[22.08.2008]: Anruf aus Turmstadt

Kappadozius

Vorsintflutlicher
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– † –

Die angenehme Ruhe und Stille der Räumlichkeiten wurde plötzlich von einem ungewohnten Klingeln gestört. Das hässliche grüne Telefon mit der Wählscheibe verlangte mit seiner schrillen Kakophonie ohne Umschweife nach der Souveränin von Finstertal, denn es war mitnichten Teil des Sekretariats, sondern hatte seinen eigenen Ehrenplatz im Buchets Büro. Nur wenigen war seine Bedeutung bekannt und jene, die darum wussten, nannten das veraltete Ding im Scherz auch gerne das grüne ›Maskerade‹-Telefon. Das der scheußliche Apparat gerade jetzt so munter vor sich hin klingelte, war selbstverständlich alles andere als ein Zufall!

Schließlich nahm jemand das Gespräch entgegen und durch den Hörer ertönte eine angenehme, wenngleich befehlsgewohnte Stimme einer Frau mit einem ganz leichten italienischen Akzent:

»Bonam noctem! Rosselini am Apparat. Spreche ich mit dem Repräsentanten der Stadt Finstertal?«

Da anzunehmen war, dass sich ausschließlich Magdalena ›Lady Noir‹ Buchet wohl am anderen Ende der Leitung befinden müsse, fuhr Frau Rosselini ohne Umschweife fort:

»Hoffentlich rufe ich nicht gerade in einem ungünstigen Moment an, doch es ist mir ein inniges Bedürfnis Ihnen zu Ihrer Amsteinführung persönlich zu gratulieren. Sie haben es wirklich weit gebracht und nun haben Sie die gefährlichste und zugleich undankbarste Position im großen Uhrwerk unserer Gesellschaft, welche man sich ausmalen kann. Jeder wird nun sein Augenmerk auf Sie richten, denn der große Stundenzeiger gibt stets den Takt vor, doch die kleinen Zeiger stehen natürlich niemals still. Sie sollten wissen, dass ich mich mit Ihrem Vorgänger vortrefflich verstanden habe und sein Andenken möchte ich ehren, indem ich es mit Ihnen genau so halte. Wenn Sie also jemals das Gefühl haben sollten, dass Ihr Uhrwerk etwas geölt werden muss, dann zögern Sie bitte nicht und zählen Sie auf meine Hilfe, Frau Buchet.«
 
Das Prinzentelefon. Oliver hatte es stets so genannt, weil nur die Prinzen und wichtigen Amtsinhaber der umliegenden Städte diese Nummer kannten. Ihr mittlerweile verstorbener Gatte hatte großen Wert darauf gelegt schon vor dem Telefonat zu wissen, mit wem ungefähr man es zu tun hatte. Lena musste eingestehen, dass dieses Vorgehen praktisch war. Innerlich wappnete sie sich vor dem folgenden Gespräch, bereitete sich innerlich vor und hob dann den Hörer ab.

"Akademie der feinen Künste zu Finstertal!", ließ sie mit professioneller Stimme vernehmen. Wie immer wurden ihre Worte von Höflichkeit und einem äußerst angenehmen Timbre getragen. Die übliche Begrüßungsformel, bevor sie allerdings ihren Namen und ihren Titel vortragen konnte erklang bereits die Stimme der Anruferin. Frau Rosselini also, die Prinz von Turmstadt.

Wie interessant!

"Sie sprechen mit Frau Magdalena Cruiz, Prinz der Städte Finstertal und Burgh, sowie Ahn der Toreador. Ganz recht. Es freut mich von Ihnen zu hören, Frau Rosselini."

Ein Hilfsangebot, dass kam tatsächlich überraschend. Lena hätte gewettet, dass Turmstadt wie alle anderen Städte auch, eher auf Abstand zu Finstertal gehen würde. Es hatte viel Ärger gegeben an der Finster. Archonten waren eingesetzt worden, Prinzen und Ahnen fanden einen brutalen Tod und besonders der Clan der Ventrue hatte erschreckend viele Tote aus den höchsten Reihen zu beklagen. Lena entschied vorerst vorsichtig zu bleiben.

