Rezension Das Greifenopfer

Nepharite

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Tom Finn - Das Greifenopfer


[User-Rezi] von Nepharite


Weltzeitwende. Karmakorthäon. Der Namenlose Gott sendet seine Diener in alle Welt, um sich das dämmernde neue Zeitalter untertan zu machen. Die jungen Völker Deres werden kämpfen müssen oder untergehen. Eine Schlüsselstellung in diesem Kampf nimmt die äonenalte, monumentale Trollfestung Matschagroll-Blutsch ein, durch mächtige Magie geschützt und verborgen in den Gebirgszügen der Blutzinnen.

Die Orks suchen dort unter Führung des Schwarzen Marschalls Saddrak Whassoi und des Orkherrschers Aikar Brazoragh nach jener Waffe, mit der einst der stiergehörnte Brazoragh seinen göttlichen Vater Tairach erschlug. Mit diesem Artefakt soll es den Orks gelingen, die Glatthäuter von Dere zu fegen.

Der verbitterte und verblendete Ork-Schamane Knopphold will im Zentrum der Festung in einem mächtigen magischen Ritual den halbgöttlichen Dämonenmeister Borbarad wiedererwecken, um mit dessen Hilfe und als sein Diener die Schmach zu vergelten, die die jungen Völker dem soviel älteren Volk der Trolle angetan haben.

Die (Halb)Menschen: auf der einen Seite die Anhänger des Namenlosen, die mit dem "Sternenstaub" aus der Feste ihrem dunklen Gott die Macht über Dere zu Füßen legen wollen, auf der anderen Seite die Helden: der junge Phexgeweihte Greifwin und die ebenso jugendliche Halbelfin Mayla, Magistra an der Akademie der Verformung zu Lowangen. Beide versuchen, geführt von Visionen ihrer Götter, dem bösen Treiben Einhalt zu gebieten. Nachdem sie einige kleinere Abenteuer in Lowangen überstanden haben, machen auch sie sich auf den Weg nach Matschagroll-Blutsch, begleitet von dem Troll Krallulatsch, behütet von ihren Göttern.

Die Story ist spannend, die Erzählweise des Autoren im großen und ganzen routiniert und gefällig, die Protagonisten -von Saddrak Whassoi bis hin zum Anhänger des Namenlosen- in ihrem Handeln glaubwürdig, und dennoch: insgesamt hinterlässt der Roman einen unbefriedigenden Eindruck.

Leser, die -wie ich- "Das Schwarze Auge" generell nicht spielen oder jene, die die aktuellen Kampagnen und Szenarien nicht verfolgen konnten, werden Schwierigkeiten haben, die Bedeutung der hier geschilderten Ereignisse hinsichtlich ihrer Auswirkung auf Aventurien und seine Völker zu würdigen und einzuordnen. Das gutgemeinte und notwendige Nachwort des Autoren, in welchem er den historischen Kontext der Geschichte (zu) grob umreißt, ändert nur wenig an der Tatsache, dass dieses ein DSA-Roman für "Insider" ist.

Ein zweiter -inhaltlicher- Kritikpunkt ist, dass ein ausuferndes "Götterwirken" den Protagonisten nie wirklichen Handlungs- bzw. Entscheidungsspielraum läßt, sie nicht frei sind. Die Götter -insbesondere Phex und Praios, aber auch der Namenlose- werden zu manifesten Entitäten, die den Lauf der Dinge in ihrem Sinne vorantreiben, sodass sich die Frage stellt, weshalb die Neuen Völker überhaupt ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen sollten. Diese Mahnung machte nur Sinn, wenn die Götter nicht mehr als abstrakte Konzepte wären oder aber nicht dermaßen handfest in die weltlichen Belange eingriffen. Nebenbei war mir bis zum Schluß nicht klar, weshalb Phex -der Graue, der Gott der Händler und Diebe, Hüter des nächtlichen Himmels- ausgerechnet den im Grunde unbedarften und für einen Geweihten tölpelhaften Greifwin, der außerdem nur den diebischen Aspekt seines Gottes durch seine Taten repräsentiert, als Erfüllungsgehilfen erwählte.

Ein Drittes: sprachlich schwächelt die Erzählung dann, wenn das Volk der Trolle die Bühne betritt. Zum einen gelingt es Thomas Finn nicht, die wahre Dimension und gewaltige Atmosphäre des zentralen Handlungsortes -der Trollfestung, dem Ort des "Showdowns"- sowie die Tragik, die dieses alte und einst mächtige Volk umgibt, in angemessene Worte zu fassen. Etwas wird nicht dadurch ehrfurchtgebietend und gigantisch, dass man es als solches bezeichnet. Ein Grund für diesen Mangel mag in der Rasanz der Geschichte liegen, die kaum Zeit zum Verweilen und Staunen lässt.
Zum anderen sind die trollischen Namen und Ausdrücke von einer erschreckenden stereotypen Tumbheit. "Matschagroll-Blutsch" weckt eher die Assoziation von -sorry- Kuhscheiße und nicht die des architektonischen Monumentes eines uralten, kulturschaffenden Volkes. Mehr oder weniger bewusst verglich ich beim Lesen diese fast schon parodistischen "Ausdrücke" ständig mit der congenialen Übersetzung der Riesennamen aus dem "Thomas Covenant-Zyklus" von Stephen R. Donaldson und bekam eine Gänsehaut ob der hier gezeigten Ideenlosigkeit, ...naja, fast zumindest. Dieses "Ungenügend" möchte ich allerdings -"mangels besseren Wissens" und im "Zweifel für den Angeklagten"- nicht dem Autor allein anlasten: DSA ist ein so explizit ausgearbeitetes Rollenspielszenario mit einer umfassenden fiktiven Historie, dass die DSA-Schreiber in ein enges Korsett aus "Fakten" -eben hier wahrscheinlich der Trollsprache, beziehungsweise ihrer garethischen Übersetzung- gepresst werden. Sollten sie dieses sprengen, hagelte es Beschwerden von jenen DSA-Spielern, deren Hang zur Erbsenzählerei sie die Namen aller Klugen Kaiser des Neuen Reiches auswendig lernen lässt, einschließlich deren Regierungszeit, Name ihres Lieblingspferdes und Haarfarbe der Urgroßmutter väterlicherseits.

Ein kleiner Lichtblick auch hier zum Schluss: das Ende der Geschichte ist wiederum originell und wahrhaft phexwürdig.
Das für Heyne-DSA-Romane obligatorische Glossar fehlt natürlich nicht; allerdings hätte ich mir eine Detailkarte der Blutzinnen und eine Stadtkarte Lowangens gewünscht

Fazit: "Das Greifenopfer" mag zwar ein alles in allem unterhaltsamer Roman sein, spricht wegen seiner Bezugnahme auf vergangene Ereignisse und den Ausblick auf zukünftige jedoch eindeutig die DSA-Spieler unter den Lesern als Zielgruppe an und daher nur bedingt empfohlen werden kann.

Titel: DAS GREIFENOPFER
(62. Roman aus der aventurischen Spielwelt)
Originalausgabe
Autor: Thomas Finn
ISBN: 3-453-19641-4
Preis: 7,95 EUR
Seiten: 350
Verlag: Heyne 06/6062, 2002Den Artikel im Blog lesen
 
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