Skar schrieb:
... Ich werde versuchen jetzt nicht zu weit in Richtung der von mir zu sehenden Schwächen bezüglich der Arkanakarteninterpretierung abzuschweifen.
Gut, denn dazu hatten wir ja schon einen umfangreichen Thread hier:
Kritik am Arkana-System.
Skar schrieb:
Ich stimme zu, dass die d20-Regeln im Engelbuch lückenhaft und für nicht d20-Kenner sehr spärlich sind. Ferner stimme ich zu, dass nach d20 Einstiegscharaktere sehr schwach sind. Eine Charaktererschaffung auf Stufe 4 würde dort durchaus Sinn machen.
Wer noch das Dark Sun Setting für AD&D kennt: dort fingen die Charaktere mit 3. Level an. Es ist eben nur eine Frage des relativen Power-Levels von Engeln zum Rest der Welt. Dabei ist es für mich wichtig, daß die Darstellung der Kompetenz der Engel in den Kurzgeschichten, Bildern, Romanen, Ordensbüchern von einem generischen System wie d20 adäquat abgebildet werden kann. Die einfachste Methode dazu für Engel d20 wäre m.E. (aber natürlich nur aus dem Ärmel geschüttelt) eben den Start-Charakter-Level für Signums-Engel anzuheben.
Noch etwas zur adäquaten Abbildung: Im Gabrieliten-OB wird ja die letzte Prüfung eines Gabrielis-Postulanten vor seiner Weihe dargestellt: da muß er bei völliger Dunkelheit einen Traumsaatdämon besiegen. Wenn er dann nur die paar 1. Level Hit Points hätte und noch dazu die Abzüge wegen kompletter Dunkelheit auf seinen Angriff angerechnet würden, dann könnte sich die Kirche die Ausbildung von pro Jahr an die 2000 Gabrieliten sparen, dann kämen vielleicht 200 bei der Gabrielis-internen letzten Prüfung mit dem Leben davon, und bei einem Verschleiß von etwa 35% im ersten echten Einsatzjahr nach der Engelsweihe in Roma Aeterna, blieben VIEL zu wenig Gabrieliten übrig, um die übliche Scharbesetzung mit 5 Engeln zu ermöglichen. Dann wären nämlich nur 4 Engel (die allesamt natürlich auch Fallobst sind) ÜBLICH, weil Gabrieliten seltener als Sarieliten wären. - DAS meine ich mit nicht stimmiger Umsetzung des Engelhintergrundes nach d20-System. Das Regelsystem an sich hat damit nichts zu tun. Das wäre auch bei Engel GURPS ein Problem, wenn Signums-Engel mit zu wenig Charaktergenerierungspunkten erzeugt werden müßten, um überlebensfähig zu sein. Für meine Savage Worlds Adaption werde ich Signums-Engel auch nicht als Novice Rank starten lassen, sondern als Seasoned - einfach, weil so ihre gegenüber normalen Menschen allein schon wegen ihrer Mächte erhöhte Kompetenz besser abgebildet wird. (Oh, der nächste Punkt: die Mächte sind nach d20-System auch noch eine Baustelle. Aber dazu eventuell an anderer Stelle mehr...).
Skar schrieb:
Die Schwäche des Arkanasystems sehe ich allerdings dahingehend, dass Kämpfe zu harmlos verlaufen. Oder welches Ereignis/Karte lasst ihr für einen endgültigen Tod stehen?
Du kennst die Kämpfe in meinen Engel-Chroniken nicht. Ich habe noch NIE den Begriff "harmlos" in Zusammenhang mit Kämpfen und/oder Traumsaat in meinen Runden gehört.
Gewiß, die Engel sind gegenüber normalen Menschen sehr kompetent. Die Traumsaat aber auch. Und neben recht leichten Gegnern, wie den Maßwerksskarabäen, die zumindest einzeln kein großes Risiko für einen Engel darstellen, gibt es Traumsaat in allen "Kalibern". Aber was Traumsaat am gefährlichsten macht ist: Kooperation. Die Wesen arbeiten wohlkoordiniert zusammen, sind sich der Schwächen der Gegner (die ja bei weitem nicht immer nur Engel darstellen, sondern öfter normale Menschen oder gemischte Verbände sind) durchaus bewußt. So wohlkoordiniert muß eine Schar erst einmal aufeinander eingespielt reagieren können. Oftmals ist das nämlich nicht der Fall. Und - wie ja auch das Arkanum "Die Schar" als umgekehrte Bedeutung die Abkehr hat - ein isolierter Engel hat gegen eine Übermacht einfach KEINE Chance.
