AW: Wie genau funktioniert ein Wundmonitor?
Wundmonitor, Health-Level, Hitpoints, und wie auch immer man entsprechende Funktionen in einem Regelsystem umsetzen will...
Es gibt da keinen tiefergehenden prinzipieller Unterschied. Und irgendwelche Sonder-Regeln kann man an beide Arten des Schadens-Managements dranhängen.
Eben.
Ob man nach den Design Patterns hier "Trauma Gauge", "Hitpoints", "Wound Trait" verwendet, ist eigentlich egal. Es sind alles Implementierungslösungen für dieselbe Problemstellung.
Und welche FOLGEN bestimmte Zustände dieser Abbildungen nun haben, das ist nun auch wieder nicht grundsätzlich festgelegt, sondern hängt davon ab, was der Regelsystemautor damit erreichen will.
Hier mal ein Beispiel, welches zeigt, wie man unterschiedliche Zustände, Abbildungsmechanismen und Methoden in der Praxis kombiniert hat. - Deadlands Classic.
Ein Charakter hat dort eine Eigenschaft Vigor (Konstitution) und eine Eigenschaft Spirit (Geist). Aus beiden errechnet sich die abgeleitete Eigenschaft Wind (Puste) (eine Art Ausdauer-Eigenschaft, aber - wie man nachher sehen wird - mehr als nur Ausdauer).
Ein Charakter hat eine Eigenschaft Size (Größe), welche die Körpergröße angibt. Diese wird verwandt, um die Abhängigkeit des gerade bei Schußwaffen immer ähnlich hohen Schadens von der Körpergröße/Körpermasse eines Ziels abzubilden.
Ein gesunder, aber ansonsten nicht weiter bemerkenswerter Joe Average Charakter hat in diesem System Vigor 2d6, Spirit 2d6, Wind 12, Size 6.
Nehmen wir einmal an, jemand ist so gemein und schießt auf Joe Average mit einem Revolver. Und trifft! - Was passiert nun?
Deadlands Classic hat ein TREFFERLOKATIONS-System, bei dem die Trefferlokation für jede Kugel, die Joe trifft, separat bestimmt wird. - Der Effekt bei bestimmten Treffern wie Kopfschuß oder Bauchschuß ist zunächst einmal nur der, daß zusätzlicher Schaden gegenüber dem Grundschaden, den ein Revolver verursacht, angerichtet wird. - Ein Revolver macht 3d6 (jeweils aufsummiert) Schaden (die Würfel können "explodieren", so daß hier schon ziemiich hohe Werte herauskommen können!). Bei einem Bauchschuß kommt noch +1d6 hinzu, bei einem Kopfschuß kämen +2d6 hinzu.
Die Trefferlokationen bilden sich auf WUNDLOKATIONEN ab. - Dies ist KEINE 1:1-Abbildung! - Trefferlokation Oberkörper, Unterleib, Bauchschuß landen alle in derselben Wundenlokation "Torso".
Nun steht fest, WO Joe getroffen wurde.
Man würfelt die entsprechenden Schadenswürfel und bestimmt das Endergebnis. - Sagen wir mal, Joe wurde in die Eingeweide geschossen (Gut Shot, Bauchschuß) und bekommt 3d6 + 1d6 Schaden. Ergebnis des Schadenswurfes: 2 + (6=>explodiert+1) + 1 + (6=>explodiert+6=>explodiert+1) = 2 + 7 + 1 + 13 = 23 Punkte Schaden.
Hier kommt die Größe ins Spiel: Man teilt den Schaden durch die Größe (23/6 = 3, Rest fällt weg). => 3 Wunden. Das sind nicht 3 einzelne Wunden, sondern das ist die relative Stärke der Wunde, die Joe in der Wundenlokation "Torso" hinnehmen muß. 3 ist eine Wunde der Stufe "Ernst".
Auf dem Deadlands-Charakterbogen markiert man anhand einer "sargähnlichen" Skala die Wunden in den Lokationen mittels farbiger Büroklammern. Joe bekommt also eine Klammer in der Farbe für Ernste Wunden auf die Lokation "Torso" gesetzt.
Die 3, welche eine Wunde im Wert von 3 darstellt, ist auch gleich der Abzug, den Joe auf ALLE Attributs- und Fertigkeitswürfe erhält, die er im verletzten Zustand machen möchte. - Also: Folge der Markierung der Lokation "Torso" mit einer Ernsten Wunde: -3 auf alle Würfe.
Doch ist das in Deadlands noch nicht alles, was dabei passiert.
