AW: "Schöne Zeit" glaubwürdig rüberbringen
Rinso schrieb:
In Rollenspielen gehts meist sehr düster zu, Konflikte sind das A und O einer jeden Handlung.
Konflikte - ja. Düster - nein. Es gibt auch ohne "Düsternis" genügend für eine Spielwelt NORMALE Konflikte, die man im Rollenspiel ausspielen kann. - Z.B. in Deadlands: man kann in einer ganz normalen Cow-Town spielen, in welcher es Animositäten zwischen dem Bürgermeister und dem größten Rancher der Region gibt, in welcher es der Sohn des Ranchers auf eine schöne Mexikanerin abgesehen hat, obwohl sein Vater die "Ungewaschenen" von South of the Border nicht ausstehen kann, in welcher der örtliche Sherriff gewisse Dinge über den Bürgermeister weiß, daß er diesen in der Hand hat (zu haben glaubt). Aus solch einer NORMALEN, nicht besonders düsteren Ausgangssituation kann man diverse Spielsitzungen lang die Stimmung des Ortes, seiner Bewohner und der dort vorhandenen Kräfte, entlang denen Konfliktpotential existiert, erspielen. - Und dann kommt eines Tages ein Fremder ohne Namen in diesen inzwischen vertrauten Ort und mit ihm zieht die Hölle auf Erden ein ...
Rinso schrieb:
Was mir ein all der beklemmenden Düsternis immer fehlt, ist der Auenland-Kontrast. Also eine Zeit, in der es den Charakteren wirklich über alle Maßen gut geht, in der sie nicht von irgendwelchen Sorgen oder Abenteuern belastet sind, und die sich auch tatsächlich ausspielen lässt, ohne dass dabei Langeweile aufkommt.
Das Problem daran ist das "über alle Maßen gut gehen" der Charaktere. Was heißt das denn?
Und gibt es denn im Auenland in der Zeit vor dem "Herrn der Ringe"-Handlungsablauf etwa KEINE Konflikte? - Ganz im Gegenteil! Natürlich gibt es dort Konflikte. Und natürlich mögen sich nicht alle (das Auenland ist nicht Teletubby-Land, auch wenn es manchen vielleicht so vorkommt).
Der Unterschied zu den späteren Konflikten ist jedoch das Ausmaß ("Wird mein Neffe nun Obergärtner oder nicht?" gegenüber "Wird das unaussprechlich Böse für immer die bekannte und die noch unbekannte Welt regieren?") und die Härte und Konsequenz, mit denen diese Konflikte ausgetragen werden ("Wenn er nicht Obergärtner wird, dann latsche ich dem Schuldigen immer über die Blumenbeete" gegenüber "Alle Leute, die ich kenne und liebe, müssen leiden, werden gequält, werden verslavt, werden getötet, wenn ich nicht mit ALLER MACHT das Unheil verhindere.").
Mal ein Beispiel aus HeroWars/HeroQuest: Hier gibt es eine welterschütternde Kampagne (Sartar Rising), die so beginnt, daß man normale Charaktere (in für seinen Stamm herausragenden Postionen zwar, aber noch ohne besondere Verwicklung in die kosmischen Konflikte) spielt. Die Konflikte des Kampagnen-Einstiegs sind für die Region, die Kultur NORMAL (Der Nachbarstamm klaut unsere Rinder, was tun wir? Eine fahrende Truppe Gaukler zieht durch das Dorf und plötzlich fehlen wertvolle Gegenstände in jedem Haushalt, was tun wir? Unsere Nachbar - die, welche uns Anfang des Jahres Rinder geklaut hatten - haben übers Jahr ordentlich Zuwachs in ihren Herden bekommen, warum holen wir uns nicht als Entschädigung ein paar Rinder zurück? Und zwar mit Zinsen!). Das heißt nicht, daß diese Konflikte langweilig wären, oder gar ungefährlich (ein Cattle Raid, wie er bei den dortigen Stämmen quasi Nationalsport ist, führt immer mal zu tödlichem Ausgang, wenn man dabei erwischt wird). - Diese Eingangsszenarien sollen eines bewirken: die Spieler(!) und nicht nur die Charaktere sollen mit dem Normalzustand der Welt vertraut gemacht werden. Sie sollen sehen, wie ihre Charaktere erfolgreich(!) in ihrem kulturellen Kontext agieren und so zu respektierten Persönlichkeiten ihres Volkes werden. Und das ist nur der Anfang. - Im zweiten Teil passiert dann das Schlimme. Da brechen kosmische Katastrophen über die so vertraute Gemeinschaft ein. Da geht es nicht mehr um die eigene Viehherde, sondern darum, daß die gesamte Identität des eigenen Volkes, des eigenen Glaubens, der eigenen Ahnenreihe für immer (und zeitlich rückwirkend!) ausgelöscht werden könnte (eine in HeroQuest durchaus REALE Bedrohung). Hier sind die Konflikte auf anderer Ebene, mit anderen Konsequenzen und mit weitaus größerer Härte vorliegend. Das Ganze bekommt einen bedeutenderen Charakter. Der Einfluß der SCs reicht viel weiter als vorher, und jeder Fehler, jeder Mißerfolg, jeder schlechte Plan kostet weit mehr als nur ein paar Wunden - er kostet Unmengen von Menschenleben und kultureller Identität. - Man könnte natürlich gleich auf der Ebene der kosmischen Konflikte starten, doch dann ist die Erfahrung des Verlustes, der Bedrohung, der grimmigen Entschlossenheit seine geliebte Familie, seine Heimat, seine Götter zu verteidigen meiner Meinung nach nicht so von innen heraus erlebbar, wie wenn man vorher eine echte spielerische Beziehung über mehrere Spielrunden hat aufbauen können.
