Amenmesse

Insane

Grosse Alte.
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30. Mai 2006
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Der Junge saß auf den Steinstufen, die zum Nil hinab führten. Die Sonne war gerade im Begriff unterzugehen, und Amenmesse zupfte ungeduldig an den mit Gold durchwirkten Fransen seines Leibrockes. Die rötlichbraune Jugendlocke fiel ihm über die schmale Schulter und wurde von ihm mit einem Murren zurückgeschoben. Seine bloßen Füße tippten in einem willkürlichen Takt auf und entlockten dem Mann in seinem Rücken ein Schmunzeln. Djedptahaufanch hob den Kopf und sah hinter sich zu dem herrschaftlichem Haus, in dem die Königin vor etwas mehr als einer Stunde verschwunden war.
Palmenhaine schirmten das schlichte Gebäude vor zu neugierigen Blicken ab, die auf dem Fluß Reisende hierher werfen könnten. Nur eine schmale Treppe führte von dem Anlegeplatz zu dem Weg, auf dem man zu den Säulengang des Einganges gelangen konnte. Eine andere Möglichkeit, Chaemwaset aufzusuchen, gab es nicht. Amenmesse und seine Mutter Maat-hor-neferure waren diesen Weg in den letzten Wochen ihres Aufenthaltes in Theben oft gegangen...
„Was denkst du, besprechen mein prinzlicher Bruder und Mutter dieses Mal?“ Djedptahaufanchs Aufmerksamkeit flog wieder dem Jungen zu, und einen kurzen Augenblick blinzelte er. Die Stimme Amenmesses hatte einen betont gelangweilten Klang, aber es schwang fast unmerklich ein Zittern in ihr mit. „Sie beraten über eine passende Ehefrau für Euch, mein Prinz. Eine Frau, die anmutig und von bester Abstammung ist, so wie es Euch gebührt.“ Der Junge seufzte und drehte die blauen Reifen, die seine Handgelenke umschlossen. „Ich will aber nicht heiraten,“ murmelte er trotzig und zog die feingeschnittenen Augenbrauen zusammen. „Ich möchte mit Tutmose spielen und auf dem Streitwagen mitfahren und auf den Festen Pharaos, ewig möge er leben! Wetten abschließen, wer von den Ausländern zuerst betrunken anfängt zu schnarchen. Wenn ich eine Ehefrau habe, verbietet sie mir das sicher und will, das ich immer in ihrer Nähe bin. Das will ich nicht.“ Der stämmige Mann konnte ein erneutes Schmunzeln nicht verbergen und ließ den zornigen Blick Amenmesses, der ihn traf, an sich herab gleiten wie Wassertropfen auf dem Gefieder einer Wildgans. „Mein Prinz, ich selbst war bei meiner Vermählung nur einige Überschwemmungen älter als Ihr jetzt. Und in all den Jahren, die mir die Götter seitdem geschenkt haben, preise ich jeden Morgen das Geschick, das mir eine Frau in mein Haus geführt hat.“ Der Junge wandte sich dem Leibdiener seiner Mutter zu, der den Streitwagen führte wie kaum ein zweiter in Ägypten und niemals seine freundlich spöttelnde Natur verleugnete. Neugierig verengten sich Amenmesses blaßgrüne Augen und musterten Djedptahaufanch. „Die Dame Tija ist deine Frau, nicht wahr? Sie ist schön... ich glaube ich fände es auch angenehm, sie in meinem Haus zu wissen. Ihr Lachen ist ehrlicher als das der anderen Frauen bei Hofe. Eine von denen will ich erst recht nicht.“
Djedptahaufanch war über die Worte des Jungen ernst geworden. Es stimmte, Tija war frei von jeglicher Falschheit und dem Stolz, der die anderen Frauen bei Hofe zur Schau stellten. Als Tochter einfacher Landadeliger aus dem Delta hatte sie lange Zeit nur Freiheit gekannt und sich eine praktische Einstellung zum Leben bewahrt. Aber Amenmesse würde keine Tochter einfacher Landadeliger bekommen. Im Palast Ramses II, seines göttlichen Vaters, wimmelte es von jungen Damen, die schön, aber auch... verwöhnt waren. Und als einer unter vielen Söhnen, die Ramses geboren worden waren – auch wenn Maat-hor-neferure den Titel einer Großen Königsgemahlin trug – würde man die klugen Mädchen unter diesen Damen seinen älteren, in der Thronfolge näher stehenden Brüdern bewahren. Es galt keine Mädchen zu verschenken, die als Königin geeignet schienen. Um so erstaunter hatte sich der Hof gezeigt, als Maat-hor-neferure mit dem Einverständnis ihres göttlichen Gemahls nach Theben gereist war, um mit den in die Jahre gekommenen Kronprinzen Chaemwaset über dieses Thema zu sprechen.
