AW: Charisma und Intelligenz
Manche Spiele verzichten ganz auf die Attribute Charisma und Intelligenz, manche machen Vorzüge raus, andere wenden sie nach dem gleichen Schema wie andere Attribute an (oder wie ein Kampf: Social Combat).
Ja. Die regeltechnische Abbildung von EGAL WELCHEN Eigenschaften, die man in einem Charakter finden könnte, ist immer eine Frage dessen, was man für den vom Regelsystem unterstützten Anwendungsbereich/Spielstiel benötigt. Natürlich gibt es bei Regelsystemen, die nicht überlegt entworfen, sondern nur schlecht zusammenkopiert wurden, keine solche gezielte Entwurfsausrichtung. Und darin liegt m.E. das Hauptproblem, das manche mit solchen Eigenschaften wie Charisma, Ausstrahlung, Intelligenz, Schläue, und wie sie nicht alle heißen, haben.
Wenn in einem Regelsystem GANZ KLAR ist, WIE diese Eigenschaften, WANN im Spielverlauf angewandt werden sollen, dann gibt es das Problem schlichtweg nicht.
Beispiel: Wenn Charisma nur als Bonus auf Fertigkeiten wie Überreden und auf einen Wurf zur Bestimmung der initialen(!) Reaktion eines Fremden auf den Charakter eingesetzt wird, dann ist das Umfeld, in welchem Charisma INS SPIEL(!) kommt, wohldefiniert. Es besteht keine Unsicherheit, ob und wann diese Eigenschaft im Spielverlauf zum Tragen kommt. Niemand muß "vermuten". Niemand muß sich ein Bein ausreißen im Versuch hier eine Oscar-reife Laientheaterdarstellung abzuliefern, bloß weil auf seinem Charakterbogen ein überdurchschnittlich hoher Wert für Charisma steht.
Nur wenn in einem Regelsystem der Einsatzbereich einer Eigenschaft wie Charisma NICHT KLAR GEREGELT ist, dann kommt es zu Unsicherheiten, für die das Regelsystem KEINE LÖSUNG enthält. Da aber diese Unsicherheiten im Spielverlauf beseitigt werden müssen, und da diese Beseitigung im laufenden Spiel zu erfolgen hat, bleibt zumeist allein das "Bauchgefühl" des Spielleiters - beeinflußt durch Sympathiefaktoren, durch "Deutschland sucht den Super-Laientheaterdarsteller", durch die Pizza, die man gerade gegessen hat - als Entscheidungsgrundlage. - Das so etwas unbefriedigend ist, kann man sich denken.
Daher sollte man bei der Auswahl eines Regelwerks, welches man für ein bestimmtes Genre, für ein bestimmtes Setting verwenden möchte, darauf achten, daß alle die Punkte, die OFT, die REGELMÄSSIG in den zu spielenden Szenarien auftauchen werden, darin auch klar, eindeutig, verständlich und praktikabel geregelt sind.
Das gilt nicht nur für Eigenschaften wie Charisma, sondern für ALLE nur erdenklichen Eigenschaften, die das aktive Spiel - regeltechnisch aufbereitet - beeinflussen können und sollen.
Wieder andere geben durch gute Ideen oder Ausspielen einen Bonus auf den Attributswurf.
Das ist in den wenigsten REGEL-Systemen so geregelt. Kann ja auch nicht, da NIEMAND vorher regeltechnisch festlegen kann, nach exakt welchen Kriterien eine Idee eine "gute", ein Ausspielen ein "gutes" sein soll, was dann einen Bonus auf einen Zufallsentscheid (muß ja nicht immer ein Attribut sein - s.o. - denn Charisma oder Intelligenz sind ja nicht in allen Regelsystemen als Attribut umgesetzt) ergeben soll.
