[03|05|08] Die Alte Heimat

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Konrad sah sich erstaunt um. "Ist das hier?" fragte er ein wenig unsicher. "Ich wußte nicht ... oh", er lächelte verlegen, "eigentlich wollte ich mich erstmal ein wenig frisch machen und es ist ja auch schon sehr spät und ... ich denke, das mache ich lieber morgen ... Können wir am Bahnhof vorbei fahren? Ich habe da meine Sachen in einem Schließfach."

Er haßte es, sich in einer neuen Stadt vorzustellen. Als Gangrel wurde er oft von oben herab behandelt. Einmal ganz davon abgesehen, daß viele der Offiziellen es gerne hatten, wenn man vor ihnen im Staub herumrutschte. Das mochte er gar nicht. Da Céleste sich schon vorgestellt hatte, würde sie ihm erzählen können, was von ihm erwartet wurde. Ein winziger Vorteil, aber einer der entscheidend sein konnte.
 
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"Ja, das ist hier" entgegnete Céleste mit einem leisen Lachen. "Ich bin ehrlichgesagt davon ausgegangen, dass du genau deswegen hier bist. Steige ein, der Bahnhof liegt ohnehin praktisch auf dem Weg." Sie wartete den Augenblick, bis Johann die Tür geöffnet hatte und stieg dann in den geräumigen Wagen. Bis vier Passagiere hatten gemütlich Platz, danach sollten sie sich zumindest mögen.
Nachdem die Gräfin eingestiegen war, machte der Ghul eine einladende Geste, ehe er dem Gangrel in den Wagen folgte. Der Fahrer stieg ebenfalls ein und startete den Motor, der vom Wageninneren praktisch nicht zu hören war. Mit einem knirschenden Geräusch rollte der Wagen vom Bürgersteig hinunter auf die Straße und fädelte sich in den spärlichen Verkehr ein. Man konnte noch ein, zwei, Anweisungen des Navigationsgerätes hören, ehe die Trennscheibe hochfuhrt.
Johann rutschte etwas zur Seite, um Konrad den größtmöglichen Platz zu bieten, sichtlich bemüht, dem alten Vampir nicht zu nahe zu kommen.
"Nun musst du aber mit der Sprache rausrücken, Konrad", der Tonfall von Céleste war nun deutlich gefasster, aber auch versöhnlicher als vorher.
 
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Der Gangrel sah sich neugierig und auch ein wenig enttäuscht im Inneren des Autos um. Sicher, es war edel und das Holz und das viele Leder rochen zudem noch gut. Aber er hatte dieses nagende Gefühl im Hinterkopf, daß dies alles mit Chrom noch viel besser ausgesehen hatte.

Céleste wartete wohl immer noch auf eine Antwort. Was war gleich noch einmal die Frage gewesen. Ach ja, warum er nicht geschrieben hatte. "Ja schau", erklärte er sanft, "ich war doch tot. Da fand ich es etwas unpassend und auch ein wenig unanständig, dir noch zu schreiben."
 
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Die Toreador rollte verärgert mit den Augen, sagte aber nichts. Im Grund genommen hatte er ja recht. Das war eigentlich das erste, was jeder von ihnen verinnerlicht hatte. Brich' die Kontakte zur Familie ab. Warte ein paar Jahre, dann sieh weiter. Wenn jedes frischgebackene Küken sofort zu Mama und Papa gerannt wäre, hätte die Inquisition vermutlich deutlich weniger Unschuldige abfackeln müssen, um sich beschäftigt zu halten.
"Na, war das nicht was du wolltest? Damit bist du dem Drängen deines Vaters doch endgültig entkommen... Aber es ging eh nie um ihn, oder? Du bist einfach weiter durch die Welt gereist, nicht?" So richtig hatte sie eh nie geglaubt, dass er nur vor den Verpflichtungen geflohen war. Sie konnte sich Konrad gar nicht sesshaft vorstellen.
Aber was wusste sie schon? Sie fühlte sich vielleicht zwei Jahrhunderte zurückversetzt, aber das hieß nicht, dass der Gangrel sich in dieser Zeit nicht massiv verändert hatte. Wieder das mulmige Gefühl. Nun saßen sie sich hier gegenüber, vermutlich beide mit mehr Leichen im Keller als ein belgischer Kindergärtner und versuchten zu erkennen, ob der jeweils andere ehrliche Wiedersehensfreude empfand, oder schon den Amaranth plante.
 
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Konrads Augen leuchteten auf. "Ich war in Tibet!" platzte es aus ihm heraus, "du kannst dir gar nicht vorstellen, wie ... wie ... es war ... allein die Stadt aus der Ferne zu sehen, über ihr der Potala und ... ah ... Ich wünschte, ich hätte damals schon meine Fotoausrüstung dabei gehabt. Heute ist das ja alles von den verdammten Kommunisten besetzt. Allein wenn ich mir vorstelle, was die in China alles zerstört haben wird mir ganz schlecht. Da war ich auch, China meine ich. Und in Indien, also davor. Und dann in Japan. Dann Südamerika, die Anden ... wow. Und der Regenwald. Jaguare! Ich ... Die können ganz schön gefährlich werden, das kann ich dir sagen. Ganz wunderbar fand ich die Karibik. Da bin ich ab und zu so lange aufgeblieben, daß ich den Sonnenaufgang über dem Meer sehen konnte. Unglaublich ... Bereut hab ich es danach, aber irgendwie war es das auch wert. Und dann ..."

