Anna war selbstverständlich vollkommen brav zu dem Raben. Während ihr linker Unterarm einen feinen Unterschlupf auf Höhe ihres Oberbauches bildete, begann die Rechte den Raben zu kraulen und zu streicheln. Wie jetzt? Sie hatte Alexander verwirrt? Öhm.. na ja... mal umgekehrte Verhältnisse. Das war doch mal etwas neues. Als sie die Stimmlagenänderung bei Alexander registrierte, experimentierte sie tatsächlich nur ganz sacht mit minimalen Unterschieden. Sie musste ihn ja nicht gleich vor anderen bloß stellen. Sie hatte schon vermutet, ihn auf diese Weise ein wenig beruhigen zu können und hatte auch noch eine weitere, hoffentlich erfolgversprechende Strategie, falls er wieder begann auszuflippen. Sie hatte da so eine Idee, was ihm helfen konnte. Eigentlich war das abstrus für die kurze Zeit, die sie einander kannten.
„Sie hatten mir ihren Vornamen angeboten, nicht jedoch das Du. Also waren wir bei Vornamen und 'sie' abgesehen von einem Versprecher Ihrerseits, Alexander. Ich muss mich entschuldigen, wenn ich sie verwirrt habe, aber... nun, ich muss gestehen, wechselnde und unklare Anreden irritieren auf der anderen Seite mich.“
Abgesehen von ihrem Mund regte sich nur der kraulende Arm um dem Raben ein wenig Vergnügen zu bereiten. Er hatte schon recht. Auf einer Schulter zu sitzen war wesentlich langweiliger.
„Herr Grimm hat befohlen, dass wir alle für den Tag in einem gesicherten Raum zusammen sein sollen. Er wird so eben vorbereitet. Ghule sollen über uns wachen.“ korrigierte Anna Alexander nur um eine kleine, aber entscheidende Nuance. Ich möchte Ihnen wirklich noch einmal die Papiere der Seneschall ans Herz legen, Alexander. Sie sind doch einigermaßen umfangreich und Madame d'Auvergne hat das übliche Protokoll seid ihrer Amtsübernahme verschärft. Offensichtlich hätte sie eine Terminvereinbarung durch Herrn Grimm bevorzugt. Angesichts seiner Warnungen in Bezug auf die Frau, sollten sie sie nicht unnötig verärgern und ob sie morgen am frühen Abend Zeit haben werden, die Unterlagen zu bearbeiten, ist hier in Finstertal immer ungewiss.“
Jetzt beschäftigte Annas Hand sich vorwiegend mit Nacken und Kopf des Raben, während sie weiter sprach.
„Was die Angriffe durch den Koldunen und den Malkavianer angeht: Sie waren zum einen ähnlich und zum anderen doch auch ganz anders. Überwiegend suchte der Koldun das Zwiegespräch und versuchte wahlweise einen zu überzeugen ihm zu dienen oder versprach einem die fürchterlichsten Qualen mit entsprechenden Lautmalereien. Es war ihm dabei ein leichtes, die tiefsten Abgründe und Wünsche eines jeden zu erforschen und zu benutzen. Konzentration auf ein intellektuelles Thema bot mir einen gewissen Schutz. Als ich zum Schutz des Rituals beordert wurde, konnte ich leider nicht mehr auf dieses Hilfsmittel zurück greifen und erlag einer weiteren Form seiner Angriffe. Ich fiel in eine Starre, aus der ich nicht ohne weiteres erweckt werden konnte. Ihre Ohnmacht schien mir eine leichtere Form mit ähnlichem Effekt zu sein, Alexander.
Der Angriff des Malkavianers auf mich beinhaltete lediglich dieses Gitarrespiel, eine Art weisses Rauschen und dann eine Todesdrohung gegen mich und mit bekannte Personen. Herr Grimm ist der Ansicht, dass er sich bei einem Fest schon mal gezeigt hat. Alexander wurde stärker angegriffen. Zu nächst bekam er Ohrfeigen und als ich ihm die Papiere holte, fand ich ihn bewusstlos und danach nun... verzeihen sie mir den Ausdruck, Alexander, leicht desorientiert. Der Unterschied zwischen ihrem und meinem Verhalten bestand primär darin, dass ich mit der Situation wesentlich ruhiger umgehe als sie, alexander. Ich bin geneigt, die Theorie zu wagen, dass ruhiges Verhalten uns besser schützen kann als eines, dass all zu sehr auf Sicherheit bedacht ist.“ Anna wollte nur nicht das Wörtchen Paranoia verwenden, dass ihr so wohl für Grimm als auch für Alexander durchaus in den Sinn kam."