[Mai 2008] Am Ort des Gedenkens...

Renard

Blutsauger für Blutsauger
Registriert
13. Februar 2009
Beiträge
1.807
Nur die Lampen erleuchteten die Szene, der Wind raschelte durch das Laub der Bäume und klapperte mit dem Deckel des Mülleimers. In der Mitte des kleinen, abgelegenen Platzes stand der hohe Granitsockel. 'Den Gefallenen zur Ehre, der Nachwelt zur Lehre' stand darauf zu lesen. Dieser Inschrift folgten auf den drei anderen Seiten die Namen all derer, die in den großen Konflikten der deutschen Geschichte ihre Leben gelassen hatten, aus welchen Gründen auch immer. Vier von ihnen waren unter der Zahl '1866' gelistet, sie teilten sich eine Seite mit denen, die 1871 im Feld geblieben waren. Die beiden verbliebenen Kriege füllten ihre Plätze dagegen recht gut aus.

Auf diesem Sockel stand die verwitterte und von Vögeln regelmäßig als Toilette benutzte Statue eines Soldaten in wachsamer Haltung, der den Blick in die Ferne gerichtet hielt. War das da oben auf dem Helm nicht sogar ein Vogelnest ?

Um das Denkmal herum befand sich ein kleiner Weg mit einigen Bäumen, auf einer der Bänke saß Thürmer hinter einer Zeitung und wartete. Ein wenig gespant war er ja schon, was es mit diesem Cunningham wohl auf sich hatte...
 
Ein schwerer SUV bahnte sich seinen Weg durch das nächtliche Viertel von Burgh. Es war ein roter Viertürer der Marke Hummer, Modell H1. Der Wagen wies deutliche Gebrauchsspuren auf und hatte nach den Dreckspuren zu urteilen das letzte Mal vor sehr langer Zeit das Innere einer Waschanlage gesehen. Die Scheiben waren getönt. Der Diesel beanspruchte auf den genormten deutschen Straßen die volle Breite einer Fahrspur. Rund zehn Meter vor dem Denkmal kam das Fahrzeug zum Stehen.

Ein schlanker Mann stieg aus. Er trug ein T-Shirt und eine schwarze Lederhose. Die rotbraunen Cowboyschuhe mit der spitz zulaufenden Front wirkten in Kombination mit dem Rest des Outfits ein wenig unpassend. Die langen Haare hingen ihm strähnig ins Gesicht. Jack schloss den Wagen ab und putzte seine Brille bevor er sich die Inschrift des Denkmals genauer ansah. Den Gefallenen zur Ehre? Seit wann hatte Krieg etwas mit Ehre zu tun?, dachte er sich.
Ängstliche, alte Männer schickten die Jungen für ihre dubiosen Machenschaften geradewegs in den Tod. Man beraubte andere Menschen der Freiheit und des Lebens, nur um sich persönlich bereichern zu können. Spätestens seit den 60er Jahren wusste Jack besser als viele andere, was es mit Kriegen tatsächlich auf sich hatte. Jack schüttelte nachdenklich den Kopf und setzte sich auf eine der Stufen des Denkmals.

Einem aufmerksamen Beobachter würde nicht entgehen, dass er unbewaffnet war. Die Kleidung war zu enganliegend und bot keinerlei Möglichkeiten, um Mittel zur Selbstverteidigung darunter verstecken zu können.

Die Szenerie gefiel Jack gut. Er beschloss kurzerhand seine Akustikgitarre der Marke Takamine aus dem Kofferraum zu holen. Zurück am Denkmal angekommen, spielte er ein Stück, welches man stilistisch als Folk-Rock mit Blues-Elementen beschreiben konnte. Und auch wenn er kein Sänger war, so schossen ihm Erinnerungen aus Lebzeiten durch den Kopf. Seine Stimme erhob sich und während der Wind durch das Laub der Bäume pfiff, erklang ein Lied in der Dunkelheit.

