Rezension Shadowrun 4

Taysal

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Shadowrun 4


Grundregelwerk [T-Rezi]


Mit der vierten Edition läutete „Shadowrun“ ein neues Regelzeitalter ein. Das bekannte und beliebte Rollenspiel wurde modernisiert und auf die Gegenwart angepasst. Die Spielerschaft sah dieser Entwicklung mit gemischten Gefühlen entgegen, da auch Entwickler- und Lizengerangel nach dem Niedergang von FASA eine stete Bedrohung des Spiels waren. Schlussendlich setzte sich das überarbeitete Setting mit den neuen Regeln durch, wechselte in Deutschland die Lizenz zu Pegasus Press und verblieb somit nach langer Zeit endlich wieder bei einem Verlag, der Freude am Spiel hat, seine Produkte sorgfältig produziert und liebevoll betreut. So war es nur nachvollziehbar, das aus dem Hause Pegasus ein überarbeitetes Grundregelwerk erschien, um die grausame und fehlerbehaftete Ausgabe FanPros zu ersetzen. Und das aktuelle Regelwerk kann sich sehen lassen.

Auffällig ist natürlich die hochwertige Produktion des Hardcovers. Das düstere Titelbild erzeugt sofort eine passende Grundstimmung. Zudem ist das Buch komplett vierfarbig, das Papier hat ein griffiges Gewicht und zudem gibt es ein rotes Lesebändchen. Die Bindung ist ordentlich, das Layout übersichtlich und aufgeräumt. Handwerklich gehört das Regelbuch zum Feinsten.

Auch inhaltlich hat sich einiges getan. Der Unterschied zum veralteten Regelwerk ist vor allem, dass sämtliche Errata eingepflegt wurden, die seit der Fanpro-Ausgabe erschienen sind. Außerdem wurde am Kampfsystem gefeilt und auch beim Entzug der Zauber. Kenner des Spiels werden diese Änderungen als angenehm empfinden, Einsteiger und Gelegenheitsspieler bekommen einfach ein ausbalanciertes Regelwerk ohne große Macken. Doch worum geht es bei „Shadowrun“ eigentlich?

In „Shadowrun“ leben die Charaktere in der düsteren Welt von 2072, in der die Magie wieder lebt. So sind Elfen, Orks, Trolle und Zwerge an der Tagesordnung. Diskriminierung ist nun weniger eine Frage der Hautfarbe, sondern eine Frage der Ohren oder Hauer. Die Konzerne haben die Macht weitgehend an sich gerissen und üben auf ihrem Hoheitsgebiet ihre eigenen Gesetze aus. Schamanen fliegen in Vogelgestalt durch die Straßen der Stadt, Söldner lassen sich ihre Sinne künstlich verbessern, die Natur schlägt erbarmungslos zurück, die Wi-Fi-Welt ersetzte das Internet und irgendwie ist jeder mit jedem verbunden. Magie und Technik haben die Welt in ihren Klauen und drücken gnadenlos zu. Üblicherweise schlüpfen die Spieler in die Rollen von Shadowrunnern, die für ihre Auftraggeber die Drecksarbeit erledigen und stets am Rande der Legalität operieren – meistens weit darüber hinaus. Was einst als dystopischer Cyberpunk mit Zauberei begann, ist heutzutage ein Technozirkus und politisches Pulverfass. Politische Ansichten und Technologien haben sich geändert, und „Shadowrun“ versucht sich anzupassen. Und das ist gelungen.

Das Grundregelwerk bietet dem Leser die ganze Packung an Material, die zum Spielen benötigt wird. Nach einer umfassenden Einführung in den Schatten – denn dort arbeiten die Shadowrunner gemeinhin – gibt es erst einmal eine Geschichtslektion. Hier vermischen sich reale und fiktive Ereignisse gekonnt miteinander. Sofort danach werden die Spielkonzepte erklärt. Das ist sinnvoll, denn bevor jemand einen Charakter erstellt, sollte er grob wissen, wie das Spiel funktioniert. Details folgen später, erst einmal gibt es den Überblick. Grundlegend ist zu sagen, dass im Spiel ein Würfelvorrat gebildet wird (ein Pool), der meistens auf Attributen und Fertigkeiten basiert. Jede gewürfelte 5 und 6 ist dabei ein Erfolg. Der Begriff „Mindestwurf“ stammt noch aus den alten Regeleditionen und wurde beibehalten. Das ist etwas irritierend, denn tatsächlich ist heutzutage damit eine Anzahl von Erfolgen gemeint, die es zu erreichen gilt.