Durch den Treffer für 3 Wunden (gemeint ist, eine Wunde im Wert von 3) verliert Joe auch noch 3d6 Wind, weil ihm der Treffer den Atem raubt. Hier kommt bei 3d6 eine 11 heraus. => Von seinen im gesunden Zustand vorhandenen 12 Wind hat er nun nur noch 1 Wind übrig.
Die Wind-Eigenschaft ist so etwas wie Hitpoints oder Ausdauerpunkte. Man verliert sie schnell aber sie regenerieren sich auch wieder schnell.
Doch noch nicht genug! - Bei einer Ernsten Wunde verliert Joe JEDE Runde 1 Wind zusätzlich aufgrund stetigen Blutverlustes (bis das durch medizinische Hilfe gestillt wird). - Damit wäre Joe am Ende der Runde, wenn ihm 1 Wind abgezogen wird, auf 0 Wind.
Bei 0 Wind ist ein Charakter handlungsunfähig und bewußtlos. - Das ist so geregelt. So steht es geschrieben. - Er ist nicht etwa tot, kann aber KEINE HANDLUNGEN mehr ausführen.
Somit hat es Joe schwer. Wenn er bei seiner Ernsten Wunde bis zum Ende der Runde nicht soweit den Blutverlust stillen kann, daß er keinen Wind mehr verliert, dann wird ihm schwarz vor Augen werden. - Daher würde der Spieler von Joe gerne diesen seinen Medizinkenntnisse anwenden lassen. - Doch, halt!
Joe hat eine Ernste Wunde hingenommen.
Daher muß er sogleich eine Schock-Probe mit seiner Vigor-Eigenschaft gegen eine von der Wunden-Stärke (hier Ernste Wunde) abhängige Zielzahl (hier also mit 2d6 eine 9) schaffen, ansonsten er in einen SCHOCK-Zustand gerät. - Da bei Deadlands als Pool-System nur der höchste Würfel zählt, ist es mit 2 6er-Würfeln nicht so leicht zu schaffen eine 9 zu würfeln (auch wenn diese Würfel ja "explodieren" können). - Joe schafft es nicht und ist IN SCHOCK.
Im Schock-Zustand kann er nur noch eine einzige Art Aktion ausführen: Sich mit einem Vigor-Wurf aus dem Schock-Zustand erholen, ein sogenannter Revovery-Check gegen die schwerste Wunde, die er gerade hat. - Hätte Joe vorher schon eine Leichte Wunde am Arm gehabt dann wäre der Recovery-Check immer noch nur gegen die schwerste Wunde, also die Ernste Wunde im Torso, fällig.
Normalerweise hat ein Charakter in einer Kampfrunde zwischen 0 und 5 Aktionen, im Schnitt 2. Nehmen wir mal an, Joe hätte nun 2 Aktionen.
1. Aktion: Sein Recovery-Check, ebenfalls gegen Zielzahl 9 mit 2d6 Pool und ABZUG von -3 (wegen der Effekte einer Ernsten Wunde: -3 auf alle Attributs- und Fertigkeits-Würfe, hier also -3 auf den Vigor-Wurf zum Recovery-Check), schlägt fehl.
2. Aktion: Seine letzte Chance noch bei Bewußtsein zu bleiben und sich eventuell zu verbinden, der erneute Recovery-Check schlägt ebenfalls fehl.
Nun verliert er am Ende der Runde das Bewußtsein. - Sein Status ändert sich von IN SCHOCK auf BEWUSSTLOS, was gleichbedeutend mit HANDLUNGSUNFÄHIG ist.
Da er aber eine Wunde hat, die pro Runde -1 Wind-Verlust verursacht, wird er nach 12 Runden (1 Minute) soviel Blut (Wind) verloren haben, wie er normalerweise im gesunden Zustand an Wind besitzt (12 Punkte). Das bringt ihm 1 weitere Wunde im Torso ein!
Diese wird zur vorhandenen Ernsten Wunde hinzugefügt (ein lokationsspezifischer "Health-Level", wenn man so will), so daß er dort nun statt einer Wunde der Stufe "Ernst" (-3 auf alle Würfe, -1 Wind pro Runde) eine Wunde der Stufe "Kritisch" (-4 auf alle Würfe, -2 Wind pro Runde) hat.
Nach weiteren 6 Runden, in denen er nunmehr -2 Wind-Verlust pro Runde erleidet, hat er abermals seinen "gesunden" Maximalwert im Negativen unterschritten: Er erhält 1 weitere Wunde im Torso! (Alle zusätzlichen "Wunden" durch Blutverlust landen in der Wundenlokation Torso.)