I was born in a lighthouse
Where my mother laid
And she wouldn't wake up for no shouting

I was raised by the water
By the crippling waves
And the gulls gave me my singing voice

When the devil came to visit me
He said son I am your enemy
Fear me
But it came to my surprise
I was drawn by the fire

I set off west in the springtime
Before the flowers had bloomed
And the frost and ice followed me

I met a lot of fine women
With the small of their backs
Shining like the crescent moon

When the finest came to visit me
She said son I am your enemy
Fear me
But it came as no surprise
I was drawn by the fire

Hey
I am looking for freedom
In the wild eyes of the dancing girls
Hey
I am looking for freedom
In the open arms of america

I was told to find jesus
In a stained glass church
Where the light shined red like blood

But the eyes of his children
Were so bitterly burned
That I could not stand to look at them

When he finally came to visit me
He was dressed in the rags of poverty

And it came as no surpass
It came as no surprise

Hey
I am looking for freedom
In the wild eyes of the dancing girls
Hey
I am looking for freedom
In the open arms of america
 

Anhänge

  • promo09.jpg
    promo09.jpg
    38,8 KB · Aufrufe: 9
  • Slant with alpha rims small.JPG
    Slant with alpha rims small.JPG
    115,4 KB · Aufrufe: 10
  • Takamine G-Serie akustisch elektrische Westerngitarre.jpg
    Takamine G-Serie akustisch elektrische Westerngitarre.jpg
    12,7 KB · Aufrufe: 7
"Das man sich da drüben bei sowas nicht zuviel Hoffnung machen darf, wissen sie ja wohl schon."

Thürmer ließ die Zeitung sinken und musterte den Mann vor sich. Er selbst trug einen Anzug mit Mantel und einen großen Schlapphut auf dem Kopf. JAck würde den Mann auf Mitte 50 bis Anfang 60 schätzen. Jedenfalls hätte er das wohl, wenn er nicht gewußt hätte, was für einem Clansmann er gegenüber stand. Dieses Wissen entwertete das Ganze natürlich etwas. So erhob er sich und schritt ein Stück auf den Klampfenmann zu. Nach einem vielsagenden Blick auf den Wagen fuhr er fort.

"Sie sind Herr Cunningham, richtig ?"
 
Jack blickte verblüfft von seinem Gitarrenspiel auf. Er hatte den Mann zuvor nicht auf der Parkbank sitzen gesehen. Wie so oft untersuchte er seine Umgebung nicht genau genug. Andererseits war Jack ein offener und freundlicher Zeitgenosse und laut seiner Philosophie würde man ihm auch nichts Schlimmes wollen, wenn er sich anständig benahm und die Spielregeln respektierte.

Jack legte die Gitarre zurück in die offene Tasche auf dem Boden. Danach stand er auf und streckte dem Doktor zum Gruß die Hand entgegen. Obwohl er wusste, dass er es mit einem Nosferatu zu tun hatte, gab es für Jack keinerlei Gründe für Berührungsängste.

"Richtig. Herr Doktor Thürmer, wie ich annehmen darf? Es freut mich außerordentlich, Ihre Bekanntschaft machen zu dürfen. Sie können mich übrigens einfach Jack nennen. Ich persönlich bestehe nicht auf Förmlichkeiten. Und wenn sie mögen, brauchen Sie in meiner Gegenwart auch nicht Ihre wahre Erscheinung zu verstecken. Äußerlichkeiten sind meiner Meinung nach nichts weiter als Schall und Rauch."

Jack freute sich augenscheinlich auf das weitere Gespräch. Oder aber er war ein sehr guter Schauspieler.
 
"In der Tat. Sehr erfreut."

Thürmer ergriff die Hand des anderen. Sein Händedruck war fest, wenn auch ungewöhnlich knochig.

"Das mag sein, aber trotzdem finde ich es rücksichtsvoller, mich schonend zu präsentieren, vor allem in der Öffentlichkeit. Und ich denke, zunächst werde ich noch bei Herr Cunningham bleiben, alte Gewohnheit. Also, was genau kann ich für sie tun ? Sie sagten sie brauchen Informationen über unsere schöne Stadt ? Woran hatten sie da genau gedacht ?"
 
Jacks Südstaatenslang schwang deutlich bei der Unterredung mit.