Was hier gemeint ist, ist ein Verweis - eventuell auch im Regelwerk - an den Spielleiter als letzte und natürlich willkürliche Instanz zur Festlegung eines Bonus/Malus. Viele Regelwerke haben - manche ganz bewußt in Erkenntnis der Unmöglichkeit wirklich ALLES regeln zu können - solche Verweise an die Entscheidungsbefugnis des Spielleiters enthalten. Manche ganz offen, andere wiederum nur implizit. Z.B. überall dort, wo der Spielleiter eine Schwierigkeit, eine Zahl an Erfolgen, eine Zielgröße frei bestimmen darf, da ist die Festlegung eines Zielgröße in der Funktion identisch mit dem freien Gewähren eines Bonus nach Lust und Laune.
Das muß nicht schlimm sein.
Viele Rollenspiele verwenden die hier im Eingangsbeitrag aufgeführten Beispiele für Eigenschaften unter den Bezeichnungen "Charisma" und "Intelligenz" nicht oft und nicht prominent. In manchen Rollenspielen ist Charisma eine klassische "dump stat", die jeder, der etwas auf ordentliches Min-Maxing hält, sofort auf den minimal zulässigen Wert drückt, um mehr Punkte für "richtige" Charakteristiken zu haben.
In solchen Rollenspielen erlebt man das im Eingangsbeitrag implizierte Problem mit diesen Charakteristiken von sekundärer Bedeutung für die "Core Stories", die von diesen Spielen unterstützt werden sollen, eher weniger. Meiner Erfahrung nach sogar garnicht.
In Rollenspielen, die hingegen in ihrer "Core Story" im Wesentlichen auf Zwischenmenschlichem aufsetzen. In Rollenspielen, wo der "social combat" eine ganz wichtige Stelle in den Szenarien einnimmt, da sollte - so die Regelentwickler fähig und willens waren ihr Regelsystem auf diese Art von Kernkonflikten einzustellen - das Regelwerk KLARE, EINDEUTIGE REGELN für diese sozialen Konflikte mitbringen.
Wo dies nicht der Fall ist, da liegt ein für diese Art Szenen, für diese Konflikte weniger geeignetes Regelwerk vor.
Ist das Regelwerk "robust", so kann man es AUCH für diese Art von Konflikten verwenden, meist verlieren die sozialen Konflikte aber in der Detailtiefe und der Detaillierung der Konsequenzen erheblich im Vergleich zu den Kampfsystemen, die in der Mehrzahl der Rollenspielregelwerke einen sehr breiten Raum eingeräumt bekommen, mit vielen speziellen, detaillierten Regeln, mit klar herausgearbeiteten Konsequenzen bei Erfolg oder Mißerfolg.
Es gibt auch Regelwerke, die NUR EINE ART KONFLIKT kennen. Da wird regeltechnisch ein Streitgespräch IDENTISCH behandelt wie ein Degenduell. Diese Regelsysteme (z.B. HeroWars/HeroQuest) haben kein separates Kampfregelsystem getrennt von einem sonstigen Fertigkeitensystem, sondern nur ein einziges, generisches Konfliktauflösungssystem. - Das hat den Vorteil, daß eben Nahkampf und Bardenwettstreit und Autorennen IDENTISCH abgewickelt werden. Das hat den Nachteil, daß KEINES der unterschiedlichen Konfliktfelder WIRKLICH IM FOKUS des betreffenden Rollenspiels steht. Keines der unterschiedlichen Konfliktfelder bekommt hier durch mehr Details eine Position im Rampenlicht. - Und das ist etwas, was man als Entwickler nicht vergessen sollte. So schön symmetrisch es sein mag alle Konflikte über denselben Kamm zu scheren, so ist doch die ERWARTUNG von Spielern in einem bestimmten Genre, in einem bestimmten Setting die, daß die GENRE-DEFINIERENDEN VERSATZSTÜCKE auch im betreffenden Rollenspiel eine prominente Rolle spielen: sie BRAUCHEN EINFACH MEHR DETAILS.
Und damit brauchen sie genauere, besondere, charakteristische Regeln.
