Rezension: Houses of the Blooded




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kooperatives Storytelling as its Best?

O.k., das ist es also. Das Rollenspiel, das mich in den letzten Monaten am meisten beeindruckt hat. Aber warum? Das äußere Erscheinungsbild kann es nicht sein. Ein Umschlag in schlichtem Braun gehalten, ein paar Blutflecken und ein

Dolch, der eine Rose durchbohrt. Illustrationen nur zu Beginn eines neuen Kapitels, die Ausgrabungsgegen-stände darstellen. Ein Schriftbild, das an ein Volkshochschulskript erinnert. No way, das ist es nicht.

Das Setting kann es nicht sein.

Houses of the Blooded spielt zu prä-atlantischen Zeiten in der Zivilisation der Ven, einer menschenähnlichen, jedoch kurzlebigeren Rasse. Sie sind ehemalige Sklaven von Zauberer-Königen, die sich selbst vernichteten. Die Ven sind leidenschaftlich, intrigant und unversöhnlich, wenn es um ihre Ehre geht. Insgesamt wird im Spiel die Stimmung einer Oper erzeugt, eine Kunstform, die die Ven sehr schätzen. Das Ganze hat für mich etwas von den „Drei Musketieren“ oder den historischen Frankreich-Romanen von Robert Merle. Man spielt einen Adligen, der einem der sechs Häuser angehört (Bär, Wolf, Fuchs, Elch, Schlange, Falke), eben den „Houses of the Blooded“. Die Zugehörigkeit zu einem Haus bringt einem bestimmte Vorteile (Virtues), was ja auch nicht gerade die neueste Idee ist. Das Setting ist zwar ganz nett, bläst mich aber nicht um. No way, das ist es auch nicht.



Vielleicht die Regeln? Ja, es müssen wohl die Regeln sein. Oder vielmehr die revolutionäre Idee, die hinter diesen Regeln steht.

John Wick benutzt in seinem Spiel die meiner Meinung nach hervorragende Idee der Aspekte. Die Charaktere legen mit solchen Aspekten bestimmte schlagwortartige Besonderheiten fest. Kann der Spieler darlegen, dass ein solcher Aspekt von Belang ist, wenn in einer Situation gewürfelt werden muss, so erhält er für den Aspekt Bonuswürfel. Aspekte können aber auch zum Nachteil werden, wenn ein Gegner sie herausfindet (und selbst ob dieses Wissens Bonuswürfel bekommt). Aspekte können den Charakter sogar zwingen, in einer bestimmten Art und Weise zu handeln, was vom Spieler wie vom Gegner ausgelöst werden kann. In den meisten Fällen zahlt man für den Einsatz von Aspekten mit Style-Punkten. Diese Regelmechanik ist nicht neu, man findet sie im ebenfalls sehr empfehlenswerten FATE-Rollenspiel von Fred Hicks und Robert Donoghue.

John Wick hat den Nutzwert von Aspekten in seinem Spiel aber stark abgeschwächt, sie können nur für bestimmte vordefinierte Dinge eingesetzt werden. Das ist bei FATE anders. Neu ist auch, dass man bei „Houses“ nicht mehr darum würfelt, ob einem eine Handlung gelingt, sondern darum, ob man selbst oder der Erzähler den folgenden Handlungsverlauf weitererzählen darf. Man sagt an, was man erreichen will, dann wird gewürfelt.

Der Würfelmechanismus selbst ist recht einfach, der Attributwert legt die Anzahl der (6-seitigen) Würfel fest. Hat man einen passenden Aspekt, kann man gegen Zahlung von Style-Punkten Bonuswürfel dazukaufen. Andere Umstände (Gegenstände, Magie, besondere Emotionen wie Liebe oder Rache) können den Würfelpool ebenfalls modifizieren. Würfelt man sodann eine 10, hat man erreicht, was man wollte. Hält man freiwillig Würfel zurück (Wager), kann man für jeden zurückgehaltenen Würfel über das Erreichte hinaus weitere Details in die Szene „hineinerzählen“, wenn diese nicht schon vorher anders beschrieben wurden.

