Brainstorming Warum ist das Viktorianische Zeitalter in RPGs so beliebt?

Ich habe keine Ahnung, warum ausgerechnet England(=London, der Rest von der Insel interessiert die meisten Settingbeschreiber nur in Nebensätzen).
Persönlich finde ich, das Nordamerika im 19ten Jahrhundert viel interessanter ist.
Aber ich mag ja auch Western und ein Abstecher nach England ist auch nur ein paar Wochen(Tage, als nach dem Bürgerkrieg die Dampfschiffe schneller werden) auf dem Atlantik.

Die meisten Geschichten, die mich in London interessieren würden, wären wohl von Sherlock Holmes inspiriert.
Da steht auch noch so ein Tower voller Schätze, 200 Jahre nach Thomas Blood wäre mal wieder Zeit den zu plündern.
Wo wir grade dabei sind, gab es im viktorianischen Zeitalter irische Terroristen Freiheitskämpfer? Falls ja, wäre das ein Betätigungsfeld für SC(um des lieben Gruppenfriedens willen aber bitte alle auf der selben Seite!).

Also persönlich würde ich im viktorianischen Zeitalter überall auf der Welt lieber abenteuern, als in Europa:
- Afrika -> So ziemlich jede europäische Großmacht(und die meisten kleineren auch) ist da, wenn man Arabien dazu nimmt hat man ein Karl May Setting.
- Amerika -> Abgesehen vom Wilden Westen, dem Goldrausch am Klondike und dem Bürgerkrieg gäbe es da noch einen Süd-Kontinent zu entdecken.
- Asien -> Indien ist britisch(in kleinen Teilen holländisch und französisch?), Japan macht die ersten Schritte in die Freiheit(hoffentlich weniger besoffen, als ein gewisser Militärberater in einem gewissen Film) und der Rest vom Kontinent ist so unterrepräsentiert, wie Südamerika.
- Australien -> Viel Platz da und außerhalb der Küstensiedlungen noch gesetzloser, als der Wilde Westen. Vielleicht bei der ersten Durchquerung des Kontinents einen gewissen Ludwig Leichhardt begleiten?(Bei seinem zwoten Versuch will man nicht dabei sein, außer das Setting hat Fantasy/SciFi-Elemente Marke Hollow Earth, oder John Carter).
 
Gründe warum ich persönlich das Viktorianische Zeitalter mag:

- Die Welt steht vor dem Wandel zu einer neuen Epoche, alles scheint nun möglich zu sein, selbst in nicht Steampunkt Settings werfen Technologische Entwicklungen ihre Schatten voraus. Auf einmal scheint alles Möglich zu sein, zur Zeitenwende hin wird auch dem Gemeinen Mann in der Neuen Welt die Möglichkeit geboten sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen.

-Man kann als Erzähler so sehr mit Elend und Hoffnung arbeiten.

- Es ist das Zeitalter in dem man sich den letzten Weißen Flecken auf der Weltkarte stärker bewusst wird und es einen regelrechten Wettlauf zwischen Gentleman gibt seine Flagge als erste in Letzen unerforschten Plätze der Welt zu rammen.

- Es ist die Epoche der Okkulten Gesellschaften. Für Gentelman mit viel Geld und nichts zu tun ist es verlockend sich dem Mystischen hin zu geben, denn Trennlinie zwischen Aberglauben und Wissenschaft ist noch nicht klar gezogen. (Gut zugeben in der Fiktion ist sie es nicht und das ist die sorte Realität die fürs Rollenspiel ausschalgebend ist)

- Die Epoche ist weit genug weck um Romantisch verklärt zu werden, aber auch noch nicht so weit weck das Charaktere so "Alien" im ihren Weltbild sind wie im Mittelalter, (Gut eigentlich schon, aber man kann doch gut eigene Interpretationen einstreuen Sollte man nicht unterschätzen, niemand will auf Dauer wirklich Historien Simulation am Spieltisch..... Na ein paar Kandidaten fallen mir da schon ein... aber diese Mischung aus Fremd und Vertraut scheint man beim Gaslicht sogar noch mehr zu haben als in den 1920gern... ja das ist Einbildung aber stellt man sich die Generation unser Groß- und Urgroßeltern in ihrer Jugend noch Realistisch vor... eyyyyeee 1-2 Generationen weiter zurück wird das schon alles wieder durch die Romantisierte Brille in Saphirfarbenes warmes Licht aus einer Gaslaterne getaucht...)