Wenn ich ein Rollenspiel in einem Genre spiele, wo es für die gängigen Szenarien-Elemente im betreffenden Genre wichtig ist, daß unterschieden wird, ob jemand mit einer .44er oder mit einer .38er bewaffnet ist (z.B. in Hell on Earth, wo Munition extrem knapp ist und ein noch so guter Schütze gearscht ist, wenn er keine passende Munition mehr hat), dann MUSS das im Regelsystem eine Abbildung finden, um meine Erwartungen an die wiedererkennbare Umsetzung des Genres zu treffen. - Gibt es das dort nicht, so wäre ich von der Umsetzung enttäuscht. Dann wäre das Rollenspiel nicht wirklich in der Lage, das von mir Gewünschte im Spiel zu unterstützen und ich sollte mich nach einem Regelwerk umschauen, welches die von mir für wichtig erachteten Bestandteile enthält.
Zurück zu Charisma und Intelligenz.
Wenn diese beiden Eigenschaften für ein bestimmtes Genre, für ein bestimmtes Setting eine so HERAUSRAGENDE Rolle spielen, daß man hier MEHR DETAILS BRAUCHT, dann sollte man das einzige Sinnvolle tun: sich ein Regelsystem ausgucken, welches den gewünschten Detaillierungsgrad abzubilden in der Lage ist.
Man sollte aber nicht anfangen herumzujammern, daß Charisma und Intelligenz ja eh nie von einem Spieler "richtig" dargestellt werden könnten und daß man deswegen besser grundsätzlich auf beide verzichtet. - Das löst das Problem nämlich keineswegs.
Das Problem ist nicht, daß es Charisma oder Intelligenz als Charaktereigenschaften gibt. JEDER Charakter kann mit Fug und Recht über Charisma, Intelligenz, Führerschein, Heiligenschein, Plattfüße, Achselschweiß, Sex-Appeal, Vo-Ku-Hi-La-Frisur, und viele, viele weitere Eigenschaften verfügen.
Das Problem ist nur: Wie WICHTIG sind WELCHE dieser vielen Eigenschaften für das, was man Spielen will?
Und wer ein unpassend ausgerichtetes Regelsystem verwendet, um damit etwas zu spielen, wofür das Regelsystem nie entworfen wurde, der versucht seine Suppe mit der Gabel zu essen. Davon wird er nicht nur nicht satt, sondern im Versuch wird die Suppe auch noch kalt.
Ich bin kein WoD-Kenner. Ich bin nicht mit dem Storyteller- und auch nicht mit dem Storytelling-System vertraut. Ich gebe hier mal nur etwas wieder, was ich von dritter Seite gelesen, gehört habe. - In dem Storyteller-System wird sehr breit geregelt, wie ein Kampf abläuft, welche Konsequenzen aus den Handlungsmöglichkeiten im Kampf erfolgen, und dies in hoher Detailtiefe. Dagegen wird nicht annähernd detailliert die soziale Interaktion REGELTECHNISCH abgebildet. - Nun haben manche Leute das Problem, daß sie über diese "Definitionslücken" in den Regeln IHR EIGENES SPIEL nicht unterstützt finden. Sie wollen selbst lieber die sozialen Konflikte in den Vordergrund heben, die Regeln heben aber - allein über den Raum der Detaillierung der Kampfregeln - den physischen Kampf in den Vordergrund.
Für mich ein Fall, wo das Regelwerk nicht zu den gewünschten "Core Stories" paßt. Das Regelwerk will andere Geschichten in den Vordergrund, mit mehr Details, mit mehr Handlungsoptionen, mit mehr geregelten Aspekten heben, als dies das Setting, der Fluff, und die Spielererwartung aufgrund des Setting-Fluffs wollen. - Hier liegt das Problem einfach im anderen Fokus von Crunch gegenüber dem Fluff des Settings.
