[Dezember 2007] Vergib mir, Vater, denn ich habe gesündigt...

Feytala

Blutiger Unschuldsengel
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14. Juli 2006
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Seltsam... Vor meinem Tod war ich nie sonderlich religiös...

Tanja öffnete das Portal der kleinen Kirche und schlüpfte hinein. Ein seltsamer Schauer lief ihr den Rücken hinab. Sie war nun ein Wesen der Nacht, so lebendig und warm sie auch wirkte. Sie sollte nicht hier sein...

Andererseits habe ich auch vorher nie soviele Beweise gesehen, dass es mehr gibt als sich die Schulweisheit träumen lässt... Von Ariel mal ganz zu schweigen.

So redete sie gedanklich mit sich selbst, während sie die Reihen der hölzernen Bänke entlang ging... Jetzt, im tiefsten Winter war es früh Dunkel, so dass die regulären Öffnungszeiten noch nicht einmal um waren, während die Caitiff das Kreuz und die Mutter Maria mit dem Jesuskind vorne am Altar betrachtete, nur um den Blick wieder zu senken.

Verflucht, ich bin nicht mal katholisch ! Was mache ich eigentlich hier ? Mir selbst einreden, das hülfe mir wohlmöglich ?

Tatsächlich war Tanja der Taufe nach russisch-orthodox - Aber deren Kirchen im Ausland waren eher rar und letztlich war Kirche Kirche - oder nicht ? Der dunkle Trenchcoat, welcher das Mädchen fast komplett verhüllte, raschelte gegen den Vorhang, als sie sich noch einmal umsah - Und im Beichtstuhl Platz nahm.
 
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Das Holz war alt und trocken, der schwarze Lack blätterte überall langsam ab. Die kleine Bank im inneren war nicht gepolstert und brachte einen, dadurch das man auf ihr unangenehm gerade sitzen musste wohl erst so richtig in Büßer Stimmung.
Sobald der Vorhang sich wieder schloss war die Kabine beinahe vollkommen dunkel. Nur durch ein kleines Fenster, in das ein Gitter mit Lilien Muster geschnitzt worden war, fiel die merkwürdige Mischung aus sakralem Kerzen und kaltem Neonlicht die in der Kirche vorherrschte. Es zauberte ein Muster auf das ebenmäßige Gesicht der jungen Untoten, das jedesmal wenn sie sich bewegte hin und her zu tanzen schien. Sie vernahm ein atmen auf der Anderen Seite. Es war ein wenig zu schnell, so als müsste das Ding dort drüben sich Mühe geben der schweren, verbrauchten Luft im Inneren ihres intimen Verschlages den nötigen Sauerstoff abzuringen. Vielleicht war ihr Beichtvater aber auch ein wenig aufgeregt ?
Es floss noch ein wenig mehr Zeit in das große Glas der Ewigkeit die vor Tanja lag und langsam wurde das Gefühl ein wenig einengend, hier zwischen diesen vier hölzernen Wänden, alleine mit dem geistlichem und ihrem Gewissen.
Es musste doch eigentlich ganz ähnlich sein wie in einem Sarg liegen, das Gefühl des eingeschlossen sein ?
Es war schwer zu sagen ob die Pause beabsichtigt war, vielleicht damit sie die Chance hatte sich die ganze Idee noch einmal zu überlegen und diesen religiösen Schandbock von einem Beichtstuhl fluchtartig zu verlassen, oder ob es dem Anderem vielleicht unangenehm war, genauso wie ihr, und er noch nach den richtigen Worten suchte.

Schließlich kam aber doch eine Stimme aus dem Gitter. Sie wirkte noch sehr jung, aber sie klang auch so als bemühe sich der Sprecher warm und ruhig zu klingen.

Guten Abend meine Tochter... wie geht es dir ?
 
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Sehr jung... Aber das bin ich auch. Andrerseits, was, wenn es ein Scherzbold ist ? Oder ein Neugieriger ? Kein Priester ?

