[19.05.2008] Contra vim mortis non est medicamen in hortis!

Mortimer Lych

Memento Mori!
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Der Bauch der Lufthansamaschine öffnete sich und gab einen recht guten Blick auf die Finstertaler Skyline frei. Noch immer nieselte Regen in winzigen Tropfen vom Himmel. Lichter spiegelten sich in zahllosen Pfützen, die überall auf dem Rollfeld zu finden waren. Manche golden, manche weiß, nicht wenige im Blau der Landebahnbegrenzungsleuchten.

Der Vollgummireifen eines Gabelstaplers zeriss das anheimelnde Spiegelbild der Farben in einer schon fast sündhaften Gleichgültigkeit. Ohne sich seiner Verfehlung bewusst zu sein steuerte das Gefährt auf die geöffnete Ladeluke zu. Sorgsam hoben sich die Gabeln die dem Stapler seinen Namen gaben. Vorsichtig schoben sie sich voran und beinahe zärtlich unter eine länglich weiße Kiste. Der Fahrer schaltete sein Gefährt in den Rückwärtsgang und hob die Fracht ins Freie. Hier blitzten Lichter auf weißem Lack, flackerten über Griffe aus poliertem Eisen und eine kunstvoll gearbeitete Intarsie auf dem Deckel des Behältnisses das einen sich stolz erhobenen fahlen Hengst zeigte. Der Arbeiter am Steuer des Gabelstaplers kratzte sich nachdenklich am Hinterkopf. In seinen zwanzig Jahren am Flughafen hatte er schon so manches gesehen und erlebt, außerdem er war Finstertaler und damit einiges gewohnt, aber nie zuvor hatte einen derart kostbar wirkenden Sarg aus dem Bauch eines Flugzeuges geholt.
Der Mann entschied schnell das er mit solcherlei Dingen nichts zu tun haben wollte, daher steuerte er ohne weiteres Zögern auf einen bereitstehenden Leichenwagen zu.

Empfangsbstätigungen wurden unterschrieben, Papiere hin und her gereicht, Hände geschüttelt und besorgte Blicke ausgetauscht. Dann trennten sich die Männer wieder. Der eine Richung Flugzeug, der andere zu einer extra angemieteten Leichenhalle in der Innenstadt.

*Als ob es hier nicht auch so schon genug Tote gegeben hätte!*, dachte der Fahrer bei sich, würde dies aber niemals laut aussprechen. *Jetzt fliegen wir sie auch noch ein!*

Etwas mehr als eine halbe Stunde später war der Sarg entladen und aufgebahrt. Ganz so, wie es aufgetragen war. Ungewöhnlich aber gut bezahlt. So gut, dass sich weitere Fragen erübrigten. Dem Menschen Wille sein Himmelsreich, wie es so schön hieß. Die Türen der Leichenhalle schlossen sich, Dunkelheit und Stille übernahmen das Regiment.

Nur für einen Augenblick, denn schon zeriss ein dumpfes Schaben die Stille der Nacht. Vier mal, als ob Halteriegel ergriffen und an die Seite geschoben wurden. Quietschend hob sich der Deckel des Sarges. Ein halb verwester Leichnam setzte sich auf. Die Dunkelheit der Kammer machten es dem Toten unmöglich sich zu orientieren, daher griff er zu seiner Linken um eine Petroliumlampe hervorzuholen. Glas hob sich, ein Streichholz flammte auf und entzündete den Docht. Der Leichnam drehte an einem Rad der Lampe und stellte sorgsam die Lichtstärke ein. Fast schien es, als wäre es ihm wichtig kein Licht zu verschwenden. Nicht Pertroleum, nicht Energie, sondern allein die Helligkeit die er hatte entstehen lassen.

Als er endlich zufrieden war, entstieg der Tote seinem hölzernen Bett. Er war in einen maßgescneiderten Anzug gekleidet, der seinen hageren Körper ein wenig schlacksig wirken ließ. Ein weißes Hemd und eine noch duftende weiße Lilie im Reverse rundeten das Bild ab.

