Das was Skar da als Märchen bezeichnet ist ja sowieso nur das Zeugs, was man in irgendwelchen Kinderbüchern mit Bildern zum selbst ausmalen findet.
Wer mal wirklich ne Märchensammlung (die nicht speziell für Kinder ist) durchliest, stößt alle zwei Seiten auf richtig morbides, skurriles Zeug. Symbolhaft, träumerisch und einfach total abgefahren - das sind Märchen.
Und ich denke, wenn die Forderung nach "märchenhafter" aufkommt und der Fordernde kein 4-jähriges Mädchen ist, dann meint er damit eher sowas - [...]
Ich bezweifle, daß denjenigen, die sich ein märchenhafteres DSA wünschen, tatsächlich an der Symbolik oder tiefenpsychologischen Dimension von Märchen gelegen ist, sondern glaube eher, daß jene den Begriff wie
Skar eher umgangssprachlich und damit diffus verwenden.
„Aventurien“ bedeutet von der Wortwurzel her: „Abenteuerland“. Als DSA in den 80ern entstand, versuchte man all das umzusetzen, was zuvor nur passiv in Romanen (Tolkien & Co) sowie den gängigen Technicolor-Abenteuerfilmen erlebbar war (Ritter, Musketiere, Piraten, Wikinger, 1001 Nacht, Amazonen). All diese Völker und Kulturen wurden zu eng beieinanderwohnenden Nachbarn gemacht, vermutlich um zwischen den Abenteuern schnell von einem Handlungsschauplatz zum nächsten reisen/ springen zu können.
Es wäre naheliegend gewesen, von diesem Startpunkt aus konsequent in eine „märchenhafte“ Richtung zu gehen. Damit meine ich den typischen Märchenverlauf eines von Tüchtigkeit bzw. Tugendhaftigkeit getragenen sozialen Aufstiegs über alle Standesgrenzen hinweg: Bauernsohn rettet Prinzsessin vor Drachen und erhält sie als Lohn zur Braut mitsamt dem halben Königreich. Passend zur Welt „Aventurien“ wird dieses Genre in seiner magielosen Variante als „Avanturierroman“ bezeichnet (eine Vorform des Abenteuerromans aus dem 18. Jh.):
“Avanturierroman (frz. a. = Abenteuer), Sonderart des Abenteuerromans, letzter Ausläufer des Schelmenromans unter starkem Einfluß von Reiseroman und Robisonade. Typischer Stoff: Geschichte e. jungen Menschen aus unterster Gesellschaftsschicht mit schwerer Jugend, der, als Emporkömmling skrupellos in der Wahl seiner Mittel und kühn im Bestehen von Abenteuern (Seereisen, Schiffbruch, Krieg, Gefangenschaft, Aussetzung, Berufswechsel), sein Leben als angesehener, seßhafter Bürger beschließt. Häufiger Schauplatzwechsel, eine Vielzahl von meist typisierten Figuren, Wiederkehr gleicher Motive und geschichtl. Hintergrund sind stehende Kennzeichen des A. [...]“
(Aus: Wilpert, Gero von, Sachwörterbuch der Literatur, Stuttgart 2001, S.64.)
Eine moderne Variante davon wäre beispielsweise der Film „Ritter aus Leidenschaft“, dessen englischer Titel „A Knight’s Tale“ ebenso passend „A Knight’s Fairy Tale“ hätte lauten können (vom Tellerwäscher/ Dienstmann zum Millionär/ Ritter vor mittelalterlicher Kulisse voller humoriger Anachronismen). Für derartiges „from Zero to Hero“ in einer knallbunten Technicolor-Welt (mit Harryhausen-Spezialeffekten) wäre DSA meiner Meinung nach prädestiniert gewesen (und womöglich ist es genau das, was manch einer meint, wenn er von märchenhaftem DSA spricht).
Allerdings wollte DSA lieber „erwachsen“ werden und schlug den Weg des „Phantastischen Realismus“ ein, ohne jedoch auf das Problem der zu unterschiedlichen Epochen auf zu engem Raum zu achten. Laut dem „Deutschen-Rollenspiel-Index“ (DROSI) sei DSA eine „Mischung aus klassicher Fantasy-Welt und quasi-realistischer Mittelalter-Simulation“ (siehe
hier). Meiner Meinung nach war „Aventurien“ als Welt jedoch nie für Realismus und Simulation gedacht, weshalb DSA dank zig detaillierter Quellenbücher zwar ein Koloß ist, der mangels innerer Logik jedoch auf tönernen Füßen steht.
Hätte man die Entfernungen jedoch vergrößert und die Kulturstufen einander angeglichen, wäre DSA zu einem Midgard-Klon geworden (und „Midgard“ war bekanntlich nie so populär wie DSA). So blieb DSA, was es immer war: Ein wenig märchenhaft, ein wenig realistisch. Einerseits regellastig, andererseits erzähllastig (Kaufabenteuer nicht unbedingt regelkonform). Ein bißchen hiervon, ein bißchen davon.
So konnte DSA zum kleinsten gemeinsamen Nenner für eine Vielzahl von Spielgruppen werden, da alles irgendwie (zumindest teilweise) umgesetzt werden konnte und (anders als z.B. bei „Arcane Codex“) auch durch halbwegs passende Quellenbände unterstützt wurde. Damit liegt das Erfolgsgeheimnis von DSA (abgesehen von der breiten Vermarktung durch Schmidt-Spiele in den 80ern und 90ern) womöglich genau darin, daß es sich nie auf einen Fokus festgelegt hat (sei er märchenhaft oder historisierend).