Wie aber spielt man so etwas nach Arkana-System, wo ich ja prinzipiell bei jeder Karte eine völlig positive Auslegung (außer beim "Herrn der Fliegen") schildern kann? Nun, man spielt es mit Verantwortung für die Geschichte. Die Verantwortung für die Gesamtgeschichte wird bei Engel nach Arkana-System von allen Spielern und dem Erzähler BEWUßT getragen. Bei sehr Regelmechanismen einsetzenden Systemen wird ein Teil der Verantwortung einem Mechanismus überlassen, der ab und an noch nach Zufallszahlen verlangt, aber trotzdem dem Spieler oder Spielleiter z.B. die Verantwortung für einen kritischen Fehler, der einem Gabrieliten nun sein Flammenschwert aus der Hand prellt, abnimmt. Da wurde eben "schlecht" gewürfelt. Das ist also keine BEWUßTE Entscheidung des Spielers des Gabrieliten-Charakters gewesen, daß er jetzt sein Flammenschwert verliert, sondern er nimmt passiv den Regelmechanismus, der mittels Zufallszahlen Entscheidungen erzeugt, Unsicherheiten beseitigt, in Kauf.
Dieselbe Szene nach Arkana-System kann resultieren, wenn der Spieler des Gabrieliten "Der Komtur" mit umgekehrter Bedeutung "Schwäche" zieht. Nur deutet das DER SPIELER SELBST und NICHT DER MECHANISMUS. Dabei ist der Spieler tatsächlich offen dafür zu sagen: "die Traumsaatkreatur offenbart mir ihre Schwäche mit einem gekonnten Hieb des Flammenschwertes zerteile ich sie in der Luft". Genauso kann es aber auch so ausgehen: "mein Hieb mit dem Flammenschwert war zu schwach, das Chitin des Dämons gibt nur wenig nach und wie eine Feder schnellt mir mein Flammenschwert aus der Hand und trudelt nach unten der Adria entgegen". Oder gar so: "ich kämpfe verbissen und voller Anspannung, diese Kreatur hatte schon meinen Bruder Vinuviel getötet, ich will, nein ich muß ihn rächen. Doch dabei habe ich mich zu sehr verausgabt. Meine Arme sind schwer. Ich fühle mich schwach. Zu schwach. Das letzte, was ich aus dem Augenwinkel sehe, ist eine riesige Kieferzange, die sich um meinen Kopf schließt."
Das Problem, das manche mit Arkana-Interpretation haben, ist eben, daß mit dem Zug der Karte anders als mit dem Würfelwurf der Ausgang der Unsicherheitssituation (und nur da muß man ja auch in d20 überhaupt würfeln) noch nicht entschieden ist.
Nach einem Würfelmechanismus überlege ich, welches Manöver, welche von einer ganzen Reihe vom Spielsystem vordefinierter Aktionen ich nun für meinen Charakter anwenden möchte (z.B. einen Angriff mit dem Flammenschwert). Dann füttere ich als Input eine Zufallszahl meines Würfels (z.B. ein Angriffswurf) und erhalte als Output ein z.T. sehr abstraktes Ergebnis (z.B. ob ich getroffen habe, je nach System auch gleich wieviel der abstrakten Schadenspunkte ich verursacht habe, etc.). Die Geschichte ergibt sich aus der Interpretation der Spielereinflußmöglichkeiten wie z.B. War das ein schwieriges Manöver?, der Resultate der Zufallszahlengeneration wie War das ein sehr hoher Wurf? und der sonstigen Regelmechanikfolgen wie Waren das mehr Schadenspunkte als das Wesen Hitpoints hatte?.
Engel nach Arkana-System ist eine sehr stark an Everway angelehnte Erzähl-Rollenspiel-Form. Was heißt das? - Nun, es wird bei Situationen, in denen eine Unsicherheit, wie es nun weitergehen soll mit der Geschichte, ein gewisser Entscheidungsmechanismus ausgelöst. Z.B. ein Gabrielit will eine Verderberlibelle mit dem Flammenschwert angreifen, die gerade seinen Bruder
Vinuviel getötet hatte.
- Da wird zum einen die Vorgeschichte berücksichtigt: Hatte dieser Gabrielit schon zig dieser Wesen vernichtet, oder ist das seine erste Begegnung damit? Hatte er schon einmal bewußt Samsons Haar (entdeckt ja die Schwachstellen des Gegners) auf Verderberlibellen angewandt? Ist er noch frisch oder schon tagelang im Feldeinsatz? Hat der Charakter Rachsucht oder Liebe zu Vinuviel als Charakterzüge entwickelt? Können ihn seine Emotionen bestärken oder hindern sie ihn?
- Dann ist insbesondere der Erzähler (bei Everway) aber auch der Spieler (explizit bei Engel so empfohlen) gefragt, wie der dramatische Verlauf der Situation nun seinen Gestaltungswünschen nach aussehen soll. Wäre es spannender, wenn der Gabrielit bei seiner Rache für die verlorene Liebe versagt und er dann noch mehr persönliche Schuldgefühle anhäuft. Oder soll er gewinnen, die Liebe zu Vinuviel und seine erfolgte Rache als Abschluß einer weiteren Prüfung auf Erden ansehen und sich neuem zuwenden? Möchte der Erzähler, daß der Gabrieliten-Charakter noch ein paar Spielsitzungen erhalten bleibt?
