Rezension Western City [B!-Rezi]

T.Dorst

THE BIG RED GOD OF ANGER
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Western City


Das Western-Rollenspiel


Die Indie-RPG Szene wächst und gedeiht, Indie Press Revolution ist gebookmarkt und nun dürfen wir uns auch in Deutschland über die ersten ernstzunehmenden deutschen Produktionen freuen.
Wie uns dieses Heft zeigt, ist Prometheus Games nicht nur in den Mainstream-Lizenz Sektor eingestiegen, sondern stößt auch weiter in anderes Terrain vor.
Ursprünglich ist Western City im Rahmen des GroFaFo (jetzt tanelorn.net) 72 Stunden-Wettbewerbs entstanden, wurde aber für die Printversion aber noch einmal überarbeitet und ein wirklich nettes Layout hinzugefügt, so dass ich nun ein 92 Seiten starkes Heft mit Glanzcover in meinen Händen halten darf.
Fakten Fakten Fakten:
Das Spiel besitzt wie schon erwähnt ein stylisches Glanzcover, welches zum Anfassen einlädt. Wer es im Laden stehen sieht wird unweigerlich den Drang verspüren es in die Hand zu nehmen und zumindest kurz darin herumzublättern. Die Western-Atmosphäre, die das Cover versprüht wird im Inneren konsequent weiter fortgeführt, zumindest habe ich mich durch das gelungene Vorwort, dass scheinbar von einem Bewohner der Western City verfasst wurde, in die Spielwelt entführt gefühlt.
Das komplette Heft ist vollfarbig und das Artwork der Seiten ist absolut gelungen und stimmig (Die Seiten sind auf alt getrimmt man erhält den Eindruck als seien diese vergilbt) und vertieft die bis dato aufgebaute Western-Atmosphäre. Im weiteren Verlauf des Hefts werden reichlich Zeichnungen eingestreut sowie Pokerchips und Spielkarten als Stilmittel verwendet. Man darf sich also durchgehend in eine Westernwelt versetzt fühlen.
Einziger Wermutstropfen: Die Setzer haben an einigen Stellen nicht aufgepasst, so ist z.B. bei einer Tabelle schon mal das Format zerschossen und eine Überschrift, die eigentlich oben stehen sollte, befindet sich in der vorherigen Zeile ganz unten. Außerdem hätte das Lektoratsteam gut und gerne noch weitere Rechtschreibfehler entfernen dürfen. Das hätte bestimmt nicht geschadet.
Als positiv hervorzuheben ist definitiv der Charakterbogen für die Spieler (cooles Artwork mir Spielkartensymbolen) und ganz besonders der Charakterbogen für die Statisten. Die Jungs vom Prometheus Verlag haben man nämlich für Statisten als Promo Give-Away Statisten-Charakterbögen produziert, die ein wenig wie Spielkarten aussehen. Besorgt Euch auf jeden Fall welche, wenn Ihr Western City spiel wollt. Die sind nämlich sehr cool.

Das Heft ist klar strukturiert und in 5 Abschnitte unterteilt:
1. Erschaffung von Spielfiguren (Charaktere und Statisten (dazu später mehr))
2. Spielvorbereitungen und –mechanismen (Hier werden die Regeln erklärt, Gringo!)
3. Spielverlauf (Wie erzählt man eigentlich?)
4. Nach dem Spiel (Erfahrung, Nachlese etc.)
5. Anhang (Charakterbögen, Übersichten etc.)

Worum geht es bei Western City überhaupt?
Es geht grundsätzlich zuerst einmal darum, dass alle Spaß am Spiel haben.
Und wie setze ich das um?
Indem alle zusammen ein große gemeinsame Geschichte erfinden.

Western City ist ein spielleiterloses Rollenspiel, das wie folgt funktioniert:
Im vorliegenden Regelwerk ist kein großartig ausgefeilter Background enthalten, es werden aber reichlich Anregungen bereitgestellt, was zu einem gelungenen Western-Abend gehört.