Hey, so einfach funktioniert also kooperatives Storytelling!

Wick liefert noch einen Haufen andere Regeln, zum Beispiel gibt es umfangreiche, aber dennoch leicht handhabbare Mechaniken, die organisieren, was die Charaktere zwischen den einzelnen Abenteuerszenarien so alles an Aktivitäten entwickeln können. So gibt es Regeln dafür, wie sie ihre Baronien verwalten und zu neuer Blüte führen, wie sie ihre Nachbarn ausspionieren können und ob und wen sie heiraten. Aus einer langen Liste von Handlungsmöglichkeiten kann man auswählen, was man in der nächsten Zeitspanne tun will. Z. B. kann man sich entscheiden, eine Wildnisregion zu erforschen und dadurch seinen Landbesitz zu vergrößern. Oder man kann rauschende Feste feiern oder eine Oper komponieren, um sein soziales Ansehen zu vergrößern. Viele dieser Aktivitäten lassen sich einfacher oder erfolgversprechender durchführen, wenn man über entsprechende Vasallen verfügt oder wenn man verheiratet ist.

Auch Magie hat in der Zivilisation der Ven ihren Platz. Hierbei beherrschen die Charaktere jedoch nicht eine große Anzahl Zaubersprüche, wie man dies aus landläufigen Rollenspielsystemen kennt. Vielmehr ist die Magie in „Houses of the Blooded“ stark ritualisiert, man muss Blut opfern (also Schaden nehmen), um zaubern zu könnne, und kann das Ritual auch nur wirken, wenn man die entsprechenden Ingredienzien zur Verfügung hat. Magie taucht in der Welt der Ven aber auch in Form von magischen Gegenständen auf, die die vernichteten Zauberkönige hinterlassen haben. Diese Gegenstände haben aber nicht nur die Vorteile, die so ein magisches Artefakt nun mal hat. Ein Charakter, der eine solche Gerätschaft mit sich führt, berechtigt den Spielleiter/Erzähler nämlich andererseits auch, im Spiel die so genannte Doom-Regel gegen diesen Charakter anzuwenden. Diese besagt, dass ein gelungener Würfelwurf vom Erzähler in einen misslungenen Wurf umgedeutet werden darf. Die Magie der alten Zaubererkönige hat eben noch jeden seinem unaus-weichlichen Schicksal zugeführt.

Kampfregeln gibt es bei „Houses of the Blooded“ natürlich auch. Dem Setting entsprechend werden besonders ausführlich die Duellregeln besprochen. Diese funktionieren zunächst wie oben für allgemeine Würfelwürfe beschrieben: Die Kontrahenten beschreiben, was sie in der ersten Kampfrunde tun wollen und ermitteln ihre Würfelpools. Beide nehmen sodann im Geheimen eine Anzahl Würfel aus dem Pool. Welcher von beiden die meisten herausgenommen hat, erhält die Initiative. Diese herausgenommenen Würfel sind dann aber aus dem Spiel, Schnelligkeit wird also mit niedrigeren Würfelergebnissen bezahlt.

Sodann kann man aus dem verbleibenden Pool wieder Würfel zurückhalten, die so genannten Wager. Wer die höhere Zahl würfelt, mindestens aber eine 10, hat sich durchgesetzt und sein vorher formuliertes Ziel erreicht. Er kann seine zurückgehaltenen Würfel (Wager) benutzen, um damit den Schaden pro Stück um eine Stufe zu erhöhen. Man kann sie aber auch einsetzen, um bestimmte Kampfmanöver durchzuführen (z. B. Entwaffnen, Festhalten etc.). Der Verlierer, so er ebenfalls mindestens eine 10 gewürfelt hat, kann immerhin die Hälfte seiner Wager einsetzen, um das Ergebnis abzumildern. 5 Schadensstufen machen das Opfer hilflos, töten es aber nicht zwingend.