- Es ist die Epoche in der guten alten Klassiker spielen!
Arthur Conan Doyle, Bram Stoker, Edgar Allan Poe, Mary Shally, Jules Verne, Herman Melville, Edgar Rice Burroughs (Gut, Tarzan war etwas später aktiv passt aber in die Epoche und Poe ist fast schon wider zu alt... geb ich ja zu)
Alles Autoren deren Geschichten über ihr Jahrhundert hinweg kaum an Faszination verloren haben.

Bedenkt man die Wunder jener Epoche , Kreaturen von andern Kontinenten die vorher absolut unbekannt waren wie der Gorilla, oder die Technischen Vorschritte, vor allen die neuen Kommunikationswege die Europa und -später- auch die USA das erst mal zusammenrücken ließen. Dann erscheint vieles von dem was in diesen Büchern stand sicher noch nicht mal so unplausiebel.

- Und:
Natürlich die Mode dieser zeit die ich schon lange mochte BEVOR sie Cool wurde!

... *Hust* warscheinlich dürfte ein gewisses Interesse durch den aufkommenden Steampunk Booooom auch dazu beigetragen haben.... diese Steampunk Pilotenbrillen ... die waren mal Cool... jetzt hat sie JEDER ... Wie Langweilig!
Hätte Kotzenkönnen wie regelrecht eintönig die ganzen Steampunk Cosplayer auf der RPC rum liefen... ein wenig mehr Abwechslung leute! Es gibt mehr als 3 Stereotypen für Steampunk Cosplay und Larp!
 
Es wurden schon ein paar Punkte genannt, für das flair der Viktorianischen Zeit halte ich die Rennaissance des Okkulten und der Geheimgesellschaften allerdings beinahe für ein wenig wichtiger, als die Ständeordnung. Das spielt alles zusammen.

Gerade London ist zu dieser Zeit eine Blüte neuer Bewegungen. Extrem biedere Sitten des frühen 19ten Jahrhunderts (und davor) treffen moderne Ansätze der Gesellschaft. In den großen Hallen versammeln sich Humanisten genauso wie kapitalistische Marktwirte, Frauenrechtler (wenn auch die Bewegung noch in den Kinderschuhen steckt) und Bürgerrechtler. Die Entdeckung der Welt spielt hier und gerade hier auch eine wichtige Rolle, da diese quasi nach London geholt wird, in Form der unzähligen Museen und Menagerien. Der Sitz des Empires ist, wie Rom, Nabel der Welt und deswegen vermutlich für die Meisten interessant.

Ich war allein von der Anzahl der Menschen, die London so täglich bereisen und besuchen, also vom Durchfahrtsverkehr schon erstaunt. Zu dieser Zeit waren das glaube ich schon Hunderttausende, wenn es nicht schon in die sechstelligen Zahlen ging. Dazu kommt die durch die Industrialisierung vorangetriebene Technik, die zur ersen Untergrundbahn weltweit führt (auch wenn die Errungenschaften im Automobil- und Schiffsbereich eher in den USA stattfinden).

Altes (Okkultismus, Ständeordnung, Ritter- und Geheimbünde) treffen in einer ich denke der Epoche und damit auch dem Genre sehr eigenen Weise auf Neues (Dampfbetrieb, frühe Elektrizität, Industrie, Großschifffahrt, Humanistische und demokratische Tendenzen, Frauenrechte, Tierrechte, Wissenschaftserrungenschaften und Erkundungsdrang). Für den Steampunk im Speziellen dürfte diese Vermischung und die Kinderstunden der modernen Technik den Ausschlag dafür geben, dass das Genre so beliebt ist, zumindest habe ich die Erfahrung aus Gesprächen etc. gemacht, dass Viele genau das schätzen. Allein schon die Übertragung für uns "alltäglicher" Dinge in den Dampfbetrieb ist dann bei halbphantastischen Settings sowieso ein Hauptfaktor.