Sorgsam verschloss er als nächstes den kostbaren Sarg. Wie zum Abschied strich seine Hand über die kunstvolle Intarsie des Deckels, dann trat er nach draußen in die Nacht. Wie verabredet und gewünscht waren alle Zugänge unverschlossen. Der Tote hoffte, dass niemand aus dem Bestattungsunternehmen besonders neugieriger Natur war. Es würde ihm nicht sonderlich gut bekommen, denn der Tote war nicht nur eindeutig verstorben die Folgen dieses Umstandes hatten auch bereits seinen Körper angegriffen. Seine Haut war fahl und eingefallen, durchsetzt von eklig modrig scharzen Schlieren die glänzten wie Speck es manchmal tat wenn er zu lange in der Sonne gelegen hatte.

Der Tote sah in die Nacht hinaus. Genießerisch sog er den Duft der Nacht ein, der dank seiner Anwesenheit einen deutlich schwersüßlichen Geruch mit sich trug.

"Soso! Dies ist also Finstertal. Ich hatte es mir irgendwie größer vorgestellt..!?", murmelte der Mann und überquerte den Friedhof. Dabei zogen sich die Schatten um ihn zusammen. Gleichzeitig tat der Tote einen Schritt außerhalb des ihn umgebenden Interesses. Es würde besser sein, wenn man ihn nicht sah.

Eigentlich war es immer besser, wenn man ihn nicht sah.
Und doch rief man ständig nach ihm. Die Schizophrenie des Seins und ein weiterer Beweis für die Existenz Gottes. Nichts sonst, nicht einmal das Schicksal, konnte solch treffliche Pointen schreiben.

Der Tote grinste, wie Tote es manchmal taten.
Wusste er doch, dass ihm eine großartige Zeit bevorstand...
 
Ein Loch im Boden war schnell gefunden. Das war das Schöne an zivilisierten Städten, hier gab es überall irgendwelche Löcher in die man hinabsteigen konnte. Mortimer hob den metallenen Deckel an und stieg hinab in die Kanalisation. Ein wenig wehmütig dachte er an seine Nächte in Paris. Die dortigen Katakomben durchzogen die Stadt über hunderte von Kilometern hinweg. Überall dort unten traf man auf Tod und Zerfall. Stumme Zeugen längst vergangener Jahrhunderte. Tausende Knochen überall, teils gestapelt, teils in die Wände gearbeitet, säumten das Bild an vielen Stellen. Meist bestanden die Wege sogar aus weitläufigen Gängen mit ausreichend hohen Decken, die man gemütlich flanierend durchschreiten konnte. Wundervoll gearbeitet, mit viel Liebe, Blut und Schweiß in die Erde getrieben. Wie oft hatte Mortimer in manchen Nächten dort unten einen kleinen Spaziergang unternommen?
Egal wie gut man dachte die Wege zu kennen, immer wieder traf man auf neue Ecken und versteckte Wege. Knochige Kathedralen in denen nie gepredigt wurde, vergessene Steinbrüche für Kalk und Sandstein, Massengräber von denen nur noch verblichen daliegende Überreste zeugten…

Hier in Deutschland hingegen gab es nur schnöde Betonröhren.
Scheinbar unendlich in tristem Grau und ohne jeden Reiz.
Trotzdem hilfreich.

Mortimer hielt noch immer die klappernde Petroleumlampe in Händen. Am ausgestreckten Arme baumelnd, wies sie ihm den Weg durch die Dunkelheit. Wie selbstverständlich fand sich der lebende Tote hier unten zurecht und fand schließlich mit traumwandlerischer Sicherheit sein Ziel. Nahe einer vielbefahrenen Straße hob sich eine rundliche Betonscheibe. Gehoben von einer knochigen Hand, begleitet vom schwachen Leuchten einer qualmenden Laterne und dem verwesendem Gesicht einer dem Zerfall übereigneten Leiche. Mortimer entstieg der Erde und verschloss den Zugang sorgfältig. Was derartige Dinge anging, war er sehr gewissenhaft. Lebende Menschen hatten unter der Erde nichts verloren. Nicht einmal als versehentliche hinabfallende Opfer der Schwerkraft. Der Leichnam sah sich um und erblickte das Ziel seiner Suche. Das alte Mülldepot am äußeren Rande des Industriegebietes.

