Publisher - eine aussterbende Spezies?
Noch bis in die 80´er Jahre des letzten Jahrhunderts war der Beruf des Spieleverlegers (neudeutsch: Gamepublishers) nicht existent. Verleger kümmerten sich um Autoren bzw. deren Bücher oder sie betreuten Musiker in Gestalt von Labels. Games waren damals etwas für Studenten und Nerds und damit nicht Marktrelevant. Die ersten erfolgreicheren Spieleprogrammierer setzten sich am Abend mit einem Haufen Disketten, selbstbedruckten Aufklebern und Stapeln von Versandtaschen an den Küchentisch und tüteten ihre Games ein, um sie dann eigenhändig an einen eher überschaubaren Kreis von Käufern zu versenden. Als Games dann vor allem für die ersten Heimkonsolen über Nacht zu Rennern avancierten, übernahmen Konsolenhersteller wie Atari oder SEGA quasi nebenbei den Job des Publishers und vermarkteten die zumeist exklusiven Spiele für ihre Modelle.
Mit dem Siegeszug des Homecomputers (u.a. Commodore64 oder Atari ST) und später dem PC als Spieleplattform drängten aber neue, immer erfolgreichere Spieleentwickler auf den noch jungen Markt. Die Anforderungen an Logistik, Vermarktung, Vertrieb und nicht zuletzt aufgrund rasant steigender Kosten auch der Bedarf an immer mehr Kapital riefen als bald Unternehmen auf den Plan, die sich genau auf solche Dienstleistungen spezialisiert hatten - Gamepublisher. Von da an sank der Einfluss der Spieleprogrammierer auf ihr Produkt kontinuierlich, während gleichzeitig der Stern von Publishern wie Electronic Arts, Ubisoft, Activision oder dtp (einer der wenigen deutschen Vertreter am Markt) immer heller strahlte. Die Publisher verhandelten mit Banken über eine langfristige Finanzierung größerer Gameprojekte, sie kümmerten sich um Lizenzfragen, sie überwachten den kompletten Produktionsprozess eines Games, in dem sie vertraglich sgn. Milestones festlegten, die vom Entwickler einzuhalten waren. In der Blütezeit der Publisher ging ihre Macht sogar soweit, das sie sich bereits im Vorfeld eines Projekts das wohl wichtigste Gut des Entwicklers übertragen liessen - die Markenrechte. Die größten Publisher wie Electronic Arts oder Ubisoft begannen sogar, Studios komplett aufzukaufen und in ihre Konzerne einzugliedern. Ein Prozess, der leider nicht selten die kreativen Kräfte eines vormals erfolgreichen Entwicklerteams so sehr lähmte, das diese daran zugrunde gingen.
Seit einigen Jahren zeichnet sich aber ein erneuter Wandel in der Branche ab. Mit der zunehmenden Verbreitung von Breitband-Internetzugängen und parallel dazu einer Zunahme von Online-Distributoren eröffnet sich ein völlig neuer Vertriebsweg für Spiele. Valve hat mit seiner Steam-Plattform erfolgreich demonstriert, was mit solch einer Technik möglich ist. Klassische Retail-Vertriebswege über den Einzelhandel, die teils aufwendig und langfristig zwischen Publishern und Handelskonzernen geplant werden müssen, verlieren zunehmend an Bedeutung. Marketing, früher fast ausschliesslich über Printmedien, Hörfunk und TV machbar und dementsprechend teuer, verlagert sich immer stärker ins Internet, da sich dort auch die potentiellen Käufer der Spiele bewegen. Damit sinken aber die Kosten, da zumindest die bekannten Marken und guten Produkte fast von selbst über Blogs, Portale und Foren in den Communities bekannt werden. Kleine, unbekannte Agenturen nutzen Videoplattformen und teils auch virales Marketing, um selbst unbekannte Titel einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren. Und in jüngster Zeit revolutionieren Browsergame-Anbieter endgültig den Markt, in dem sie durch Free-to-Play-Modelle das klassische Geschäft der Gamebranche mit ihren Triple-A-Titeln weiter unter Druck setzen.
Es stellt sich daher die Frage, ob und wenn ja in welcher Funktion Gamepublisher in Zukunft überhaupt noch von Entwicklern benötigt werden, um ihr Produkt erfolgreich zu vermarkten und an den Käufer auszuliefern?