Zum Okkultismus gehört im Groben natürlich alles, was mit Magie zu tun hat. Die Geheimbünde wie Freimaurer genauso wie Satanisten, Magierzirkel, Geistergeschichten auch durchaus so wild und teilweise unpassend durcheinander geworfen. Gerade die durch indische Diamantenminen, Kohlebetrieb, Überseehandel und Ausgrabungen Stinkreichen und der alteingesessene Adel (was teilweise zusammengehörte, man muss nur schauen, wie viele Barone es in den Listen der wichtigsten Archäologen allein in Ägypten zu der Zeit (und ein paar Jahrzehnte später) gibt) war teilweise extrem abenteuerlustig und gelangweilt. Einer meiner Profs kramte mal so ein Pamphlet aus der Zeit aus, in der sich eine Frauenrechtlerin darüber beklagte, dass es für die Männer ihrer Schicht wohl mittlerweile zum guten Ton gehörte, in nicht nur einer, sondern gleich mehreren Geheimbünden organisiert zu sein, darunter mindestens ein Ritterbund mit Hosenund oder Schärpe und zwei bis drei, die nur rumsitzen, Zigarre rauchen, Scotch oder Cognac süffeln und über die Welt schwadronieren. Vor allem beschwerte sie sich, wie nutzlos diese Kerle über die Zeit würden, weil sie ja im Grunde nichts machten und lediglich versuchten, ihrer Langeweile zu entgehen.

Der krasse Gegensatz dazu ist die teilweise extreme und krankheitsbefallene Armut, das Aufkommen von lächerlich hohen Arbeitszeiten in der Industrie und die damit einhergehenden, einbrechenden Lebensverhältnisse von Industriearbeitern. Das slumartige Flair dieser Schicht, versetzt mit Geschichten a la Oliver Twist und Kleine Prinzessin Sara dürfte widerum den Gegenpol zu der High Society bilden und hat wieder etwas für sich, dass zwar mit anderen Epochen teilweise vergleichbar ist, teilweise allerdings auch sehr eigenständig erscheint. Allein aufgrund der Arbeitsbedingungen ist es schon anders. Das organisierte Verbrechen kriecht aus den ersten, unbeholfenen Zügen und wird dominanter, Gangs regieren ganze Straßenzüge, die Urbanisierung macht auch hiervor nicht halt.

Ich habe lange nicht viel von dem Setting und der Zeit gewusst oder mich damit beschäftigt, allzu fantasymäßiges Steampunk ist mir auch immer noch suspekt. Aber gerade England zu dieser Zeit, gerade auch London, ist schon wirklich prall gefüllt mit allen möglichen, spielbaren Dingen. Das Gleiche gilt aber natürlich auch für den Rest der Welt (Entdecker und Abenteurer) und die USA (birth of a nation und so). Just my 2 cents.
 
Mit London hast du im viktorianisch-edwardischen Zeitalter einfach alles unter einem Hut. Es gibt keine andere Stadt bis heute, die eine solche Vielfalt insgesamt und rund abbildet:

Du hast jede Schicht vertreten, jedes Milieu, von "dreckiger geht's nicht" bis "hochglanz". Man braucht also nicht das Setting wechseln, sondern nur den Stand. Zudem werden die Stände langsam aufgeweicht: In den Adel kann reiches Bürgertum (Gentry) einheiraten, Liebeshochzeiten nach unten werden auch häufiger. Die Rolle der Frau beginnt sich zu verändern, die Vorläuferinnen der Souffragetten formieren sich und werden schließlich erfolgreich aktiv und das radikaler als die heutigen Frauenrechtsbewegungen. Frauen beginnen, langsam in Männerdomänen einzudringen, insbesondere in der Wissenschaft - prominentestes Beispiel ist hier Marie Curie.
Die Wissenschaften beginnen ihren großen Feldzug. Man findet langsam Heilmittel für Jahrhunderte alte Geißeln der Menschheit. Die Technik schreitet voran und man hat einen Widerstreit zwischen Tradition und Moderne. Hier kann man noch entdecken. Die Wissenschaft stellt die Religionslehre auf den Kopf (Darwin, Mendel). Das ist ein Glaubenskrieg, wie es ihn seit Galileo nicht mehr gegeben hat. Und die Kirche verliert. Für Europäer fremde Kulturen dürfen noch bestaunt werden, ohne dass es als anstößig gilt (denn man ist als Europäer per se überlegen). Die Altertumsforschung wird geboren (Stichwort Ägyptologie) - dadurch werden spätere Charaktere wie Indiana Jones oder Lara Croft erst möglich. Und das Entdecken hat noch lange kein Ende. Und hier werden zum ersten Mal moderne Methoden der Verbrechensbekämpfung überhaupt in Betracht gezogen.