Wurden Wissen und Konzepte vermittelt, geht es an die Charaktererschaffung. Dazu erhält jeder Charakter ein paar hundert Generierungspunkte, für die Attribute, Fertigkeiten, Gaben und andere Dinge gekauft werden können. Es gibt dadurch unzählige Optionen. Wem das zu komplex ist, der kann erst einmal einen der sechzehn vorgefertigten Charaktere auswählen. Die Erschaffungsregeln sind jedoch leicht zu verstehen und umzusetzen. Etwas Eigenes auf die Beine zu stellen ist kein Problem.

Nach einem große Kapitel zu den Fertigkeiten - „Shadowrun“ ist ziemlich regellastig, vor allem sobald Quellenbände zugefügt werden – werden die Kampfregeln aufgeführt. Diese folgen einem weitgehend einheitlichen Muster, ebenso wie die Magie und der Umgang mit dem Wi-Fi und das Hacken von Computersystemen. Für Anfänger können die vielen Regeln und Informationen erst einmal abschreckend wirken. Einsteiger sind gut beraten, sich eine erfahrene Spielgruppe oder zumindest einen erfahrenen Spielleiter zu suchen. Ansonsten hilft nur sich einzulesen und während der Spielsitzung nachzuschlagen. Die Mühe wird allerdings belohnt, denn das Regelgerüst ist sehr stimmig, detailliert und unterstützt das actionreiche Spiel, das „Shadowrun“ ausmacht.

Sitzen die Regeln zu Kampf, Magie und Wi-Fi-Welt, gibt es weitere Informationen zu besonderen Situationen. Sei es nun Gesundheit, Heilung, Toxine, Drogen, Sicherheitssysteme oder auch die Vergabe von Karma, um den Charakter zu verbessern. Es wurde auch an den Spielleiter gedacht, der nützliche Tipps findet, um eine typische Shadowrun-Sitzung zu leiten oder passende Abenteuer zu entwerfen. Um ihm die Arbeit ein wenig zu erleichtern, gibt es auch einige Nichtspielercharaktere, Connections und Critter (damit sind magisch aktive Tiere gemeint). Also ein rundes Paket, in das natürlich umfassende Ausrüstungslisten gepackt wurden. Immerhin gehört „Shadowrun“ zu den Rollenspielen, die großen Wert auf Ausrüstung legen. Diese ist meistens Teil eines Charakterkonzepts, denn nur das richtige Rüstzeug verspricht den erhofften Erfolg. Niemand schafft es mit einem Büchsenöffner in eine Akrologie einzubrechen.

Ein umfassender Index und ein Charakterbogen runden die Sache erfolgreich ab. Zurück bleibt ein Gefühl der Zufriedenheit, denn das Grundregelwerk bietet einfach alles, was das Spielerherz begehrt. Fast alles - Stift, sechsseitige Würfel und Papier muss noch besorgt werden, bevor es losgeht.

Ein Glanzlicht ist die hervorragende deutsche Bearbeitung. Und wie bei Pegasus üblich, hat die Übersetzung Material spendiert bekommen, dass auf den deutschsprachigen Raum zugeschnitten ist. So gibt es Informationen über die ADL, die mit dem Grundregelwerk auf den Stand von 2072 gebracht werden.

Die Aufmachung des Buchs ist gelungen. Die vierfarbige Präsentation überzeugt auf der ganzen Linie. Auch die Illustrationen sind hervorragend und weitgehend von sehr guter Qualität. Dazu Tabellen, Infoblöcke und kleinere Spielereien, die das Layout gelungen auflockern. Es macht Laune „Shadowrun 4“ zu spielen und es macht Spaß „Shadowrun 4“ zu lesen. Letzteres wird leicht gemacht, denn die einzelnen Kapitel werden von spannenden Kurzgeschichten eingeläutet. Einfach erstklassig! Als kleines Schmankerl ist übrigens eines der alten Shadowrun-Grundregelwerkcover abgedruckt. Nette Idee!

Copyright © 2010 by Günther Lietz

Shadowrun 4
Grundregelwerk


Pegasus Press Hardcover (09/2009)
408 Seiten, ISBN 978-3-939794-82-0
Autoren: Rob Boyle, Christian Lonsing, Adam Jury, Jennifer Harding, Elissa Carey, Brian Cross, Dan Grendel
Grafik: Björn Hurri, Rich Anderson, Jonas Andreassen, Joel Biske, David Smit, Ben Newman
Deutsche Chefredaktion: Tobias Hamelmann
Übersetzung: Jan Helke, Maximilian Hildebrandt, Jan-Tobias Kitzel, Manuel Krainer, Heiko Oertel, Benjamin Plaga, Frank Römke, Jennifer Römke, Manfred Sanders, Stephanie von Treyer

Pegasus Spiele ONLINE: Shadowrun

Diese Rezension erschien zum Zeitpunkt des Eintrags ebenfalls auf Taysal.net und Buchrezicenter.de.Den Artikel im Blog lesen
 
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