Dir fehlt der Funk
Zu Funky Colts ist jetzt ein Preview raus. Eine gute Gelegenheit dafür dass der Autor des ARS-Manifests dem mal auf den Zahn fühlt und auf ARS- oder zumindest xErz-Tauglichkeit testet.
Für alle Unbedarften, an denen der bisherige Werberummel vorbeigegangen ist, sei hier nur noch einmal die Zielsetzung von Funky Colts wiedergegeben:
Funky Colts ist ein freies Rollenspiel der alten Schule, in dem man Abenteuer im Stile der 70er und 80er Jahre Action-Fernsehserien erleben kann. Dabei geht es nicht darum einfach eine Serie nachzuspielen, sondern darum eine eigene Reihe zu entwickeln, mit eigenen Helden, einem eigenen Hintergrund, eigenen Bösewichten und allem was dazu gehört. Der Fokus von Funky Colts wurde dabei bewusst auf ein unkompliziertes Regelsystem gesetzt, ohne besonderen Anspruch auf Realismus. Wie bei den Actionserien der 70er/80er, sollen auch die Abenteuer – die Episoden - bei Funky Colts schnell, spannend und unterhaltsam sein. Sie sollen Spaß machen, ohne dass man sich dabei Unmengen an Regeln merken oder mitten im Spiel im Regelwerk blättern muss, um die Formel für Querschläger an Betonwänden zu finden. Es geht um Action, um Spaß, um spektakuläre Stunts, heiße Verfolgungsjagden, gefährliche Schießereien, scharfe Bräute, harte Kerle und das alles im Funky-Flair der 70er oder im Neonlicht der geschmacksverkalkten 80er. Bei Funky Colts lässt sich ein Charakter in zehn Minuten zusammenbauen, dann braucht man nur noch eine Donna Summer oder Grand Master Flash CD, ein paar Würfel, was zu knabbern und schon kann man loslegen.
Fluffiges
Das Preview kommt als PDF daher, das seine satten 4,7MB beansprucht - eine üppige Größe für nur 28 Seiten, die leider (zumindest auf meinem Uraltrechner) auch mit sich bringt dass das PDF seine Zeit braucht um durchgeblättert zu werden. Wurden hier Bilder überlappt? Wurden hier nur die Bildanzeigen verkleinert, anstatt die Datei selbst zu verkleinern? An diesem Punkt sollte auf jeden Fall gearbeitet werden.
Zumindest von der Optik her weiß Funky Colts dann wieder zu überzeugen. Man bekommt Vollfarbe geliefert, das Layout ist (bis auf ein paar etwas häßliche Tabellen) angenehm, und die Illus vermitteln 70er-Stimmung ohne dass es häßliche Ausreißer nach unten gäbe.
Zum Setting gibt es nicht viel zu sagen: 70er und 80er halt, A-Team, McGyver & Co hat jeder von uns gesehen, also schnappen wir uns Pornobrillen und Schlaghosen (bzw. Netzhemden und Vokuhilas) und basteln mal drauflos.
Crunchiges
Kommen wir zum spannenden Teil, dem Crunch.
Das Preview beginnt gleich mit der
Charaktererschaffung, wo uns 6 Attribute (unterteilt in die 3 Gruppen Körper, Geist und Seele) und ein ganzer Sack an Fertigkeiten (ebenfalls in 3 o.g. Gruppen unterteilt) erwarten.
Hier hat es auch gleich zwei verschiedene Arten von Charaktererschaffung: Ein maskiertes Prioritätensystem und Point-buy. Beim Prioritätensystem verteilt man erst Prioritäten zwischen den drei Attributsgruppen, die wiederum Punkte generieren die man unter den beiden zugeordneten Attributen verteilen kann, und dann Prioritäten unter den drei Fertigkeitsgruppen die man unter die zig Skills verteilen kann. Beim Punktesystem hat man einfach getrennte Punktekonten für Attribute und Skills und verteilt sie frei Schnauze.