Wenn ich hingegen mit HeroQuest eine detaillierte taktische Situation ausspielen möchte, wo ich in den Details der Handlungsmöglichkeiten meiner Stammeskrieger schwelgen kann, dann bin ich da falsch. HeroQuest inszeniert Kampfszenen nicht auf taktischer Ebene, sondern ausschließlich auf erzählerischer Ebene, wo man nicht um jede gerissene Bogensehne, nicht um jedes gebrochene Schwert den Zufallsmechanismus befragt, sondern wo es um den Ausgang der GESAMTEN Kampfszene geht. Viel gröber. Sehr viel gröber, als dies ein Taktiker erwarten würde. - Aber paßt dieses doch sehr grobe Regelsystem, welches KEINE Unterscheidung zwischen Kampfszene und Gesprächsszene kennt, dann zum Setting?
Ja. Es paßt zu dem Setting-Fluff der Welt Glorantha zur Zeit der Hero Wars. Dort stehen sich überlebensgroße Gestalten, HELDEN, gegenüber, die ihre Zeit und ihr Augenmerk nicht an unwichtigen Kleinkram verschwenden. Leute, die eine Stadtmauer mit einem Hieb ihres Streitkolbens niederreißen können, die interessiert etwas anderes als das übliche Fantasy-08/15-Mikromanagement. - Für die Art von Geschichten, die man bei HeroQuest spielt, ist der Detaillierungsgrad genau richtig. Und - fast noch wichtiger - die Konsequenzen von sozialen Konflikten sind mindestens genauso gefährlich, wie die des physischen Kampfes. Wer massiv unterliegt, könnte aus seinem Stamm verbannt werden. Das ist dort schlimmer als der Tod, da ein Charakter auf Glorantha NUR IN EINER GEMEINSCHAFT etwas kann. Er wird vom Glauben und Vertrauen seiner Gemeinschaft - auch regeltechnisch! - massiv unterstützt. Und sein Scheitern kann den Ruin der gesamten Gemeinschaft nach sich ziehen. Wer da in EGAL WAS FÜR EINEN Konflikt naiv und ohne Risikobewußtsein geht, der merkt sehr bald, wie ernst das Regelsystem das mit den sozialen Konflikten meint.
Und es gibt sicher noch einige andere Möglichkeiten (gerne hier nennen).
Genau. HeroQuest kennt KEINE festen Eigenschaften. - Überhaupt keine.
Man beschreibt seinen Charakter im Freitext (so ähnlich wie bei Castle Falkenstein), und zieht aus der textuellen Beschreibung Begriffe, Schlüsselworte, heraus, die quantifiziert werden. - Und da kann jemand durchaus hinschreiben "Jorslan ist ein hochintelligenter Schreiber. Er kann jederzeit das obskurste, kleinste Detail von Dingen wiedergeben, die er mal gelesen hat." So etwas gibt dann "Hochintelligent", "Schreiber", "Finde obskures Detail". Das quantifiziert: "Hochintelligent 19", "Schreiber 17", "Erinnern an obskure Details 25". - Wenn er nun irgendetwas machen soll, wobei ihm seine Eigenschaft "Hochintelligent 19" etwas helfen könnte (z.B. einen neuen Bewässerungsplan für das nächste Jahr aufstellen), dann wird das vom Regelsystem in dem anstehenden Konflikt eingesetzt. Wenn er aber in einen Konflikt gerät, in welchem nicht seine hohe Intelligenz eine Rolle spielt (z.B. beim Frühjahrstanz eine gute Figur abzugeben), dann wird diese eben nicht berücksichtigt.
Könnte der Spieler dann nicht STÄNDIG diese Eigenschaft "Hochintelligent 19" einsetzen? Immerhin nutzt das dem Charakter ja bei fast allen geistigen Aktivitäten, so daß er das andauernd benutzen könnte? - Ja. Und das SOLL er sogar! HeroQuest ist kein Spiel für jammernde Selbstkasteier, die das, was auf dem Charakterbogen steht, nicht einsetzen wollen, weil das die "bessere" Geschichte gäbe (eine in der der Charakter ständig scheitert und Depri schiebt). Bei HeroQuest soll sich der Spieler überlegen, wie er ALLES, was sein Charakter kann, was irgendwie erklärbar ist (vom Spieler - hier wird die Geschichte durch solche Schilderungen, warum bei der Kaninchenjagd eigentlich die Fähigkeit "Erinnern an obskure Details 25" für diesen Charakter zur Anwendung kommen kann, enorm bereichert), in den Konflikt einbringt. Aber: Alles, was in den Konflikt eingebracht wird, muß auch die Konsequenzen tragen, wenn der Konflikt schwer verloren wird! Somit ist keinerlei "Mißbrauch" zu befürchten.