Amenmesse starrte wieder auf den Nil. Re schob sich nun endgültig zum Mund Nuts, um verschlungen zu werden. Sein rotglühender Leib warf lange Schatten über die ehemalige Hauptstadt des Reiches... Der Junge schloß die Augen und versetzte sich in Gedanken auf den stolpernden, dahinrasenden Streitwagen, mit dem Djedptahaufanch durch die Wüste preschte und ihn ab und zu mitnahm. Er konnte deutlich das Schnauben der Pferde vernehmen und die heiße, trockene Luft spüren die seinen Schweiß trocknete, kaum das er hervortrat. Fast entrann ihm ein Freudenruf, als er den Fahrtwind in seinem Gesicht zu fühlen glaubte, die an seiner mit blau und weiß eingeflochtenen Jugendlocke zerrte. Morgen werde ich Djedptahaufanch fragen, wann ich endlich selbst einen Streitwagen führen darf, dachte er bei sich.
Plötzlich ließen ihn Schritte aus seinen Träumereien aufschrecken., und als er den Kopf zu der Villa umwandte erkannte er die schlanke Gestalt seiner Mutter, die ihren Schal enger um die Schultern schlang und den leicht humpelnden Chaemwaset, dessen mit grauen Strähnen durchzogenes Haar unter einem chat-Kopftuch verborgen war. Djedptahaufanch ging in Habachtsstellung, den Blick starr ins Leere gleiten lassend und die Faust zum Herzen führend, während der Junge aufsprang und langsam auf Mutter und Bruder zuging. Mit einer tiefen Verneigung begrüßte er die beiden und verspürte ein nervöses Ziehen in seinem Magen, als er das Lächeln auf dem Gesicht der beiden sah. „Du bist gewachsen, kleiner Bruder. Irgendwann wirst du mir über den Kopf sehen können.“ Chaemwasets Worte vertrieben das Ziehen fast sofort wieder. Die freundlich blickenden Augen des Kronprinzen musterten ihn und erinnerten Amenmesse daran, das es außer Streitwagen noch andere Dinge gab, die sein Interesse weckten. „Das wird aber noch viele Überschwemmungen dauern, Prinz. Jetzt reiche ich dir ja nicht mal bis zur Brust.“ Die beiden grinsten sich an, ungeachtet der Jahre die zwischen ihnen lagen und der verschiedenen Mütter. „Du hast ein neues Grab geöffnet? Man erzählt sich, es sei aus der Zeit von Osiris Tutmosis I., aber ich habe alle ausgelacht die das behauptet haben. Hinter ihren Rücken natürlich, leise für mich. Du hast mir ja schließlich selbst gesagt, das es weit älter sein muß. Weißt du jetzt, unter welchem König es entstand?“ Chaemwaset lachte und unterbrach den Redefluß Amenmesses mit einer abwehrenden Handbewegung. „Ja, aber darüber können wir später sprechen. Majestät...“ er neigte leicht den Kopf in Maat-hor-neferures Richtung, „wünscht vor Anbruch der Nacht in ihren Palast zurückzukehren, und auch du solltest dich ausruhen, Prinz.“ Amenmesse warf einen mißmutigen Blick zu seiner Mutter. Hatte er dafür so lange ausgeharrt und still gehalten? Maat-hor-neferure hob eine Augenbraue. „Morgen erwartet dich einiges, mein Sohn. Wir werden eine Abendgesellschaft geben, bevor wir in 3 Tagen wieder nach Piramesse reisen. Du bist fast 10 Jahre alt, du solltest dieses Mal auf der Empore an meiner und der Seite deines Bruders sitzen.“ Amenmesse nickte gehorsam und presste die Lippen zusammen. Chaemwaset zwinkerte ihn aufmunternd zu und drehte sich dann vollends zu Maat-hor-neferure. „Eine gute Rückfahrt, Majestät. Mögen dir die Götter einen geruhsamen Schlaf schenken.“ Die Königin nickte. „Dir auch, Prinz Chaemwaset. Es freut mich immer wieder zu sehen, dass Ägypten einen solch verständigen und klugen Horus-im-Nest besitzt.