Die Höflichkeit erforderte es, dass ein Nosferatu stets zuerst die eigenen Leute besuchte, sich vorstellte und erst dann dem Prinzen seine Aufwartung machte. Viele Durchreisende Kanalratten verzichteten sogar vollständig darauf, sich dem kritischen Blick der High Society auszusetzen. Niemals aber würden sie es sich entgehen lassen, die eigenen Leuten zu begrüßen, um bei einem kurzen aber informativen Gespräch ein paar Geheimnisse und Erkenntnisse auszutauschen.

Mortimer war kein Teil der Familie. Da seine Gewohnheiten jedoch sehr häufig mit der Welt der Nosferatu kollidierten, hatte es sich bewährt auf Höflichkeit und Sitte zurückzugreifen und den wahren Herren der Stadt rechtzeitig die Aufwartung zu machen. Natürlich hatte sich der Leichnam informiert. Viele Nosferatu nannte er Freund, nicht wenige waren ihm diverse Gefallen schuldig. Hier in Finstertal herrschte ein gewisser Lurker über die unterirdischen Teile der Stadt, soviel wusste er. Flüsternde Stimmen sprachen sogar von wesentlich mächtigeren Wesen tief unter der Erde verborgen in Gängen und Wegen die kaum ein Wesen je betreten hatte. Mortimer konnte nicht leugnen das gerade diese verborgene Welt seine unstillbare Neugier weckte. Wie gerne er einen Blick in dieses Reich werfen würde…

Als er die Mitte des Müllplatzes erreicht hatte, stellte der Tote seine Petroleumlampe zu Boden. Sorgfältig neben dem rechten Fuß positioniert. Dann verschränkte er die Hände vor seinem Schoß und begann darauf zu warten, dass man ihn entdeckte…
 
Stampfendes Zischen und das beständige Dröhnen schwerer Maschinen waberte durch die Nacht über der Deponie. Die Berge und Täler aus Abfall lagen im Zwielicht der orange blinkenden Warnlampen und Positionslichter. Ab und an konnte man das fahle Glühen von Augen ausmachen, die aus sicherer Entfernung die Schritte des Eindringlings beobachteten. Möglich das es eben diese kleinen Bewohner dieses Ortes waren, die dafür sorgten das es beständig irgendwo raschelte, oder etwas scheppernd um fiel. Der Lichtkreis der kleinen Lampe wirkte wie eine kleines Rettungsboot in einem viel zu großem Ozean aus Schwärze und Verfall. Beinahe ängstlich flackernden seine Ränder, so als würden sie zurückgedrängt von irgendetwas.

Vielleicht war es das Ding das sich mit Mortimer hier befand? Es war stets ein Leichtes zu bestimmen wenn etwas da war. Es war nicht einmal unbedingt von Nöten das man etwas wirklich sah, selbst wenn man die Luft nicht sehen konnte, so konnte man sie atmen und messen. Genauso so unumstößlich war die Gewissheit wenn man nicht mehr alleine war. Schwieriger wären da die Fragen zu beantworten gewesen ab wann genau die Anwesenheit des Anderen eigentlich begonnen hatte. War er schon die Ganze hier? Seit betreten des Schrottplatzes? Hatte sich die Dunkelheit einfach an irgendeinem Punkt zusammen gezogen und zu dem Etwas verdichtet, so wie sich ein Nebel aus Wasser bilden konnte? Es war eine Sache sich in dem Raum zwischen der Realität und der Wahrnehmung quetschen zu können, wie das viele Vampire vermochten. Eine andere war es, wenn ein Wesen plötzlich verstand, dass dieser schmale Spalt eigentlich unendlich groß war.
Lurker hatte in manchen Nächten das Gefühl das das Reich in dieser Lücke für ihn immer weiter anwuchs. In anderen Nächten hatte er Angst, das die Realität für ihn gleichzeitig schrumpfen konnte, bis er eines Tages den Weg zurück nicht mehr finden würde.