Wenn diese Fragen - wohlgemerkt noch OHNE Kartenlegung - ergeben, daß die Unsicherheit nicht mehr besteht, dann wird NICHT gezogen. Dann wird einfach das erzählt, was passiert. (In meinen Runden behalte ich mir für Ausgänge, die meinen Haupthandlungsbogen schrotten würden, durchaus das Veto-Recht vor. Jedoch ist meine Erfahrung inzwischen die, daß die Geschichten schöner und lebendiger, aber auch verworrener werden, wenn ich nicht allzuviel eingreife, sondern nur das weiterspinne, was sich die Spieler so ausgedacht haben.
Man denke nicht, daß diese Überlegungen ewig dauern! Der Spieler hat seinen Charakter eine Weile gespielt. Diese Fragen beantworten sich eher implizit, eher mit einem Bauchgefühl und über die eigene Schöpfungskraft, die ja in dieser Situation den weiteren Weg der Chronik beeinflussen kann.
- Wenn aber die Unsicherheit trotz "Karma" und "Drama" weiterbesteht, so werden Karten gezogen. Und hier kommt dann das Zufallselement, das "Schicksal" ins Spiel. Aber in ganz anderer Art, als man es beim Würfeln gewohnt ist.
Ich hatte anfangs gehört, daß es ja beim Arkana-System so sei wie beim Münzwurf. Er kann ja nur positiv oder negativ gezogen werden. Das Problem hatte sich mir nie gestellt (und ich kannte Engel bevor ich Everway kannte). Es heißt ja auch nur "aufrechte" oder "umgekehrte" Bedeutung des Arkanums, was eine innere Qualität des Arkanums in einer bestimmten Ausprägung darstellt. Beides kann positiv oder negativ ausgelegt werden. Und dann bleibt noch offen: für wen? Denn in Situationen, wo nur EINE Karte gezogen wird, kann der Spieler entscheiden, ob er sie auf seinen Charakter, oder auf die Umgebung bezieht. Z.B. Schwäche: sein Charakter zeigt eine Charakterschwäche oder eine echte körperliche Schwäche, aber auch: er fliegt in einen Strömungsabriß, der ihn ins Trudeln bringt, knapp unter dem Flammenstrahl eines Feuerkäfers durch, so daß ihm nichts passiert ist. Oder noch deutlicher: der Feuerkäfer wird durch eine Böe aus der Bahn gedrängt, da er kein starker Flieger ist (Schwäche! nun auf den Gegner bezogen) kann er den Charakter nicht angreifen.
Die Kartenlegung und -interpretation erfolgt immer im Gesamtkontext. Der häufigste "Fehler"(?), den Engel-Arkana-Anfänger machen, die aus reinen Würfelsystemen kommen, ist, jeder einzelne, feingranulare Aktion mit Karten "entscheiden" zu lassen. Das kommt m.E. daher, daß man es gewohnt ist, das System für sich einen Teil der Entscheidungen abnehmen zu lassen. - Nur nimmt einem das Arkana-System so angewandt nur sehr wenige der erwarteten Entscheidungen ab. - Ich handhabe es mit Engel-Einsteiger stets so, daß ich in den ersten ein,zwei Spielsitzungen noch recht oft die Karten bemühe, um ein wenig das noch vertraute häufige Zufallsbefragen zu bieten, bis jeder Spieler sein Glanzlicht hatte, seine coole Szene, die er völlig selbst gestaltet hatte. Man sieht es den Spielern an den Gesichtern an, wenn es "geschnackelt" hat. Dann sind sie wirklich "drin".
Skar schrieb:
Der damit verbundene Minderrespekt vor der Traumsaat führt eben nicht zu dem von mir angeführten Gottlosigkeitsgefühl bzw. Enttäuschung seitens der Charaktere.
Das Gottlosigkeitsgefühl würde ich aus dem Hintergrund von Engel viel eher in Zusammenhang mit den dubiosen Aktivitäten der Kirche und ihrer höheren Vertreter vermitteln wollen, als es rein auf die Besiegbarkeitsfrage von Traumsaatkreaturen zu reduzieren. Meine Engelspieler können sich in puncto Gewissenskonflikten und loose-loose-Situationen nicht beklagen. Die gibt es in Hülle und Fülle. Was sie zu Helden macht, ist aber nicht, ob sie Traumsaat erschlagen können, sondern, ob sie sich selbst treu sind, ob sie für sich die Wahrheit im Glauben entdeckt haben, auch wenn die Kirche verlogen ist, ob sie Erfolg damit haben den verängstigten und schwachen Menschen den Glauben wiederzugeben. Das ist für mich ein Kernkonflikt bei Engel. Das Gottlosigkeitsgefühl kommt nämlich zuerst bei den Menschen auf, die - wieder einmal wegen der "großen Politik" der Kirche - ohne Schutz Traumsaathorden ausgesetzt sind, denen die Kinder geraubt werden, die jeden Tag um ihre Existenz kämpfen müssen. Wenn Engel das miterleben, dann fragen sie sich - zumindest meiner Spielerfahrung nach - viel eher, was an dieser Welt kaputt ist, und ob das Töten von Traumsaat WIRKLICH die Schöpfung bewahren hilft.