Kuscheln zu Stoßzeiten

traum

Grinsekatze
Registriert
2. Oktober 2003
Beiträge
2.326
Eine kleine Anekdote die ich schrieb, als ich noch in Dortmund weilte. Wahlweise zu übertragen auf jede Großstadt...


Man sollte ja eigentlich annehmen, dass ich nach mittlerweile fast einem Jahr in der Großstadt gelernt haben sollte, Plätze, Begegnungen und Bars, sowie Geschäfte zu meiden. In den meisten Fällen hat sich dies auch bereits eingestellt, und meistens ist es nicht das große Problem dorthin zu kommen wo man hin will. Doch eines hat sich in meinem Hirn bisher noch immer nicht einbrennen können. Das sind diese Zeiten, in denen sie alle auf einmal kommen. Ich rede von den Hauptverkehrszeiten, die es ja dummerweise insgesamt 3 mal am Tag gibt.

Das wäre zum einen morgens gegen 7:30, wenn die ganzen kleinen, fiesen kreischenden Kinder zur Schule fahren müssen. Natürlich mischen sich hier auch die Berufstätigen mit dazu, welche aber durchaus angenehmer sind, als diese kleinen...
Dann wäre da die Mittagszeit, gegen 14:30, wenn sie alle wiederkommen. Und die Zeit gegen 17 - 19 Uhr, wenn noch mal die schwerst arbeitenden Menschen nach Hause wollen. Wie man lesen kann, kenne ich die Zeiten sogar, doch irgendwie schaffe ich es immer wieder genau zu diesen Zeiten loszufahren. Ich hab keine Ahnung warum. Ich frag mich auch jedes Mal woran das liegen kann, bin jedoch zu keinem Schluss gekommen. Bisher jedenfalls nicht, vielleicht werde ich es irgendwann wissen.

Ich meine, für mich ist das der absolute Horror. Ich fahre grade langsam die Rolltreppe runter, und mit jedem Zentimeter den ich tiefer komme kann ich mehr Beine sehen. Es wirkt als würden die Beinpaare niemals aufhören, und so ziehen sie sich den gesamten U-Bahnsteig entlang. Mir graust es bereits jetzt schon davor, was noch schlimmeres passieren könnte, und aus dem Grund suche ich mir meistens schon eine strategisch gut durchdachte Position zwischen den ganzen Menschen, damit ich als erster an einer der sich öffnenden Tür stehe, sodass ich blitzschnell hineinrennen und einen Sitzplatz für mich ergattern kann. Neben wem ist mir meistens ziemlich egal, kann sogar der letzte Penner sein, Hauptsache ich kann
sitzen.

Doch sobald die Bahn einfährt und ich durch die ersten Fenster schauen kann, fängt mein Herz an zu rasen, Schweiß steht in Sekundenbruchteilen auf meiner Stirn, während ich sehe, dass die Bahn bereits total voll ist. Alle Sitzplätze belegt, die Menschen in der Bahn drängen sich schon relativ dicht aneinander. Nein, um Gottes willen. Ich werde leicht hysterisch, versuche zurück zu gehen und stoße hinter mir gegen eine weitere Wand aus Menschen, welche sich auf die Bahn zu bewegen. Es ist vorbei, kein Zurück mehr. Quietschen hält die Bahn, die Schwingtüren öffnen sich und ich werde, bevor auch nur für eine Person Platz zwischen diesen Türen zu sehen ist, nach vorne gedrückt. Die Flut hinter mir treibt mich willenlos hinein, in diese Stahlschlange.
Ein Ellbow-Check von der Seite *uff* Welches Schwein war das? Ich kann ihn nicht ausmachen, ich kann hier überhaupt gar nichts mehr ausmachen. Überall Köpfe, dampfende Hitze, abgestandene Luft, monotones Gebrabbel.