“ Chaemwaset schmunzelte. „Klug und verständig vielleicht, aber nicht mehr der jüngste. Ich hoffe der Trank, den du mir mitgebracht hast, vollbringt die Wunder, die du mir prophezeit hast. Mein Bein schmerzt und zeigt mir jeden Tropfen an, den der Nil steigt oder sinkt. Aber ich halte euch auf... Amenmesse, wir sehen uns morgen abend.“ Der Junge nickte und sah dann zu seiner Mutter. Diese neigte den Kopf und wandte sich dann zu Djedptahaufanch, der auf einen Wink hin vor eilte, um der Königin in die Barke zu helfen.
Die Fahrt zu dem weitläufigen Palast auf der Westseite Thebens verlief ruhig. Amenmesse lugte hinter den Vorhängen hindurch und sah, wie die eleganten Häuser der Vornehmen in ihren liebevoll angelegten Gärten langsam verschwanden und den geschäftigen Uferstraßen Platz machten, auf denen sich die Gemeinen tummelten. Maat-hor-neferure hatte es sich in den weichen Kissen gemütlich gemacht und spielte mit dem Silberkragen, der ihr Dekolleté bedeckte. „Amenmesse, mein Sohn, komm von den Fenstern weg. Wenn dich jemand sieht...“ „Aber es sieht mich doch niemand...“ beeilte er sich zu sagen. „Falls doch, erkennt er in mir vielleicht den Sohn eines Adeligen, aber doch niemals einen Prinzen. Laß mich schauen...“ Maat-hor-neferure seufzte. „Du bist schrecklich, Prinz. Du bist nicht der Sohn eines einfachen Adeligen, der in Theben seinen Lebensabend beschließt. Du bist ein Sohn des Sohnes des Re, Gefäß seiner göttlichen Inkarnation! Es ist den Gemeinen nicht bestimmt, dein Antlitz zu erblicken, Amenmesse. Schließe die Vorhänge.“ Amenmesses Unterlippe schob sich rebellisch vor, aber er gehorchte. Wieder einmal, wie es ihn schmerzlich durchzuckte. Wann bin ich alt genug, um selbst zu entscheiden? Er ließ sich neben seiner Mutter in die Kissen sinken. „Bist du und Chaemwaset darüber einig, welche Dame ihr mir geben wollt?“ Er griff zu den Feigen, die bereit standen und biss lustlos hinein. Seine Mutter musterte ihn einen kurzen Augenblick, bevor sie antwortete. „Es gibt ein Mädchen, das wir dir geben wollen, aber Ramses, ewig möge er leben! hat in dieser Sache das letzte Wort. Du wirst sie früh genug sehen, und den Ehevertrag werdet ihr auch erst unterzeichnen, sobald ihr eurer Jugendlocke entwachsen seid, hab keine Sorge.“ „Ich mache mir keine Sorgen,“ murmelte der Junge. Ich möchte nur nicht heiraten. Vielleicht sollte ich Vater fragen, ob ich in die Armee kann. Dann brauche ich nicht auf das Wort einer Frau zu hören, sondern lasse mich in die Position eines Hauptmannes versetzten. Dann kann ich endlich Befehle geben... Der Gedankengang entlockte ihm ein kleines Lächeln, das seine Mutter bemerkte und beruhigte. Sie lächelte ebenfalls und tippte sich mit der Fingerspitze gegen den rotgelb geschminkten Mund. „Baktweret ist eine gute Wahl. Sie entstammt einem der ältesten Häuser Ägyptens und ist die jüngere Schwester von Rai, der Frau Ka-Res, Hohepriester zu On. Es könnte kaum eine geeignetere Prinzessin geben.“ „Und warum kriegt sie dann nicht Merenptah oder Sit-Montu oder einer der anderen?“ „Weil sie ihnen nur als Nebenfrau gegeben werden könnte. Ich stimme mit Ramses, ewig möge er leben!, darin überein, das du eine standesgemäße Verbindung brauchst. Immerhin bist du nicht der Sohn irgendeiner Nebenfrau oder Konkubine.“ Ein Schatten flog über Maat-hor-neferures Gesicht, als sie dies sagte. Amenmesse biss sich auf die Unterlippe.
