. Kalte Tränen der Trauer und der Hilflosigkeit. Nur ein kleiner Schritt, sich fallen lassen. Der Rest würde sich schon machen. Beim Aufschlag würde das Werkzeug ihn durchbohren und ihm einen schnellen Tod schenken. Es war nicht das erste Mal, dass er kurz davor war, diesem Dasein ein Ende zu setzen, aber es sollte das letzte mal sein.
Wieder regte sich in ihm der Zorn, und die kalte Wut der Verzweifelten durchflutete ihn. Sein Gesicht verzerrte sich zu einer Grimasse und sein ganzes Elend floss in diesen stummen Schrei. Der Drache regte sich und er war mächtig und voll Stolz und er hielt Zwiesprache mit der großen Schlange, die sein Herz umfasste.
"Du bist ich. Ich bin du. Wir beide sind eins. Bis heute hast du mich nicht gerufen, doch ich bin gekommen, wo du mich gebraucht. Damals vor ein paar jahren habe ich dir eine Rüstung geschmiedet und heute bringe ich dir dein Schwert. Doch du musst mir schwören, ihm nicht zu folgen, sondern es nur zu deinem Nutzen einzusetzen und niemals sollst du willentlich dein Blut vergiessen. Deine Zeit wird kommen, aber du sollst und darfst sie nicht bestimmen, die Stunde deines Todes."
Und er gab ihm ein Schwert, das schärfer war als aller Stahl der Welt und sein Geist umschloss gierig die neue Gabe die aus ihm selbst entsprungen ihm gehörte und seine Stärke von nun an sein sollte. Die mächtigste Waffe die je ein Mensch geführt hatte, hielt er jetzt in seinen Händen, die Macht Demut und Stolz zu empfinden, zu Leiden und doch seine Ehre zu bewahren, und er schwor dem Drachen und sich selbst, sich nie wieder an sich selbst versündigen zu wollen in Gedanken, Worten und Werken.

Der Drache hatte sich offenbart.
The Dawn of a New Age.

Sein Schwert zerschlägt seine Feinde und erhebt die Schwachen zu Glanz und Glorie.

Und das Ewige Licht leuchtete ihm.
 
"I hope I die before I get old..." summte er leise die Melodie jenes bekannten Liedes vor sich hin. Ein Klassiker. Wieder saß er zuhause in den Schatten seiner selbst, doch heute leuchtete er selbst in diese Dunkelheit, ein strahlender Glanz, er lächelte und seine ganze Freude floß aus ihm heraus in diese Dunkelheit und für kurze Zeit war sie erfüllt von goldenem Licht, die Flamme die das Mädchen in ihm geweckt hatte brannte und verzehrte sein Herz, alles andere wurde nebensächlich, er dachte nur an sie, sie, ihre goldenen feinen Haare, wie sie ihr Gesicht umrahmten, ihr glockenhelles Lachen, ihre Stimme, so hell, so klar, wie das Licht. Und der Drache schwieg, denn jetzt war nicht seine Zeit. So lag er da und wartete, er gestattete sich ein lächeln. Es würde nicht ewig anhalten, bald würde er wieder nach ihm rufen. Bald.
Am nächsten morgen saß er wiederum da im Klassenzimmer und wartete auf sie. Beide kamen sie immer viel zu früh in die Schule, denn die Busverbindung war alles andere als gut. Er saß da und dachte nach. Dann nahm er ein Heft und begann seine Arbeiten zu schreiben. Er hatte noch Zeit und sie würde ja bald kommen. Bald.
Doch sie kam nicht und er fühlte wie sich sein Herz zusammenkrampfte, wurde wie ein Stein, kalt und leer. Das Licht schien nicht heute, und doch war er noch so voller Hoffnung, dass der Drache nicht wagte sich zu erheben. Die Zeit verging und sie quälte ihn. War ihr etwas passiert? Vielleicht war sie krank? Vielleicht...
Ihr war es in letzter Zeit sehr schlecht gegangen und er hatte versucht für sie da zu sein. In der Schule hatte sie keine Freunde. Gleich ihm und wenn er ihre Stimme hörte, wie sie sagte "Hey, mit der zusammen zu sein, das war der größte Fehler deines Lebens" und er schüttelte sich. Dann endlich war der Tag vorbei und er war auf dem Weg nach hause. Er verabschiedete sich nicht und sprach kein Wort auf der Fahrt nach hause. Er aß nicht, sondern nahm das Telefon und ging in sein Zimmer. Der Schlüssel drehte sich im Schloss und er ließ sich auf das Bett fallen, wählte mit fliegenden Fingern ihre Nummer. Sein Herz schlug schnell er hob den Hörer ans ohr.