Wenn zentrale Aufgaben wie Marketing und Vertrieb wegfallen, bleibt letztlich nur noch eine, zugegeben elementare Funktion des Publishers erhalten: die der Projektfinanzierung. Es gibt mittlerweile sogar Äusserungen von Entwicklern, die ganz offen zugeben, das für sie ihr Publisher nichts weiter darstellt als eine Bank. Die Entwicklung eines modernen Triple-A-Games zieht sich nicht selten über mehrere Jahre hin, vor allem MMO´s (Massively Multiplayer Online Games) erfordern vergleichsweise große Teams, langfristige Entwicklungszyklen und eine aufwendige Server-Technik. Dazu kommen bei Abo-Modellen noch aufwändige Abrechnungs- und Verwaltungsaufgaben, denen kaum ein Entwickler gewachsen sein dürfte. Ganz zu schweigen von notwendigen Lokalisierungen für den internationalen Markt. Andererseits ist grade das "Longtail-Modell" erfolgreicher MMO´s äusserst attraktiv für Publisher, weil sie durch monatliche, feste Abo-Gebühren und/oder Micropayment (z.b. für virtuelle Gegenstände) auch lange nach dem eigentlichen Release eines Spiels über Jahre hinweg gute Einnahmen erzielen können. Wohlgemerkt - das gilt nur für erfolgreiche Titel. Angesichts der Omnipotenz von Blizzard´s "World of Warcraft" ein durchaus ambitioniertes Vorhaben, an dem bereits diverse MMO-Projekte gescheitert sind. Dennoch sind alle wichtigen Publisher am Markt weiterhin bereit, große unternehmerische Risiken einzugehen, in der Hoffnung, mit einem einzigen, erfolgreichen MMO selber ein solches Longtail-Modell im Portfolio zu haben.
Unterm Strich bleibt also der Publisher vor allem im Bereich der Vorfinanzierung aufwändiger Projekte und der Nutzer-Verwaltung nach dem Release eines Online-Games unverzichtbar - noch. Denn vor kurzem kam eine interessante Studie der "Deutsche Bank Research" Abteilung mit einer Studie auf den Markt, die durchaus das Potential hat, eine weitere Domäne der Publisher in Frage zu stellen. Der Autor Stefan Heng erläutert darin aus Sicht eines Volkswirtschaftlers das wirtschaftliche Potential, das in der Gamesbranche zweifelsohne vorhanden ist. Die überproportional guten Wachstumsraten dieses besonderen Wirtschaftszweigs der Unterhaltungsindustrie haben längst andere Bereiche wie die Musikindustrie oder die Filmindustrie überrundet. Weltweit wurden 2007 mit Games bereits 30 Milliarden Euro umgesetzt, bei Wachstumsraten von 12% per anno erwarten Experten für 2012 einen globalen Umsatz von ca. 52 Milliarden Euro. Bei solchen Summen werden naturgemäß auch die klassischen Industrie-Finanzierer hellhörig - die Banken. Bisher war es erfahrungsgemäß so, das ein Spieleentwickler im Vergleich mit anderen Produzenten von Unterhaltungsmedien (Kino, TV, Musik) bestenfalls belächelt wurde. Versuchte er, bei einer etablierten Bank einen Kredit für ein Projekt zu bekommen, so konnte er froh sein, wenn er überhaupt zu einem ernsthaften Gespräch geladen wurde - zu einem Kreditvertrag kam es letztlich so gut wie nie. Die "Schuld" daran, wenn man in diesem Zusammenhang überhaupt von Schuld sprechen kann, lag meistens auf beiden Seiten. Der Entwickler spricht zumeist viel und gern über sein Projekt und sein technisches KnowHow, vergisst dabei aber die wichtige Frage des Geschäftsmodells, also wie er mit seinem Projekt in einer angemessenen Zeitspanne Geld zu verdienen gedenkt. Die Banken auf der anderen Seite verfügen bis dato nicht über die nötigen Fachkentnisse, erfolgversprechende Projekte im Gameumfeld auch frühzeitig als solche zu erkennen und ggf. mit Krediten zu finanzieren. Es ist so, als ob ein Stummer einem Blinden etwas vorlesen will - der Wille mag da sein, allein es fehlt an den praktischen Voraussetzungen. Daher hat es sich im Laufe der Jahre eben etabliert, das Publisher die Schnittstelle zwischen Entwicklern und Banken bilden.
Aber gesetzt den Fall, das die Verantwortlichen bei den Bankinstituten angesichts solcher Studien wie der der Deutschen Bank umdenken und ernsthaft eine langfristige Änderung der bisherigen Strategie bei der Kreditvergabe an Spieleentwickler umsetzen, könnte der letzte, noch verbliebene Eckpfeiler der Publisher ins Wanken geraten. Sie könnten dann zwar ihr KnowHow bei der Risikoanalyse von Gameprojekten als Dienstleister an Banken vermieten, doch der direkte Einfluss auf Entwickler und damit auch die zukünftige Erlangung von Markenrechten könnte schwieriger, wenn nicht gar unmöglich werden. Publisher sind Dienstleister - sie produzieren nichts, es sei denn, sie kaufen sich eigene Entwicklerstudios, wie geschehen in der jüngeren Vergangenheit. Können Entwickler in Zukunft aber selber mit Banken Kredite aushandeln (evtl. unter Zuhilfenahme von anderen Dienstleistern wie Agenturen, Steuerberatern oder spezialisierten Anwälten), so entfällt der Druck, sich von einem Publisher aufkaufen zu lassen oder seine Markenrechte an einem erfolgreichen Produkt an diesen abzugeben.
Die Zukunft wird letztlich zeigen, ob Bankinstitute diesen neuen Markt wirklich erkennen und auch abdecken wollen und ob sich dadurch das bisherige Gefüge von Publishern und Entwicklern weiter auflöst. Spannend wird es auf jeden Fall.