Die Gestalt des Nosferatu tauchte schließlich zwischen einem verbogenem Einkaufswagen und einem Stapel verschimmelter Holzpaletten auf, oder seine Anwesenheit wurde in diesem Bereich gerade am dichtesten, im Verhältnis zum Rest der Müllhalde, ganz wie man das sehen mochte.
Der Verborgene machte einen Schritt nach vorne und stand damit in Gesprächsreichweite für den Anderen. Sein Körper war buckelig und von zerschlissener Kleidung verhüllt. Eine übergroße Kapuze verbarg den Kopf. Grundsätzlich war der Umriss aber menschlich. Es schien zumindest grob alles an seinem Platz zu sein.

Lurker erwartete niemanden und sein Gegenüber schien zwar zur Verwandtschaft zu gehören was sein Äußeres anging, aber nicht direkt zur Familie. Grundsätzlich konnte es sich aber auch im einen Caitiff handeln der einfach richtig Pech gehabt hatte. Eine andere Möglichkeit erschien dem Nosferatu, der nach Jahren zwar noch relativ jung war, sich aber nach erlebten Nächten in Finstertal paradoxerweise manches mal aber unendlich alt fühlte, aber wahrscheinlicher.
Im Augenblick war für ihn nur klar das sein Besuch zu seinem Clan wollte. Wenn es nötig wäre sich vor diesem dort zu verbeugen, dann hätte Lurker über seine Ankunft informiert sein müssen. Daher blieb er einfach nur stehen und wartete ab was als nächstes passieren würde.
 
Es war immer wieder beeindruckend, wenn ein Meister seines Fachs sein Können präsentierte. Für Lurker mochte der Wechsel zwischen den Realitäten, zwischen Wahrnehmung und Unsichtbarkeit, eine Selbstverständlichkeit sein, ein natürlicher Teil seiner selbst, für Mortimer aber war es ein zutiefst beeindruckender Akt höchster Kunstfertigkeit. Einer Kunst die ihm nie wirklich gelingen wollte. Seine Lehrer behaupteten, dass es daran liegen würde, dass sich der Leichnam seiner selbst so sehr bewusst wahr, dass sich sein widerspenstiges Inneres dagegen sträubte neben die allgemeine Wahrnehmung zu treten und auf diese Weise zu verschwinden. Es hatte ihn ungeheure Disziplin abverlangt, die Grundzüge des *Nicht gesehen werdens* zu erlernen und erst nach Jahren unablässigen Trainings war es ihm irgendwann gelungen. Als es dann aber daran ging, sein Äußeres zu verändern, die Gesichter anderer anzunehmen, LEBEN zu imitieren, gesund in blaßem Rosa, sträubte sich sein innerstes. Mortimer war tot! Er war für sein Leben gerne tot und wollte niemals mehr etwas anderes sein. So zu tun als wäre er ein ganz normaler Mensch, der vergnügt über einen Trotuar schlenderte, schien ihm als Verrat seiner selbst. Der Magen wollte sich ihm umdrehen bei derlei Gedanken, sich entleeren in hohem Bogen, wenn er denn nur je gefüllt gewesen wäre.

Als Lurker vor ihn getreten war, verbeugte sich der Leichnam tief.

"Guten Abend, werter Herr! Mein Name ist Mortimer Lych. Ich bin vom Blute Samedis, wie Ihnen sicherlich aufgefallen sein wird und ich erbitte von Ihnen das Recht mich in Ihren Gefilden zu bewegen. Zu meinem aufrichtigen Bedauern verstehe ich es nur leidlich mich unerwünschten Blicken zu entziehen, was -wie Sie unschwer erkennen können- mitunter zu Problemen führen kann. Ich selbst bin in meiner Eigenschaft als wissenschaftlicher Berater zwar nicht an die Gesetze der Camarilla gebunden, doch respektiere ich sie aus Gründen der Vernunft. Noch kann ich nicht sagen, wie umfassend der Zeitraum meiner Belästigung ausfallen wird, ich gedenke jedoch Ihnen nicht übermäßig zur Last zu fallen. Vielleicht sollte ich anfügen, dass es die ansässige Universtät der bildenden Künste war, die um meine Anwesenheit bat."

