Rezension [Team-Rezi] Berlin Quellenbuch

Caninus

heiliges Caninchen!
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Berlin


Ein Quellenbuch für Shadowrun, [Team-Rezi] von Infernal Teddy


Zu den gröbsten Merkwürdigkeiten von Deutschland in den Schatten gehörte nach Meinung vieler Shadowrun-Gruppen die zu dieser zeit aktiv waren die Beschreibung Berlins. Die deutsche Hauptstadt war in der Gegenwart dieses Buches gänzlich in Anarchie, Mord und Gewalt versunken, eine Beschreibung die wohl dazu beigetragen hat das selbst heute viele Spieler die Allianz Deutscher Länder als Setting ablehnen. Spätere Quellenbücher haben beschrieben wie die Megakonzerne das freie Berlin unterwarfen und eine seelenlose Konzernstadt schufen. Doch wie sieht Berlin in Shadowrun 4 aus, im Jahre 2073? Um diese Frage zu beantworten nehme ich mir jetzt das erste Deutschland-exklusive Quellenbuch von Pegasus vor, Berlin, um euch mal einen Überblick geben zu können.

Eines vorweg, mir liegt die limitierte Ausgabe des Berlin-bandes vor, wie die Reguläre aussieht weiß ich nicht. Von Außen sieht er jedenfalls zunächst aus wie jeder andere Quellenbuch für SR4 aus, blau, gelber Titel, Konzerndame vor Berliner Hintergrund als Coverillustration, sieht so weit nett aus... oha, Silberschnitt? Nett, doch... öhm... ist das ein Druckfehler? Warum habe ich da ein zweites Coverbild? Antwort: Weil das Buch in der limitierten Fassung ein „Flip-book“ ist – liest man es in der einen Richtung beschreibt es das Berlin der Konzerne, liest man es von der anderen bekommt man die Sicht der Anarchisten und Freiheitsliebenden. Ansonsten entspricht das Buch vom Layout her dem üblichen Standard für Shadowrun, und wie immer es das Buch geschrieben als wäre es eine Sammlung von Onlinedokumenten. Gegenüber der Inhaltsangabe des ersten Teils vom Buch hat jemand mit einem Stempel und einigen handschriftlichen Ziffern mir auch mitgeteilt das ich Buch 183 von 1000 besitze. Angeblich gab es zu diesem Buch auch irgend ein Gimmik, aber ich könnte euch nicht sagen welches – ich habe es nämlich nicht bekommen.

Die erste Hälfte des Buches beschreibt die Konzernhälfte Berlins, und besteht aus sieben Kapitel. Das erste, „Überblick“, beginnt mit der Beschreibung wie man nach Berlin einreisen kann (was ich, wie ich schon in meiner Besprechung von Rhein-Ruhr Megaplex gesagt habe, vollkommen unnötig finde), um dann einen historischen Überblick über Berlin zu geben, und hier merkt man einen leichten Revisionismus. Ja, es gab die Anarchie, und ja sie war für viele recht übel – aber die schlimmsten Exzesse, die in früheren Büchern beschrieben wurden, das war ja nur Konzernpropaganda, es hat auch nie jemand andere gegessen. Und ja, die Konzerne haben in den Mittfünfzigern zugeschlagen und die Stadt erobert – aber nicht ganz, es gibt immer noch Stadtviertel die man als „alternativ“ bezeichnet, in denen immer noch nicht „Recht und Ordnung und the Corporate Way of Life“ eingekehrt sind (Lustigerweise wird eines dieser Viertel vom BGS dominiert, aber das ist ein anderes Thema). Natürlich hat der Crash 2.0 alles schlimmer gemacht, es gab einen Terroranschlag, die Konzerne haben daraufhin hart zugeschlagen, Konzern Konwacht macht mit den Anarchisten gemeinsame Sache, und es gibt wieder eine Mauer (Die hat der Drache um sein Gebiet hochgezogen), aber im großen und ganzen... Berlin ist eine geteilte Stadt, ja, die Konzerne im Westen, Status Flux im Osten, aber keine Seite dominiert, und man kann scheinbar auch gut miteinander. Klingt verworren? Naja, es sind immerhin 70 Jahre Geschichte die hier auf nur sieben Seiten zusammengefasst werden...

Das zweite Kapitel, „Große Politik“, beschreibt wer im politischen Gerangel um Berlin mitspielt und welche Ziele verfolgt werden – Berlin gehört zwar nominell wieder zur ADL, aber das bedeutet noch lange nicht das die Regierung hier auch wirklich das Sagen hat. Wer also wissen möchte wer in welchem Bezirk was zu sagen hat, und wer hinter ihm steht ist hier genau richtig. Und da bekanntlich die Politik mit der Wirtschaft schläft gibt es auch ein Kapitel mit dem Titel „Konzernbelange“. Eine ganze Reihe von Konzernen hat in Berlin entscheidenden Einfluß oder beherrschen sogar ganze Bezirke – Saeder-Krupp beherrscht zum Beispiel Tempelhof, und hat eine hübsche kleine Mauer errichtet. Hier erfährt man aber auch wer die Stadt wirklich am laufen hält – Die BERVAG, ein aus den Überresten der Berliner Verwaltung hervorgegangener Konzern – und wer die braven Bürger schützen soll (Der Sternschutz). Apropos brave Bürger, da sind wir auch beim vierten Kapitel, wie denn der Berliner so auf der Konzernseite lebt. So haben die Konzerne nach der Übernahme der Stadt die sogenannte VolksKOMM eingeführt – eine Kombination aus neuer SIN für Berliner die in der Anarchie des Status F aufwuchsen, in Verbindung mit einem billigen Komlink das einem kostenlos oder verbilligt die besten Programme ins Haus holt – natürlich nur die besten Konzernprogramme... Das Kapitel beschreibt Styles, Trends und Kulturelles aus Berlin, hinterlässt aber einen faderen Eindruck als das entsprechende Kapitel aus RRM - „Joar, 2073 halt, Kultur halt“.