So kann rein regeltechnisch knallhart quantifiziert, knallhart geregelt, mit knallharten Konsequenzen die Unsicherheit vermieden werden, wie man mit solchen Eigenschaften wie "Charisma" und "Intelligenz" umgehen soll.
Es ist einfach eine Frage der Regeln und der konsequenten Anwendung dieser Regeln.
Nur wenn ein Regelsystem solche Eigenschaften nicht klar regelt, besteht das Potential, daß man in unsicheres Fahrwasser gerät und nicht mehr solche Eigenschaften wie Charisma und Intelligenz in seinen Rollenspielen haben mag. Dieses Vermeiden geschieht - so es nicht bereits vom Regelsystementwickler aufgrund von Entwurfsentscheidungen erfolgt ist - ausschließlich aus Unsicherheit. Und die kommt, weil man das für den eigenen Spielstil, die eigenen Absichten ungeeignet ausgelegte Regelsystem verwendet. - Das läßt sich leicht ändern.
Aber welchen Umgang mit Charisma und Intelligenz haltet ihr für sinnvoll?
Siehe oben.
Wenn soziale Konflikte den physischen in den zu spielenden Szenarien untergeordnet sind, dann möchte ich auch, daß Charisma gegenüber Nahkampf geringere regeltechnische Detailtiefe bekommt.
Wenn soziale Konflikte gleich wichtig oder wichtiger als die physischen sind, dann möchte ich, daß ich für die sozialen Konflikte ausgearbeitete, klare Regeln zur Durchführung und zur Anwendung der Konsequenzen aus diesen Konflikten habe. - Wenn ich diese von einem Regelsystem nicht geboten bekommen, dann soll mir das Regelsystem klar sagen, daß ich mich hier zur Hure meines Spielleiters machen muß, wenn ich von ihm bestenfalls eine "Bauchentscheidung" nach seiner aktuellen Stimmungslage zu erwarten habe. (In diesen Fällen lasse ich das Regelsystem meist gleich als ungeeignet liegen und spiele ein Rollenspiel, welches in der Lage ist so etwas regeltechnisch zu erfassen.)
Spieler und Charakter lassen sich bei diesen beiden Attributen oft schwer trennen.
Nur bei diesen beiden Attributen (hier nimmst Du übrigens einfach an, daß Intelligenz und Charisma als Attribut ins Regelsystem eingebaut wurden. Davon würde ich NIE ausgehen wollen. Gerade bei der klassischen "dump stat" Charisma nicht. Und bei Intelligenz auch nicht.
Und was ist mit Taktik?
Wo gibt es ein Attribut "Taktik"? Und wie wird es im Spiel benutzt?
In manchen Rollenspielen gibt es Fertigkeiten oder Vorteile, die irgendwo Taktik in der Bezeichnung haben, und in den meisten Umsetzungen davon bleibt NICHTS regeltechnisch wirklich Brauchbares, nichts klar anwendbar Geregeltes davon übrig.