Aber mit dem - wie ich finde recht simplen - Schwarz-Weiß-Kontrast "Hier ist das bunte Teletubby-Land" und "Dort ist das 'darke' Düsterland der Dunkelheit" hat dies wenig zu tun. - Teletubby-Land ist langweilig und man hat keine Reibungspunkte um als Spieler(!) eine Beziehung dazu aufzubauen, die dann in der größeren Bedrohungssituation erst so richtig zu wirken beginnt.
Rinso schrieb:
Trotzdem hätte ich es irgendwie gerne in meinen Geschichten mit drin, dass die Charaktere ein paar unbeschwerte Tage verleben, die auch ausgespielt werden - um den Spielern noch mehr zu verdeutlichen, wie entbehrungsreich und hart das ist, was sie später erleben.
Geschichten entstehen daraus, daß etwas passiert. Wenn die SCs nur ein paar Wochen abhängen sollen, sich eine Schankmaid nach der anderen ins Daunenbett ziehen und jeden Abend besoffen sind, dann passiert NICHTS BERICHTENSWERTES. Was willst Du ausspielen, wenn Du alle Konflikte vermeiden willst? - Und wenn Du die Konflikte nicht vermeidest (indem z.B. der große Bruder einer aus dem Bett verstoßenen Schankmaid mit ein paar seiner Kumpels dem SC, wenn er besoffen zum Pissen Richtung Misthaufen wankt, eins mit einem Knüppel überzieht und ihn dann im Mist liegen läßt, wo er durch einen Rattenbiß und seine offene Kopfverletzung sich eine infizierte Wunde, schwere Krankheit, Siechtum und eventuellen Tod holen könnte), dann passiert ja DOCH etwas, und das kann hart, entbehrungsreich, gefährlich, ja sogar (siehe infizierte Wunde) für den Charakter tödlich enden. Und das ist dann interessant und das kann man dann auch durchspielen.
Dauersaufen und Herumhuren ist nicht so recht das geschichtsträchtige Material. Wobei man natürlich mit dem richtigen Regelsystem auch hier die Konflikte aufzeigen kann, auch hier UM ETWAS agiert wird, auch hier Erfahrung gesammelt wird und man - eben bei EXPLIZITEM Ausspielen von Orgien, Sex, Exzessen (das Bacchanal-Rollenspiel läßt grüßen) - auch hier etwas nicht so Langweiliges wie Teletubby-Land erleben kann.
Wenn Du unbedingt den Kontrast "All inclusive Saufen im Cluburlaub" vs. "Al Qaida Boot-Camp" vermitteln willst, dann knallt Dir der "Kontrastregler" in beiden Richtungen so auf Anschlag, daß er abbricht.
Erzähle doch einmal etwas detailliert, welche Art von Kontrast dir genau vorschwebt, was für "Härten" den SCs bevorstehen sollen, ob es körperliche Härten (Ausdauerbelastungen, Hunger, Durst, ... ) sein sollen, ob es psychische Härten (mein Opa wurde zum Zombie und ich mußte ihm in den Kopf schießen, mein Bruder wurde zum Zombie und ... ) sein sollen, ob es spirituelle Härten (Ich bin ein Engel des Herrn und ein Bote des Lichts. Oder?) sein sollen. - Dann ist vielleicht klarer, wie die normale (weniger die "heile") Welt vorher aussehen sollte, und was man davon ausspielen kann, bzw. ob die "schöne Zeit" nur aus einem "Was ich in meinen Sommerferien gemacht habe"-Aufsatz bestehen sollte.