"Vielen Dank für das freundliche Angebot. Und nur zur Beruhigung, Sie stören überhaupt nicht. Im Gegenteil, ich freue mich sehr über Ihren Anruf. Wir haben dramatische Nächte hinter uns gebracht, große Verluste erlitten und noch mehr erreicht. Der Rücktritt meines Mannes und seine Entscheidung sich auf unbestimmte Zeit zur Ruhe zu begeben, waren indess ein schwerer Schlag für mich. Natürlich ehrt mich das Vertrauen, dass man mir entgegen bringt, doch wenn ich ehrlich ist es gleichzeitig doch auch eine Bürde der man sich erst einmal stellen muss. Hilfsbereits Nachbarn wie Sie es einer sind, können einem dabei einen Teil der Last von den Schultern nehmen."

Jedes einzelne Wort der Monarchin klang angenehm und aufrichtig.

"Wie ist das werte Befinden Ihrerseits? Ich hoffe, in Turmstadt geht alles seinen geordneten Weg?"
 
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– † –

»Entschuldigen Sie bitte: Soll ich Sie lieber mit ›Frau Cruiz‹ ansprechen? — Ja? — Na schön.«

Nach einer kaum merklichen Pause fuhr Frau Rosselini fort:

»Mein aufrichtiges Beileid ob des Verlustes Ihres Gatten. Sicherlich fällt es Ihnen nicht leicht aus dem Schatten eines solch bemerkenswerten Mannes heraus zu treten; dessen ungeachtet genießen Sie bereits jetzt mein vollstes Vertrauen sich bald einen eigenen Namen in unserer illustren Gesellschaft zu machen. Und vielen Dank der Nachfrage, mir geht es gut. Kein Grund zu Klage. Was Turmstadt betrifft, kann ich nur sagen, es wächst und gedeiht wie ein aufgeblähter, aufgedunsener Leichnam in einer schwülen Sommernacht. Ein wahres Fest für die Maden. Der pompöse Reichtum dieser Stadt lockt Besucher aus aller Herren Ländern an, wie der süße Verwesungsgeruch die Fliegen zu Leiche. Bei einer Megalopolis dieser Größe hat sich schon so mancher Gourmet versucht daran satt zu fressen, doch letzendlich mussten sie alle kapitulieren, weil ihnen die ambitionierten Pläne irgendwann plötzlich im Halse stecken blieben. Verstehen Sie mich nicht falsch, einem guten Gastgeber liegt durchaus sehr viel am Wohl seiner Gäste, nur kommen Familie und Freunde selbstverständlich immer an erster Stelle, Frau Cruiz. Meine Erfahrung nach können gute Nachbar zu den engsten Freunden werden. Gerne würde ich in Ihnen eine Freundin sehen. Was halten Sie davon?«
 
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Rosselini...,
Lena erinnerte sich. Eine Dame mit einem spürbaren Hang zur Morbidität. Oliver hatte sie immer mit großer Vorsicht behandelt, Lena hingegen bewunderte diesen Wesenszug viel zu sehr um ihn zu fürchten.

»Mein aufrichtiges Beileid ob des Verlustes Ihres Gatten. Sicherlich fällt es Ihnen nicht leicht aus dem Schatten eines solch bemerkenswerten Mannes heraus zu treten...", hörte sie die Prinz aus Turmstadt sagen. War nicht genau das das Problem? Das Lena gar nicht vorhatte aus dem Schatten zu treten sondern eher daran dachte sich des Schatten zu bedienen und sich ihn dank ihrer Mittel vollends zu Eigen zu machen?

Die Toreador lächelte versonnen.

"Ich sollte vielleicht erklären, dass die Entscheidung mich bei meinem Geburtsnamen ansprechen zu lassen, rein taktischer Natur war. Mein Gatte hat, wie Sie sicher wissen, eine Menge verbrannter Erde hinterlassen. Um diese Stadt führen und das dazu nötige Vertrauen aufbauen zu können, war dieser Schritt unumgänglich. Als Frau bin ich noch immer Magdalena Buchet -und werde dies auch immer bleiben- als Prinz jedoch bin ich fortan Magdalena Cruiz. Ich denke, Sie verstehen was ich sagen will?"

