Da das El Privilegio unter der Kontrolle einer Hüterin steht, wird dort jeder meiner Bewegungen genaustens verfolgt werden. Hüterin bedeutete in den Fall hoffentlich, dass dies ein Elysium ist und nicht dass sie Kontakte zu Lasombra pflegte oder gar selber eine war.
Sobald der Gedanke sich geformt hatte, musste von Bredow sich einmal beunruhigt nach Anzeichen eines Sabbatüberfalls umschauen. Wer weiß schon, wem Ben Levi letzten Endes alles noch einen Gefallen schuldet und wem seine Loyalität gilt.
Wenn man voreingenommen nach bestimmten Zeichen sucht, wird man sicherlich auch Hinweise dafür finden, schalt sich von Bredow dann und ließ die Sabbathypothese fürs erste wieder fallen. Aber eine einmal gedachte Idee konnte auch nicht zurückgenommen werden und von Bredow musste aufpassen, dass sie nicht sein Denken in Bezug auf O'Neill vergiftete.
Es war interessant, dass Ben Levi die Hüterin als Miss O´Neill vorgestellt hatte und nicht als Frau oder Fräulein. Der Name O'Neill war generell irischer Abstammung und vermutlich pflegten entweder Ben Levi oder O'Neill selbst noch eine starke Verbindung zu ihrem englischen Erbe. Eher O'Neill selber entschied von Bredow, aber Ben Levi musste genug Kontakt mit ihr pflegen, um diesen Anglizismus automatisch zu übernehmen. Auf der anderen Seite hat er auch „Rezeption“ seltsam betont. McKinney ist ebenso britischen Ursprungs und vermutlich inzwischen am häufigsten in Amerika anzutreffen. Vielleicht steht ja die gesamte Domäne unter Kontrolle von Ausländern? Deutete das daraufhin, dass die Herrschenden hier noch keine Jahrhundertalte Machtbasis aufgebaut hatten, die unumstößlich war? Vielleicht eine Folge von alliierter Besetzung nach dem Zweiten Weltkrieg? Theorien, die später mit mehr Informationen weiter untersucht werden mussten.
Nun, gegen Briten hatte von Bredow wenig einzuwenden. Sie gaben erwiesener Maßen ganz hervorragende Diener ab. Amerikaner hingegen...
Als Letztes galt es Ben Levis Verwicklungen mit den Flüchtlingen zu klären. Was konnte ein angesehenes Mitglied der Gesellschaft dazu veranlassen sich mit diesen abzugeben? Wollte er ihr Blut? Ohne Zweifel würden sich in dem Durcheinander gute Möglichkeiten zur Jagd ergeben.
Oder suchte er neue Gefolgsleute oder Arbeitssklaven für seine Betriebe? Eher nicht durch persönliches Engagement vor Ort. Was auch immer es war, solange er dadurch stark gefordert wurde, war es eine gute Gelegenheit Hilfe anzubieten und sich gleich etwas nützlich zu machen.
Ben Levi beschrieb die Situation als „hektisch“ und er war „unabkömmlich“. Das deutete daraufhin, das er unter Druck arbeitete und gewisse Ergebnisse von ihm erwartet wurden. Vielleicht auf Weisung eines anderen, eventuell sogar des Seneschalls? Immerhin scheint er gute Verbindungen zu ihm zu pflegen, wenn er so sicher einen Termin versprechen kann.
War der Seneschall die aktive Figur der Domäne, der die Geschäfte leitete und der Prinz, so es überhaupt einen gab, war nur eine Marionette? Oder war der Prinz zu beschäftigt, um sich mit dererlei trivialen Belangen der Tagespolitik abzugeben? Es war seltsam, dass Ben Levi ihn gar nicht erwähnt hatte, aber das Treffen mit McKinney würde das klären.
Es freute von Bredow, dass Ben Levi ihm von Hotel abholen und persönlich zum Seneschall geleiten wollte, obwohl er gerade recht beschäftigt war. Sicherlich hätte er das auch irgendwelchen Lakaien überlassen oder von Bredow einfach nur eine Adresse nennen können. Auch wenn Ben Levi vielleicht nur meine Meinung über McKinney beeinflussen will, ist es besser einen Bürgen an der Seite zu haben und dem Seneschall nicht alleine gegenüber treten zu müssen.
Der Hinweis Ben Levis auf sein Interesse an meinen Plänen war wichtig. Dies würde neben den Flüchtlingen das Hauptgesprächsthema der ersten Begegnung werden. Viel hängt davon ab, dass er ein freundliches Interesse bewahrt, aber mehr nicht.
Die Willkommensformel hatte er ganz ans Ende seiner Begrüßung gesetzt, wie einen nachträglichen Gedanken. Dabei würde sie bei einem willkommenen Gast eher zu Beginn gesprochen. Nun, es gab keinen Grund anzunehmen, hier willkommen zu sein. Insofern ging das völlig in Ordnung.