Seine Mutter war nicht ägyptischen Geblüts, sie war vor vielen Jahren als diplomatischer Unterpfand nach Piramesse gekommen, nachdem Ramses mit dem Volk der Hatti einen Friedensvertrag geschlossen hatte. Sie hatte einen ägyptischen Namen erhalten und war in die Reihe der Königsgemahlinnen eingetreten, die noch immer von Ramses verstorbener Favoritin Nerfertari überstrahlt wurden. Doch Ramses hatte Maat-hor-neferure seine besondere Gunst geschenkt, vielleicht weil sie ihm als einzige der Frauen nach langer Zeit wieder einen Sohn geschenkt hatte, der das Säuglingsalter überlebt hatte. Nun hütete sie die Zukunft dieses Sohnes wie einen kostbaren Schatz, wohl ebenso weil sie danach nicht wieder schwanger geworden war und Ramses das Angebot erhalten hatte, eine zweite Hatti-Prinzessin zu heiraten.
Den Rest der Fahrt verbrachten sie in nachdenklichen Schweigen. Amenmesses Gedanken schweiften nur kurz die ihm unbekannte Baktweret und ihre bevorstehende Verlobung, dann drängten wieder das Bild feuriger Pferde und glänzender Streitwagen in sein Bewußtsein. Maat-hor-neferure wiederum aß langsam von den Feigen und hatte die Augen geschlossen. Ihr Geist weilte noch bei Abstammungslinien und Horoskopen. Chaemwasets ernstes, gutaussehendes Gesicht hatte geleuchtet, als er einer seiner Lieblingsbeschäftigungen nachgegangen war. Gemeinsam hatten sie das Schicksal und die Abstammung jedes in Frage kommenden Mädchens untersucht und waren schließlich bei diesem dürren Kind geendet, das ab und an bei Hofe war und mit den anderen Kindern der Adeligen spielte. Die Königin hatte sie einmal gesehen und war zu ihrer Verwunderung von der Tiefe des Blickes fasziniert gewesen, die ihr trotz ihrer Jugend eine fast spielerische Abgeklärtheit zu verleihen schien. Fast hatte sie Angst, das Ramses dieses Mädchen unter der Flut der anderen ausmachen und für sich haben wollte. Insgeheim, ja... insgeheim wünschte sie sich, noch ein Mal wenigstens den Samen der göttlichen Inkarnation in sich aufgehen zu sehen. Vielleicht eine Tochter... Amenmesse galt als schönster Prinz des Reiches. Eine Tochter würde in ihrer Schönheit und Abstammung noch vollkommener sein, eine Erbin der weiblichen Königslinie und vielleicht eine Gattin für ihren Bruder, damit dessen Zukunft gefestigt war. Aber Ramses hatte sie schon lange nicht mehr aufgesucht. Sie seufzte und öffnete träge die Augen. Der Palast, den einst Amenhotep III.. hatte bauen lassen, lag am anderen Ende der Stadt. Das gab ihr Muse, ihren Sohn genauer zu betrachten. Eifrig suchte er die besten Bissen aus der goldenen Schale und steckte sie zwischen seine vollen, weichen Lippen, die immer den Anflug eines Lächelns zu zeigen schienen. Die hellen Augen unter den dichten Wimpern blickten wachsam und neugierig in die Welt, und seine ebenmäßigen, langen Glieder versprachen sein Wachstum zu einem stattlichen jungen Mann. Das weiche, rötliche Haar seines Vaters fiel ihm in sanften Wellen auf die Schultern und auch der Klang seiner Stimme erinnerte an den Mächtigen Stier. Gewohnt, Befehle zu erteilen und doch sanft genug, sie in das Gewand einer Bitte zu kleiden, der man sich nicht entziehen konnte. Der sicherste Beweis von Ramses Vaterschaft lag in der schmalen, edlen Nase des Jungen, über dessen bereits scharfen Rücken sein Blick glitt. Er hat mehr von ihm in sich als all seine Brüder zusammen, Chaemwaset vielleicht ausgenommen, dachte die Königin bei sich. Aber Chaemwasets Jahre schwanden und er schien das Altern, das eigentlich seinen Vater befallen sollte, auf sich zu ziehen. Amenmesse dagegen ist jung, und wird im richtigen Altern sein, wenn Ramses doch zu Osiris geht, denn auch er ist nicht unsterblich.