Zuerst muss jeder Spieler einen Charakter erschaffen, hierzu muss zuerst jeder einen Beruf festlegen. Bei Western City wird grds. nicht aus vorgegebenen Klassen oder Berufen gewählt. Jeder Spieler muss sich selbst Gedanken machen, was genau er darstellen will.
Anschließend werden die Attribute des Charakters festgelegt. Attribute gibt es genau drei: Körper Geist und Ausstrahlung. Diesen werden Punkte zugewiesen, entweder (3/4/4) oder (2/3/5). (Der maximale Attributswert ist 5.) Eine andere Umverteilung ist nicht vorgesehen. Man hat also keinen Pool an Punkten zur Verfügung um diese frei zu verteilen. Ob diese Einschränkung wirklich nötig gewesen ist, sei einmal dahingestellt. Bevor der Charakter sich dann aus einer vorgefertigten Auswahl seine 5 Fertigkeiten aussuchen darf (auch den Fertigkeiten wird ein vorgefertigtes Stufenraster zugewiesen), die mit den Attributen korrespondieren, bekommt noch jeder Charakter 8 Herzpunkte (symbolisiert Lebensenergie, Mut, Kampfkraft), wählt jeder noch einen besonderen Gegenstand, den er selber erdacht hat, eine schlechte Eigenschaft, die von den Mitspielern in ungünstigen Situationen aktiviert werden kann, sowie ein zu Hause (in vertrauter Umgebung bekommt man Extrawürfel).
Jetzt noch schnell den Rest des Backgrounds erdenken und schon kann´s losgehen.
Wie man sieht ist die Charaktererschaffung bei allem, außer der Verteilung der Attribute und der Fertigkeitsstufen sehr frei. Dies ist definitiv Geschmackssache und wird bestimmt nicht jedem zusagen. Wer sich allerdings schon länger im Indie Bereich bewegt wird diese Herangehensweise an die Charaktererschaffung kennen und sicherlich auch gut damit zurechtkommen. Mir persönlich sagt es nicht zu.

Ganz am Ende der Charaktererschaffung müssen die Spieler sich noch Statisten ausdenken, die sie in ihre Geschichten einbauen wollen. Dies können Freunde oder Feinde sein, aber auch irgendwelche obskuren Gestalten, die sie sich ausgedacht haben um die einfach nur die Geschichte interessanter zu machen. Im Laufe des Spiels werden die Statisten versteigert. Dazu aber später mehr.

Vor dem Spiel erhält jeder Spieler eine bestimmte Anzahl Pokerchips, sowie einen Silber-Dollar (ein andersfarbiger Pokerchips ist nicht so stylisch, tut´s aber auch), diese sind wichtig für den grundlegenden Spielmechanismus bei Western City: Die Ersteigerung des Erzählrechts. (Würfel werden eher selten genutzt und Probleme sollen lieber durch „Erzählen“ gelöst werden.)

Vor Beginn des Spiels legen die Spieler jeweils ihre persönlichen Ziele des Tages fest, dies sind einfach besondere Punkte, die sie sich selber vorgenommen haben und die bei Erfüllung in der Endabrechnung am Schluss zusätzliche Erfahrungspunkte wert sind. Danach legen sie gemeinsam Ereignisse des Tages fest (reihum werden bestimmte Ereignisse genannt). Will ein Spieler das Ereignis eines anderen Spielers nicht auf der Liste haben, so kann er von seinem Vetorecht Gebrauch machen. Können sich die Spieler nicht einigen wird um das Ereignis mit den Pokerchips geboten. Der Höchstbietende gewinnt und kann entscheiden, ob das Ereignis Teil des Abenteuers sein wird oder nicht. (Die anderen Spieler haben grds. während einer Versteigerung immer die Möglichkeit Partei zu ergreifen und sich am Bietprozess zu beteiligen.) Nach jeder Szene werden die bis dato eingesetzten Pokerchips gleichmäßig auf die Spieler verteilt. Ist dies nicht möglich so bleiben diese erst einmal im „Pott“. An dieser Stelle sei angemerkt, dass eine ausführlichere Beschreibung des Bietprozesses durchaus Sinn gemacht hätte, so ist z.B. nicht erklärt, was passiert, wenn mehrere Spieler gleich viele Pokerchips während einer Versteigerung einsetzen.
Wenn man vom Vetorecht Gebrauch macht sollte man übrigens immer „Nicht heute in diese Stadt“ sagen. Diese Idee halte ich für durchaus gelungen und trägt zusätzlich zur Western-Stimmung bei.