"Kein Problem, Herr Doktor. Ich bin geschäftlich in Finstertal. In den nächsten Tagen soll ich ein Konzert in einem Lokal namens Black Hammer spielen. Mich interessiert, ob dieses Etablisment einem hiesigen Kainskind gehört und wenn ja, wem. Ebenso würde mich der Status interessieren. Zudem könnte ich einige Hilfe bei der Anmeldung in der hiesigen Domäne gebrauchen, unter anderem das wo und bei wem müsste ich dazu wissen. Zu guter letzt wären ein allgemeines Briefing über die Domäne und weitgehende Informationen betüglich der federführenden Kainiten hilfreich. Ich möchte nicht unvorbereitet bei eben diesen erscheinen. Ein guter Gast bereitet sich gründlich auf einen neuen Aufenthaltsort vor."
 
"Hm, hm..." machte der Nosferatu, während er überschlug, was er an Informationen parat hatte.

"Ja, das Black Hammer ist vergeben. Wenn ich mich recht entsinne gehört es dem ehemaligen Kriegsherren der Domäne und Primogen der Gelehrten, Herrn Enio Pareto. Seine Nummer habe ich nicht bei mir, kann sie aber nachreichen, wenn sie wünschen. Sie steht allerdings auch in der Begrüßungsmappe, die sie als Neuankömmling in der Kunstakademie bekommen, wenn sie sich dort anmelden, was sie tun sollten, da wir derzeit Archonten in der Stadt haben, und diese auf ungemeldete Besucher ungnädig reagieren würden."

Mal sehen, was noch ?

"Melden müßten sie sich entsprechend im Sekretariat der Kunstakademie. Dafür gibt es einen Seiteneingang, der nicht unbedingt leicht zu finden ist, aber das schaffen sie schon. Die Fachkraft hinter dem Empfangstisch wird sie mit der Mappe und den passenden Anweisungen versorgen. Sie sind Gast der Domäne bis sie die mappe ausgefüllt eingereicht haben und ein persönliches Gespräch mit der Seneschall geführt haben. Sofern die Person hinter dem Schreibtisch eine umwerfende blonde Frau ist, handelt es sich dabei wahrscheinlich um die Archontin d'Auvergne. Insofern ist also Vorsicht geboten... Allgemein sind diie Dinge hier erst letztlich wieder einigermaßen ruhig geworden, allerdings sind die Hexer derzeit sehr umtriebig, passen sie also auf !"

Das waren dann erstmal die groben Basics. Vielleicht hatte Jack ja noch Fragen oder ähnliches.
 
Jack hatte nicht nur eine weitere Frage, sondern gleich mehrere. Die Information, dass es sich bei dem Inhaber des Black Hammer um den Primogen seines Clans handelte, gefiel ihm sichtlich. Jack machte keine Anstalten ein Pokerface bei dieser Aussage aufzusetzen. Seine Gesichtszüge entspannten sich freudig und ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Er kratzte sich am Hals. Seine Hundemarken aus dem Krieg kamen dabei zum Vorschein. Man sah den Marken ihr Alter an. Doch statt Jack Cunningham konnte man Chris Brown darauf lesen.

"Diese Informationen sind auf jeden Fall hilfreich. Entschuldigen Sie bitte meine Frage, doch was genau bedeuteten noch gleich die Titel Seneschall und Archont? Diese Bezeichnungen sind mir bis heute immer wieder ein Rätsel. Besonders hier, wo ich doch dem Deutschen als Fremdsprache begegne... Und was erzählten Sie vorhin von Hexern? Was muss man sich darunter vorstellen?"

Auch hier konnte man Jack an der Nasenspitze ansehen, dass er von diesen Dingen keinerlei Ahnung hatte.
 
Jacks Reaktion machte es ihm leicht, in Thürmers 'Brujah' Schublade zu verschwinden. Jedenfalls für den Moment.