Mit Kapitel Fünf, „Rundreise“, bekommen wir endlich auch was von der Stadt selbst zu sehen. Theoretisch. Allerdings bestehen die Beschreibungen der einzelnen Stadtviertel jeweils aus ein oder zwei Paragraphen und einem Infokasten mit Reaktionszeiten und wo man was essen kann – ein wenig enttäuschend. Dafür bekommen wir eine menge Örtlichkeiten beschrieben an denen – aus Shadowrunnersicht - „Was los ist“. Natürlich gibt es selbst auf der Konzernseite der Stadt eine kriminelle Unterwelt, und diese wird im sechsten Kapitel, „Hinter den Kulissen“ beschrieben. Terror, Runner, und Verbrecher, auf sieben Seiten. Abgeschlossen wird der Konzernteil durch ein Kapitel mit Spielinformationen, in dem bestimmte Locations nochmal gesondert herausgegriffen werden, mit genauer Beschreibung und sogar Karten versehen werden, und dem Spielleiter noch Abenteuerideen ausgehändigt werden.

Wenden wir uns also der zweiten Hälfte des Buches zu, dem anarchistischen Osten der Stadt. Auch dieser Text unterteilt sich in sieben Kapitel, und folgt grob dem Aufbau des Konzernteils. Das erste Kapitel, „Überblick“, verrät wie man sich nach Berlin hineinschmuggeln kann, wie Politik im Osten funktioniert, und gibt wertvolle Tipps für das Überleben innerhalb der alternativen Bezirke. Interessant ist hier das nicht immer Geld das Ausschlaggebende ist, sondern das man oft auch einfach Aufgaben innerhalb seiner Gemeinschaft übernimmt, um dann andere gefallen zu bekommen. Wer aber im großen Stil das sagen im Osten hat ist Thema des zweiten Kapitels, „Machtgruppen“. Wer in der ersten Hälfte des Buches Gangs, organisiertes Verbrechen und die echten Terroristen vermisst hat, der bekommt sie hier geboten – sie operieren nicht alleine in den anarchistischen Bezirken, aber hier sind ihre Hochburgen.

Ich sagte ja, ich fand das Kapitel über die „Kultur“ im Westen fad, oder? Hier sieht das ganz anders aus – hier wird eine ganze Gegengesellschaft auf wenigen Seiten aufgespannt, die ganz massiv vom Mit- und Gegeneinander der verschiedenen Fraktionen lebt. Du brauchst deine Waschmaschine repariert? Der Ork zwei Häuser weiter kann das machen, aber es ist wahrscheinlicher das er dich drum bittet was für ihn zu erledigen als das er Nuyen nimmt. Das „Wo“ zu dieser Gegenkultur ist das Thema der zweiten „Rundreise“ dieses Buchs, das ähnlich umfangreich und detailliert ist wie das Erste, und damit auch ähnlich enttäuschend. Auch die „Alternativen Schatten“ bekommen ein eigenes Kapitel spendiert, welches darauf eingeht wer alles hier Jobs anbietet, und warum man als Runner aufpassen sollte für wen man arbeitet, um nicht in die politischen Spielchen verwickelt zu werden die im Osten tödlich enden können. Abgerundet wird die Stadtbeschreibung durch ein Kapitel mit einer Zusammenfassung des Umlandes, dann gibt es ein Kapitel mit „Spielinformationen“, welches für den Osten das macht was sein Namensvetter im Westen gemacht hat.

Fazit:
Dieses zweigeteilte Buch über die geteilte Stadt hinterlässt auch beim Rezensenten einen zwiespältigen Eindruck. Während der erste Teil eine eher langweilige Konzernstadt beschreibt, die so fast auch hätte in Konzernenklaven auftauchen können bietet der Zweite einen Blick auf Berlin das schon fast zu kurz ist, und aus dem man ein ganzes Buch hätte machen können. Insgesamt ist jedenfalls Berlin ein sehr gelungenes Buch und ein interessanter Schauplatz im Shadowrun-Universum, einer, für den sich auch meine Gruppe entschieden hat. Die "Korrekturmaßnahmen" die man am Hintergrund vorgenommen hat sind Stimmig, und entsorgen die größten Dummheiten der Vergangenheit, ohne dem Setting seinen Charakter zu nehmen. Dennoch unterliegt es qualitativ RRM – dies sollte allerdings nicht abwertend gesehen werden: wir reden hier von den beiden besten Stadtbeschreibungen für Shadowrun 4.Den Artikel im Blog lesen
 
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