Maat-hor-neferure befiel ein Schaudern, und sie schob den Gedanken an einen in Mumienbinden eingeschlagenen König weit von sich. Ramses wird leben, in Amenmesse. Er wird niemals sterben. Die Königin atmete schwer und legte ihre Hand auf den Kragen, der ihr plötzlich die Luft zu rauben schien. Ihr Sohn sah auf und wollte gerade aufspringen, als Maat-hor-neferure ihn schwach lächelnd zurückhielt. „Es geht wieder, Prinz. Setz dich, wir sind gleich da.“ Mit flackernden Blick sah sie zu der kleinen Tür ihrer Kabine und sank weiter in die Kissen. Amenmesse musterte sie voller Sorge und tat es ihr gleich. Ihr Herzschlag verlangsamte sich wieder, und das Atem fiel ihr leichter. Mit Amenmesse ist auch meine Zukunft gesichert, durchfuhr es sie. Er wird mich in seiner Nähe behalten, und sei es aus Sorge um seine alte Mutter. In ihm wird Ramses Liebe zu mir weiter bestehen. Sie schloß wieder die Augen und war beinahe eingeschlafen, als die Barke endlich an die prächtigen Wasserstufen des Palastes anlegte.

Sie hatte erstaunlich gut geschlafen. Maat-hor-neferure blickte ein ausgeruhtes, durchaus noch jugendliches Gesicht aus dem polierten Kupferspiegel entgegen, während Vernure die hellbraunen Haare frisierte.
Ich habe von Mutter geträumt, dachte sie bei sich. Sie hatte mich vor Ägypten gewarnt, davor im Harem zu verschwinden und nie wieder freie Luft atmen zu dürfen. Aber vor den Sinnenfreuden und den Annehmlichkeiten eines Lebens als Königsgemahlin konnte sie mich nicht warnen. Die Gebräuche meiner alten Heimat sind einfach zu barbarisch, zu fremd für mich geworden. Ich habe mich über die Jahre als Ramses Gemahlin doch in eine Ägypterin verwandelt.
Maat-hor-neferure winkte Vernure unwirsch weg. Ihre Leibdienerin verneigte sich tief und trat rückwärts aus dem Raum. Als sich die Tür leise geschlossen hatte, griff Maat-hor-neferure zu ihrem Schminkstift und begann geschickt die Farbe aufzutragen. Ihre Haut war hell genug, es genügte ein wenig Rotgelb auf Wangenknochen und Schläfen zu geben. Die Lippen wurden in dem selben Ton gefärbt, und die Augen mit Kohl bestäubt und mit Bleiglanz umrandet und zu den Schläfen hin optisch verlängert. Zum Schluß noch etwas Grün auf die Augenlieder, und die Königin seufzte zufrieden. Ja, dachte sie sich, ich bin noch immer die Schönheit als die ich damals hierher geschickt wurde. Ramses wird sich dessen auch bald wieder erinnern und mich aufsuchen, sobald wir wieder in Piramesse eingetroffen sind.