Beide dürften den Anspruch "Chargen in 10 Minuten" erfüllen, aber hier fehlt eine Erklärung was der Sinn hinter den beiden Optionen ist. Was erreiche ich wenn ich mich für Prios entscheide, und was erreiche ich wenn ich Pointbuy mache? Hier wären Designer Notes wirklich interessant.
Bei den
Fertigkeiten gibt es auch gleich den ersten Wermutstropfen: Hier hat ein ziemlicher Mischmasch stattgefunden. So gibt es die beiden Überfertigkeiten "Fernkampf" und "Nahkampf" mit denen man alles abdeckt, vom geworfenen Wurfmesser bis zum Raketenwerfer und von der blanken Faust bis zum Claymore-Schwert, flankiert von Orchideenfertigkeiten wie "Performance" die nur ein sehr eingeschränktes Feld bedecken und wo es vom Wohlwollen des SLs abhängt was man erreichen kann. Besonders negativ fällt auf dass Soziales auf zig teils sehr enge Skills (z.B. "Bluffen" oder "Verführen") aufgeteilt wurde - wer also den Beverly Hills Cop spielen will wird neidisch zu seinem Kumpel Bud Spencer schauen, dem eine auf Anschlag gebrachte Fertigkeit reicht während man selbst wegen der weiten Streuung nicht über Mittelmaß hinaus kommt.
Hier wäre es sinnvoll gewesen entweder die verschiedenen Bereiche ähnlich breit zu halten, Fluffiges über eine Art Wissensfertigkeitskonto à la SR3-4 abzuwickeln und/oder den zentralen Kampf rein über Attribute oder ein getrenntes Kampfkraft-Konto abzuwickeln (vgl. TRoS mit seinen Proficiencies und Vocations).
Das nächste Kapitel sind die
Stunts, eine Art Feats von denen man zu Spielbeginn zwei Stück hat und die coole Sondereffekte freischalten. Eine recht nette Idee, wobei die meisten Stunts leider etwas unsexy sind da sie nur ein stumpfes +x auf irgendeinen Skill liefern. Hier fehlt etwas d4 4w3s0m3n3zz, die grundlegende Beschränkungen aushebelt und Stunts wirklich ins Spotlight hebt.
Immerhin gibt es ein paar (z.B. "Ein echter Indianer kennt keinen Schmerz") bei denen das anders ist. Ich hoffe dass da in der endgültigen Version mehr nachkommt.
Einer der interessanteren Punkte ist die
Story: Funky-Colts-Charaktere beginnen ohne Hintergrund, sondern entwickeln ihn erst im Spielverlauf. Dazu gibt es auf dem Charakterbogen einen "Story"-Kasten, auf dem man Fakten einträgt die im Spiel auftauchen. Diese Fakten werden in Freiform ohne unterstützendes System erschaffen, aber es ist dennoch eine ganz nette Idee. Und mir ist jeder recht der etwas gegen
10seitige VERDAMMT GUTE Geschichten unternimmt.
Als nächstes kommen die
XP. XP heißen hier zwar Mojos, sonst ist's aber nicht andos. Man bekommt hier mal wieder ein typisches WW-System geliefert wo es keinen harten Bezug zum Spielgeschehen gibt und der SL jede XP-Menge mit jeder Begründung vergeben kann, die er will. Die meisten Gruppen werden das wohl ähnlich wie beim Vorbild ziemlich rasch gegen die "Jedem das gleiche"-Schöpfkelle austauschen.
Danach hätten wir den recht unspektakulären
Grundmechanismus, ein Overroll-System nach dem Strickmuster "Summe aus Attribut (1-6) + Skill (1-6) + 2 explodierende W6 gegen den Mindestwurf wo dein SL dir sagt". Schnell, funktioniert und bringt durch explodierende Würfel mit geringer Seitenfläche Potential für Überraschungen rein, aber nichts besonders bemerkenswertes.
Interessant ist hier nur noch dass die obligatorische Tabelle mit den typischen Schwierigkeiten keinen Eintrag für leichte Aufgaben enthält - darauf wurde bewußt verzichtet, da HELDEN leichte Aufgaben immer packen sollten. Wenigstens ein kleiner Tribut an die Vorlage.