"Seneschall meint die rechte Hand des Prinzen. Man könnte auch Truchsess oder Kanzler sagen. Ich bezeichne so gerne die Person, die in der Akademie sitzt und unter anderem die Akten verwaltet. Archonten hingegen sind Augen, Ohren und Vollstrecker der Justicare. Back in the States, they are called Archons, I'm sure you've heard the term once or twice before. Die, die in die Stadt kommen, den Prinzen absägen und die Stadt wieder ins Lot bringen. Nett, nicht ? Nun, die Hexer sind natürlich Clan Tremere. Sie versuchen im Moment ihren Einfluß in der Stadt auszuweiten, mit allem, was das nahelegt. Nicht die Leute, mit denen sie den Tag im selben Zimmer verbringen wollen."

Thürmers Englisch wies einen ausgeprägten Akzent auf, der dem von Jack nicht unähnlich war. Ein bißchen wunderte Thürmer sich. Der andere schien einige Wissenslücken zu haben. Er würde da wohl nochmal mit München Rücksprache halten müssen... Ein kurzer Blick streifte die Marken. Interessant, hatte er doch welche, die fast genauso aussahen...

"Ich sehe sie haben ihren Beitrag geleistet, Mr. Cunningham...! Das ist gut, wehrhafte Leute haben es hier deutlich leichter. Oh, ehe ich es vergesse: Für den Anfang können sie auf Kosten der Akademie in einem Spezialzimmer im Hotel 'El Privilegio' unterkommen, falls sie möchten. Sagen sie einfach, daß die Kunstakademie sie schickt."
 
"Ah, Seneschal and Archons. Sorry, my bad!", nuschelte Jack leicht aufgesetzt. Vielleicht wollte er seinen Gegenüber glauben lassen, dass es tatsächlich nur an der Betonung der Worte lag. Oder aber es war wirklich so. Wer wusste das schon außer Jack selbst? Und wieder war er freudig überrascht worden. Denn Anhand des Akzents des Doktors lag der Schluss nahe, dass dieser ursprünglich aus einer ähnlichen Region wie Jack kam.

"Ja, diese Tremere... Die scheinen besonders hier in Europa viel verbreiteter zu sein als in den guten alten Staaten. Dort bin ich jedenfalls nie welchen begegnet. Aber wenn ich ehrlich bin, kann ich mich hier auch an keinen von ihnen erinnern. Bei meinem Beruf kann ich es mir nur selten leisten, längere Zeit an ein und dem selben Ort zu verharren. Und wahre Freiheit spürt man doch auch nur, wenn einem der kühle Fahrtwind auf der Straße ins Gesicht weht.
Aber ich schweife ab. Die Tremere... Wie genau muss man sich die Machtübernahme vorstellen? Versuchen sie die anderen Kainskinder auf ihre Seite zu ziehen? Manipulieren sie sie? Fälschen sie Informationen? Ich kenne ihre Praktiken leider nicht. Und wenn ich ehrlich bin, möchte ich die Tremere auch nicht live und in Farbe erleben müssen, wenn es sich vermeiden lässt. Man hört überall nur Schlechtes über sie. Eigentlich bilde ich mir gern meine eigenen Urteile, doch manchmal ist große Vorsicht gar nicht so verkehrt. Sind Mitglieder dieses Clans auch im Hotel 'El Privilegio' zu finden?"

Jacks Miene wurde schlagartig ernst, als ihn der Doktor auf den Kriegsdienst ansprach.

"Ich habe überhaupt keinen Beitrag geleistet. Jedenfalls keinen positiven. Damals in Vietnam wurden wir belogen und betrogen. Man hat uns weismachen wollen, dass wir für unser Land kämpften. Doch gegen einen unsichtbaren Feind konnten wir nicht gewinnen. Und deswegen gab man Leuten wie mir während der Task Force Barker den Befehl, Zivilisten wie Tontauben abzuschießen? Wer weiß, hätte ich nicht ausgerechnet unter meinem Warrant Officer Thompson gedient, wäre ich vielleicht sogar auf all die Lügen meiner Landsleute hereingefallen. Und dann hätte ich womöglich das Blut von Unschuldigen für den Rest meines Lebens an meinen Händen kleben gehabt. Keine schöne Vorstellung, wenn Sie mich fragen!"
 