Sie erhob sich und strich die pläsierten Leinen zurecht, die ihren Körper umschmeichelten. Der Stoff wies einen hohen Grad der Transparenz auf und gehörte zu den wertvollsten, die Ägypten zu bieten hatte. Nur das wertvollste ist gut genug für die Königsfamilie, und schon gar für eine Königin selbst, erinnerte sie sich und trat auf den kleinen Kasten zu, der ein silbernes Diadem enthielt, auf der sich eine filigrane Kobra über ihrer Stirn erhob. Ruhig setzte sie sich das Diadem auf die zu zierlichen Locken frisierten Haare und schloß die Augen. Myrre und andere wohlriechenden Düfte durchströmten ihr Gemach und vermittelten ihr für den Bruchteil einer Sekunde etwas Weltfremdes, weit entferntes. Sie war nicht die erste Königin, die in diesen Gemächern weilte, und für einen kurzen Moment glaubte sie die Präsenz dieser Frauen zu spüren. Erschrocken machte sie die Augen wieder auf und sah sich um... Maat-hor-neferure fand sich noch immer alleine in dem Zimmer wieder, aber ein kleiner Nachhall verblieb am Rande ihres Bewußtseins.
Schaudernd schloß sie das Kästchen und wandte sich zum Spiegel um, als es plötzlich klopfte und die Stimme ihres Oberhofmeisters erschallte... „Majestät, Prinz Chaemwaset, Horus-im-Nest, Geliebter des Thot, wünscht Euch zu sprechen.“ Die Königin runzelte die Stirn. „Laßt ihn herein... bringt Wein und etwas Süßes.“ Die Schritte des Oberhofmeisters verklangen vor der Tür, die einen Augenblick später von einer schlanken Männergestalt geöffnet wurde. Chaemwaset hatte sich dem Anlaß entsprechend zurecht gemacht... der Leibrock saß wie angegossen um seine noch immer schmalen Hüften, und ein goldener Schmuckkragen umschloß seine Schultern. Auf der stämmigen Brust lag das Pektoral seines Amtes, geschmückt von der Kartusche seines göttlichen Vaters. Die Haare hatte er unter einer höfischen Perücke versteckt und sein Gesicht geschminkt. Das Lächeln stahl sich fast wie von selbst auf ihre Züge. „Horus-im-Nest, setz dich.“ Sie war über den sanften Ton ihrer Stimme selbst überrascht, aber sie ließ sich nichts anmerken und deutete auf einen Sessel, der vor einem kleinen Tisch stand. Sie selbst setzte sich auf den ihm gegenüberliegenden Sessel und streckte ihre Füße vorsichtig auf den kleinen Hocker, der zu diesem Zwecke vor ihr stand.
Chaemwaset war ein attraktiver Mann und sich dessen bewußt, dazu geistvoll und klug genug um zu wissen, das man einer Gemahlin seines Vaters keine ungebührende Aufmerksamkeit schenkte. Er war schon seit einigen Jahren Witwer und hatte sich geweigert, ein weiteres Mal zu heiraten. Dazu war er ohne Erben... Aber er wußte, das er niemals den Thron besteigen würde. Sein Vater würde sie noch alle überleben... sogar diese Frau, die vor ihm saß und um die Zukunft ihres Sohnes rang. Ein Sohn unter vielen, den sie das Schicksal vieler Kinder des Königs ersparen wollte, für den sie Ruhm in der Nachwelt verlangte, anstatt in einem schlichten Grab neben weiteren Prinzen und Prinzessinnen bestattet zu werden... Doch der Glanz in Maat-hor-neferures Augen, als sie ihn abwartend betrachtete, machte ihm Angst.
