Rezension Classic Traveller

Silvermane

Wahnsinniger
Registriert
22. Februar 2004
Beiträge
5.750
Classic Traveller


Grundregelwerk


This is Free Trader Beowulf, Calling anyone... Mayday,Mayday... We are under attack... Main drive is gone... Turret number one is not responding... Mayday... Losing cabin pressure fast... Calling anyone... Please help... This is Free Trader Beowulf... Mayday....

Mit diesen Worten auf dem Cover kamen 1976, also in der seligen Urzeit des Rollenspielgenres, drei dünne (50 Seiten) Heftchen auf den Markt. Traveller, welches zwar nicht das erste SF-Rollenspiel war, aber für lange, lange Zeit das Erfolgreichste sein sollte.

Herzlich Willkommen bei einer weiteren Silvermane-Rollenspielrezension über einen Titel, den nur die allerwenigsten (noch?) kennen dürften. Traveller. Ein Sci-Fi RPG, das aus der regeltechnischen Steinzeit stammt, einem Zeitalter, in dem man seine Würfel teilweise noch selbst durchnummerieren mußte. Betrachten wir also einen Dinosaurier und lernen wir von ihm.

Traveller bestand ursprünglich aus 3 kleinen Regelwerken in einer Box, einem damals sehr üblichen Format. Es basiert im Grunde genommen auf einem simplen 2W6 Rollover-System und besitzt einige Eigenarten, die einen auch heutzutage noch erstaunen können.

Buch Nummer eins beschäftigte sich mit der Charaktererschaffung und dem Kampfsystem; damals wie heute sehr zentrale Themen. Was Traveller von seinen Zeitgenossen (D&D und Co.) unterschied war die Tatsache, das die Charaktere ihre besten Jahre meist schon hinter sich hatten, und das ihre Talente und Fähigkeiten zum Zeitpunkt der Charaktererschaffung auf dem Höhepunkt waren. Traveller war kein Spiel über grenzenloses Wachstum wie D&D, wo man von einer Null zu einem Helden wurde. Nein, Traveller war mehr ein Spiel um gestandene Mannsbilder (und Weibsbilder), die die große Chance witterten.

Travellers Charaktererschaffung beginnt mit der zufälligen Ermittlung von 6 Attributen (Stärke, Geschick, Ausdauer, Intelligenz, Ausbildung und Sozialstufe), die mittels 2W6 festgelegt wurden. Das Ergebnis des Ganzen war ein 6-stelliger Hexadezimalcode, der als UPP, Universelles Persönlichkeits Profil bekannt war. Hexadezimal? Oh ja.

A867B810/8/6/7/11/8

Anschliessend konnte man versuchen, einen von 6 Karrierewegen einzuschlagen (Navy, Marines, Army, Scout, Handelsmarine oder "Sonstiges". Schaffte man die Aufnahme nicht (bestimmte hohe Attributswerte begünstigten solche Würfe), wurde man "Eingezogen" und der zukünftige Karrierepfad zufällig ermittelt.

Nun begann man, auf der passenden Karrieretabelle den weiteren Verlauf der Laufbahn zu ermitteln. Als kleine Randnotiz sollte nicht unerwähnt bleiben, das man hierbei durchaus sterben konnte. Ja, der Tod während der Charaktererschaffung war nichts ungewöhnliches.

Eine Dienstperiode dauerte 4 Jahre, ab dem Alter von 34 Jahren zeigten sich bereits die ersten Alterserscheinungen (Chancen auf Attributsabzüge!). Da der Charakter mit 18 Jahren begann und neue Skills nur durch den aktiven Dienst erhielt, ist das Dilemma schnell klar:

Junge Charaktere haben sehr wenige Skills. Alte Charaktere tendieren dazu, gebrechlich zu werden. Und mit spätestens 48 Jahren muß der Charakter ausmustern.

Wir sehen also, der Traveller-Charakter hatte wenig Einfluss auf seine Skills und somit auf seine "Rolle". Aber wie heißt es so schön:

"If life hands you lemons, make lemonade."

Nach seinem Ausstieg aus dem aktiven Dienst erhielt der Charakter Abfindungen, basierend auf der Länge seines Dienstes. Diese reichten von Bargeld über Waffen bis hin zu einem eigenen Raumschiff (meist mit 40 Jahren noch ausstehender Zahlungen, in monatlichen Raten zu überweisen).

Kampf und Skillsystem waren von bestechender Einfachheit und Eleganz: mit 2W6 war über einen vom SL festzulegenden Wert zu würfel, von dieser Schwieriegkeit wurde das eigene Skillevel abgezogen. Ein Raumschiff landen? Einfach...4+, davon geht das Pilotenskill des Piloten herunter (-1), für eine Endschwierigkeit von 3+.