Gleichwohl der Name nahelegte, daß er es vielleicht auch wieder nicht tat. Aber wer wußte das bei Untoten schon so genau ?

"Sie sammeln Verbündete, im Moment besonders gegen uns. Sie werden also möglicherweise von denen angesprochen. Über Manipulationen und ähnliches sind die jedenfalls nicht erhaben." Andererseits, wer war das in dieser Gesellschaft schon ? In diesem Moment konnte Thürmer den Umstand, daß viele so etwas von sich selber nicht gerne hörten recht gut nutzen. Die Tremere waren nicht die Guten, oh nein. Die Frage war viel mehr, ob es in ihrer Gesellschaft überhaupt Gute gab...

"Nun, wenn man überall nur Schlechtes hört, wird das wohl seine Berechtigung haben, nicht ? Jedenfalls bleiben die meist unter sich, im Hotel ist also wahrscheinlich keiner von denen. Erleben werden sie die aber trotzdem früher oder später. Sie haben in letzter zeit viel Zuzug erfahren..."

"Task Force Barker ? Das war die 23. 'Americal', richtig ? Tja, das mußten noch mehrere einsehen... Wir haben es euren Chefs oft genug gesagt, aber die wollten ja nicht hören und meinten, mit ihrer fortschrittlicheren Bewaffnung und der moralischen Überlegenheit von 'gods own country' müßte das Ganze zu gewinnen sein. Wars eben nicht. Aber schön zu sehen, daß sie sich um ihre moralische Integrität bemüht haben. Haben damals nicht viele getan."
 
Amüsiert hörte Jack den Ausführungen über die Tremere zu. Einen kleinen bissigen Kommentar konnte er sich jedoch nicht verkneifen.

"Herr Doktor, ohne Sie oder ihren Clan beleidigen zu wollen, aber in unseren Kreisen redet man auch immer wieder schlecht über Ihresgleichen. Aber verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Ich bewundere die Nosferatu aus vielerlei Gründen. Durch meinen Beruf war ich immer wieder auf die verlässlichen Dienste der Verborgenen angewiesen. Ich wurde niemals enttäuscht. Sie wissen, wie man ehrbare Geschäfte führt und dafür habe ich viel übrig. Und wie ich bereits erwähnte, kommt es für mich nicht darauf an, wie jemand aussieht. So klischeehaft es auch klingen mag, doch einzig die inneren Werte sind von Wichtigkeit. Der Clan eines Kainiten ist doch eine ebenso nebensächliche Begebenheit wie die Hautfarbe eines Menschen. Ob schwarz, weiß, rot... Ob Nosferaut, Brujah oder Toreador... Wer weiß, vielleicht begegnen wir beiden ja auch noch einem ehrbaren Tremere? Bei einer unbegrenzten Lebensdauer stehen die Wahrscheinlichkeiten vielleicht doch gar nicht so schlecht, wie wir anfangs vermuten würden..."

Als es sich wieder um den Krieg drehte, konnte man Jacks Zweifel geradezu offen erkennen.

"Sie liegen falsch, Herr Doktor Thürmer. Bei der Task Force Barker handelte es sich um drei Kompanien der 11. Americal Division. Ich möchte Ihnen nichts vormachen. Es war Hugh Thompsons Verdienst, dass ich am ersten Januar 1968 so gehandelt habe, wie ich es getan habe. Ich war damals jung und zugegeben ein Idiot, der sich von seinen Befehlshabern all zu gern einschüchtern ließ. Erst durch Officer Thompson erkannte ich, in welchen Wahnsinn wir damals geraten sind. Vor zwei Jahren, im Januar 2006, ist er leider verstorben. Für sein Begräbnis habe ich extra meine damalige Tournee unterbrochen. Es war meine Pflicht, als Soldat und als Freund, ihm die letzte Ehre zu erweisen. Ein wahrhaft großer Mann ist an diesem Tage von uns gegangen! Der Herr sei seiner Seele gnädig. Möge er in Frieden ruhen."

"Bevor ich es vergesse: Gibt es in Finstertal noch andere Sekten? Ich möchte ungern in ein Rudel von Feinden der Camarilla laufen..."

