Rezension London – Im Nebel der Themse [B!-Rezi]

Infernal Teddy

mag Caninchen
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London - Im Nebel der Themse


Cthulhu Quellenband [A!-Rezi] von Infernal Teddy


Es gibt Tage, da legen sie es drauf an, mich zu ärgern. Ansonsten kann ich mir das hier nicht wirklich erklären. Wir vom Reziteam saßen alle in unserem virtuellen Gemeinschaftsraum, besprechen wer welche Bücher bekommen soll, da beugt sich Apocalypse vor, grinst breit (virtuell, versteht sich), meint: „Hey, Teddy, die hier wären doch genau das richtige für dich!“, und wirft mir (quasi per Post) „Terror Britannicus“ – das ich demnächst besprechen werde – und den vorliegenden Quellenband zu. Na toll. Da gibt man einmal zu, wo gewohnt zu haben…

Ich bin, wenn es um Städtebücher von Pegasus geht, etwas skeptisch – der Band „Berlin – Im Herzen der großen Stadt“ war in meinen Augen ein Abenteuerband mit einem Quellenteil das zu klein war um wirklich brauchbar zu sein. Ob das auf dieses Buch auch zutrifft wird sich allerdings noch zeigen. Im Vorwort weist die Redaktion bereits darauf hin, das dieser Band eine vollständige Eigenentwicklung ist, ohne Bezug auf bisher erschienenes englischsprachiges Material. Eine reine deutsche Eigenentwicklung, mit zwei Abenteuer und Quellenmaterial das sich sowohl für die Zwanzigerjahre als auch für die Gaslight-Epoche verwenden lässt. Das erste Kapitel ist eine Einführung über die Stadt und ihre Geschichte – die meiner Meinung nach zu kurz kommt. Ein Quellenbuch sollte kein Geschichtsbuch sein, aber der Versuch, die Geschichte einer so alten Stadt wie London es ist, in sieben Seiten zusammenzufassen, muss scheitern, vor allem wenn davon jeweils eineinhalb Seiten für das Viktorianische Zeitalter und die Zwanzigerjahre verwendet werden. Was mich hier bereits stört ist der Mangel an Aufhänger. Wenn mir ein Autor einen historischen Überblick verschafft über eine Stadt, dann hätte ich gerne auch ein paar Abenteuerideen, und nicht nur Geschichtsunterricht. Danach bekommen wir nicht mal eine halbe Seite über das politische System des Vereinigten Königreiches, knapp eine Seite über das Ausländersein in London, und eine knappe Übersicht über die britische Währung der Zeit. Das Kapitel ist ganz nett, sehr stimmungsvoll, aber der einzige Abschnitt, der für den Spielleiter wirklich verwertbar sein dürfte, ist der über Geld – wenn wirklich Informationen über die Geschichte der Stadt notwendig werden sollten kann ich Peter Ackroyds „London: The Biography“ empfehlen.

Das zweite Kapitel, „Streifzüge durch London“ beschreibt zunächst in knapp 23 Seiten die einzelnen Stadtviertel der Stadt. Auch hier sind die einzelnen Abschnitte sehr knapp gehalten – zu knapp, eigentlich, und wieder mit zu wenig Aufhänger für den Spielleiter. In den Kästen, die immer wieder im Text verstreut sind, sind immer wieder ergänzende Informationen, oder einige kleine Abenteuerideen, aber im Prinzip würde ein gutes Geschichtsbuch oder ein guter Reiseführer genauso viel leisten. Gelungen dagegen sind die Abschnitte über die Parkanlagen, die Themse und den teil der Stadt, der unterirdisch liegt – aber auch hier fehlt es an Aufhänger. Die darauf folgenden Abschnitte behandeln Themen, mit denen sich jede Cthulhu-Spielergruppe beschäftigen muss: Irrenanstalten, Friedhöfe und die entsprechenden Riten. Und im Abschnitt über Geistergeschichten und Spukhäuser finde ich auch endlich mal ein paar Ansätze, an denen ich eigene Cthulhu-Abenteuer ansetzen könnte. Dieses Kapitel hinterlässt bei mir einen gespaltenen Eindruck: Auf der einen Seiten haben sich die Autoren sichtbar mühe gegeben, möglichst viel über London in möglichst wenig Seiten zu packen, anderseits dürften diese Informationen ohne zusätzliches Material und vor allem einer guten Karte der Stadt kaum verwertbar sein. Und vor allem das fehlen von Abenteuerideen stört mich weiterhin.