Beispiel: Spieler A ist ein lieber, netter Mensch, der es gewohnt ist in Fantasy-Rollenspielen einen harten, frontalen "Tank" zu spielen. Er geht dort hin, wo es Haue gibt, und teilt seine Haue auf alle, die ihm zu nahe kommen aus. - So weit, so taktisch simpel. - Nun spielt der Spieler A in einem modernen bzw. Sci-Fi-Kriegssetting einen kommandierenden Offizier, dem zwei Dutzend Soldaten unterstellt sind, z.T. mit schweren MGs, mit Mörsern etc., der Luft- oder Artillerie-Unterstützung einfordern kann (und soll), und der ein haariges taktisches Problem einen von Feinden in Bunkerstellung kontrollierten Grat einnehmen zu müssen, lösen soll. - Im Einzelkampf nach Fantasy-Art hat er sich stets wacker geschlagen. Hier, wo er als TAKTIKER (so sagt das sein Charakterhintergrund und seine Vorteile etc.) versuchen soll zu agieren, da scheitert er kläglich. Da muß er mit schwersten Verlusten nach zum schlechtest möglichen Zeitpunkt angefordertem Napalm-Abwurf die Hälfte seiner Truppe abschreiben. Da machen die Angegriffenen einen Gegenschlag, hauen seine vorgeschobene Stellung mit Panzerhaubitzen in Klump und nur er (und die Hälfte der anderen Spielercharaktere) kommen mit Verletzungen davon und können fliehen. - Totales Desaster!
Wie konnte das passieren?
Das lag daran, daß der SPIELER kein Taktiker war, auch wenn sein Charakter ein Taktiker hätte sein sollen.
Ist das wirklich so anders im Vergleich zu einer Niete in menschlichen Umgangsformen, der in Castle Falkenstein den stets korrekten Salonlöwen spielen will?
Ich kann überhaupt nicht einsehen, warum man hier nur auf Charisma und Intelligenz herumreiten soll, wo doch OFFENSICHTLICH auch andere Eigenschaften, die Charaktere haben, die aber deren Spieler NICHT aufweisen, im Rollenspiel vorkommen.
Also gerade in der Taktik-Richtung habe ich schon enorm viele Totalversager im Rollenspiel erlebt. Das fängt im Kleinen bei einer typischen D&D-Abenteuerergruppe an, die nicht in der Lage ist effektiv miteinander zusammenzuarbeiten, die null Taktik, null Kooperation zeigt, das geht weiter bei Engel, wo der Taktiker und Kommandeur, der Michaelit, von einem Spieler gespielt wird, dem alles Militärische total fremd ist, der sich keinerlei Vorstellungen von Luftkampf, von Luft-Boden-Kampf, etc. machen kann, und der irgendwie nicht kapiert hat, daß es bei Engel um die SOLDATEN, die LUFTWAFFE der Angelitischen Kirche geht, nicht um liebe kleine Putten, die Amors Pfeilchen verschießen.
Was macht man da?
Manche Rollenspiele haben (HeroQuest hatte ich da ja schon erwähnt) für solche Probleme gerade auch mit der Taktik einfach den Detailgrad der Auseinandersetzung vergröbert. So kann auch ein Nicht-Taktiker mehr erzählen, denn über Detail-Entscheidung langsam herbeiführen, daß er die gegnerischen Stellungen nach hartem, aber entschlossenem Vorgehen aufgebrochen hat und der Feind sich zur Flucht wenden mußte. - Das macht es einfacher für alle Beteiligten.
Auch beim Taktiker-Problem könnte man nun sagen: Wer taktisch nichts drauf hat, der soll hat kein Fantasy-Abenteuer mit Kampf, Krieg, Kerkern spielen.
Das habe ich aber weit seltener gehört oder gelesen, als diesen - im Vergleich dazu tatsächlichen - Unfug, daß ein Spieler, der nicht so eloquent ist, eben keinen Charmeur, keinen Gebrauchtwagenhändler, keine Radiomoderator spielen soll (gemeint ist hier ja: keinen spielen DARF!).
Es ist immer eine Frage der Häufigkeit, mit der ein Spieler, dessen persönliche Eigenschaften sehr deutlich anders gelagert sind, als dessen Spielercharaktereigenschaften, im Spiel in Situationen geraten wird, in denen der Spieler gefordert, eventuell sogar überfordert, ist.