Der Leichnam griff mit einer vorsichtigen und bedächtig langsamen Bewegung in die Brusttasche seiner Anzugjacke und zauberte ein kleines Couvert hervor, dass er Lurker überreichte. Mortimer hoffte, dass der Griff in seine Bekleidung kein unnötiges Misstrauen erweckt hatte. Viele Nosferatu waren etwas schreckhaft und der Samedi sich seiner Außenwirkung durchaus bewusst.

"Ich erbitte also respektvoll von Ihnen, Herr Lurker, dass ich für einige Nächte ihre unterirdischen Wege nutzen darf. Bezüglich der Orientierung und des Umgangs mit Hindernissen aller Art kann ich Sie beruhigen. Ich kenne mich mit derlei Dingen sehr gut aus und bedarf keiner diesbezüglichen Unterstützung. Wenn es überhaupt etwas gibt, dass ich wagemutig hinzufügen möchte, dann die weitergehende Erlaubnis an einer von Ihnen bestimmten Örtlichkeit zu übertagen. Weder mein Anlitz, noch mein Geruch sind geeignet mich an einem anderen Ort als diesem niederzulassen. Übergriffe Ihrerseits fürchte ich nicht. Abgesehen davon, dass ich Ihnen mein vollstes Vertrauen entgegenbringe... ist mein Blut rabenschwarz und von zähflüssiger Konsistenz. Ungenießbar möchte man sagen..."

Mit einer weiteren vorsichtigen Bewegung deutete Mortimer auf den Brief in Lurker Händen.

"Als Zeichen meiner Wertschätzung befinden sich in dem Umschlag einige delikate und bisher noch kaum bekannte Geheimnisse zu einigen französichen Toreador. Die Informationen mögen ihnen in Siegfrieds Landen wenig von nutzen sein, leider aber reiste ich direkt aus Paris heran und habe nichts sonst, dass ich Ihnen bieten kann. Vielleicht mag es Ihnen als Währung dienen, im Tausch gegen einige etwas nützlichere ... Objekte? Die Ware gehört Ihnen, selbst wenn sie negativ über mein Anliegen entscheiden sollten."

Das von Verwesung gezeichnete Gesicht nahm etwas hilflose Züge an. Sein überlanger Finger zeigte erneut auf den Brief.

"Ein weiter Punkt kommt mir in den Sinn. Es ist mir ein wenig unangenehm... Sie finden in dem Couvert auch eine handschriftlich verfasste Nachricht. Ein Zettel, verschmutzt, in dem ein gewisser Cockroach einer dreimalverfickten Mistgöre ein paar Zeilen zukommen lässt. Bitte verzeihen Sie meine Wortwahl, aber man machte mir bewusst, dass Sie Herr Lurker bei diesen Worten sofort wüssten um wen es sich handeln würde. Ich versprach den Gruß in eben dieser Weise zu übermitteln und schäme mich nun meiner der Situation vollkommen unangebrachten Wortahl! Sehen Sie mir mein Verhalten bitte nach, wenn ich mit meiner Aussage einem schlechten Scherz aufgesessen bin!"
 