Jack sah sich selbst zwar nicht als Mitglied der Camarilla, doch hier war er nicht in seiner alten Wahlheimat, den Freistaaten. Er kannte sich in Deutschland nur sehr begrenzt aus. Und ein wenig die Camarillatreue zu beschwören konnte hier wohl nicht verkehrt sein.
 
"In unserem Geschäft ist Vertrauen nunmal von besonderer Bedeutung. Sobald das Vertrauen weg ist, kann man sich einsargen lassen, wenn sie den Ausdruck erlauben, wie im Diamantenhandel auch. Insofern ist es im allgemeinen Interesse, daß wir so aufrichtig wie möglich an unsere Aufgabe gehen. Mit den inneren Werten ist das hingegen so eine Sache... Nehmen sie einen Nosferatu, der sich unverhüllt in Verhandlungen begibt. Unbewußt werden die Gesprächspartner sich sehr wohl an dem stoßen, was sie da zu sehen bekommen, egal wie sehr sie von der Unwichtigkeit der Äußerlichkeiten überzeugt sind."

Er verschränkte die Hände sinnierend hinter dem Rücken und ging einige Schritte auf und ab, als krame er in seinen Erinnerungen nach etwas.

"Die einzige 11. von der ich zumindest gehört habe war die 11. Fallschirmjäger, bevor sie zur 1. Luftkavallerie umrüsteten und unausstehlich wurden." Seine Mundwinkel zogen sich etwas nach oben, als er an die arroganten Fatzkes denken mußte. "Mal sehen, die 'Americal'..., dann die 'Victory'... dann wir... Letztenendes ist es ja auch egal, nicht ? Der Krieg ist lange vorbei und die meisten von uns haben es ja auch mehr schlecht als recht überstanden. Da sind solche Nummernspielchen sekundär. Mögen sie alle in Frieden ruhen."

"Was die Camarillafeinde angeht, die sind ja nun hier in Europa recht schwach. Hier hat es wohl schon lange keine Sabbatpräsenz mehr gegeben. Anarchen gibt es hier auch nicht wirklich." Zumindest betrachtete er sie nicht als solche, vor allem seit der Überschneidung mit Clan Caitiff war noch keine Neupositionierung erfolgt. "Insofern ist es hier wohl sicher, wenn sie das meinen."
 
"Herr Doktor Thürmer, es tut mir sehr leid, aber schon wieder muss ich Ihnen widersprechen. Auch wenn es häufig so sein mag, dass sich andere Kainskinder durch Äußerlichkeiten der Nosferatu ablenken lassen, so möchte ich von meiner Person aufrichtig behaupten können, dass dies nicht der Fall ist. Jedoch kann ich nachvollziehen, dass sich Ihnen diese Vermutung aufgrund Ihrer bisherigen Lebenserfahrung regelrecht aufdrängen mag."

Als der Doktor davon sprach, dass alle Kriegsopfer in Frieden ruhen mögen, sträubten sich Jacks Gedanken dagegen. So sehr er auch seinen Kameraden verzeihen mochte - bei Gott - er konnte es nicht.

"Aus reiner Neugier. Darf ich erfragen, in welchem Bereich Sie Ihren Doktortitel erworben haben? Zudem würde es mich interessieren, warum sie einen so guten Südstaatendialekt beherrschen. Der Name Thürmer erscheint schließlich alles andere als zur englischen Sprachfamilie zu gehören. Aber wenn Sie auf diese indiskreten Fragen nicht antworten möchten, kann ich dies vollkommen nachvollziehen. In dem Fall entschuldigen Sie bitte meine offene Art und Weise."
 
"Sie sind mir ein Spaßvogel, Herr Cunningham ! Man mag sich mit der Zeit an einzelne Vertreter unserer Art gewöhnen, aber ein gewisser 'Eindruck' bleibt immer zurück. Heutzutage nennt man das wohl 'Kopfkino'. Ich sage bewußt, daß dieser Vorgang unbewußt abläuft. Sie merken es nicht, registrieren es nicht einmal, und oberflächlich mögen keine Auswirkungen zutagetreten. Aber es passiert."