Sein Blick fiel auf Johann, der ihn mit offenem Mund anstarrte. Erst jetzt bemerkte er, wie sehr er da plapperte. Er hätte es nicht für möglich gehalten, aber das hatte er vermißt. Nicht nur zu reisen, sondern auch von seinen Reisen erzählen zu können ...
 
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Céleste war nahezu augenblicklich massiv beruhigt. Als der Gangrel losplapperte, klang er praktisch genauso, wie vor seinem Tod. Das war allemal ein gutes Zeichen. Beinahe hätte sie ihn mit den selben Augen wie früher gesehen, aber sie war nicht mehr dieses junge Ding, das nur Flausen im Kopf hatte.
"Nach Tibet wollte ich auch immer einmal, aber ich habe das Fenster wohl verpasst, aber wir haben eine ganze Weile lang von Macao aus Seide und Opium verschifft" stieg sie sofort in die Anekdotensammlung ein, während sie in Richtung Bahnhof rollten.
 
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Konrad lächelte wehmütig. "Ach ja, Macao ... Auch auf die Gefahr hin, wie ein sentimentaler alter Narr zu klingen ... Die Städte sind heutzutage nicht mehr, was sie einmal waren, nicht?" Er wiegte bedächtig den Kopf und starrte in die Ferne. "Diese Hochhäuser und das Neonlicht, das macht vieles kaputt."
 
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"Ach, es hat seine Vorteile. Was heutzutage Nachts auf den Straßen los ist, überall ist es erleuchtet, ich glaube nicht dass sich irgendjemand noch daran erinnert, warum man früher die Fenster und Türen verriegelt hat..." Ihr Grinsen geriet etwas boshafter, als es beabsichtigt war, während der Wagen auf dem Parkplatz vor dem Bahnhof einfuhr...
 
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Der Gangrel sah Céleste verdutzt an. Auch er schien sich nicht daran zu erinnern, warum man früher Fenster und Türen verriegelt hatte. Oder ob man das überhaupt getan hatte. Die Ankunft am Bahnhof rettete ihn vor einer Antwort.

"Ach, da sind wir ja", meinte er hastig, "bin gleich wieder da." Schnell öffnete er die Tür und ging entschlossenen Schrittes zu den Schließfächern hinüber. Kurz kramte er in seinen Jackentaschen nach dem Schlüssel, dann zog er auch schon einen schäbigen Rucksack und eine stabile Fototasche heraus. Zufrieden lächelnd kam er zum Auto zurück. "So, das wären sie, meine gesamten Besitztümer. Wir können", meinte er gut gelaunt.
 
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Mit einem zufriedenen Nicken klopfte die Toreador an die Scheibe zum Fahrer, der daraufhin sofort wieder anfuhr. "Du bist also unter die Fotografen gegangen?" fragte die Gräfin neugierig. "Direkt unter den Pionieren gewesen, oder ist das eine neuere Anschaffung?"
 
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"Eigentlich bin ich eher eine Art Journalist", erklärte Konrad lächelnd, "aber weil ich aus Gegenden berichte, die nicht allzu sicher sind und in die sich die wenigsten Leute trauen, mußte ich mir irgendwann wohl oder übel das Fotografieren beibringen lassen. Im Moment habe ich Anfragen für einige Reportagen über die düsteren Seiten Chinas. Aber ich weiß noch nicht, ob ich tatsächlich gehe."
 
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"Ganz ehrlich, seit die Kolonien den Bach herunter gegangen sind, setze ich keinen Fuß mehr in die ganze Region, die Cathayer haben inzwischen an jedem Hafen ein Empfangskommitee - und nach der Kolonialzeit mag ich ihre Abneigung den Westlern gegenüber nicht unbegründet nennen." Sie lehnte sich zurück, und setzte einige Augenblicke einen verträumten Gesichtsausdruck auf. "Aber die Welt ist immer noch groß, was habe ich schon gesehen? Ein paar Häfen." Sie schüttelte lächelnd den Kopf. "Die letzten Jahre waren schon ohne mysteriöse Monster aus fernen Ländern anstrengend genug, dankeschön." Sie bogen schon in die richtige Straße ein, eine knappe Minute noch und sie würden das Anwesen erreichen...
 
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Konrad schnitt eine Grimasse. "Oh, ich erinnere mich an so einige Monster. Ich bin einigen nur durch viel Glück entkommen und bin einige Jahre in Starre irgendwo in der Wildnis herumgelegen. So gesehen ist es hier schon deutlich sicherer. Camarilla-Territorium, eine gut beleuchtete, ordentliche, deutsche Stadt ..." Er seufzte und rieb sich nervös die Hände, die immer noch in Handschuhen steckten. "Andererseits hocken hier die ganzen alten Vampire auf einem Haufen, langweilen sich und fangen deshalb an sich gegenseitig anzupissen, richtig?"
 
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