Um das Spiel ein wenig in Gang zu bringen die Charaktere ein wenig mit den Statisten zu vernetzen, wählt vor Beginn des Spiels jeder Spieler noch einen fremden Statisten und notiert diesen als Bekannten. Sollten mehrere Spieler den gleichen Statisten wählen wollen, muss auch hier wieder geboten werden.

Sobald ein roter Faden für den Abenteuerverlauf anhand der Ereignisse des Tages festgelegt wurde, kann das Spiel losgehen (es sollten nicht zu viele Ereignisse gewählt werden, ob das Abenteuer nicht zu lang werden zu lassen). Jedes Ereignis stellt schließlich eine Szene dar, die es zu erzählen gilt.

Wer die beste Idee für die erste Szene hat beginnt oder wahlweise derjenige, der die erste Bietrunde gewinnt.
Mir ist negativ aufgefallen, dass das Spiel schnell ins Stocke kommen kann, wenn sich die Spieler oft uneinig sind, dann kann man die Szenen der anderen schon mal schnell erschießen, u.a. deshalb, weil man sich über Pokerchips in fremde Szenen einkaufen und diese drastisch verändern kann. Leute, tut mir einen Gefallen und spielt Western City nur mit Jungs und Mädels, die ihr gut leiden könnt, sonst könnte der Abend zu Mord und Totschlag führen. ;)

Kommen wir nun zum Einsatz des Silber-Dollars:
Der Einsatz dieses Mittels kann sehr mächtig sein und bei anderen Spielern schnell zu Unmut führen, denn setzt man den Silber-Dollar ein, kann man eine Szene mehr oder weniger frei bestimmen und Vetos der anderen ignorieren. Der Silber-Dollar wir wahrscheinlich bevorzugt dazu eingesetzt das persönliche Ziel des Tages zu erreichen, auf der anderen Seite ist es aber natürlich auch möglich den anderen Spielern gründlich den Spielspaß zu verderben. Hier gilt wieder obiger Grundsatz: Spielt nur mit Leuten, die ihr gut leiden könnt. Sonst könnte es sein, dass der schöne Abend ganz schnell vorbei ist.

Ladies und Gentlemen, wir präsentieren….die Würfel.
Würfelproben sind nur dann notwendig, wenn zwei Personen gegensätzliche Handlungen ausführen oder gegeneinander kämpfen, ansonsten soll alles über „erzählen“ gelöst werden. Hier sollte beachtet werden, dass Charaktere natürlich nur in Dingen bewandert, für die sie auch einen Fertigkeitswert besitzen. Ich sehe die Gefahr, dass dies im Verlauf des Spiels schnell in Vergessenheit gerät.

Das Ergebnis von Würfelproben ist zwingend in die Handlungen der beteiligten Charaktere und Statisten einzuweben.

Die Anzahl der Würfel (Western City verwendet nur W6) in einer Probe wird durch den Attributswert bestimmt. Ab welchem Augenwert ein Würfel einen Erfolg zeigt wird durch die Stufe in der jeweiligen Fertigkeit festgelegt. (Ersichtlich anhand einer übersichtlichen, kleinen Tabelle)

Western City verfügt über ein rudimentäres, aber sehr tödliches Kampfsystem. Oder zumindest so ähnlich: In einem Kampf mit mehreren Beteiligten, kann man innerhalb von 2 Runden ohne Probleme seinen kompletten Herzwert einbüßen. Man ist dann aber nicht tot, sondern nur zu Boden gegangen. Am Ende jeder Szene wird der Herzwert wieder um 2 Punkte aufgefüllt.

