AW: Anführer-SCs
Also erstmal lief es so ab, daß ich erstmal heimlich die Spieler, denen ich die Chef-Rolle zutraute, fragte, ob sie den Job machen wollen. Die Antwort war "Nein!". Als ich dann später offen in die Runde fragte, wer nun der Boss sei, meldete sich zuerst diese Spielerin und beim zweiten Mal war es der Spieler.
Ich wollte es so halten, was ich auch der Runde gesagt hat, daß der Captain zwar den Kurs vorgibt, aber in die ganzen Spezialgebiete der Charaktere nicht reinredet.
Hattest Du mal in Erwägung gezogen den Captain ausschließlich als NSC zu führen?
Wenn ich mit einzelnen Spielern, die ich für geeignet halte, spreche, und keiner will die Führungsrolle übernehmen, dann nehme ich - aufgrund einschlägiger Erfahrungen - lieber gleich einen NSC-Kommandeur, als daß ich OFFEN in die Runde frage denn es ist dann oft so,...
... daß ausgerechnet die Leute, die es nicht können, bereit waren, den Anführer zu machen und dann auch noch sehr überzeugt davon waren, was sie tun, aber die Leute, die es drauf hatten, weil sie über das Charisma und die Überzeugungskraft verfügen, sich gegen die Verantwortung gesperrt haben.
Übrigens ist das gerade auch im Berufsalltag in einem großen deutschen Aktienunternehmen der
NORMALFALL!
Viele Menschen können sich selbst nicht gut einschätzen. Viele ahnen nicht oder unterschätzen, was es wirklich bedeutet andere Leute zu führen. Diejenigen, die führungsgeeignet wären, die wissen aber, auf was sie sich dabei einlassen müßten - und lehnen DESHALB die Führungsverantwortung ab.
So kommt es, daß anteilig weit mehr ungeeignete Führungskräfte in Entscheidungsträgerpositionen sind, als geeignete.
Das ist zwar schade und manchmal auch nur schwer erträglich, aber es ist normal.
Warum sollten unter Rollenspielern viel mehr geeignete Führungspersönlichkeiten als im Bundesdurchschnitt auftreten?
Mir hat insbesondere Engel mit der herausgehobenen Rolle des Michaeliten deutlich gezeigt, wieviel Streß solch ein Job ist, wenn man nur versuchen soll vier andere Spieler zu einer GEMEINSCHAFT zusammenzuschweißen und als TEAM gemeinsam zum Handeln zu bringen.
Das ist so ähnlich wie bei Mannschaftssportarten oder bei Musik in einer Gruppe. Eigentlich muß jeder sich auf den anderen verlassen können, oder DAS GESAMTE TEAM verliert. Damit das klappt bedarf es FÜHRUNG. Führung gibt die Richtung vor, in die alle am selben Strang ziehen sollen, damit mehr ereicht wird, als es einem Haufen Individualisten möglich wäre. - Wenn jeder in einem Orchester irgendwie vor sich hin spielen würde, dann bekäme man kaum etwas Erträgliches zu hören (ja, es gibt auch AUSNAHMEN, wo sich manche Orchester "selbstorganisieren" - aber das sind wirkliche Ausnahmen von sehr BEWUSST handelnden Ausnahmecharakteren).
Rollenspielgruppen, in welchen jeder Spieler nur sein Ding durchziehen will, und wo es ihm scheißegal ist, ob irgendwer anderes am Tisch dadurch seinen Spaß verdorben bekommt, sind gestört. - Bei mir fliegen solche Leute aus der Gruppe. Ich habe weder den Nerv noch die Zeit mich mit solchen Fällen zu befassen.
Rollenspiel ist TEAMPLAY. Nicht in allen Szenarien auf Charakterebene, aber IMMER auf SPIELEREBENE. Wenn sich die Leute lieber kloppen wollen, so habe ich meine Knüppel und Helme fürs Vollkontakschlagen nur ein Zimmer weiter liegen. Und dann schlage ich vielleicht auch gleich mal mit.
Aber wenn ich sehe, wie groß die Aufgaben sind, die manche Kampagnen einer Rollenspielgruppe stellen, dann ist es sehr oft - zumindest bei den Spielen, die ich spiele und die keine Challenge Ratings kennen - so, daß die SCs nur durchkommen, wenn sie GEMEINSAM ihre Kräfte gut einzusetzen verstehen.
Das fällt leichter, wenn sich nach ein paar Spielsitzungen ein "informeller Anführer" herauskristallisiert hat. Solche Gruppen entsprechen dem, was bei allen Gruppen von Menschen, die gemeinsam an etwas arbeiten, erkennbar ist: es bilden sich Strukturen heraus, die auch einen Anführer beinhalten, weil man ihn BRAUCHT. (Wobei es natürlich sehr unterschiedliche Arten von Anführern gibt.)
Wenn ich mit 8 SCs in einem Fantasy-Dungeon-Crawl-Setting spiele, dann ist es für alle Spieler leichter, wenn es einen "Ersten unter Gleichen" gibt, der die widerstreitenden Meinungen, die Vielzahl an Möglichkeiten, das Auseinanderstreben von Interessen der Einzelnen mit Zusammenhalt und Ausrichtung auf ein gemeinsames Ziel im Zaume hält.
Manche Settings gehen - als Abbild realer menschlicher Gruppen - noch einen Schritt weiter und geben klare Hierarchie-Strukturen vor, in welche sich die Charaktere einzupassen haben. Das sind insbesondere, aber nicht nur, militärische Settings.