Die Prinz von Turmstadt bot Lena ihre Freundschaft an. Turmstadt war größer und einflussreicher als Finstertal, was natürlich den lang andauernden Schwierigkeiten in der Vergangenheit zuzurechnen war. Finstertal konnte von Glück sagen, dass es nicht längst ausradiert war.

Verbündete konnten helfen und waren dringend notwendig.
Die Etikette verlangte es, dass der Ältere die Form der Höflichkeit bestimmte, aber Lena pfiff darauf. Sie war Prinz und stand damit über der ein oder anderen Regel. Außerdem hatte Prinz Rosselini ein freundschaftliches Verhältnis vorgeschlagen, eine andere Form der Anrede war nur die daraus folgende Konsequenz.

"Es wäre mir eine Ehre und ein Vergnügen. Meine Freunde nennen mich Lena. Es wäre mir eine Freude, wenn du dies ebenfalls tun würdest."

Nun blieb abzuwarten, was das Angebot der Freundschaft letztlich wert war...
 
Die Antwort der Fürstin von Turmstadt fiel ein kleines bisschen ernüchternd aus:

»Sicher, das verstehe ich ganz gewiss. Verzeihen Sie, aber ich gehöre wohl doch noch der alten Schule an, denn es erscheint mir etwas ungebührlich, wenn ich Sie in diesem herzlichen und vertrauten Ton schon bei unserem ersten gemeinsamen Kennenlernen anreden soll, obgleich möchte ich Ihnen versichern, dass ich mich im überwältigenden Maße geschmeichelt fühle, Frau Cruiz. Wenn wir allerdings zusammen herausfinden sollten, dass aus unserer Partnerschaft in Zukunft etwas von beständigen Wert erwächst, dann werde ich Ihr freundliches Angebot mit der selben Vertraulichkeit gerne erwidern. Ihre zuvorkommende Art ehrt Sie ungemein und ich bin mir sicher, dass dies der Beginn einer wunderbaren Freundschaft sein wird. Wenn Sie erlauben, würde ich Ihnen gerne ein Geschenk zu Erhebung in Ihr Amt zukommen lassen. Eine klitzekleine Überraschung, an der Sie zweifellos Wohlgefallen haben werden.«
 
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Eine interessante aber auch zu erwartende Reaktion. Prinz Rosselini behielt sich also einen gewissen Abstand vor und bestand auf ihren höheren Status. Etwas, dass ihr zweifelsohne zustand, immerhin war sie der ältere Prinz und darüber hinaus auch noch der noch sehr viel ältere Vampir. Trotzdem war es gut zu wissen, wie Rosselini das Verhältnis der beiden sah. Das Wort Freundschaft konnte man auf vielerlei Weise auslegen, daher war es immer besser Gewissheit zu haben, auch wenn man dazu den ein oder anderen Vorstoß wagen und anschließend zwischen den Zeilen lesen musste. Besser man tat es auf diese Weise, als auf eine Art die einem anschließend zum Verhängnis würde...

"Ich wollte nicht dispektierlich erscheinen, Frau Rosselini, verzeihen Sie meinen unbedachten Vorstoß."

Man hörte aus den Worten heraus, das Lena sie lächelnd sprach.

"Sie haben selbstverständlich recht. Wir hier in Finstertal haben sehr schwere Zeiten überstehen müssen, was letztlich dazu geführt, dass die alteingesessenen Kainiten ein wenig näher zusammengerückt sind. Wer Seite an Seite im Kampf gegen die Garou steht oder sich mit einer Armee aus Plagen konfrontiert sieht, der neigt dazu in seinem Gegenüber schnell einen Verbündeten zu sehen, als einen Gegner. Mir mag diese Sichtweise noch ein wenig nachhängen, daher der unbedachte Vorschlag."

Eine kurze Pause folgte, vielleicht von einer Dauer von zwei bis drei Sekunden.

"Ihr Geschenk nehme ich mit Freuden entgegen, Frau Rosselini. Ich fühle mich zutiefst und in aller Aufrichtigkeit geehrt!"
 