Der Rest ist das übliche Zeug dass seit WWs Zeiten in jedem Rollenspiel zu finden ist (Teamwork, ausgedehnte Proben - been there, done that...)
Das einzige was bei mir eine erhobene Augenbraue ausgelöst hat war die Regel für Aktionen, bei denen man die Fertigkeit nicht besitzt: Hier nimmt man nicht einfach das nackte Attribut, sondern darf es noch halbieren, ein Moment wo mir ein herzhaftes "WTF?" durch den Kopf ging. Schneller wird das Spiel dadurch nicht wirklich. Wollte man hier "Realismus"? Hatte man Angst vor Allroundern die gleichzeitig Ballern, Weiber abschleppen und Bomben zusammenmcgyvern können? Wenn man Allrounder fürchtet, warum hat man dann ein Prioritätensystem eingebaut das genau solche Allrounder fördert? Oder fürchtet man One-Trick-Ponies und will sie abwatschen? (Wobei die Frage ist warum man dann in erster Linie Stunts hat die durch das effektive Erhöhen des Skillmaximums genau solche One-Trick-Ponies belohnen.) Diese Sonderregel würde ich ersatzlos rauskicken.
Mit dem
Actionpool kommen dann auch schon die
Gummipunkte. Fünf Stück hat der Startcharakter davon, und wenn man einen davon ausgibt erhält man einen zusätzlichen w6 für seine Probe (was auch nachträglich geschehen kann). Aufgefrischt werden sie 7th-Sea-mäßig für "coole Aktionen", ohne dass spezifiziert wird wie oft der SL sie rausrücken sollte. Dem prospektiven xErz- oder ARS-SL sei hier nahegelegt sich ASAP einheitliche und belastbare Vergabemaßstäbe zu erschaffen, denn Funky Colts liefert solche nicht mit. Ein böser Fallstrick um in die Tiefen des SchErz zu versinken!
Und wie zu erwarteh ist auch bei Funky Colts
Kampf der 500-Pfund-Gorilla unter den Regelkernen. Hier gibt es keine großen Überraschungen: Initiativewurf für jeden, absteigende Handlungsreihenfolge, jedem eine Handlung, aktive Verteidigung, Schadenswurf und eine Art Schadensmonitor. Jeder von uns hat sicher schon genug sehr ähnliche Systeme gesehen um hier schnell durchsteigen zu können, auch wenn von besonderer Förderung von Aktsch leider nicht viel zu merken ist.
Positiv: Man hat auf eine 30seitige Auflistung von Waffen verzichtet und ist lieber sehr grob bei "Pistole", "Schrotflinte", "Messer" etc. geblieben - hilfreich um den Charakter schnell zu erschaffen. Wer mehr Individualität will holt sich eben den Stunt "Mein Baby", der einem Dirty Harrys "stärkste Faustfeuerwaffe der Welt" als persönliches Mordwerkzeug liefert.
Negativ: Der Manöverwirrwarr. Es gibt zwar Entwaffnen, KO-Schläge & Co, aber sie bringen wild durcheinander fliegende Abzüge, und weil man da i.d.R. noch zusätzliche Würfe ablegen muss sind sie unattraktiv, weshalb es sich in der Spielpraxis wohl auf stumpfes "Ich hau druff" beschränken wird weil der Rest sich nicht lohnt - das DSA4-Problem. Die Autoren seien hier dringend auf
Epos mit seinen Schadenseffekten verwiesen, wo man den Angriff immer gleich ausführt und nur der Effekt vom Manöver bestimmt wird - läuft flüssiger, ist leichter zu merken und man verhindert barocke Doppelverkrüpplungen von Optionen durch Abzüge und zusätzliche Würfe.
