Rezension Heredium - Grundregelwerk

Taysal

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Heredium


Grundregelwerk


„Heredium“ ist ein sogenanntes Endzeit-Rollenspiel, stammt von Adreas Schnell und wird vom 13Mann-Verlag publiziert. Das Hardcover kommt in einem schlichten schwarz daher, auf der Vorderseite prangt silbern das Logo des Spiels. Das sieht sehr edel aus und auch das große Gewicht des Buchs lässt auf einen opulenten Inhalt schließen. Zwei Lesebändchen und Hochglanzpapier. Die Innenseiten der Buchdeckel sind mit einer doppelseitigen vierfarbigen Karte der Spielwelt bedruckt. Sieht gut aus, aber es folgt die Ernüchterung. Der restliche Druck kommt grau in grau daher, wirkt lieblos schlicht und stellenweise verloren. Das liegt an dem ungenügenden Layout des Buchs, denn in diesem Punkt kann „Heredium“ mit einem einzigen Wort beschrieben werden: Platzverschwendung.

Das wirkt irritierend und ist auch unnötig. Jede Seite weist insgesamt drei Spalten auf, wobei die äußere Spalte einen grauen Seitenbalken darstellt, in dem vereinzelte Illustrationen oder Texte untergebracht sind. Oft wirken sie nur platziert, um die Leere gewollt zu kaschieren. Das sieht sehr unsauber aus. Hinzu kommt auch, dass die Spalten oftmals nur unnötig ausgereizt werden und sich schlussendlich auch im unteren Bereich des Buchs oftmals freier Platz befindet. Das alles fällt dem Leser sofort ins Auge, noch bevor der Text eine Möglichkeit hat für sich zu werben. Somit lenkt das Layout erst einmal vom Inhalt ab, was Schade ist. Denn der Inhalt hat es in sich.

Wir schreiben das Jahr 2190 AD. Die moderne Welt hat ihr Antlitz bereits verändert. Die Flora und Fauna ist mutiert, die Gesellschaft einem Wandel unterworfen. Um so dramatischer sind die Nachwirkungen einer Katastrophe, die als Mondfall bekannt wird. Zehn Jahre später – im Jahre 2200 AD – setzt das Spiel ein. Der Mondfall hat die Menschheit fast ausgelöscht, nur sechzig Millionen haben überlebt und versuchen eine neue Ordnung aufzubauen. Die Kontinente haben sich verändert und werden nun von neuen Machtgruppen dominiert. Hinzu kommt archaischer Glaube, mutierte Übermenschen, brutale Banden, intelligente Bestien und vieles andere mehr. Es ist ein bunter Endzeitspielplatz, auf dem sich die Spieler austoben können.

Um diesen Spielplatz zu erklären und zu zeigen, ist das Buch in zehn Kapitel gegliedert. Nach einer gelungenen Kurzgeschichte gibt es einen schnellen Überblick über das Spiel, einen Zeitstrahl und einen Glossar, in dem die wichtigsten Begriffe erklärt werden.

Das zweite Kapitel widmet sich vollständig den unterschiedlichen Zivilisationen. Zu denen gehören die Hezekieliten, Debellatoren, Raging Bull, Nordallianz und Temora. Jede dieser Zivilisationen besitzt eine eigene Identität und Untergruppierungen, die sich gut voneinander unterscheiden. Das wird durch passende Spielwerte und schicke Illustrationen unterstützt. Die Ansichten der Gruppierungen sind dabei oftmals so abweichend, dass innerhalb einer Spielgruppe und auch in ihrem Umgang mit der Spielwelt Konflikte vorgesehen sind. Diese offensichtlichen Reibungspunkte sorgen natürlich für Spielspaß, da die Welt und die Spielcharaktere ihre eigene, unverwechselbare Identität entwickeln. Leider wird dieser harte Endzeitstil aufgebrochen, da es auch die Nomaden gibt. Diese sind ein Vehikel, um sämtliche harten Vorgaben aufzuweichen und die Spieler doch an der eierlegenden Wollmilchsau arbeiten zu lassen. Schade, hier hätte sich „Heredium“ von den üblichen Spielen abheben können.

