Rezension Domicile 1 [B!-Rezi]

Little Indian #5

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Domicile Band 1


Köln, während des zweiten Weltkriegs:
Eine Postkarte, die ihr Vater ihr hinterlassen hat, führt die junge Melissa in den Dom. Dort findet sie ein altes Buch, dessen Geschichte ihr einst der Vater erzählte: das Daimonion.
Dieses Buch geht auf eine alte Legende zurück, derzufolge der erste Baumeister des Doms eine Wette mit dem Teufel abschloss, in deren Verlauf es ihm gelang, den Teufel selbst und alle Dämonen Kölns in dieses Buch zu bannen. Wer auch immer das Buch öffnet, wird zwar selbst vom Daimonion beschützt, lässt aber die darin eingesperrten Dämonen wieder frei.
Die letzte Information hat Melissas Vater seiner Tochter leider wohl vorenthalten, denn sie öffnet das Buch, was zur Folge hat, dass Köln fortan von seltsamen dämonischen Wesen heimgesucht wird. Eines davon bringt ein amerikanisches Jagdflugzeug zum Absturz, das Melissa zu erschlagen droht. Im letzten Moment wird sie von einem geflügelten Mann gerettet, der sich ihr als Cebrail vorstellt und darauf besteht, dass er kein Schutzengel sei sondern ein (oder das?) Daimonion.
Auf der Suche nach ihrer Freundin Xin, die von Melissas Vater schwanger ist, begeben sich Melissa und Cebrail in die Abwasserkanäle, die jetzt nicht nur eine Gruppe Menschenfresser als Unterschlupf dienen, sondern auch der Hexe Baba Jaga…

Robert Labs greift in seinem Manga eine alte Kölner Sage um den Bau des Doms und die Einmischung des Teufels auf, um daraus eine typische actionlastige Manga-Story zu machen mit hübschen Mädchen, übernatürlichen Beschützern, hässlichen Monstern und geheimnisvollen Nebenfiguren.
Das war zwar schon zu guten alten „Guyver“-Zeiten nicht besonders originell, aber man muss ja auch nicht in jedem Buch das Rad neu erfinden. Gut geklaut ist immer noch besser als schlecht selbstgemacht. Leider ist Domicile zwar zusammengeklaut, aber nicht besonders gut.
Verschiedenste Versatzstücke werden hier völlig bunt zusammengewürfelt. Neben der erwähnten Kölner Sage gibt es ein mächtiges Buch (das „Necronomicon“ lässt schon grüßen), einen übernatürlichen Beschützer (der ist immerhin anders als in den „Biss“-Romanen kein Vampir) und Monster, die aus allen möglichen Sagen und Legenden zusammengewürfelt wurden: Neben Heinzelmännchen (aus einer weiteren Kölner Sage) werden Glatisante (aus der Artus-Saga) erwähnt, Vampire, Sonnengreife (doch eine Eigenkreation?) und die osteuropäischen Märchen entstammende Baba Jaga. Für die Menschenfresser wurde allerdings nicht auf einen wohlklingenderen Namen zurückgegriffen, obwohl deutlich zu erkennen ist, dass es sich dabei eigentlich um Ghule handelt.
Die Geschichte selbst tritt nach der Öffnung des Necronomicon ein wenig auf der Stelle - der Manga ist wohl auf mehrere Bände angelegt, immerhin endet er auch mit einem Cliffhanger. Verschiedene Rückblenden, die nicht immer sofort als solche zu erkennen sind, verwirren außerdem etwas.
Die Figuren selbst bleiben durchgehend blass und vermögen kaum, einen echten eigenen Charakter zu entwickeln. Dabei konzentriert sich die Handlung stark auf Cebrail und Melissa, sodass genug Zeit für eine interessante Darstellung zumindest dieser Personen wäre. Xin und der Straßenjunge/Widerstandskämpfer Isaak sind die einzigen Nebenfiguren, die überhaupt näher beleuchtet werden.
Die Dialoge sind leider meist ebenso oberflächlich und klischeehaft wie die Charaktere und manchmal hart an der Schmerzgrenze („Menschenfresser entführen keine Menschen! Sonst hießen sie Menschenentführer…“)
Völlig unklar wird, wann denn der Mange zeitlich genau spielen soll. Ich war zuerst davon ausgegangen, dass er kurz nach Ende des zweiten Weltkrieges spielt, da die Amerikaner offensichtlich ganz in der Nähe einen Kommandostützpunkt haben und sich ihre Flugzeuge frei über der Stadt bewegen können. Dann allerdings liegen (von einem der Monster) frisch ermordete Leichen mit deutschen Uniformen in der Straße. Anachronismen gibt es übrigens auch zuhauf: Zahlreiche Figuren sind erheblich tätowiert, was zwar cool aussieht, in den 40er Jahren aber doch höchst ungewöhnlich gewesen sein dürfte. Und obwohl einer der US-Piloten erwähnt, er habe nichts auf dem Schirm, waren Jagdflieger im zweiten Weltkrieg auch nicht mit einem eigenem Radar ausgerüstet.