Ganz sicher konnte man Lurker zu den mehr als nur vorsichtigen Nosferatu zählen. Im Grunde war es für ihn keine Frage ob man sich ein zweites, oder drittes Mal umschaute, weil er felsenfest der Überzeugung war das es nicht bei einigen Malen bleiben sollte, sondern das Umschauen ein stetiger Prozess war, der einfach niemals abgeschlossen sein konnte, wenn man Wert darauf legte in einem Stück zu bleiben.
Dennoch zeigte er keine Nervosität als der Samedi in seine Kleidung griff. Ein Zombie Blut wäre, nach allem was der Verborgene über dieses Volk wusste, ganz sicher nicht so dumm auch nur einen Fuß in Nosferatu Gebiet zu setzen und dann jemanden anzugreifen.
Also näherte sich die Gestalt mit seltsamen, ungleichmäßigen Schritten, in denen ab und an merkwürdige Pausen und dann wieder unerwartete Beschleunigungen vorkamen und streckte schließlich einen Arm nach Lych aus. Eine Hand, die in schmutzigen Bandagen steckte, faltete sich auseinander und die Finger, bleich wie Knochen, waren dünn mit knotigen Gelenken daran, so dass sie an die Beine einer riesigen Spinne, oder einer Tiefsee Krabbe erinnerten.
Der Brief wurde mit einer schnellen Bewegung durch einen langen Fingernagel aufgeschlitzt, die einen an aufgeblähte, weiße Fischbäuche denken lassen konnte, die von scharfen Filetiermessern zerteilt wurden.

Der Samedi konnte bemerken, wenn er denn darauf achtete,dass für den Nosferatu der handgeschriebene Zettel die höhere Priorität hatte. Allerdings warf er nur einen kurzen Blick darauf, ohne sie zu lesen. Schließlich war diese Nachricht nicht für ihn.

Guten Abend Herr Lych.

Die Stimme des Nosferatu klang ein wenig als hätte ein Marktschreier einen regen Tag gehabt und zwischendurch nicht einmal ein Glas Wasser bekommen. Gleichzeitig hob Lurker sie nicht über ein lauteres Flüstern an und die Worte schienen hier und da mit einem leisem Zischeln zu schließen.
Davon ab hatte sie aber einen durchaus freundlichen Tonfall, so als würde sich der Verborgene über irgendetwas das Mortimer gesagt oder getan hatte freuen.
Der Name des Samedi fand einen gewissen Nachhall in seinem Gedächtnis. Er glaubte sich zu erinnern das er irgendwann zu Zeiten der ersten Zacharii Krise bereits einmal gefallen war. Ein Bruder irgendwo aus Paris, so glaubte er sich zu erinnern, hatte in dieser Angelegenheit eine Empfehlung ausgesprochen die diesen 'Mortimer' anging. An den Nachnamen konnte er sich allerdings nicht genau erinnern und das besagter 'Mortimer' zu den Zombies gehörte war auch nicht gefallen, aber der Querverweis auf die Stadt an der Seine hatte etwas aufblitzen lassen.

Ich werde es der Göre ausrichten und ich bin mir sicher sie werden sie auch selber noch kennen lernen, wenn sie unser Gast sind, also ja, die Nähe unseres Blutes alleine gebietet es mir ihrer Bitte zu entsprechen. Willkommen in Finstertal und willkommen bei uns.

Natürlich würde Lurker Nachforschungen anstellen ob dieser hier vertrauenswürdig war, auch wenn er ihn zunächst einlud, aber das verstand sich von selbst. Wenn auch Verwandt, so war sein Gast dennoch kein Nosferatu.

Ich bin tatsächlich froh das sie sich an uns wenden, denn kürzlich ist einer ihrer Brüder, ein gewisser Dominik Dargol, leider der Vernichtung anheim gefallen, weil er sich nicht in unsere Obhut begeben hatte, sondern selber für seine Sicherheit sorgen wollte. Wäre es über Gebühr neugierig zu fragen welcher Auftrag genau sie in unsere Stadt treibt?

Der Ruf Finstertals schreckte ganz gewiss jede Menge Vampire ab. Einige wenig aber, zog er wahrscheinlich an. Von denen wiederum, wollte man vermutlich die geringsten Teil kennen lernen. Dieser hier aber war bestellt worden. Interessant genug.
 
"Absolut nicht! Als Gastgeber steht es Ihnen sogar zu, sich nach meinem Ansinnen zu erkundigen. Ich werde hierzu ein klein wenig weiter ausholen, wenn es genehm ist. Ich hoffe, wir befinden uns an einem mehr oder weniger ungestörten Ort und Sie haben es nicht allzu eilig. Ich verspreche auch, mich so kurz wie möglich zu fassen."

