AW: Alte Säcke und frischer Wind
Nun ja, "eingefahrene" (die Anführungszeichen deuten bereits auf die Relativierung des negativ behafteten Begriffs hin) Strukturen sind nicht immer ein Nachteil. Ich persönlich habe sie erlebt und halte sie nicht zwangsläufig für schlecht.
Sicherlich, in gewisser Hinsicht bedeuten sie eine Art von Stillstand, aber ich habe es so gehalten, daß ich es als ein Kriterium der "Sicherheit" angesehen habe, will sagen: Da weiß man, was man hat. Solche Muster ergeben sich im Laufe der Zeit zwangsläufig, da sich mit fortschreitender Zeit die Präferenzen der Spieler herauskristallisieren und zugleich zu einer "Perfektionierung" führen, d.h. die Spieler, die stets die gleichen Stereotypen präsentieren, wissen in der Regel was sie tun und liefern dadurch rollenspielerisch wertvolle Beiträge zum Bild der Gruppe.
In unserer WoD-Runde war dies z.B. der Fall. Einer spielte immer die physisch/kämpferisch gewichteten Charaktere, der nächste tendierte in Richtung "Brainiac", der dritte fand seine Berufung in den "Sonderlingen", während der vierte stets die "tricky/sneaky/rogue-like" Charaktere bediente. Und allesamt lieferten sie ansprechendes Rollenspiel ab, da sie in ihrem Schema dergestalt behaftet waren, daß sie solche Charaktere im Schlaf beherrschten.
An solch "mangelndem Willen zum Ausprobieren anderer Dinge", konnte ich stets den höchsten Spielgenuß festmachen, da
1) jeder das spielte, was ihm auch wirklich Spaß machte und
2) das, was man sich zusammenspielte, "fundiert" und "aus Erfahrung" heraus präsentiert wurde.
Dies führt letztlich dazu, daß sich der Spielspaß und auch der Spielfluß maximieren, da niemand "Repressalien" á la "Heute spielt jeder mal das, was er noch nie gespielt hat, weil das ne neue Herausforderung ist" erfahren mußte, sondern das tun konnte, was ihm am Herzen lag: Sich in seinem charakterlichen Habitat wiederfinden, ausleben und Spaß dabei haben.
Darüberhinaus ist natürlich folgender Punkt zu berücksichtigen: Wie ist die Runde bzw. wie sind ihre systematischen Präferenzen strukturiert? In der Regel ist es doch so, daß sich eine Runde (die Runde in ihrer Gesamtheit, nicht einzelne Teile davon sind hier entscheidend!) irgendwann nach einer mehr oder minder ausgeprägten Findungsphase für ein System entscheidet. Dieses wird zum Stammsystem mit der höchsten Spielfrequenz gekürt. Somit ist es nur logisch konsequent und natürlich, daß es zu einer Art Stagnation kommt, denn wie hoch auch die Experimentierfreude (selbst innerhalb desselben Systems) ausgeprägt sein sollte, man hat gewissermaßen seine "Stammrunde", die aufgrund der allgemeinen Beliebtheit bei jedem der Partizipierenden schlicht am häufigsten gespielt wird, so daß die charakterliche Monokultur der Spieler zwangsläufig auftritt. Es gibt nun einmal "die eine Gruppe (tm)" und diese steht über allem.
Dies ist nun natürlich erst einmal ein Plädoiyer für das Kultivieren solcher Prozesse. Allerdings ist die Sache nicht ganz so unkompliziert bzw. unterliegt gewissen "Rahmenbedingungen", wenn man sie, so wie oben beschrieben, erfahren will.
Ist es wie oben beschrieben, daß es diese eine Stammgruppe innerhalb des Systems gibt, dann ist "Eingefahrenheit"
1) vorprogrammiert und somit
2) nicht negativ behaftet, da es für Kontinuität, gemeinschaftlich und gesamtheitlich als "unterhaltsam und befriedigend" wahrgenommen, sowie, im Laufe der Zeit, qualitativ ansprechendes/wertvolles Rollenspiel steht.
Kurz gesagt: Unter solchen Rahmenbedingungen ist Stagnation = Spielspaß = positiv und kultivierungswürdig.