Das würfelbasierte Kampfsystem von Western City ist gelinde gesagt total unausgegoren.
Da würfle ich lieber wieder stundenlang Attacke, Parade, Attacke, Parade, Attacke,… wie bei den alten DSA Editionen, denn gerade wenn die von der Autoren ersonnene Mob Regelung zur Anwendung kommt (ins Spiel bringen mehrerer Schläger um die Sache interessanter zu gestalten), ist man schneller K.O., als man „Bitte hau mich nicht“ sagen kann. Da hilft auch nicht die obskure Regelung bzgl. Fernkampfdeckung, die so unklar formuliert ist, dass sie quasi unanwendbar wird. Es sei denn man reimt sich zusammen, wie sie funktionieren soll.

Bzgl. der Kampfregeln bekommt Western City von mir also ein klares: OH GOTT, NEIN!

Was natürlich in keinem Rollenspiel fehlen darf ist…..richtig, Magie. Das hat sich der Autor wahrscheinlich auch gedacht und hat direkt mal ne kleine Magiepassage eingeschoben. Die 4 Seiten lesen sich als Gedankenanstoß ganz lustig und können das Spiel bestimmt bereichern, wenn sie vernünftig eingesetzt werden. Ich finde vernünftig, dass man für Zauberei Herzpunkte einsetzen muss, so wird Magie, insofern sie eingesetzt wird nicht zum Mittelpunkte des Spiels, weil sie nicht inflationär eingesetzt werden kann, sondern macht das Spiel einfach nur bunter.

Nach Abschluss einer Spielrunde bekommen die Spieler für u.a. für die Erreichung ihres Tagesziels Erfahrungspunkte. Diese Punkte können zur Verbesserung des Charakters ausgegeben werden.

Eine erwähnenswerte Besonderheit stellt die Wahl des Statisten des Tages dar:
Hier wählen die Spieler den Statisten, der ihnen ab besten gefallen hat. Dieser bekommt dann ausnahmsweise ebenfalls Erfahrungspunkte, was ihn für das nächste Spiel interessanter macht, da man ihm mit den Erfahrungspunkten u.a. ein eigenes zu Hause oder einen besonderen Gegenstand kaufen kann.

Im Anhang von Western City ist zwar die Möglichkeit eines Kampagnenspiels aufgezeigt und die Möglichkeit der Steigerung der Fertigkeiten impliziert dies ja auch ich bezweifle aber ob dies wirklich funktioniert.
Western City eignet sich meiner Meinung nach ganz gut für einen lustigen One Shot Abend, aber mit fehlt die langfristige Motivation. Ich denke, dass es vielen Spieler ähnlich gehen wird. Die meisten Western sind nun mal relativ gleich gestrickt und alle wirklich interessanten Topics in diesem Bereich schnell erzählt.

FAZIT:
Für Freunde des spielleiter- und (fast) würfellosen Indie-Rollenspiels durchaus zu empfehlen.
Alle anderen können zum Preis von lediglich 14,95 Euro vielleicht mal einen Blick in Western City hineinwerfen und sich ggf. überzeugen lassen. Mich hat es leider lediglich in Bezug auf die Stimmung überzeugen können. (Nicht unwesentlich zu dieser Tatsache hat Aspirax der fahrende Elixier-Händler beigetragen, da anhand eines ständig fortgeführten Regelbeispiels mit ihm in der Hauptrolle, die Charaktererschaffung und die Mechanismen des Spiels erläuter werden.)
Aktiv spielen werde ich Western City sicherlich nicht.

2,9 von 5 Punkten.Den Artikel im Blog lesen
 
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