Thürmer musterte Jack erneut, bevor er fortfuhr.

"Sie sind doch wegen einer Fragestunde hier, nicht ? Ich habe seinerzeit in Strafrecht und katholischem Kirchenrecht promoviert. Ich habe einen üblen Dialekt, weil die Leute, bei denen ich damals den Großteil meines Gebrauchsenglisch gelernt habe, Hinterwäldler aus Louisiana waren, und das meine ich positiver als es klingen muß. Verstehen sie mich nicht falsch, ohne diese Jungs würde ich wahrscheinlich heute noch in Vietnam leben. Nichts gegen das Land, aber etwas trostlos und gewalttätig für einen ruhigen Lebensabend... Was ist mit ihnen ? Was hat sie nach Europa geweht ?"
 
"Ich pflege bei Angelegenheiten mit den Nosferatu niemals zu scherzen, Herr Doktor Thürmer. Mir ist mehr als einer Ihres Clans begegnet, der eine weitaus bessere Seele als so mancher Toreador besaß. Aber natürlich lässt sich dies niemals pauschalisieren. Wie ich bereits erwähnte, interessiert es mich eher wenig, welchem Clan ein Kainskind angehört. Wichtig sind die Persönlichkeiten."

"Katholisches Kirchenrecht? Sie mögen es ungewöhnlich finden, aber ich bin selbst katholisch, obwohl ich gebürtig aus Alabama stamme - eine Hochburg der Baptisten und Methodisten."

Jack zog eine weitere Kette unter seinem Oberteil hervor. Es war ein Rosenkranz.

"Allerdings habe ich um ehrlich zu sein den Glauben seit Vietnam verloren. Die Macht der Gewohnheit trägt dazu bei, dass ich ihn heute noch um den Hals trage."

"Was mich nach Europa brachte? Einerseits ist die Antwort sehr einfach und dennoch kompliziert. Als ich noch ein Mensch war, verdiente ich mein Geld bereits mit der Musik - und das gar nicht schlecht. Ich wurde Ende der 70er Jahre erschaffen und wechselte die Identität. Nach meiner Freisprechung wandte ich mich weitestgehend von der Gesellschaft der Kainskinder ab. Intrigen und Lügen sind nicht meine Angelegenheiten. Wie zuvor tourte ich erneut lange Zeit durch die Staaten. Doch mir war klar, dass auch diese Identität nicht von ewiger Dauer sein konnte. Und während ich an neuen Alben arbeitete, beschäftigte ich mich mit der europäischen Kultur. Mein Gesicht war in den Staaten einfach zu bekannt geworden. Ich ließ mir die deutsche Sprache beibringen, weil hier ein großes Zentrum der Musikkultur besteht und ich in eben dieser erneut Fuß fassen wollte. Meine Reise erstreckte sich über Irland, Schottland und England und letztlich hierher. Die Übergangszeit in Irland, Schottland und England nutzte ich für spontane Konzerte unter einem weiteren Pseudonym. Außerdem wollte ich die kulturellen Schätze dieser Länder einmal mit meinen eigenen Augen gesehen haben und da sich die Chance ergab, habe ich sie auch am Schopfe gepackt. Doch auch mein Aufenthalt in Europa wird nicht ewig andauern. Sobald man mich in den Staaten vergessen hat, werde ich wieder dort hingehen und neu anfangen."
 
"Das sind sie." bestätigte er.

"Ja, eine schöne Nische. Und so ungewöhnlich ist das gar nicht. Da unten gibt es einige von uns, alleine schon wegen der kolonialen Altlasten. Verbinden sie das mit der zunehmenden Mobilität... voila !"

Zu den weiteren Glaubensausführungen äußerte er sich dann aber nicht. Immerhin war es Jacks persönliche Angelegenheit, wie er mit so etwas umging. Er selbst sah das Ganze ein bißchen anders, aber einen theologischen Disput würde er vielleicht bei anderer Gelegenheit führen. Hier aber nicht.