Welche Faktoren sprechen nun gegen die Kultivierung und für das Aufbrechen der eingefahrenen Strukturen? Zahlreiche, denn das oben beschriebene Modell setzt gewissermaßen einen "close-to-perfection-status-quo" voraus:
Man hat einen SL mit seinem Stil. Man hat Spieler, die über ein Mindestmaß an Kompetenz und Entwicklungsfähigkeit (bezogen auf ihre rollenspielerische Leistung) verfügen, man hat ein System gefunden, dem man sich so sehr verbunden fühlt, daß man mindestens 50% der gesamten Rollenspielzeit darauf verwendet und man hat die Möglichkeit sich ohne Repressalien auf das "zu stürzen", was einem Spaß macht, wonach es einen verlangt.
Sind diese Punkte nicht gegeben, so wird aus der Stagnation schnell Langeweile und dann Frust. Sei es, weil zwischen SL und Spielern andere Systempräferenzen liegen und es so immer zu Kongruenz-Reibereien kommt ("Ihr wollt ein beat'em-up-setting? Schade! Ich will Rätsel, also: Pech gehabt, ihr Kampfschweine"), sei es, weil Spieler auf eine Rolle festgefahren sind, die sie nicht beherrschen (nicht in 1000 Jahren und mehr), oder sei es, weil man sich auf keine Systempräferenz hat einigen können und somit zig Klone der jeweiligen Charaktere durch die verschiedenen Welten huschen, so daß man ein halbes Dutzend Male das altbekannte Dejá-vu-Gefühl hat.
Was also dagegen tun?
Ich denke, daß es da folgende Möglichkeiten gibt:
1) die subtile Lenkung durch den SL
Vor Beginn einer Kampagne kann sich der SL, der seine Spieler dazu natürlich gut genug kennen und einschätzen können muß, Gedanken darüber machen, welchen Typ Charakter er gerne einmal von welchem Spieler präsentiert haben möchte. Dies kann er ihm dann in einem persönlichen Gespräch möglichst schmackhaft machen und ihn evtl. auch bei der Charaktererstellung unterstützen (was dem SL zusätzlich die Möglichkeit eröffnet, sehr subtile Lenkung der Entwickllung seiner Runde auszuüben).
2) der Wechsel des Sytems
Durch einen Systemwechsel, der mehr als ein testweiser One-Shot werden soll, kann man die Spieler möglicherweise zum Umdenken bewegen. Wenn man nach x Jahren Fantasy auf Sci-Fi umsteigt reicht vielleicht schon das Einlesen ins neue Setting, um ein Umdenken der Spieler zu erreichen. Ansonsten bleibt immer noch Punkt 1
Dies waren die Punkte bezüglich eingefahrener Charakterkonzepte. Was aber, wenn die Settings durch den SL so vorhersehbar geworden sind, wie daß nach der 1 nunmal die 2 kommt? Hier gibt es 3 Ideen, auch wenn die dritte extrem und nicht massenkompatibel ist.
1) Wechsel des Systems
Ganz einfache Rechnung: Neues System = neues Prinzip = neuer Ansatz = neue Ideen = neues Spielkonzept
2) neuer SL
Dies geht in der Regel mit einem neuen System einher, aber auch innerhalb desselben Systems ist das natülich möglich und hier gilt dann "neue Besen kehren gut", soll heißen: Neuer SL = neue Ideen = neue Herangehensweise an das Spiel
3) Hot-Seat SL
Diese Variante ist vermutlich die interessanteste Methode, um eingefahrene Muster seitens der SL aufzubrechen, allerdings braucht es dafür zwei Dinge: fähige Gruppenmitglieder und gute Konzentrationsfähigkeit (oder wahlweise ein schnelles und übersichtlich strukturiertes Notizsystem)
Die Idee ist folgende: Der SL beginnt das Abenteuer und (entweder nach einer bestimmten Zeit, oder nach einem szenischen Schnitt) gibt er das Ruder der SL an einen der bisherigen SC's weiter, der von da an im zeitlich definierten Rahmen weiterleitet.
Das ganze klingt zunächst nach Konfusion und nicht sehr spielbar, doch wenn die Gruppenmitglieder alle bei der Sache sind, dann wird es ein Heidenspaß und vor allem durchaus ein Quell der Inspiration bezüglich neuer Ansätze, da es quais einer Art Rollenspielpräsentations-Brainstorming gleichkommt