Diese wird zur inzwischen Kritischen Wunde hinzugefügt und er hat eine Wunde der Stufe "Verstümmelt" im Torso. - Die Regeln sagen, daß ein Charakter mit einer Wunde der Stufe "Verstümmelt" im Torso (oder Kopf) TOT ist. (Bei einem Arm oder Bein wäre der Arm oder das Bein eben permanent verstümmelt. Aber ein zerballerter Kopf oder ein melonengroßes Loch im Bauch ist nichts, mit dem man später noch herumläuft.)
Deadlands Classic benutzt also:
Trefferlokationen (mit Sondereffekten je nach Lokation (und Waffe und Angriffsart))
Wundenlokationen (mit konkreten Effekten, die die Handlungsfreiheit des Charakters einschränken)
Ausdauerpunkte/Trefferpunkte (mit Auswirkungen auf die Handlungsfreiheit, auf den Zustand der Wundenlokation "Torso" und die Handlungsfähigkeit)
Schadens-Zustände (In Schock, Bewußtlos, Ertrinkend, Erstickend, Verblutend, und eine Reihe mehr)
Diese unterschiedlichen Mechanismen greifen ineinander.
Beispiel: mehrere Leichte Wunden in derselben Wundenlokation verstärken den Effekt in der betroffenen Lokation UND den allgemein wirksamen Effekt (die Abzüge auf ALLE Handlungen, sowie die Stärke des weiteren Blutverlustes). - Blutverlust kann zu Wundenzuständen in der Wundenlokation Torso führen. - Schaden kann zu Schock oder anderen explizit festgelegten Schadens-Zuständen führen.
Das Deadlands-Schadenssystem ist aufgrund der unterschiedlichen "Skalen" auf dem Charakterbogen für Wind/Puste (hier wird eine Büroklammer nur seitlich verschoben) und für die Wundenlokationen (diese werden mit Büroklammern markiert, wenn sie getroffen wurden), sowie die Stärke der Verwundungen (diese wird über die Farbe der Büroklammern markiert), eigentlich viel leichter und flüssiger zu handhaben, als es sich in der "Papierform" liest.
Realistisch ist dieses Schadenssystem, auch wenn es vielleicht kompliziert wirkt, ÜBERHAUPT NICHT.
Es ist aber DETAILLIERT. - Und es gibt unterschiedliche Möglichkeiten für einen Spieler seinen Charakter so zu gestalten, daß er den unterschiedlichen Schadensmonitoren in Deadlands Classic individuell stärker oder schwächer unterworfen ist. - So gibt es Vorteile, die mehr Wind/Puste bringen. Oder man erhöht Vigor und/oder Spirit. Es gibt Vorteile, die Wunden-Abzüge auf Handlungen reduzieren bzw. ignorieren lassen. Es gibt Vorteile, die einen Charakter nicht so leicht in Schock verfallen lassen bzw. ihm leichter da wieder heraushelfen. usw.
Man kann somit seinem Charakter sehr individuelle Stärken in punkto "Zähigkeit", "Die Hard", "Tough as Nails", "Sand" usw. geben, die ihn auf dieser Detailebenen des Kampfsystems aus den anderen Charakteren herausstehen lassen. - Statt umzufallen und vor sich hin zu verbluten kann so ein Die-Hard-Charakter mit bloßen Füßen durch Glasscherben rennen und dabei noch Schurken umballern, wenn der Spieler seinen Charakter so ausgestattet hat. - Umgekehrt sind gezielte Schwächen wie Glaskinn, Zimperlich, Schnell aus der Puste, usw. auch mögliche Charaktereigenschaften.
Statt also hier "Realismus" zu erhöhen soll das Deadlands-System hier nur mehr DETAILS anbieten, die Deadlands-Charaktere bei ihrer detaillierteren Individualisierung unterschiedlich ausgeprägt aufweisen.
Es geht natürlich auch so, daß ein Regelsystem nur EINE Schadensmonitor-Art verwendet. Nur Trefferpunkte, nur Zustände, zur Gesundheits-Stufen, nur Lokationen mit Lokationstrefferpunkten, usw.
Ich kann jedenfalls KEINE VORTEIL ODER NACHTEIL sehen, der für oder gegen eine bestimmte Implementierungsart dieser Funktion eines Schadensmonitors spräche. - Das ist immer eine Frage dessen, was der Regelautor damit erreichen wollte. (OB ein Autor das, was er eigentlich erreichen wollte, auch tatsächlich mit dem gewählten Mechanismus erreicht hat, das steht auf einem anderen Blatt...)