[11.05.2008] - Frühlingserwachen

Eldrige

Zombie-Survival Experte
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Erwachen war ein Wort, das für die Schlafenden gemacht worden war. Es hatte etwas erneuerndes und barg das Versprechen vom Ende eines Dämmerzustandes in sich. Wenn man erwachte, dann war das wie das öffnen einer Blüte, oder das füllen eines Kelches. Darum war es wahrscheinlich nicht die richtige Bezeichnung, für das hinübergleiten aus der traumlosen, leeren, Nichtexistenz in jenes, durch einen Fluch gebundenes Dasein, dass die Vampire dieser Welt teilten.
Es hatte nichts erneuerndes an sich und brachte auch keine Vitalität. Immerhin brachte es aber Impulse. Das Kunstmuseum hatte eine durchaus respektable Anzahl von Zwischenschächten, Kabelkanälen und staubigen Wartungsgängen. Kein Wunder, schließlich hatte jede Ausstellungsfläche seine eigene Beleuchtung und Alarmsicherung und da die Stücke regelmäßig wechselten, musste auch das Licht und die sonstige Elektrik flexibel sein. Da aber wohl niemand wert darauf legte, dass Halterungen sichtbar aus den Wänden ragten und Kabelbäume aus den Wänden, oder der Decke hingen, gab es überall Zugänge, Schächte und Nischen, für Verteilerkästen, Rohre und Kabel. Alle diese Kriechgänge, Tunnel und Geheimgänge, mündeten im Keller des Museums, in einem eigenem, kleinem Labyrinth aus verpackten, eingelagerten Exponaten und vergitterten Boxen. Irgendwo in diesem Keller, unter einer Plane, begann ein verkrüppelter, toter Körper, der aussah als wäre dem Alptraum eines Irren entsprungen, sich plötzlich zu rühren.
Es begann mit einem kurzem Zittern in einzelnen Gließmaßen. Ein Finger zuckte. zunächst nur einmal. Dann sein Nachbar. Schließlich ruckte die ganze Hand und bäumte sich auf. Immer mehr und mehr Bewegung kam in den Körper, bis er schließlich wie von wilden Spasmen geschüttelt, hin und her schleuderte. Nein, es war ganz sicher kein sanftes erwachen, wie aus einem Schlaf, sondern eher ein gewaltätiger Akt, so als würde eine verdammte, arme Seele aus der tröstenden Leere des Todes in diese Welt gezwungen. Beinahe schien es, als wehrte sich das Geschöpf strampelnd gegen seine widernatürliche Erweckung. Zähne knirschten in einem völlig Verkrampften Kiefer. Knochen und Gelenke knackten und mit einem saftigem Bersten wurde der Körper in eine aufrecht sitzende Position gerissen.

Eigentlich wäre das der richtige Moment für dröhnende Kopfschmerzen gewesen. Noch bevor ein einziger, klarer Gedanke das Bewusstsein des Wesens erhellen konnte, wie eine nackte Glühbirne einen kleinen, schäbigen Raum, war da diese Verwunderung, über das Fehlen von Unwohlsein. Das Wittern kam reflexhaft, wie bei einem Tier. Der Kopf ruckte ein paar mal zu dieser und dann wieder zu jener Seite, während die zerbissenen, ausgefranst aussehenden Nüstern prüfend die Luft einsog. Dann kam die Erinnerung. Ungeordnet und in rasenden Fetzen, die wie einem Sturm um ihn herum flogen.
Das Ritual, der Kampf gegen die Ausgeburt Zachariis, der unglaubliche Bluff des Koldunen, den er beinahe zu spät durchschaut hätte. Der Sheriff, der sich wie eine riesige Welle aus dampfendem, verkochtem Blut und Zorn auf den Tzimiscen geworfen hatte, die McKinney, über den Körper der Seneschall gebeugt, der er beschlossen hatte einen Vorteil zu verschaffen, indem er sie vor den Augen der Welt mitverbarg für ihren Zug, weil er glaubte, dass Zacharii noch einen letzten Trumpf haben würde und dann...

Dann hatte er den Halt verloren. Irgendwie war ihm einfach alles entglitten. Die Erinnerungen an sein grauenvolles Ende in Zachariis erster Scheinwelt waren nur all zu lebhaft in ihm aufgestiegen, als würde man ätzendes, Erbrochenes hochwürgen, die Erkenntnis das er erneut in einer Illusion gefangen war und am Ende die Ungewissheit, waren einfach zuviel gewesen. Nichts war mehr real gewesen, nichts wirklich und wenn alle Dinge die einen ausmachten nur Schatten an der Wand waren, erkannte man, dass man selber wohlmöglich auch nur der Schatten von jemandem war, obwohl man sich doch für einen Protagonisten gehalten hatte. Das letzte an das er sich erinnerte, war ein Geräusch. Hinkende Schritte und das Klacken von etwas, das wie ein Stock, oder eine Krücke klang und das Gefühl das irgendjemand soeben hinaus gegangen war, aus einem dunklen Zimmer.

Lurker erhob sich und tastete an seinem Körper herum. War dies hier nun die Realität? Oder auch nur ein weiterer Traum des Koldunen? Immerhin war das erstemal seit vielen Nächten die bleierne Schwere aus seinen Gedanken verschwunden. Tatsächlich fühlte er sich deutlich besser, als noch zu Beginn der Nacht. War es eigentlich noch diesselbe Nacht? Gut möglich, dass er recht gehabt hatte und dass alles was sie in den letzten Nächten erlebt hatten nur eine Scharlatarnerie des Tzimiscen gewesen war und dass er nun daraus erwacht war, weil er das Trugbild durchschaut hatte. Allerdings existierte er noch, was eher für eine andere Variante sprach.
Vielleicht hatten sie den Koldunen besiegen können und Die Überlebensinstinkte der Untoten hatten die Kontrolle über ihn übernommen, nachdem sein Verstand Hut und Mantel genommen hatte, und ihn hier her gebracht. Nein, es musste eine neue Nacht sein. Das letzte Mal, als er aus einem Alptraum des Fleischformers entflohen war, hatte sich nicht wie das erheben am Ende des Tages angefühlt. Es war eher so gewesen, als wenn das Bewusstsein eingeschaltet worden, aber nicht wie das Reißen des Fluches, das sie am Unleben hielt.

Nachdem er sich versichert hatte, dass er unversehrt war, blieb ihm nur die Erkenntnis das, was immer auch geschehen war, er es nicht herausbekäme, wenn er hier im Keller des Museums hockte. Egal was also ob dies ihre Wirklichkeit war, oder nur ein neuer Trick, ob die Stadt oder die gesamte Welt noch existierte, oder ihn dort draußen nur verbrannte Asche und ewige Einsamkeit erwarteten, er würde es nur erfahren, wenn er sich auf machte. So erhob sich Lurker und sah sich um. Das Museum war ein altes Gebäude. Viele von denen hatten noch Verbindungen hinab in die Kanalisation, die über ein simples Rohr hinausgingen, damit man dort unterirdische Arbeiten durchführen konnte. Das würde er als erstes prüfen. Anschließend galt es heraus zu finden was zum Teufel nun eigentlich genau passiert war.
Eine letzte Überprüfung seiner Habseligkeiten und seines Zustandes und dann war der Nosferatu wieder unterwegs in die Nacht.
 
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