Nicht unbedingt negativ, aber verbesserungswürdig sind die Schergenregeln. Das sind Regeln mit denen sich
Mook-NSCs kreieren lassen die beim ersten Treffer ausscheiden, über keinen Actionpool verfügen und auch sonst einige Nachteile gegenüber vollwertigen Charakteren haben. Das ist definitiv hilfreich für cinematisches Spiel, aber hier muss immer noch mit 6 Attributen und dem Wust an Fertigkeiten rumhantiert werden. Es würde den Buchhaltungsaufwand für den SL sicher reduzieren wenn man Schergen noch gröber modelliert indem sie nur eine Gefahrenstufe für alles sowie Modifikatoren für die markantesten Abweichungen vom Standard erhalten. Den Autoren sei hier ein Blick in 7th Sea empfohlen.
Generell fehlt eine Anleitung für die Erschaffung von NSCs. Besonders für das ARS wäre es hilfreich wenn der SL hier eine Ressourcenbeschränkung erhält damit er auch tüchtig Opposition geben kann, aber auch xErz könnte davon profitieren wenn der SL einen Rahmen erhält der seinen Vorbereitungsaufwand reduziert, indem er vom freihändigen Draufloswursteln verschont wird.
(Bei den sonstigen Schadensquellen findet sich übrigens ein bizarrer Ausreißer: Man erleidet 1w6 Schaden pro gefallenem Meter! Damit wirkt schon der Sturz aus dem Bett wie ein Faustschlag und die Mutprobe beim Sprung von der 2m-Mauer wie eine Pistolenkugel - den Autoren sei hier dringend Nachbesserung ans Herz gelegt.)
Eine Nettigkeit findet sich noch:
Soziale Interaktion. Hier findet man all die Versatzstücke die wir aus dem Nachmittagsprogramm von Das Vierte kennen, vom Hinhalten des Schurken durch die flehende Damsel in Distress über die "Kuck mal, ein fliegender Elefant!"-Nummer bis hin zum Einschüchtern, und das klar reguliert und mit klaren mechanischen Effekten. Zwar leidet auch dieser Teil unter Manöverwirrwarr, aber mit etwas Überarbeitung dürfte er felsen.
Wäre schließlich noch das
Kampagnenbeispiel über eine Organisation die für das Gute und gegen das Böse streitet. Nichts aufsehenerregendes (zumal man ähnliches in ein paar Minuten zusammengebrainstormt kriegen dürfte), aber besser als gar kein Anhaltspunkt dazu was man aus diesem Spiel machen könnte.
Kritik verdient sich aber das mitgelieferte "Abenteuer", das von mir bewußt in Anführungszeichen geschrieben wird. Eine Seite mit linearem Plotablauf, ohne NSC-Daten und all die andere Arbeit die ein guter ARS- oder xErz-SL zur Spielvorbereitung leistet und ohne jeglichen Alternativverlauf - soll hier impliziert werden dass SchErz der Default-Spielstil ist? Das gehört dringend verbessert.
Fazit
Die Grundidee hat Potential, die Basis ist altbekannt aber solide, und das Spiel dürfte hinreichend flink und flüssig laufen wenn man es noch mal gründlich abschmirgelt (hier sei wieder der Manöverwirrwarr angekreidet).
Leider fehlt hier noch die massive Unterstützung von Aktschn die die Ankündigung versprochen hat, und stellenweise ist es noch etwas langweilig was die Eingriffsmöglichkeiten und unausgereift was die Optionen angeht.
Somit reicht es für das Preview nur für eines von vier möglichen Devastatin'-Dave-Alben:
Bis es eine überarbeitete Fassung gibt (die schon mit ein paar Handgriffen 2 Alben auf meiner Skala erreichen könnte) sei dem prospektiven 70er-/80er-Aktschnserien-Fan eher Cinematic Unisystem, Feng Shui oder ein anderes kontemporäres Cinematik-System ans Herz gelegt. Wenn es aber eine überarbeitete Fassung gibt könnte es interessant werden und allemal im Bereich der echten
Heartbreaker mitspielen - mit sozialer Interaktion und Story gibt es nämlich definitiv zwei Perlen, bei denen es einem das Herz bricht sie unter so viel Standardkram und Unausgereiftheit ersticken zu sehen.