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Die Tür zu der Wohnung ließ sich problemlos öffnen. Auf den ersten Blick schien nichts verändert zu sein.
Ihm war etwas mulmig zumute, doch das schob er weg. Er suchte eilig nach einem Briefumschlag. Schon bald fand er ihn. Darin war etwas Bargeld und eine Kreditkarte. Die Karte hatte er schon ganz vergessen. Die nutzte er so gut wie nie. Damit Bargeld abheben (bis 500 Euro auf einmal war möglich) kostete 12 Euro Gebühr, total der Wucher, aber was machten im Moment schon diese 12 Euro großartig aus.
Miguel griff nach seinem Lederblouson, zog ihn an, steckte das Geld und die Kreditkarte in die Innentasche und ging wieder nach draußen.
"Wieviel schulde ich Ihnen also jetzt insgesamt?" fragte Miguel den Taxifahrer.
Dann sah er sich nach seinem Ferrari um, erblickte diesen und sah dann, dass der rechte Seitenspiegel fehlte.
„Verdammt! Jemand hat mein Auto beschädigt!“
Er sah sich die Bescherung genauer an. Jemand hatte offenbar den Seitenspiegel abgeschlagen. Ob man das wohl reparieren konnte? Fragen kostete nichts. Aber Autowerkstätten hatten nur tagsüber geöffnet. Er hielt Ausschau ob er den Spiegel irgendwo sah. Doch er fand ein paar Meter entfernt nur die zersplitterten Reste.
Dann sollte er wohl doch etwas freundlicher zu Dr. Schlesinger sein und ihn jetzt nicht abservieren. Denn dann würde er vielleicht Miguel ein paar Gefälligkeiten erweisen. Es konnte immer wieder vorkommen, dass er jemanden brauchte, der tagsüber etwas erledigte.
Miguel ging auf Dr. Schlesinger zu und lächelte ihn an.
„Dr. Schlesinger, haben Sie morgen schon was vor? Vielleicht wären Sie so freundlich und würden mein Auto in die Werkstatt bringen? Irgendein Randalierer hat einen Seitenspiegel abgeschlagen.
Ich will Ihnen lieber nicht zumuten mit in die Wohnung zu kommen. Aber ich müsste nur eben noch kurz von dort ein paar Kleidungsstücke holen. Sie können sich solange ruhig schon mal in den Ferrari setzen."
„Das werde ich doch gern für Sie erledigen,“ hörte Dr. Schlesinger sich sagen und wunderte sich warum er bloß derart beflissen war die Wünsche des Spaniers zu erfüllen.
„Ich habe tagsüber mehr als genug Zeit. Man wird wahrscheinlich ein Ersatzteil bestellen müssen, einen neuen Rückspiegel, das könnte dauern.
Ja, ich bevorzuge es, hier zu warten wenn Sie in die Wohnung gehen.“
„Hm, dann lassen Sie das Auto am besten nicht in der Werkstatt, denn ich werde es brauchen. Es reicht sicher, wenn dort erstmal der Schaden begutachtet wird, und wenn das Ersatzteil geliefert wird, dann wird man Ihnen Bescheid sagen und Sie können dann das Auto dort hinfahren.
Ich hole also nun ein paar Sachen aus der Wohnung, bis gleich.“
Miguel ging zurück in die Wohnung und kämpfte gegen die Übelkeit an, die in ihm hochstieg. Lange wollte er sich hier nicht aufhalten, soviel war sicher.
Selbst wenn Antonia nichts dagegen hätte wenn er weiter dort wohnte und wenn er nicht laut Anweisung der Geissel vorläufig im Hotel wohnen müsste, er wollte auf keinen Fall auch nur einen einzigen weiteren Tag oder Nacht in dieser Wohnung verbringen. Er würde ohnehin nicht vergessen können was geschehen war, aber ganz bestimmt wollte er nicht durch den Anblick des Tatorts jede Nacht derart deutlich daran erinnert werden.
Er griff sich eine große Reisetasche und nahm dann aus seinem Kleiderschrank etliche Kleidungsstücke und packte sie in die Tasche. Sonst noch was? Mal sehen, vielleicht war ja Lucias Handy noch irgendwo hier in der Wohnung. In dem verwüsteten Raum fand er es tatsächlich. War da nicht zumindest die Nummer von Romero abgespeichert? Tatsächlich. Gut. Wenigstens etwas.