Kapitel Drei beschreibt nun die Landmasse der neuen Welt: Afrika, Nordamerika, Australien, Europa, Asien und Südamerika. Die Erde hat sich verändert, ist sehr lebensfeindlich und bietet den Überlebenden nur noch Oasen der Zivilisation, in denen ein halbwegs sicheres Leben möglich ist. Andreas Schnell, Alexander Malik, Daniel Mayer, Ulrich Schüppler und Frederik Gieschen haben hier einige wirklich spannende Örtlichkeiten entworfen, die Spaß auf mehr machen und Abenteuerideen forcieren. Sehr spannend ist dabei die Vorstellung, dass Gruppen außerhalb dieser Oasen stets in Gefahr schweben.

Diese Gefahr geht unter anderem von Randgruppen aus, mit denen sich das gesamte vierte Kapitel beschäftigt. Wahnsinnige, Intellektuelle, Kannibalen und viele mehr lauern irgendwo in der Außenwelt oder höhlt insgeheim die Gesellschaft aus. Auch das ist spannend inszeniert und macht Laune. Ebenso wie bei den großen Zivilisationen, gibt es auch hier harte Kanten und Widersprüche, die zum Spielen einladen und für knallige Konflikte sorgen. Es gelingt Schnell und seinen Kollegen bisher sehr gut die Atmosphäre der Spielwelt einzufangen.

Das fünfte Kapitel des Buchs wendet sich nun dem Regelkern des Spiels zu. Das System ist dabei ganz einfach. Jeder Charakter besitzt unterschiedliche Attribute, die einen Wert von Eins bis Vier aufweisen. Jeder Wert steht für eine Anzahl von Würfeln, die bei einem Aktionswurf gewürfelt werden. Auf den ermittelten Wert wird ein Fertigkeitswert von Null bis Sechzehn addiert und mit der Summe muss ein bestimmter Zielwert erreicht werden. Das ist einfach, allerdings läuft es auf ein wenig Rechnerei am Spieltisch hinaus, was stets eine Bremse im Spiel ist. Hinzu kommt auch eine kleine Tabelle. Mit ihr wird der Erfolgsgrad eines Aktionswurf abgelesen. Der ist zwar auch in leichten 3er-Schritten abzuleiten, aber dass müssen die Spieler erst einmal verinnerlichen. Genauso, wie der Spielleiter erst einmal die unterschiedlichen Zielwerte verinnerlichen muss. Diese reichen von Acht bis Sechsunddreißig. Mit der Übung kommt aber auch die Routine.

Sehr gelungen sind die Aspekte. Sie spiegeln die Persönlichkeit eines Charakters wieder und generieren Punkte, die eingesetzt werden können um die eigenen Würfel auf eine Sechs zu drehen, gegnerische Würfel auf eine Eins zu drehen oder die Sonderfähigkeiten der Debellatoren oder Hezeliekiten zu aktivieren. Die Aspekte im Buch sind dabei nur Vorschläge und können nach Belieben ausgebaut werden. Eine klasse Idee, um Spielmechanik und Rollenspiel miteinander zu verknüpfen.

Die Kampfregeln „Herediums“ fallen ziemlich knapp aus. Da Kämpfe in solch einem Setting eine zentrale Rolle spielen, gibt es immer etliche Sonderfälle, die hier aber einfach unter den Tisch fallen. Der Spielleiter muss nachbessern und auf die jeweilige Situation reagieren. Im Falle einer sozialen Konfrontation wird das von den Autoren auch empfohlen, anstatt passende Regeln vorzugeben.