Wer ein Weird Wars Rollenspielszenario anfängt, der weiß, daß dort KRIEG gespielt wird. Taktik ist ständig gefordert. Wer ein typisches D&D-Fantasy-Szenario anfängt, der weiß, daß dort Monsterkloppen in kleinen Kampfeinheiten angesagt ist. Taktik wird oft notwendig sein, aber ein Mangel an Taktik kann durch die Zähigkeit der Spielercharaktere (es ist ja eher ein "heroisches" Rollenspielregelsystem) aufgefangen werden. Wer ein typisches Castle Falkenstein Szenario anfängt, der weiß, daß dort Kämpfe fast ausschließlich in Form von Duellen zwischen Leuten, die einander - und sei es auch noch so zähneknirschend - respektieren, stattfinden. Taktik ist hier weniger notwendig als kinoreife Findigkeit, markige Sprüche und das Verhöhnen des Gegners.
Die rollenspielerische Seite müsste eigentlich wertegerecht agieren und die brett-/gesellschaftsspielerische Seite müsste eigentlich rein über den Wurf abgehandelt werden.
Das ist natürlich Unfug. Siehe meine obigen Ausführungen. - Wenn es ein Brettspiel wäre, dann wären die Regeln klar, wohldefiniert und in ihrem Anwendungsbereich sehr begrenzt. Deswegen ist ja auch Rollenspiel kein Brettspiel.
Aber was heißt "wertegerecht agieren"?
Meinst Du, der Spieler des Supercharismatikers muß nun "wertegerecht" einen deutschen Theaterpreis erspielen, damit Du als sein Spielleiter zufrieden bist und ihn nicht bestrafen wirst, was Du bei einer "schlechteren Performance" tun wirst?
Das halte ich für völlig indiskutabel!
Wenn das diskutabel wäre, dann verlange ich demnächst von meinen Nicht-Taktikern eine taktische Brillianz, die zumindest mir als altem CoSim-Spieler das Wasser reichen kann. Ich werden dann einen Total-Party-Kill für mich persönlich jedesmal als Ziel eines Szenarios aufstellen, welches zu erreichen ich mir die höchste Mühe geben werde. Und wehe einer meiner Spieler versagt auf der Taktikebene! Dann werde ich ihn und seine Mitstreiter bestrafen, weil sich nicht "wertegerecht agiert" haben. Ich lösche sie alle aus. Alle. ALLE. A.L.L.E.!
Wir trennen zwischen Charakter und Spieler.
Daß das unmöglich ist, braucht, glaube ich, inzwischen ja wohl nicht mehr dargelegt werden. Wer noch nicht festgestellt hat, daß der Charakter nicht existiert, sondern nur ein Teil des Spielerwissens ist, und daß das Handeln des Charakters ausschließlich das Handeln des Spielers über den "Filter", den es sich selbst durch die Charaktereigenschaften und die Akzeptanz eines Regelsystems auferlegt hat, nur der kann noch glauben, daß man da wirklich trennen könnte.
Jeder Spieler darf jederzeit Ideen und Vorschläge äußern, wir vertrauen darauf, dass die verschiedenen Spieler diese Freiheit nicht mißbrauchen, um sich dauernd in den Vordergrund zu drängen.
Das ist was anders als die obige Trennung. Das ist ganz normales, ganz natürliches Mitspielen aller Spieler, auch der, die nicht gerade das Handlungsrecht, bzw. den Fokus der Szene haben.
Will oder kann ein Spieler eine bestimmte Aktion nicht ausspielen, bringt ihm das keinen Nachteil.
Genau das ist etwas, daß auch mir SEHR wichtig ist.
Was aber für mich dazugehört ist, daß nicht das Ausspielen den Handlungserfolg bestimmt, sondern nur die Ausgangslage des Konfliktes, die Ausgangslage der Handlung formuliert, dann wirkt der regeltechnische Mechanismus ganz nach den Grundlagen der gemeinsamen Fairness, eben nach den Regeln, und das Ergebnis ist dann wieder durch Ausspielen der Konsequenzen des Konfliktes bzw. der Handlung in einen in-game-Realität umzuwandeln.
Das geht natürlich nur, wenn man ein Regelsystem verwendet, welches einem diese faire Art des Einbeziehens unterschiedlich begabter Mitspieler erlaubt.
Am besten beide aus der Liste der verfügbaren Attribute verbannen. Einfach weil beide sinnlos sind.