Er fischte nur seinen eigenen heraus und sah kurz nachdenklich darauf, bevor er ihn wieder verschwinden ließ. Er hatte deutlich mehr mitgemacht als Jacks und sah auch viel abgenutzter aus, war allerdings trotzdem oder grade deswegen gut gepflegt.

"Sie sollten aufpassen... Zu weit isoliert und ohne Bindungen ist man ein leichtes Ziel für übelwollende Zeitgenossen. Sie haben aber keinen Ärger mitgebracht oder ? Das würde die Stadtführung nicht gerne sehen, denke ich..." Eine rhetorische Frage, vermutlich hatte Jack das nicht.
 
"Herr Doktor Thürmer, machen Sie sich um mich bitte keine Sorgen. Auch wenn ich mit der Natur unseres Daseins gebrochen haben mag, so verstehe ich es doch, die Regeln der Kainskinder zu respektieren und diese stets einzuhalten. Bevor wir folgendes aus den Augen verlieren: Kommen wir doch zu der Bezahlung für Ihre bisherigen Dienstleistungen. Ich kann Ihnen eine mittelmäßig hohe Summe Bargeld bieten, eine Antiquität mit hohem Kultur- und Geldwert - oder aber ich schulde Ihnen einen Gefallen. Die Entscheidung liegt ganz bei Ihnen. Doch zuvor möchte ich noch ein weiteres Geschäft vorschlagen. In den meisten Camarillastädten brauchen Gäste Leumundszeugen. Sie sagten, dass Ihr Clan Probleme mit den Tremere hat. Ich würde einen Tausch vorschlagen: Meine Dienste gegen eure Unterstützung bei der Aufnahme. Natürlich müssen Sie nicht sofort entscheiden, doch ich wollte es ansprechen, bevor sich unsere Wege für heute Nacht trennen."
 
"Wie sie meinen, Herr Cunningham... ich wollte sie nur auf die theoretische Möglichkeit hinweisen. Was die Unterstützung ihrer einbürgerung angeht, so können sie gerne darauf zurückgreifen, wenn die Stadtführung darauf besteht. Wie genau die Begleichung der Information ausfällt, würde ich mit ihrem Einverständnis gerne vorerst vertagen."

Er fischte eine kleine Karte aus der Tasche. 'Dr. utr. jur. Alfons E. Thürmer, Kanonisches Recht und Strafrecht' stand darauf, zusammen mit einer Nummer, die anders war als die, die Jack bekommen hatte.

"Das ist mein Geschäftsanschluß. Sollte ich irgendetwas für sie tun können oder ähnliches, zögern sie bitte nicht, sich zu melden."
 
Dankbar nahm Jack die Karte des Doktors entgegen.

"Natürlich können wir die Bezahlung gern verschieben sofern es Ihnen beliebt. Doch für gewöhnlich mag ich es, meine Schulden an Ort und Stelle zu begleichen. Doch ich respektiere Ihren Einwand. Ich werde mich spätestens morgen Nacht bei Ihnen melden. Ob ich im Hotel 'El Privilegio' übertagen werde, muss ich kurzfristig im Laufe des Abends entscheiden. Warten Sie doch bitte einen kurzen Augenblick."

Jack zog einen Kugelschreiber und einen handlichen Notizblock aus der Hosentasche hervor. Darauf notierte er seine Mobiltelefonnummer und reichte sie dem Doktor.

"Erneut möchte ich mich bedanken. Sowohl dafür, dass Sie so kurzfristig Zeit für mich finden konnten, als auch für Ihre Ehrlichkeit und Ihre Informationen. Ich weiß dies wirklich zu schätzen! Sofern Sie keine Einwände haben, möchte ich Sie bitten, mich zu entschuldigen. Die Kunstakademie erwartet noch einen Besuch meiner Person - auch wenn sie noch nichts davon wissen..."

Erneut reichte Jack seinem Gegenüber die Hand. Hoffentlich nicht zum letzten Mal, dachte er sich.
Auf eigenwillige Art und Weise hatte der Nosferatu bereits einen Stein im Brett gewonnen.
 
Zurück
Oben Unten