Für einen Augenblick wirkte es, als wolle die Leiche die faden Lippen zu einem verzerrten Lächeln erweitern, entschied sich dann jedoch anders. Dieser Lurker hatte zwar selbst das ein oder andere überdeutliche Gebrechen und schien ein brauchbarer Gesprächspartner zu sein, aber eine zähnebleckende Leiche konnte trotzdem schnell mißverstanden werden. Auch Mortimer schien eher vorsichtiger Natur zu sein. Eine Frage des Überlebens, in einer Welt der Oberflächlichkeit. Wer verstand sowas besser als ein Nosferatu?

"In weiten Teilen Europas gelte ich als Koryphäe für alles Übernatürliche... Okkulte. Eigentlich sehe ich mich eher als Spezialist in allen Fragen des Todes, aber irgendwie scheinen die beiden Themen für viele Leute untrennbar miteinander verschmolzen. Dazu kommt, dass die Kleingeister der Camarilla, oder auch die des Sabbat, diese feine Nuance weder erkennen noch zu trennen vernögen. Für sie bin ich lediglich der Mann, der sich ihrer übernatürlichen Phänomene annimmt. Was schlussendlich auch der Grund meiner Anwesenheit ist. Frau Magdalena Buchet... oder Cruiz? Ich bin dessen unsicher, bat mich um Hilfe. Nicht direkt natürlich, eher über eine interessante Verkettung höchstinteressanter Mittelsmänner, dennoch... Aber das wird zu kompiziert. Nun, ich bin hier! Nicht wahr? Wie mir scheint, keine Sekunde zu früh. Ich habe auf meinem Weg hierher ein wenig zu Finstertal recherchiert und bin schlichtweg erschrocken. Hätte ich Ihre Stadt nur zwanzig Jahre früher entdeckt, ich hätte mir eine Menge fehlerhafter Studien und langwieriger Forschungen erspart."

Nicht lächeln!
Mortimer zog stattdesse vergnügt die Nase kraus, was nicht annähernd so niedlich wirkte, wie es vielleicht klingen mochte.

"Ich bin also hier um der Stadt bei ihren umfassenden Problemen zu helfen, was -ohne hierbei großspurig klingen zu wollen- niemand besser beherrscht als ich. Ihre Nachforschungen zu meiner Person sollten sich recht einfach gestalten, das ich aus Paris angereist bin, hatten Sie ja bereits bemerkt."

Blieb ein letzter Punkt, der Tod Dargols.

"Wir Samedi sind von geringer Zahl, eine kleine Familie wenn Sie so wollen. Ich hörte von der Vernichtung meines Bruders, war aber wenig überrascht. Er hatte immer ein Talent dafür, sich in Schwierigkeiten zu bringen und zeigte eine, selbst für unsereins recht ausgeprägt morbide Ader. Bis zur Selbstzerstörung möchte man sagen..."

Das Lurker diesen Scherz verstand, erwartete Mortimer nicht. Trotzdem, wenn man sich in der Welt der Samedi ein wenig auskannte... ein Schenkelklopfer.
 
Es dauerte einige geborgte Herzschläge, die irgendwo anders statt finden mussten, in denen der Nosferatu alles ordnete was er hörte. Einer seiner überlangen Finger wurde auseinander gefaltet und verschwand kurz darauf im Schatten seiner Kapuze. Es gab ein paar leise Klicklaute, so als stieße man mit einem Stück Glas gegen glatten Marmor. Schließlich gab Lurker ein heiseres Grunzen von sich, das wohl bedeutete das er mit dem Gehörtem zufrieden schien.

Cruiz ist der Name der Prinz. Magdalena Cruiz. Was sie sagen klingt mehr als einleuchtend, ich habe selber in der letzten Zeit einige Begegnungen mit außerweltlichen Phänomenen gehabt. Außerweltlich meint in meinem Fall, außerhalb der Welt der Lebenden. Noch weiter außerhalb als unsereins ohnehin steht.