Miguel entschloss sich einen kurzen Brief an Antonia zu schreiben. Anrufen konnte er sie ohnehin nicht, da er ihre Nummer nicht mehr hatte.
Er setzte sich an den Schreibtisch und nahm ein Blatt Briefpapier und einen Briefumschlag aus der Schublade. Und was schrieb er jetzt? Als ob er ein guter Briefeschreiber war. Na ja, fasste er sich eben kurz. Ausschweifend zu erzählen war nicht das geringste Problem für den Spanier, aber lange Briefe zu schreiben, das war eine ganz andere Sache.
Jetzt saß er also vor dem leeren Blatt Papier und überlegte krampfhaft wie er sich ausdrücken sollte. Es fing ja schon mit der Anrede an. „Liebe Antonia“, das hörte sich irgendwie so sülzig an. Schrieb er also besser „Hallo Antonia“.
Oder vielleicht wollte sie jetzt wieder von ihm gesiezt werden? Es war wohl eher so, dass sie kein einziges Wort mehr mit ihm wechseln wollte, so sah es doch aus.
Hallo Antonia,
schriftlich kann ich mich nicht besonders gut ausdrücken, daher fasse ich mich kurz.
Wahrscheinlich hast Du schon erfahren was unten in der von mir gemieteten Wohnung geschehen ist. Ich werde Dir das Ganze aus meiner Perspektive erläutern falls Du daran Interesse hast. Wenn Du aber mit mir rein gar nichts mehr zu tun haben willst kann ich das verstehen.
Falls ich in dieser Stadt bleibe nach meiner Bestrafung durch Herrn Dargol (die am 30.04. stattfinden wird), werde ich mir so schnell wie möglich eine neue Wohnung suchen. Im Moment wohne ich auf Anordnung der Geissel im Hotel Privilegio.
Wenn Du es wünscht schreibe ich eine offizielle Kündigung, und jedenfalls werde ich bald aus der Wohnung raus sein, und dann kann Klaus sie weitervermieten noch bevor die drei Monate Kündigungsfrist vorbei sind. Der Boden müsste wahrscheinlich noch besser gereinigt werden.
Mein Handy hat Herr Dargol einbehalten, daher bin ich nur über das Handy von Lucia zu erreichen, das ich in der Wohnung gefunden habe.
Alles Gute,
Miguel
Miguel las sich den Brief noch mal durch, schrieb noch Lucias Handynummer mit dabei, faltete das Blatt zweimal und steckte es in den Briefumschlag. Auf den schrieb er dann „An Antonia“. Und jetzt bloß weg hier.
Er schloß die Wohnungstür wieder ab, ging die Treppe hoch bis nach ganz oben und schob den Brief unter Antonias Tür durch. Dann beeilte sich Miguel aus dem Haus rauszukommen.
Er öffnete eine Hintertür seines Ferraris, warf die Tasche auf den Rücksitz und setzte sich auf den Fahrersitz.
„Kein Problem“, anwortete Dr. Schlesinger bevor der Toreador ging.
Der Doktor setzte sich auf den Beifahrersitz und wartete und wartete. Was machte der Spanier denn so lange da drin? Hatte er nicht gesagt er geht nur kurz rein?
Dr. Schlesinger rutschte unruhig auf dem weichen Lederpolster hin und her.
Es war ihm noch immer äußerst unwohl dabei in so großer Nähe des Tatorts zu sein. Würde der Spanier doch endlich zurückkommen.
Dann sah er plötzlich den abgetrennten Kopf seiner ehemaligen Herrin vor sich und schloss die Augen. Er wollte diese Bilder nicht mehr sehen, warum konnte das nicht endlich aufhören! Da war er froh um jede Ablenkung.
Wie erleichtert war er als der Toreador zurückkam.
Miguel fuhr los. Ohne Führerschein zu fahren barg natürlich ein gewisses Risiko, aber das musste er eingehen.
„Habe zum Glück eine Kreditkarte in der Wohnung gehabt, damit werde ich mir also jetzt etwas Geld ziehen, und dann werde ich noch den Wagen voll tanken. Und dann - schauen ob der Jaguar noch bei der Glasschmelze steht.“
Er hielt also bei einem Geldautomaten und zog sich 500 Euro aus dem Automaten. Dann fuhr er auf eine Tankstelle und machte den Tank voll. Schließlich ging es weiter in Richtung Kunstakademie.