Kämpfe wurden ähnlich abgewickelt, die Grundschwierigkeit war 8+ und wurde durch die Waffe, die Rüstung des Ziels und die Entfernung modifiziert. Als Trefferpunkte dienten die 3 körperlichen Attribute, von welchen der (waffenabhängige) Schaden abgezogen wurde.

Buch Zwei beschäftigte sich mit Raumschiffen, deren Konstruktion und natürlich dem Raumkampf. Als Besonderheit sei hier erwähnt, das Traveller-Schiffe normalerweise keine Schilde haben, sondern sich auf ihre schwer gepanzerten Rümpfe verließen. Ebenso war ein Schiff die schnellste Art der Nachrichtenübermittlung: Es gab keine überlichtschnelle Kommunikation ausser dem Postdienst, den die Schiffe ermöglichten. Dieser Umstand war die Ursache für das Technofeudalsystem des Imperiums.

Buch Drei schließlich enthält etwas, was ich auch heute noch vorbildlich finde. Anstatt eine handvoll Planeten zu beschreiben, benutzt Traveller ein System zur zufälligen Generierung von Planeten und deren eingeborener Lebensformen (Tieren), beide aufeinander aufbauend!
Dank der Regeln war die Erschaffung von halbwegs plausiblen Welten und deren Tierleben ein Klacks.

Damit begann alles.

Spätere Erweiterungsbände ermöglichten die Erschaffung von Charakteren aus vielen zusätzlichen Sparten, wie dem Piraten, dem Asteroidenschürfer, dem Diplomaten oder dem Barbaren. Auch die anfangs gerne kritisierten Waffen (alle sehr konservativ) wurden durch Supplements um einige "modernere" Arten erweitert. Das Schiffskampfsystem wurde verbessert und erlaubte bald die Konstruktion von massiven Schlachtschiffen, und verbesserte Generationstabellen ermöglichten die erschaffung kompletter Sonnensysteme, inklusive aller Planeten und Trabanten. Auch die Geschichte des Imperiums wurde erzählt, und die ausserirdischen Rassen wurden als Spielercharaktere verfügbar.

Auch viele andere Firmen sprangen auf den Zug auf. Miniaturen, Deckpläne, Bodenkampfregeln für Fahrzeuge, Abenteuermodule...unzählige Publikationen erfüllten das Traveller-Universum mit Leben und Material.

***

Was mir persönlich an Traveller gefiel war die Loslösung von der üblichen Level/Erfahrungspunkte-Tretmühle der anderen Rollenspiele, ebenso wie die Möglichkeit, "verlieslose" Abenteuer zu bestehen. Auch die Möglichkeiten, selbst mittels eines einfachen Regelsytems Schiffe und Planeten zu erschaffen ist lobenswert und sollte in viel mehr modernen SF-Rollenspielen Einzug halten.

Die Schattenseiten? Man hatte verdammt wenig Einfluß darauf, wer man war und was man konnte. Persönlichkeit und Gesinnung waren dem Spieler überlassen, was wohl den meisten entgegenkam, die sich ohnehin nur selbst spielten. Das System zerbrach an zu großen Raumschiffen, da "normale" Charaktere schon mit dem Erwerb und Unterhalt eines kleinen Frachters zu kämpfen hatten. Auch war Zeit ein nicht zu unterschätzender Faktor, da die Charaktere im Spielverlauf rapide alterten und durchaus an Altersschwäche sterben konnten.

Aber hey, es war ein wunderbares Universum voller Möglichkeiten, voller moralischer Grauzonen und seltsamer Orte (siehe auch Anhang). Kein anderes RPG hat meine Vorstellungen von einem guten SF-RPG (und vor allem dem Punkt, was es alles enthalten sollte!) so geprägt wie Traveller.

Falls jemanden die Nostalgie schüttelt, der Autor des Ur-Traveller, Marc Miller, vetreibt Nachdrucke aller wichtigen Traveller-Publikationen (und von Twilight:2000, das RPG über das Leben nach dem 3. Weltkrieg) über seine Webseite, Far Future Enterprises.

FFE- Main Far Future Page

Würde ich es heute nochmal nach den Urregeln spielen wollen? Wohl eher nicht. Würde ich schamlos Ideen, Systeme, Waffen, Schiffe und Ausrüstung klauen? Mit absoluter Sicherheit.

-Silver, over and out.Den Artikel im Blog lesen
 
Schöner Bericht über ein sehr cooles Regelsystem - wie du über die Kämpfe gesagt hast; von bestechender Einfachheit und Eleganz.
Seit ich das habe (1986!), brauchte ich eigentlich kein anderes Grundregelwerk mehr und spielte damit alles mögliche.
Sollten sich mehr Spieler mal ansehen - egal wie alt es ist, es ist nachwievor klar verständlich, flexibel und für alles mögliche einsetzbar.
 
Zurück
Oben Unten