Mortimer war ein angenehmer Gesprächspartner. Zumindest nach Nosferatu Maßstäben. Es mochte verstörend sein bei einer Konversation dauernd in das Gesicht einer Leiche zu starren, vor allem wenn es eine war die nicht unbedingt besonders frisch war, aber die Kanalratten waren untereinander an derartige Dinge gewöhnt und so ziemlich jeder Ekel nutzte sich mit der Zeit ab. Falls nicht, wurde er eben Schulterzuckend als dauernde Eigenschaft akzeptiert.
Trozdem kannt Lurker den Anderen nicht und würde einen Teufel tun ihm irgendetwas davon zu erzählen das er selber ebenfalls damit begonnen hatte sich mit derartigen Dingen zu beschäftigen. Er konnte selber noch nicht einmal richtig einschätzen ob er sich dieser Sache zuwenden wollte weil ihm in letzer Zeit viel derartiges widerfahren war, oder ob diese Dinge begonnen hatten sich um ihn zu scharen, gerade weil er im Begriff war ihre Welt zu erkunden. So oder so, er würde nichts von Kiera oder seinen eigenen, ersten Schritten erwähnen, bis nicht fest stand das man diesem Lych trauen konnte und auch wollte.

Kommen sie, ich zeige ihnen ein paar Möglichkeiten unter denen sie ihre Bleibe wählen können. Wir werden uns nicht auf die Mülldeponie beschränken. Zum Einen ist das Reich meines Clans in dieser Stadt erstaunlich groß, wie sie bald sehen werden und zum anderen ist es in Finstertal ein absolutes Erfordernis nicht nur ein Domizil zu haben. Aber ich beginne mit dem Haupt Nosferatu Bau hier unterhalb...

Er machte eine einladende Geste in Richtung eines alten Containers, der eine seitliche Zugangstür aufwies um diesen zu Begehen. Offensichtlich nicht einfach nur ein Zugang in den Container hinein, sondern eine Pforte in das Reich der Verborgenen.
 
"Eben jene außerweltlichen Probleme sind der Grund meines Besuchs, Herr Lurker. Mein Ansinnen ist es, dafür zu sorgen, dass Sie in Zukunft nicht mehr in die Verlegenheit kommen, solcherlei Begegnungen haben zu müssen. Es wird sich natürlich erst noch zeigen von wieviel Erfolg meine Anstrengungen gekrönt sein werden, aber ich bin diesbezüglich guter Dinge."

Etwas steif ging der hagere Leichnam in die Hocke, ein wenig nur, und ergriff die abgestellte Petroleumlampe. Dann kam er der Aufforderung nach und folgte dem Nosferatu zu dem alten Container. Mortimer war sich bewusst, dass er die Sache hier vielleicht etwas zu vertrauensselig anging, hatte aber keine andere Wahl. Aufgrund seiner äußeren Erscheinung blieben ihm nur die unterirdischen Wege, wenn er sich schnell und ungefährdet bewegen wollte. Und das würde in Zukunft wohl von zwingender Notwendigkeit sein.

"Bezüglich einer Örtlichkeit für die Tagesruhe, stelle ich keine besonders hohen Ansprüche. Ein sicheres Fleckchen irgendwo mit einer Möglichkeit meine Kleidung sicher zu verwahren, mehr benötige ich nicht."

Aller gesunden Vorsicht zum Trotz, erschien Lurker von recht umgänglicher Natur zu sein. Natürlich war er ein Monster, wie alle anderen Kainiten auch, aber er kannte noch Begriffe wie Gastfreundschaft und Höflichkeit. In Nächten wie diesen bei Leibe keine Selbstverständlichkeit. Mortimer hatte das Gefühl, das man sich mit dem Nosferatu verständigen konnte, solange man sich an die Regeln hielt. Exakt dies hatte er vor zu tun.


So folgte der Samedi seinem entfernten Verwandten in die tiefen Wege unterhalb der Stadt Finstertal und ließ sich damit ein weiteres Mal in ein Reich einführen, dass komplexer, fantastischer und atemberaubender war, als jede von Menschenhand geschaffenen Stadt.
 
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