Im Grunde wird bei einem Angriff das passende Attribut und die passende Fertigkeit gegen den passenden Widerstandswert des Verteidigers gewürfelt. Das ist einfach. Hierbei ist anzumerken, dass zwischen Nahkampf und Fernkampf kein großer Unterschied existiert, also ebenfalls gegen die Physische Verteidigung gewürfelt wird. Merkwürdig, denn gegen einen Schuss gibt es keine Verteidigung – höchstens Größe, Entfernung und Bewegung des Ziels. Darüber kann aber hinweggesehen werden. Überhaupt sollte der Abschnitt über den Kampf wohlwollend betrachtet werden.

Die Charaktererschaffung selbst findet auf eineinhalb Seiten statt, ist kurz und bündig. Wer möchte kann auch erfahrene Charaktere erstellen, darauf wird ebenfalls knapp eingegangen. Anschließend folgt eine Auflistung der Vorteile und Nachteile, mit denen ein Charakter versehen werden kann.

Im sechsten Kapitel kümmern sich Andreas Schnell und seine Mitautoren um die Paranorm seines Rollenspiels. Hier werden die Wunder der Hezekieliten aufgeführt, die Kräfte der Debellatoren, die Mutationen den Raging Bull, die Ektoware der Nordallianz und die Stimulanzien aus Temora. Also, im Grunde hat so jede Zivilisation paranormale Möglichkeiten und das Spiel driftet leicht in die Schiene Endzeit-Fantasy ab. Immerhin glauben die Hezekieliten ja von sich selbst, sie würden Wunder wirken – was schlussendlich ein Trugschluss ist.

Nun packt Kapitel Sieben den Katalog aus – Ausrüstung! Hier gibt es den üblichen Kram und somit ein Sammelsurium an Waffen, Rüstungen, Munition und Ausrüstung. Bei soviel Waffengewalt hätten die Kampfregeln wirklich etwas umfangreicher ausfallen können. Die vielen Illustrationen – vor allem der Waffen – sind von durchschnittlicher Qualität. Dafür fängt die Ausrüstung den stellenweise archaischen und dann doch wieder technologischen Charme von „Heredium“ gut ein.

Kapitel Acht behandelt die Lebewesen, die das Spieluniversum bevölkern. Erst einmal wird detailliert auf die Naoh-Mutationen eingegangen, die bereits vor dem Mondfall stattfanden und die Tiere in gefährliche Bestien verwandelten. Der Hintergrundtext ist gut geraten, leider lässt er passende Regeln vermissen, um diese Mutationen einfach auf ein passendes Tier anzupassen und damit die Spieler zu überraschen.

Bei den Menschen des „Heredium“-Universums sieht die Sache ganz anders aus. Hier gibt es neben den Hintergrundtexten auch die passenden Werte der Archetypen, um schnell eine unterhaltsame Begegnung zu stricken. Anhand der Beispiele wird deutlich, dass „Heredium“ kein Spiel ist, bei dem schnell und problemlos Spielleitercharaktere aus dem Ärmel geschüttelt werden können. Ein wenig Vorbereitung ist schon von Nöten. Das gelingt mit den vorgefertigten Charakteren recht einfach.

Außerdem werden etliche Kreaturen aufgeführt, die über die Spielwelt ziehen. Es handelt sich dabei um mutierte Tiere, die sehr gefährlich sind. Leider ist die Auswahl an Kreaturen recht gering und lässt einige Lücken. Hier wären mehrere spezielle Bestien nett gewesen, die keine Mutation, sondern eine neue Art darstellen. Merkwürdig ist auch, dass im Kapitel erneut auf die Geografie und die Landmassen eingegangen wird. Dadurch wirkt das Buch leicht unstrukturiert, da auf das Thema bereits zuvor eingegagngen wurde. Zu allem Übel wiederholen sich einige der Informationen noch. Das ist nun kein richtiges Problem, bläht das Buch aber unnötig auf. Dadurch und durch die Platzverschwendung im Layout ist das Hardcover dicker als es sein müsste – und wiegt mehr als wirklich nötig. Für Leute, die ihr Buch gerne in der Hand halten, ist es auf Dauer einfach zu viel Gewicht.

