"Ich werde mich bereits gleich in die Unterlagen einarbeiten.", versichte Jack der Archontin.
Tatsächlich erweckte er den Eindruck, dass es sich dabei um eine wahrheitsgemäße Aussage handelte. Jack wollte sich die Unterlagen im Wagen genauer ansehen. Hier in der Kunstakademie fühlte er sich unwohl. Es war das Wissen um dieses Büro, das ihm Unbehagen bereitete. Das Wissen, er könne jederzeit ohne Probleme von der Archontin vernichtet werden. Die alten Wesen besaßen unvorstellbare Kräfte. Bereits in den Staaten sah Jack den ein oder anderen Ahn während seiner Reisen. Doch die Kräfte einer Archontin wagte er sich nicht einmal in seinen schlimmsten Träumen auszumalen. Ohne seine sozialen Fähigkeiten wäre er hier wohl nicht sehr weit gekommen. In anderen Städten Deutschlands hatte er weniger Probleme. Die Stadt musste sich tatsächlich sehr im Aufruhr befinden, wenn die Camarilla so ranghohe Vertreter aussandte...
Jack stand auf und verbeugte sich zum Abschied respektvoll vor Sybille.
"Ich bedanke mich vielmals für Ihre Aufmerksamkeit. Ich wünsche Ihnen noch eine angenehme Nacht."
Mit diesen Worten verließ Jack die Akademie und begab sich zügig, jedoch nicht auffällig schnell, zu seinem Wagen. Er lehnte an der Fahrertür des massigen Geländewagens und blickte gedankenverloren in den Nachthimmel.
Wo bin ich hier hinein geraten?, dachte er. Sein Blick fiel auf die Mappe, die er noch immer in der linken Hand hielt. Er schloss den Wagen auf, schaltete das Licht dauerhaft ein und zog die Tür hinter sich zu. Mit dem Zündschlüssel aktivierte er das Autoradio mit integriertem CD- und MP3-Spieler. Aus den Lautsprechern ertönte ein live aufgenommener Blues Rock Song. Der Gitarrist Michael Doke überzeugte dabei gekonnt mit einem flotten Slide Solo. Jack mochte solche Musik sehr gern. Sie erinnerte ihn an seine Heimat, die trotz all ihrer Unzulänglichkeiten immer einen festen Platz in seinem Herzen fand.
Aus dem Handschuhfach griff sich Jack einen College Block als Unterlage für die Mappe und einen Tintenfüller. Anfangs las er sich die allgemeinen Information zur Stadt und über die Lokalitäten durch. Konzentriert füllte er danach die Lücken im Fragebogen aus, die er problemlos beantworten konnte. Er hatte keine Probleme damit seine Abstammung und seine Erzeugerin zu nennen. Amy Gibson mochte ihn für sein früheres Verhalten und seine Entscheidungen nach der Freisprechung hassen, aber das interessierte Jack nicht besonders.
Die Aufenthaltsorte der letzten 5 Jahre? Wollte ihn die Stadtführung bei dieser Frage etwa auf den Arm nehmen? Jack war ein Nomade und nie länger als wenige Tage oder Wochen in ein und der selben Stadt. Als Antwort notierte er die Internetadresse seiner Homepage mit einem Verweis auf das Archiv mit den bisherigen Tourneedaten. Wer auch immer die Angaben zu überprüfen hatte würde anhand der vielen Daten sofort zu fluchen anfangen. Pro Jahr absolvierte Jack Deutschlandweit zwischen achtzig und einhundert Auftritte. Er spielte in so vielen großen und kleineren Städten, dass man als Besucher der Seite regelrecht von der Informationsflut gepackt und fortgespült wurde. Andererseits war dies jedoch nicht Jacks Problem. Die Angaben waren sehr präzise samt Datum aufgelistet. Man konnte ihm also nicht vorwerfen ungenaue Angaben zu machen.
Zudem notierte Jack, dass er im Januar 2006 einen kurzen Aufenthalt in Alexandria, Louisiana hatte. Wie er dem Doktor bereits berichtete, war Jack zu dieser Zeit bei der Beerdigung seines ehemaligen Warrant Officer Hugh Thompson aus dem Vietnamkrieg.
Zur Aufenthaltsdauer schrieb Jack zwei bis drei Wochen auf. Als Gründe gab er wie zuvor im Gespräch seine beruflichen Interessen an.
Es folgte die Nennung von zwei Leumundszeugen. Dies gestaltete sich äußerst schwierig, da es sich bei den einzigen zwei ihm bekannten Vampiren der Stadt um die Archontin und Doktor Thürmer handelte. Frustriert legte Jack den Hefter zwischen einen Stapel Musikzeitschriften im eingebauten Regal des hinteren Wagenbereichs wo sich auch eine Isomatte und Halterungen für seine Intrumente und das Zubehör befanden. Jacks Geländewagen war weder besonders schön, komfortabel oder kostensparend, doch er besaß unglaublich viel Stauraum und genau aus diesem Grund besaß er das Fahrzeug auch schon so lange.
Jack beschloss sich die Stadt genauer anzusehen und fuhr guter Dinge in die Nacht hinaus.