„Ich habe noch ein Horoskop erstellt, Majestät.“ „Und? Ist die Verbindung immer noch gesegnet?“ Die Königin lächelte und nickte geistesabwesend, als Vernure ihnen Wein und Datteln hinstellte. Chaemwaset wartete, bis die Leibdienerin Maat-hor-neferures den Raum wieder verlassen hatte. „Ich sehe in der Zukunft des Jungen eine Frau, Majestät.“ „Ich dachte, das sei von Anfang an so vorbestimmt... du machst dich über mich lustig, Kronprinz. Du suchst Vorwände um mich von den Vorbereitungen für das Fest abzuhalten.“ Sie lachte und griff nach einer Dattel. Chaemwaset blieb ernst. „Ich meine eine... zweite Frau, Majestät. Mächtig und mit der Gunst deines Sohnes ausgestattet. Ihre Präsenz dominiert die gesamte Konstellation. Baktweret wird Konkurrenz fürchten müssen...“ Maat-hor-neferure kaute genüßlich die Dattel und winkte unbekümmert ab. „So wie alle Frauen, die ihren Mann ganz für sich wünschen. Sie wird klug genug sein zu erkennen, das soetwas in der Königsfamilie unmöglich ist.“ „Ich sehe dunkle Wolken in der Zukunft deines Sohnes.“ Die Königin ließ die Frucht aus ihrer Hand fallen und starrte in die Luft. „Bedingt durch diese Frau?“ murmelte sie und beugte sich mechanisch herab, um nach der Dattel zu greifen. Chaemwaset nickte langsam und folgte den Bewegungen Maat-hor-neferures mit den Augen. „Ja, Majestät.“
Die Königin legte die Dattel vorsichtig neben der goldenen Schüssel und nagte nachdenklich an ihrer Unterlippe. „Er ist noch ein Kind. Es wird noch einige Überschwemmungen dauern, bis er Interesse an den Blumen Ägyptens entwickelt.“ Sie lächelte freudlos. Ihre Angst vor dieser Zeit, wenn Amenmesse beginnen würde sich aus ihrer schützenden Umarmung zu befreien wuchs mit jedem Monat die er seiner Reife entgegen schritt. Chaemwasets düstere Prophezeiung mischte diesem Gefühl eine unangenehme Beklemmung bei. Der junge Prinz bedurfte ihrer Fürsorge dringender denn je...
„Laß uns kurz anderen Dingen zuwenden.“ schlug Chaemwaset vorsichtig vor. Die Königin nickte langsam und schloß die Augen. Die Stimme des Kronprinzen drang wie durch einen Nebelschleier zu ihren Gedanken. „Du hast es ja schon gehört. Pharao, ewig möge er leben! nimmt eine weitere Tochter Muwatallis zur Gemahlin. Ihre Ankunft ist für die nächste Sommerzeit angesetzt... dieses Mal sind die Mitgiftverhandlungen schnell ausgetragen worden.“ Sie erahnte das Schmunzeln, das kurzzeitig über seine Züge flog. „Ist meine Position als Hauptgemahlin gefährdet?“ Maat-hor-neferure öffnete die Augen und musterte Chaemwaset. Dieser schüttelte den Kopf. „Nein, Ramses, ewig möge er leben! spricht mir gegenüber immer noch voller Zuneigung von dir. Er wünscht eure baldige Rückkehr.“ Die Königin nickte. „Das teilte er mir auch mit.“ Ein Lächeln lockerte ihr sorgenvolles Gesicht auf. „Er hat Sehnsucht nach seinem Sohn.“ Sie deutete auf einige Schriftrollen, die auf dem kleinen Arbeitsstisch neben der Frisierkommode lagen. Chaemwaset stimmte in ihr Lächeln mit ein... „Es ist seine eigene Jugend, nach der er Sehnsucht hat.“ Die Königin senkte den Blick. Die Offenheit zwischen dem Kronprinzen und ihr war die freie Luft, die ihre Mutter ihr einst hatte absprechen wollen. Sie dürstete danach, wann immer sie in Piramesse war und trank gierig von ihr während der begrenzten Zeit in Theben. „Umso wichtiger ist es, das Amenmesse eine gute Gemahlin erhält. Ramses, ewig möge er leben! gedenkt ihm eine Position in der Armee zu geben, sobald er seine Reife erlangt hat.“ „Vielleicht wird so Amenmesses Unbändigkeit in die richtigen Bahnen gelenkt, Majestät. Ich hörte, er sucht noch immer die Gesellschaft von diesem Bauernjungen?“ Die Königin seufzte leise. „Tutmose ist seit Jahren sein Vertrauter. Besser, er verbringt mit ihm Zeit als mit einem Höfling, der ihm Schmeicheleien in die Ohren legt, die seine Aufmerksamkeit schwinden lassen.“
 
AW: Amenmesse

vielleicht später. im moment fehlen mir dank zweier umzüge ein paar bücher, in denen ich das historische know how nachschlagen kann... -_-
 
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