Für Spielleiter ist das neunte Kapitel gedacht. Hier dreht sich alles um Abenteuer und Kampagnen, wie die Gruppen in „Heredium“ funktionieren, wie Bedrohungen gestaltet werden und wie Charaktere sich weiterentwickeln. Mit weniger als dreißig Seiten ist das Kapitel ein wenig kurz geraten und richtet sich an erfahrene Spielleiter, die zu Improvisieren wissen und Mut zur Lücke haben. „Heredium“ ist ein Kandidat für Hausregeln.

Bei der Erfahrung der Charaktere und deren Entwicklung geht das Spiel von einer Spielsitzung aus, die im Schnitt ein bis vier Stunden dauert. In dieser Zeit können ein bis fünf Erfahrungspunkte vergeben werden, für die dann Steigerungen zu erwerben sind. Die Vergabe der Punkte bestimmt alleine der Spielleiter und er muss bei einer Steigerung auch zustimmen, ob er diese zulässt. Das System ist recht einfach und entspricht dem üblichen Standard. Witzigerweise findet sich hier im Kapitel eine Auflistung von Widersachern und normalen Tieren. Diese Angaben hätten thematisch besser ins Kapitel über Lebewesen gepasst, um alles auf einen Blick zu haben.

Das zehnte und abschließende Kapitel ist dem Abenteuer „Mondsplitter“ gewidmet, an dem vier bis sechs Charaktere teilnehmen können. Es handelt sich dabei um das übliche Schatzsuche-Thema mit Verwicklungen. Das Abenteuer ist zwar unterhaltsam, aber auch austauschbar, da kein echter Bezug zur Spielwelt existiert. Für den Einstieg ist „Mondsplitter“ dennoch passend, da hier niemand überfordert wird.

Es folgt noch ein Anhang, der die wichtigsten Tabellen des Buchs zusammenfasst. Dann gibt es einen Index und ein Nachwort von Andreas Schnell, in dem er einigen Leuten und seiner Familie dankt. Fertig!

Das Hardcover ist stabil gestaltet und die beiden Stofflesebändchen erleichtern das Nachschlagen ungemein. Vor allem während der Spielsitzung sind sie sehr hilfreich. Hintergrundtexte und Regeltexte lassen sich flüssig lesen und sind leicht verständlich. Auf Grund von einigen Lücken in den Kampfregeln und dem eher kleinen Spielleiterkapitel, richtet sich „Heredium“ an erfahrene Spielleiter. Die Regeln selbst sind jedoch verständlich und schnell verinnerlicht. Dadurch haben vor allem Spieler einen raschen Zugang. Sehr gut gelungen ist die Einbettung der Aspekte ins Regelsystem und auch die Beschreibung dieser Endzeitwelt macht große Laune. „Heredium“ ist ein unterhaltsames Rollenspiel mit einigen kleinen Schwächen, die bei einem ambitionierten Spielleiter kaum ins Gewicht fallen und die Spieler nur selten bemerken. Auf jeden Fall eine Empfehlung für Freunde des Endzeit-Rollenspiels!

Andreas Schnell, Alexander Malik, Daniel Mayer, Ulrich Schüppler, Frederik Gieschen
Heredium
Grundregelwerk

13Mann Hardcover mit zwei Lesebändchen (2008)
416 Seiten; ISBN 3981171896
Artwork: Lukas Frese, Tobias Frank
13Mann Neuigkeiten - 13Mann Verlag
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LUKAS FRESE | ILLUSTRATION

Copyright © 2009 by Günther Lietz

Diese Rezension erschien zum Zeitpunkt des Eintrags ebenfalls auf Taysal.net und Buchrezicenter.de.Den Artikel im Blog lesen
 
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