Es herrscht Ausnahmezustand in Dortmunds Verkehrsnetz. Und ich stecke mittendrin, ein einsamer Krieger unter vielen in einem großen stählernen Grab, auf dem Weg zum Einsatzziel. Schmerzlich wird mir bewusst, dass ich das jetzt gute 15 Minuten durchhalten muss.
Eine Stimme neben mir: "Ganz schön eng hier, was?"
Dann hör doch auf dich so an mich zu schmiegen, bevor ich dir ganz übel meine Meinung sage, doch nein, ich kann nur ein nervöses Grummeln hervorbringen, während die Bahn erneut anfährt und eine Masse von 6 Personen die sich nicht festgehalten haben gegen mich schleudert. Einer von ihnen will sich an der Glaswand hinter mir abstützen, schätz die Lage aber falsch ein und grabscht mir direkt ins Gesicht.
Na herrlich auch? Wer weiß, was der heute schon alles in der Hand hatte? "Oh entschuldigung...", bringt er hervor. "Mnmlmnmnl", sage ich, da mir seine Pranke immer noch die Luft zum Atmen nimmt. Die Lage normalisiert sich wieder, doch ist mir klar, dass die Bahn noch ein paar Mal anfahren wird. Aber das nächste Mal werde ich gewappnet sein.
Eine leicht krächzende und helle Stimme dringt an mein Ohr. Es muss in unmittelbarer Nähe sein. Ich drehe den Kopf nach Links, nach Rechts, schaue nach Oben und nach Unten, und dann sah ich sie. Eine ziemlich negativ verlebte alte Dame, wohl noch aus Vorkriegszeiten schaut mich an und meint: "Früher im Krieg hat man das noch ganz anders gemacht."
"Ja, da ist man einfach mit nem Panzer gefahren!", wäre beinah aus mir herausgeplatzt, doch ich konnte mich grade noch zügeln, während sie mir kurz entgegnet, "da hätte der Zugfahrer einfach scharf gebremst und alle wären nach Vorne geflogen, dann war hinten Platz für neue Leute."
Mit weit aufgerissenen Augen schaute ich diese kleine Figur an, welche Augen etwas gehässiges ausstrahlten, dass mir selbst jetzt noch die Worte fehlen. Mir grauste bei der Vorstellung ganz unten unter einem Knäuel schwitzender Fahrgäste zu liegen, während ich mit meinem Leben kämpfe, und hinten ganz gemächlich irgendwelche Leute einsteigen können.

Für Leute, die mit Menschenmassen Probleme haben, hab ich ein kleines Spielchen entwickelt. Man singt einfach was vor sich hin. In meinem Falle meistens: "Ich bin ein kleines Weingummi, Weingummi, Weingummi. Ich bin ein kleines Weingummi, Weingummi... in Rot." Man kann jede Farbe nehmen die einem grade einfällt, wobei man noch nicht mal überlegen muss welche Farbe man nimmt. Es sind ja genug da! "Ich bin ein kleines Weingummi, Weingummi, Weingummi. Ich bin ein kleines Weingummi, Weingummi... in Giftgrün mit pinken Sportstreifen!" Aber aufpassen, nicht zu laut. Obwohl, ich glaube ich teste das mal und singe das laut, vielleicht macht man mir dann mehr Platz?
Bewährt hat sich allerdings ein gequältes: "Boh, mir ist voll schlecht!", ein wenig Luft bekommt man dann doch.

Ansonsten hat es auch was gutes so eingepfercht wie im Viehtransport durch Dortmunds U-Bahn System zu kacheln. Falls man die Besinnung verliert und ohnmächtig wird, fällt man nicht um. Man wird ja auf den Beinen gehalten. Aber wenn man dann am Einsatzort ankommt, und die ganze Masse die Bahn verlässt und man danach post mortem von der selbigen getrennt wurde, knallt man natürlich hin. Immerhin haben dann die Stadtwerke mehr zu tun?

Vielleicht schaffe ich es ja doch irgendwann mal zu vernünftigeren Zeiten zu fahren, bis dahin, ein gequältes: "Aus dem Weg ich muss kotzen!"
 
Zurück
Oben Unten