Die Zeichnungen wirken größtenteils lieblos und schnell erstellt. Die für Mangas typischen abstrakten Hintergründe ohne jegliche Details sind hier auch stets zu finden. Das konzentriert die Aufmerksamkeit nicht nur auf das Geschehen im Vordergrund, sondern spart dem Zeichner auch noch eine Menge Arbeit.
Die Figuren wirken alle leblos und stilisiert. Der androgyne Cebrail mit seinem Augen-Make-Up und seinen zotteligen Haaren wirkt wie eine Manga-Version des Tokyo Hotel-Sängers Bill Kaulitz. Für diese Band hat der Autor und Zeichner des Mangas, Robert Labs, übrigens mal Bühnenbilder entworfen – ein Zufall?
Die weiblichen Figuren (vor allem Melissa) tragen stets hautenge Kleider, die ihre körperlichen Vorzüge betonen. Besonders das weibliche Gesäß scheint es Labs angetan zu haben, da er dieses immer wieder gerne in den Vordergrund seiner Zeichnungen rückt. Auf den eigentlich unvermeidlichen „panty shot“ wartet man allerdings vergeblich, dafür gibt’s einen kleinen Ausflug Richtung Bondage. Einseitigen Sexismus kann man Labs aber nicht vorwerfen, denn auch Cebrails (männliche) Anatomie wird gerne in den Vordergrund gerückt. Dieser hat nämlich wirklich Probleme damit, seinen Oberkörper angemessen zu verhüllen. So ist immerhin für jeden etwas geboten.
Schade ist die unterdurchschnittliche Qualität der Zeichnungen vor allem deshalb, weil Labs gelegentlich zeigt, dass er viel mehr kann: Ein Rückblick auf die Domgeschichte, der in Form von Kirchenfenstern dargeboten wird, die Einarbeitung von zeitgenössischen Fotos und einige wenige nette Details wie die Schüssel, aus der Baba Jaga Ohren und Augäpfel „nascht“. Das ist im Ergebnis aber leider viel zu wenig.

Nachdem mich ein anderer Manga aus dem Hause Tokyopop, nämlich Struwwelpeter – Die Rückkehr (Rezi hier), positiv überrascht und davon überzeugt hatte, dass es auch in Deutschland möglich ist, Mangas zu produzieren, die sich hinter den japanischen Originalen nicht verstecken müssen, bestätigt Domicile alle meine negativen Vorurteile über Mangas. Er ist unoriginell, schlecht zusammengeklaut, künstlich in die Länge gezogen und die Zeichnungen wirken schnell und lieblos erstellt. Die „deutschen“ Elemente wirken zudem fehl am Platze. Einen besonders schalen Nachgeschmack hinterlässt die Tatsache, dass die Handlung im zweiten Weltkrieg angesiedelt ist, um einen Bezug zur deutschen Geschichte herzustellen, obwohl dass für die Geschichte selbst eigentlich keine Rolle spielt.
Nach dem hier besprochenen ersten Band sind übrigens weitere Bände der Serie bisher vom Verlag nicht einmal angekündigt wurden. Inwiefern dies Aussagen über den Erfolg des Buches erlaubt, ist natürlich nur schwer zu sagen...

Nutzen für Rollenspieler: Gering
Dass der zweite Weltkrieg sich durchaus als Hintergrund einer Rollenspielkampagne eignet, haben die GURPS WWII-Serie oder Weird Wars: Weird War II für Savage Worlds bewiesen. Auch dass ein Element des Übernatürlichen hier nicht fehl am Platze sein muss, zeigen neben Weird War II etwa Godlike oder das gute alte DC Heroes: World At War. Leider lässt sich Domicile nur wenig als Vorlage für eigene Rollenspielabenteuer entnehmen, das nicht sowieso schon anderswo entliehen ist oder ohne großen Aufwand viel origineller selbst entwickelt werden kann.Den Artikel im Blog lesen
 
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