Und das alles findet sich gebündelt in England, genauer gesagt London. Hier ist einfach der Nabel der Welt. Mit allen Hoffnungen und Träumen, aber auch aller Hoffnungslosigkeit. Nur hier funktioniert eine Geschichte wie Oliver Twist. Oder Jack the Ripper.
 
Der Spiritismus hat darüber hinaus seine Hochzeit. Da Werke wie das Buch der Geister, das Buch der Medien um etwa 1840 erschienen. Fremde Kulturen bestaunen galt wohl bis in die 60er hinein noch nicht unbedingt als anstößig. Im Rahmen bis in die 80er. Zumindest der farbigen Schilderung einer älteren belgischen Kollegin hinsichtlich der Weltausstellung und eigene Kindheitserinnerungen an "Lilliputaner Dörfer" in Freizeitparks. ^^;
 
Weil Rollenspieler null Ahnung von Historie und der gesellschaftlichen Beschissenheit des V. Ages haben. Darum.
Mich kotzt kaum was so krass an wie die Steampunksche Verklärung eines der dunkelsten Zeitalter dieser Menschheit.
 
Wer von euch hat schon einmal längerfristig diese Epoche in London mit einer Gruppe bespielt?
 
Weil Rollenspieler null Ahnung von Historie und der gesellschaftlichen Beschissenheit des V. Ages haben. Darum.
Mich kotzt kaum was so krass an wie die Steampunksche Verklärung eines der dunkelsten Zeitalter dieser Menschheit.

Aber das wird doch mit dem Mittelalter genau so gemacht. Warum kotzt dich das dann nicht an, um bei deinem Worten zu bleiben.

Bzw. ich kann überhaupt nicht verstehen, warum einem so was ankotzen sollte. Wir alle spielen doch Rollenspiele, um abzuschalten und eine spannende Geschichte zu erleben, und nicht, um uns mit den Problemen lange vergangener Zeiten zu beschäftigen.

Genauso wie es Rollenspiele während des Dritten Reiches und des Zweiten Weltkrieges gibt, oder man Charaktere spielt, die zu den Verbrechern des dritten Reiches oder eines anderen Verbrechensregimes oder überhaupt Verbrecher sind.

@seuchenrabe:

Wieso langweilig ? Also langweilig ist das 19. Jahrhundert eigentlich nicht gewesen. Es gab Kriege, Unruhen, unerforschtes Land.
 
Einmal abgesehen davon das einige die in dem Land aufgewachsen sind nicht ohne etwas positives Bewusstsein auf die Zeit gerne zurückblicken bzw. sich die Geschichte in Erinnerung rufen. Da halte ich die Bezeichnung als dunkelstes Zeitalter der Menschheit für schlicht falsch,... und irgendwie rücksichtslos?
 
@seuchenrabe:

Wieso langweilig ? Also langweilig ist das 19. Jahrhundert eigentlich nicht gewesen. Es gab Kriege, Unruhen, unerforschtes Land.

Nö das ging auf
"eines der dunkelsten Zeitalter dieser Menschheit" etwas höher im Fred.

Und so Dunkel war das Viktorianische gar nicht mal, sicher der Kolonialismus führte zu entsetzlichen Gräueltaten der Europäischen "Invasoren" , welcher jedoch auch durchaus entsetzt in Europa zur Kenntniss genommen wurde, teilweise jedoch auch gefördert wurde.

Es ist auch die Epoche in der Basis der Modernen Menschenrechte gelegt wurde. In der die Arbeiterklasse sich mehr rechte erkämpfte. In der Erfindungen und Vorschritt gemacht wurden und Wissenschaft sich endgültig vom Aberglauben trennte.

Aber natürlich aus Heutiger sich auch eine durchaus Brutale Epoche voll Kulturbarbarei.


@ Länger in London:
Nicht wirklich länger, das liegt aber daran das ich eher Runden mit "Klassischen Pulp" und eher Explorer denn Detektiv bevorzuge.
 
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