Das unterschätzen Engel-Spieler oft. Engel wird vorgeworfen ein Kindersoldaten-Rollenspiel zu sein. Nun zu einem gewissen Grade ist das tatsächlich so. Vor allem ist es ein SOLDATEN-Rollenspiel. Man spielt die STREITER der HIMMLISCHEN HEERSCHAREN. - Da ist nicht viel Platz für individuelle Extratouren, wenn man von einem Kampfeinsatz zum nächsten, von einer Mission zur nächsten entsandt wird, nachdem man jahrelangen Drill, militärische Disziplin und Gehorsam eingetrichtert bekommen hat.
Spieler, die sich das nicht bewußt machen, was ihre Engel-SCs an Vorgeschichte während ihre "Grundausbildung" im Himmel erlebt und gelernt haben, die tendieren dazu Engel als verantwortungsfreie, jeglichen Launen nachgeben dürfende Individuen zu spielen. Und dann bekommt der Michaelit, dessen Job eh schon verdammt schwer ist, nur noch Knüppel vor die Füße geworfen. - Solche Scharen scheitern kläglich bei Spielleitern, die den "Ewigen Krieg" in der Welt der Engel thematisieren, weil sie nie ERNST genug sind, um zu überleben.
Andere Spielleiter "entschärfen" Engel. Machen Engel zu einem "Zivilistenspiel", was durch nichts in den Ordensbüchern unterstützt wird. - Dann dürfen alle Engelein ganz lieb gucken und miteinander keusch knuddeln. - Und sie weinen, wenn jemand sie nur ein wenig zulange anschaut. - Klar ist das eine mögliche Art Engel zu spielen. Nur hat sie ziemlich wenig mit dem Engel-Hintergrund zu tun, wie er in GRW und Ordensbüchern steht
Knuddel-Konsens funktioniert schon bei dem von manchen ja als ach so garkeine rollenspielerische Herausforderung bieten könnenden Dungeon Crawl überhaupt nicht.
Klassiker: T-Kreuzung, geht die Gruppe nach links oder nach rechts? Manch wollen links gehen, zwei gehen immer DAGEGEN, also rechts, ein letzter bleibt lieber auf der Kreuzung um gleich anzufangen ein paar Zaubersprüche in sein Spruchbuch abzuschreiben. - Folge: ALLE HOPPS. Total Party Kill.
Wer anfängt in bedrohlichen Situationen herumzudiskutieren, der senkt die Überlebenswahrscheinlichkeit ALLER erheblich.
Wer von rollenspielerischen Herausforderungen redet, der soll mir bitte einmal eine schöne Darstellung der Anspannung, der schleichenden Angst, des auf Messers Schneide sein eines Dungeon Crawls abliefern. Das ist nämlich nicht so simpel, wie das die "großen Charakter-Mimen" immer darstellen.
In solchen Situationen braucht man KLARE Entscheidungen. Und zwar SCHNELL. Und ALLE MÜSSEN FÜREINANDER EINSTEHEN, da sonst die gesamte Gruppe draufgeht.
Das ist im Dungeon Crawl sehr klar und deutlich herausgearbeitet. Das ist aber auch das Thema von Engel-Missionen, von Necropolis-Feindeinsätzen, oder Babylon 5 Earthforce-Missionen.
Neulich lief wieder "Hamburger Hill", ein Vietnam-Kriegsfilm. Hier konnte man sehr schöne Charakterisierungen unterschiedlicher Persönlichkeiten sehen, die alle dieselbe Uniform trugen. - Das geht auch bei entsprechenden Rollenspielen. Der resignierte Ostfront-Gabrielit, der linientreue Verdränger-Michaelit, der gefühllose Schlächter-Raphaelit. Das sind Charaktere mit Ecken und Kanten, die sich im Spiel sehr interessant darstellen.
Wenn ich eine Gruppe für ein Weird Wars Szenario oder eine Engel-Runde zusammensuche, so mache ich vorher den Spielern klar, was sie erwartet und was ICH von ihnen erwarte: es ist ein MILITÄRISCHES Setting. - Wer sich einem Befehl widersetzt, ist tot. Wer durch Extratouren eine Mission vereitelt, kommt vors Kriegsgericht. Wer seinen Kommandeur angreift, ist tot. - Bei Engel: setze stets die "Läuterung" an entsprechender Stelle ein.
Wer sich als Spieler nicht in der Lage sieht in einer untergeordneten Position, der eines Befehlsempfängers, zu spielen, der sollte solche Szenarien lieber ganz lassen, statt allen anderen den Spaß daran zu verderben.
Man kann sehr wohl auch ohne hierarchische Macht eine Gruppe führen.
Ein eloquenter Untergebener kann sich das Vertrauen des Kommandeurs erwerben und dessen Entscheidungen massiv beeinflussen (so z.B. bei Engel meiner Erfahrung nach oft bei Ramieliten der Fall).
Ein guter Kommandeur erkennt aber auch, wenn seine Untergebenen gute Ideen haben und gut und zuverlässig selbständig agieren können. So kann er Aufgaben zusammen mit dem Teil der Verantwortung auch weitergeben. (Wie ich ja für den NSC-Kommandeur schon vorgestellt hatte.)
Für mich ist das Spielen in einem geordneten Gruppenverband tatsächlich eine rollenspielerische Herausforderung, die ich ganz bewußt eingehe.