Sinnlos? Das kommt ja wohl auf die Szenarien an, die man spielen will. Wenn es klare Regeln gibt, wie diese Eigenschaften ins Spiel kommen, und wenn diese Eigenschaften in dem von den Regeln unterstützten Setting von Bedeutung sind, dann sind sie alles andere als sinnlos.
Wenn man dieses fummelige Thema halbwegs ohne böses Blut ausarbeiten will, finde ich die Verwendung von regeltechnisch klar quantifizierbaren Vorteilen noch am besten. Gutes Aussehen z.B., oder Extrasprachkenntnisse. Aber bitte keine Schwammattribute wie "Charisma".
Wenn Charisma WOHLDEFINIERT ist, dann ist es auch kein "Schwammattribut" mehr.
Und auch "Konstitution" kann in Rollenspielregelwerken schwammig definiert sein. Oder "Geschicklichkeit" oder - schlimmer noch - Unterschiede zwischen "Beweglichkeit" "Geschicklichkeit" "Gewandtheit" "Gelenkigkeit" "Reaktionsschnelligkeit" "Agilität" "Flinkheit" usw. sind nicht klar herausgearbeitet bzw. nicht nachvollziehbare Spitzfindigkeiten ohne spielerischen Mehrwert.
Also auf Charisma und Intelligenz herumzuhacken macht wenig Sinn, wenn man nicht auch ALLE anderen Attribute, die genauso wenig durchdacht von Regelsystementwicklern hingeschrieben wurden, heranzieht und kritisch beäugt.
Warum eigentlich nur Charisma und Intelligenz? - warum nicht alle Attribute und Fähigkeiten, die soziale oder kognitive Bedingungen voraussetzen, restlos streichen?
Beinahe richtig.
Nicht "alle streichen", sondern "alle, die eine Bedeutung im jeweiligen Setting haben, zulassen" ist der Weg.
Aus den beiden Attributen ein Vorteil zu basteln ist mMn auch blödsinnig, weil es dann nicht mehr steigerbar wäre und diese Stagnation den Charakter somit ebenfalls indirekt stagnieren lässt.
Da implizierst Du einen ganz bestimmten, sehr statischen regeltechnischen Umgang mit einem Vorteilssystem. Das ist bei weitem nicht die einzige Art ein Entwurfskonzept für eine Regelsystem, welches einen Vorteil abbilden soll, umzusetzen. Steigerbare Vorteile sind sogar eine sehr gängige Umsetzung (Deadlands, D&D/D20, etc.).
Dennoch verwende ich Intelligenz und Charisma nicht im Rollenspiel, da mir die Auslegung dieser beiden Attribute viel zu weitgefächert/undefiniert ist.
Du hast dann ganz einfach nur ein für Deine Art zu Spielen nicht ausgelegtes Regelsystem erwischt. Wenn bestimmte Eigenschaften "zu weitgefächert/undefiniert" sind, dann liegt das daran, wie das Regelsystem konzipiert wurde.
Und ja, ich schließe nicht aus, daß das Regelsystem bzw. dessen Autoren sich bei der schwammigen Beschreibung von Charisma und Intelligenz tatsächlich NICHTS gedacht haben, sondern das einfach aufgeschrieben haben, weil man da seit den 1970er Jahren so macht. Diese Nicht-Denkweise ist unter den Rollenspielentwicklern - insbesondere den "Neu-Erscheinungen" der letzten Jahre - sehr verbreitet.
Man macht etwas so, weil das alle vor einem auch so gemacht haben. Nicht Denken, nicht Analysieren, nicht Überlegen zu müssen, WARUM diese Eigenschaft eigentlich im aktuell selbstentwickelten Regelwerk auftreten muß, daß ist doch viel bequemer. Vor allem kommt man so ja auch nie zu dem lästigen Schluß, daß man selbst keine Ahnung hat, wozu man eigentlich Charisma, Intelligenz, Gewandtheit/Geschicklichkeit überhaupt brauchen soll.