Während der Toreador tankte war jedoch plötzlich jegliche Sympathie für ihn wie weggeblasen. Wie hatte Dr. Schlesinger sich bloß dazu verleiten lassen, diesem jungen Schnösel zu versprechen das Auto in die Werkstatt zu bringen?
Aber versprochen war versprochen, er war gewiss nicht jemand der dann plötzlich sagte er macht es doch nicht.
„Ich – also ich habe nicht wirklich nachgedacht, ich habe in Panik gehandelt. Ich habe noch nie etwas gestohlen, und natürlich erhalten Sie das Auto jetzt zurück. Entschuldigen Sie vielmals.
Ja, ich war es, der in der Wohnung schnell den Boden gesäubert hatte. Die Überreste ihrer Herrin und das Kleid hatte ich in den Kofferaum des Jaguars geschafft, und auch die Leiche von Lucia.“
Miguel stieg aus.
Ob die Leiche noch im Jaguar war? Zumindest konnte er keinen Leichengeruch feststellen. Miguel schloss also den Kofferraum auf und öffnete ihn. Darin war alles leer und blitzblank.
Dr. Schlesinger verzog angewidert das Gesicht. Wenn die Leiche noch immer dort war, was wäre das für ein höllischer Gestank! Und dann wäre das Auto praktisch unbenutzbar.
Auch Dr. Schlesinger stieg aus. Bisher konnte er nichts riechen, auch nicht als der Spanier den Kofferraum öffnete. Er war leer.
„Ich hatte Herrn Romero Bescheid gesagt, dass die Leiche dort drin ist, da hat er wohl jemanden vorbeigeschickt, der sie entsorgt hat.“
Miguel überreichte Dr. Schlesinger die Autoschlüssel des Jaguars.
"Was Ihre Herrin angeht, ihre Vernichtung werde ich natürlich nie wiedergutmachen können. Am 30. April erhalte ich durch die Geissel eine Bestrafung. Wahrscheinlich wird mir von der Sonne etwas weggebrannt.“
Zeigte der Toreador tatsächlich so etwas wie Reue?
Dr. Schlesinger nahm die Schlüssel entgegen.
„Danke.
Ich soll auch durch die Geissel bestraft werden, aber am 1. Mai bei der Hochzeitsfeier. Auf welche Art weiß ich nicht. Bis dahin soll ich im Hotel wohnen bleiben. Ich darf mich in der Domäne frei bewegen, nur in Ventruegebiet darf ich nicht, und ich darf auch keinen Ventrue kontaktieren. Ich musste der Geissel meine Geldbörse und meine Papiere geben, und auch mein Handy.“
„Ach, Sie auch? Auch mir hat die Geissel Geldbörse, Papiere und Handy abgenommen.“
Miguel holte sein soeben abgehobenes Geld hervor und gab Dr. Schlesinger 200 Euro. Geizig war der Spanier noch nie gewesen. Er mochte zwar Dr. Schlesinger nicht, aber er war sozusagen Leidensgenosse was die Geissel anging.
„Hier, nehmen Sie. Damit Sie nicht völlig ohne Geld dastehen. Aber warum sollen denn Sie bestraft werden? Sie haben doch nichts Schlimmes getan, oder?“
Dr. Schlesinger nahm das Geld dankend an. Er war einigermaßen überrascht, dass der Spanier ihm Geld gab.
„Oh, die Geissel findet aber, dass ich etwas Schlimmes getan habe."
Was der Doktor noch immer nicht nachvollziehen konnte.
"Ich sei geflohen, ich sei eine Schande für Clan Ventrue. Doch ich wollte nur nach Köln zurückfahren, wo ich 100 Jahre gewohnt habe. Ach Köln. Wäre meine Herrin doch in Köln geblieben. Dort herrschen die Ventrue, dort ging es uns gut.“
Dr. Schlesinger wurde von Wehmut und Sehnsucht gepackt.
„Hm, ich werde wohl auch zurückfahren. Haben Sie sich den Weg gemerkt? Ansonsten fahren Sie einfach mir hinterher, ich habe so ein Navigationsgerät. Was ist denn eigentlich Ihre Zimmernummer?“