Kampf mit vielen Beteiligten funktioniert im Prinzip genauso, nur dass auf der Grundlage der Spielwerte der jeweiligen Anführer gewürfelt wird, die vorhandenen Truppen erhöhen den Würfelpool um feste Werte (z. B. erhöht ein Trupp Leibwächter oder ein Spähtrupp den Pool um je einen Würfel). Der Gewinner darf dann einen Charakter aus der gegnerischen Truppe mit 5 Schadensstufen belegen.

Das sieht jetzt auf den ersten Blick alles nicht so bahnbrechend aus. Also, weshalb rockt mich das Teil dermaßen?

„Bestimme die Anzahl Deiner Würfel, erreiche mindestens eine10 und halte Würfel zurück, wenn Du Zusatzeffekte erlangen willst.“ Das ist die Regel, die aus einem Eisenbahn-schienen-Erzählspiel ein beinah völlig freies, fast hätte ich gesagt „basisdemokratisches“, gemeinsames Plot-Erfinden macht.

Wick bringt Spieler und Spielleiter auf Augenhöhe. Er schafft es, dass der Erzähler nicht der Vorturner ist, der sich einen abmüht, während sein Publikum zwischen Popcorn und Softdrinks dahindämmert. Hier entwickeln alle gemeinsam eine Geschichte, der Erzähler ist eher Moderator als Plot-Tyrann.

In seinem Kapitel für den Spielleiter erzählt Wick von einer Begebenheit auf einem Con, bei der er eine Proberunde „Houses of the Blooded“ anbot, deren Vorbereitung sich auf folgenden Satz beschränkte: „Es erscheint eine geheimnisvolle Frau, deren Pupillen schwarz waren wie die Nacht.“ Den Rest der Geschichte haben Spieler und Erzähler am Spieltisch selbst gestrickt.

Überhaupt, wozu braucht es einen vorgefertigten Plot? Bei dieser Art zu spielen kann es eigentlich so etwas gar nicht geben, weil die Handlung ständig durch das Einbringen von neuen Ideen durch die Mitspieler verdreht und verändert wird. Railroading kannst Du bei „Houses“ vergessen.

John Wick bringt die Spieler weg vom Sky—Bundesliga-Abo zurück auf den Bolzplatz. Selbst zocken statt Berieselung ist angesagt.

Schwarze-Auge-Spieler werden sich die Augen reiben, wenn sie sich trauen, das Ding zu lesen. Nix ist mit „Der Spielleiter hat immer recht“. Stimmige Geschichten können auch entstehen, wenn man nicht ein halbes Jahr lang alles akribisch vorgeplant hat. Die Frage, ob es am Tatort eines Mordes Spuren und Indizien zu finden gibt, beantwortet der „Houses of the Blooded“-Erzähler so: Würfle eine 10, und dann erzähl’ Du es mir!

So gibt es für die Spieler jede Menge Raum zur kreativen Entfaltung. Wick erzählt im Spielerkapitel von einem Freund, der beim Houses-Spielen nicht nur die jeweiligen Handlungen seines Spielercharakters beschrieben, sondern auch dessen Beweggründe und Gedanken vorgetragen hat. Wann habt Ihr so etwas bei einem Rollenspiel jemals gemacht? Und welches System, dass Ihr kennt, unterstützt solche Dinge mit seinen Regeln?

Fazit:

Chapeau, Mr. Wick, „Houses of the Blooded“ ist revolutionär. Selbst falls ich nie Gelegenheit haben sollte, es zu spielen, hat dieses Werk mir neue Einsichten in ein Hobby verschafft, das ich in- und auswändig zu kennen glaubte. Seit Jahren das Innovativste, was ich in diesem Bereich gelesen habe.

Kauft Euch das Teil. Jeder von Euch. Und lest zumindest Spieler- und Spielleiterkapitel. Hell yeah, ich habe die Zukunft des Rollenspielgenres gesehen.

Houses of the Blooded
Autor: John Wick
Artwork: Storn A. Cook
Interior & Cover Design: Daniel Solis
Verlag: Cubicle 7
Seitenzahl: 436
Format: ca- Din A5
Rezensent: Stefan Frink
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