Das Gespräch dauerte sehr lange. Sie war krank. Er würde sie besuchen fahren. Irgendwie würde sich das machen lassen.
Was für Vorstellungen er auch immer gehabt hatte von diesem Abend, so waren sie nicht gewesen. Nein. Er hatte nicht damit gerechnet, dass die Welt ihn so strafen würde. Sie würde wegziehen in die große Stadt. Eine andere Schule. Kunst und Mode.
WARUM?
Wieder fielen ihm die Worte ein, er wusste nicht mehr ob sie sein oder das Eigentum eines anderen waren...Ich weiß, dass es einen Gott gibt. Er HASST MICH! Doch er nahm es hin. Diese Gedanken wurden erst sehr viel später gedacht, als er wieder zu hause war. Jetzt versuchte er jede Sekunde mit ihr zu geniessen. Ihr Licht, ihr Glanz, er sonnte sich in ihrer Glorie und wärmte sich an ihrer Liebe.

Vier Wochen waren vergangen und er hatte einen Entschluß gefasst. Er hatte lange darüber nach gedacht. Es konnte nicht funktionieren, wenn sie so weit von ihm war. Ausserdem fürchtete er, selbst der Grund für den Spott zu sein, den sie ertragen musste und hoffte, dass seine Kameraden zurück kehren würden um ihn zu quälen und sie in Frieden ziehen zu lassen, denn das würde ihm wahrlich weniger Kummer bereiten, als sie leiden zu sehen. Doch weit gefehlt. Seine "Freunde" gratulierten ihm. Der Drache spürte, das die Zeit nahte, sich zu erheben, doch noch ruhte er. Unendliche Trauer überkam ihn da und er fühlte seine Worte auf sich lasten und ihn ins Dunkel drücken "vielleicht ist es besser, wenn wir uns jetzt trennen, als in ein paar Wochen auseinandergerissen zu werden" hatte er gesagt und jetzt reuten ihn seine Worte.

Doch sie waren gesprochen und er hatte nicht den Mut, sie zurück zu nehmen und Zeit verging und sie war fort. Die letzte Chance vertan. Es führt kein Weg zurück.
Der Drache nahm in gerne in seine Arme und legte sich wieder um sein Herz. Hochmut und Stolz waren seine Rüstung und sein Schild. Doch das Schwert mochte er noch nicht wieder aufnehmen, denn er fürchtete sich selbst daran zu verletzen, an der kalten Schärfe seines Geistes. So ging er in die Tage hinein, durchlebte, nein verlebte sie eher ohne ihnen Bedeutung zu zu messen und die Zeit verging und die Wunde in seinem Herzen hörte auf zu bluten, sie begann langsam zu heilen, doch er wusste, dass er immer eine Narbe davon tragen würde.

Der Aufstieg und Untergang der Sonne.

Der Aufgang des Mondes über einer langen, kalten Nacht.

Zeit verging.
 
also wenn das wirklich von dir is... respekt. habe meines wissens noch keine geschichte gesehen, in der gedankengänge so ersichtlich und gut geschildert waren.

ich bin ziemlich gespannt wie das ausgeht.
 
ich werde es genießen, mir vorlesen zu lassen, wenn du mir das gewährst...
 
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