Das „Leben in London“ ist das Thema des dritten Kapitels, und es ist das gelungenste im ganzen Buch – hier gehen die Autoren auf die verschiedensten Themen ein, die für das Spielen in London interessant sein könnten: Das legendäre Wetter, der Londoner Alltag (Nach sozialen Schichten aufgeteilt), die ganz eigene Sprach Londons (Cockney – heute leider am Aussterben), und natürlich auch der Verkehr (und der Wandel dessen – durch das gewählte Zeitfenster wird der Wechsel von Pferdedroschke zu Automobil sehr deutlich). Die Eisenbahn kommt ebenso wenig zu kurz wie die berühmte „Tube“, und auch auf das Reisen von und zu London wird besprochen. Das nächste große Thema des Kapitels ist die Unterhaltung, von Straßenunterhaltung über Sport bis zu Theater, Opiumhöhlen und Clubs. Polizei und Kriminalität schließen das Kapitel ab, mit Profilen für die literarischen Figuren Dr. Fu-Manchu, Sherlock Holmes und seines Assistenten Dr. Watson – seien wir doch mal ehrlich, wir wären enttäuscht wenn sie nicht hier wären, oder? Auch in diesem Kapitel sind die Abenteuerideen enttäuschend dünn gesät, aber insgesamt ist dieses Kapitel das informativste und für Spieler und Spielleiter interessanteste im ganzen Buch.

Ebenfalls für die Spieler interessant ist das vierte Kapitel, „Als Spielercharakter in London“. Dieses sehr kurze Kapitel beschreibt einige neue Berufe, die für London und seine Bewohner typisch sind, den Gentleman etwa, oder den Consulting Detective. Ebenfalls für die Spieler interessant – wenn auch zu knapp um wirklich brauchbar zu sein – ist der Abschnitt über Adelstitel im Vereinigten Königreich. Viel besser ist da der Abschnitt über Informationsbeschaffung, Zeitschriften und Bibliotheken. Kapitel fünf dagegen richtet sich eher an den Spielleiter, da es um „Okkultismus und Mythos in London“ geht. London war zu Zeiten Königin Victorias die Hochburg des europäischen Okkultismus, und dieses Kapitel beschreibt viele der bekannteren okkulten Vereinigungen dieser Zeit – angefangen mit den Freimaurern, den Ordo Templi Orientis und dem Golden Dawn bis hin zum Ghost Club und den Society for Psychical Research. Darauf folgen auch einige Mythoskulte, und hier finden wir auch endlich mal die Aufhänger die ich die ganze Zeit suche. Der fünfte Kapitel hat mir sehr gut gefallen, wie man vermutlich merkt, während der fünfte Kapitel außer den neuen Berufen nicht viel zu bieten hat.

In Kapitel Sechs findet der geneigte Leser auch zwei Abenteuer, das erste spielt im viktorianischen London („Nebel der Wahrheit“), während das zweite („Elwoods Kinder“) in den Zwanzigern spielt. Ich habe die Szenarien nur grob überflogen, da ich – wie die meisten meiner Leser wahrscheinlich wissen – nur wenig Interesse an fertigen Abenteuern habe. „Nebel der Wahrheit“ verknüpft die Morde von Whitechapel mit der Schöpfung einer neuen Mythosrasse, während „Elwoods Kinder“ sich um alchemistische Experimente, Kinder und Abhoth dreht. Beide Abenteuer sind – wie immer bei Pegasus – mit Handouts und detaillierten NSC-Profilen versehen. Auf die beiden Abenteuer folgt ein Anhang. Der erste Teil des Anhangs ist eine detaillierte Zeitleiste der 1890er und der 1920er, gefolgt von den wichtigsten Daten im Londoner Jahr, eine Liste wichtiger Londoner Adressen und typischer Preise und Waren. Abgeschlossen wird der Band durch ein Straßenverzeichnis zum Stadtplan, der vorne und hinten im Einband abgedruckt ist.

Abschließend fällt es mir schwer, einen Gesamteindruck abzugeben. Rein als Quellenband betrachtet ist das Buch nur dann zu empfehlen, wenn man als Leser keinen oder kaum Zugriff und Interesse an historischen Büchern zum Thema hat. Als reines Referenzwerk ist das Buch brauchbar, bietet aber zu wenig an Ansätzen, an die ein Spielleiter ansetzen kann. Das Buch kann sich nicht entscheiden ob es historische Referenz oder Rollenspielquellenbuch sein will, und das wird dem ganzen zum Verhängnis. Leider, denn das Buch ist ein Schmuckstück, wie man es von Pegasus gewöhnt ist. Nur zu schade das es dem Spielleiter zu wenig bietet.Den Artikel im Blog lesen
 
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