»Warum sollte ich Ihnen denn einen Vorwurf machen, wo ich doch die jenige bin, die Ihnen die Hand zur Freundschaft gereicht hat? Allein die Tatsache, dass wir zwei uns hier ungezwungen unterhalten können, zeigt doch, dass die Bewohner von Finstertal selbst im Antlitz größter Gefahren eine bewundernswerte Stärke und Zusammenhalt demonstrieren. So eine Haltung imponiert mir. Nein, verlieren wir kein Wort mehr über die Etikette bitte!«

Ein kurzes sympathisches, wenig affektiertes Lachen signalisierte der Souveränin von Finstertal, dass Fürstin Rosselini in dem ungestümen Vorstoß keinerlei Affront sah.

»Das freut mich zu hören, auch wenn die Vorfreude auf Ihr Geschenk nicht lange vorhalten wird, da ich mir erlaubt habe einen Boten vor wenigen Minuten nach Finstertal zu schicken, der Ihnen mein Präsent persönlich überreichen soll. Der Helikopter sollte in etwa zwanzig Minuten Finstertal erreicht haben. Haben Sie die Güte mir eben zu verraten, wo der Pilot landen darf?«
 
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"Natürlich! Unweit der Akademie, nur wenige hundert Meter nördlich, befindet sich die Stadtklinik. Dort gibt es einen recht gut aufgestellten Landeplatz und die Akademie unterhält zudem sehr enge Bindungen zur Direktion des Hauses. Ihr Kurier müsste allerdings von dort aus die Hauptverkehrsstraße überqueren, die selbst in den Nachtstunden stark befahren sein dürfte. Auch der Parkplatz der Akademie selbst dürfte mehr als ausreichend für eine Landung sein. Allerdings weiß ich nicht, ob die Flugsicherheit eine Landung an einem nicht dafür vorgesehenen Ort erlauben wird? Ich kenne mich mit dieser Art Thematik nicht sonderlich gut aus..."

Bisher hatte Lena noch nie über Helikopter oder damit zusammenhängende Fragen nachgedacht. Oliver hatte Fluggeräte aller Art stets verabscheut und sie selbst hatte sich stets nur auf den öffentlichen Flugverkehr verlassen.
 
»Dann werde ich dem Piloten wissen lassen, dass dieser die Stadtklinik anfliegen soll. Würde es Ihnen Umstände bereiten, jemanden zu schicken der meinen Boten von dort abholen kann? Sein Name lautet Mustafa Korutürk.«

Fürstin Rosselini rechnete eigentlich nicht damit, dass dies ein Problem werden würde und Prinz Noir konnte hören, dass am anderen Ende der Leitung die Anweisung erteilt wurde die Klinik anzufliegen.

»Denken Sie bitte in Ruhe darüber nach, was ich für Sie tun kann, damit Ihre schöne Stadt noch schöner werden kann! Sie wissen ja, wie Sie mich erreichen können. Nun denn, ich möchte Ihnen nicht weiterhin Ihre wertvolle Zeit stehlen und wünsche Ihnen eine gute Nacht, Frau Cruiz. Der Segen des Dunklen Vaters Kain mit Euch«, schloss sie und es war das einzige Mal, dass die Fürstin am Telefon unmissverständlich etwas in den Mund nahm, von dem kein Sterblicher wissen durfte.

Sie würde das Telefonat beenden, sofern Magdalena Cruiz nicht noch etwas auf dem Herzen lag.
 
"Finstertal erblühen zu lassen, ist mein oberstes Ziel! Ich werde alles notwendige in die Wege leiten, Ihr Bote wird sich in den besten Händen befinden."

Lena nickte, auch wenn das bei einem Telefonat natürlich nicht notwendig war. Allerdings gehörte es zum Training des Prinzen, sich bei jeder möglichen Gelegenheit in der Kunst des Schauspiels und der Mimik zu üben. Perfektion fiel einem nicht in den Schoß, Perfektion wollte hart erarbeitet sein...

"Ich werde Sie wissen lassen, wenn ich etwas benötige. Die Dunkelheit sei mit Ihnen, werte Kollegin. Es war mir eine Freude mit Ihnen zu sprechen."

Damit beendete Lena das Gespräch und rief nach ihrer Sekretärin.
 
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