Vieleicht war es ihre neue Existenz die ihr das Misstrauen aufbürdete. Vieleicht auch der Selbstzweifel... Das Gesicht, von dem man so wenig sah war nicht einmal das ihre. Zu leicht erkennbar... Zu groß die Angst vor einem unabsichtlichen Maskeradebruch, zu groß die Angst geschlagen zu werden für dies hier. Sicher, es war eben, es war schön, doch ein gewöhnlicher Mensch würde Stein und Bein schwören dort habe eine Dunkelhaarige gesessen, keine Blondine, zudem ein paar Jahre älter und auch etwas größer - Sie schämte sich selbst dafür, doch die Vorsicht überwog.

"Guten Abend... Vater...?"

Das klang nicht einmal unabsichtlich fragend. Sie war sich noch immer nicht sicher. Aber war das letztlich wichtig ?

"Ich... Nicht gut."

Die Enge und Unbequemlichkeit des Beichtstuhl schienen ihr eher erdrückend als erleichternd, das was sie sich erhofft hatte...

Wie soll ich das nur formulieren ?

Ihre Stimme klang gedämpft von der Umgebung, doch immer noch lieblich, angenehm. Und das Misstrauen nagte. Sie versuchte sein Alter einzuschätzen, auch wenn jenes wohl schwer war, nur anhand der Stimme...
 
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Es knarzte ein wenig und ein leises Scharren erklang, als sich ihr Beichtvater auf seiner Seite ihres kleinen Kosmos aus Holz und Vorhängen bewegte. Wahrscheinlich hatte er sich anders hingesetzt. Ob es auf seiner Seite des Beichtstuhles wohl bequemer aussah ?
Durch die Verwirbelungen wurde der Geruch von Weihrauch und warmer, menschlicher Haut auf ihre Seite des Gitters getragen.

Möchtest du meinen Namen wissen ?

Scheinbar interpretierte ihr Gegenüber ihren fragenden Unterton nicht als Zweifel an seinem Berufsstand, sondern so als hätte Tanja den Wunsch zu erfahren wer er war. Dennoch fragte er nocheinmal nach, für die meisten Sünder war es wohl einfacher zu beichten wenn sie den Namen ihres Zuhörers nicht kannten.

Und möchtest du mir deine Sorgen erzählen ?

Die Stimme weckte in Tanja die Assoziation eines jungen Mannes. Vielleicht um die 30 ? Er klang nach dunklem Haar und Rehaugen. Es war eine gewisse Nervosität in ihr verborgen, so als müsse er sich zusammennehmen und seine eigene Unsicherheit überspielen.
 
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"Ich würde mich besser fühlen, wenn ich ihn wüsste, ja..."

Sie hatte eher das Problem sich einem Fremden anzuvertrauen. Und das Lächeln in ihrer Stimme, so ganz unangemessen für eine Sünderin war beinahe hörbar...

"Ich... Es ist schwer zu erklären," begann sie dann.

Dann ein Seufzen, ein Durchatmen... Und die wunderschöne Stimme begann zu erzählen.

"Ich... Stehle Tag für Tag von meinen Mitmenschen, weil ich nicht anders kann. Es gibt keinen anderen Weg... Und doch weiss ich, dass es nicht rechtens ist. Ich habe großes Leid gesehen und es nicht verhindern können... Es ging über meine Kräfte und doch fühle ich mich schlecht... Ich lüge und verstelle mich, Tag für Tag...
Und mehrmals habe ich... Gewalt angewand gegen andere. Ich tat es zur Verteidigung oder um jenen zu helfen die mir am nächsten sind, doch jedes Mal dannach bereue ich und trauere, denn ich wünsche mir eigentlich, niemandem Schmerz zuzufügen..."

Sie räusperte sich.

"Verzeiht, wenn es etwas... Diffus klingt, aber... Ich... Eigentlich gehe ich nicht oft in die Kirche... Ich dachte, es würde vieleicht helfen..."
 
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Es raschelte ein wenig. Stoff rieb aneinander und dann hörte man ein leises Räuspern. Vermutlich sammelte sich am anderem Ende der Sprecher, schien zu überlegen was er im nächsten Satz brauchen würde. Dann hörte man ein bejahendes Brummen.

Mein Name ist Pater Gans. Manche nennen mich auch Pater Martin. Ganz wie es dir lieber ist.

Das klang schon ein wenig sicherer, so als würde die Rückbesinnung auf seinen Namen Martin rhetorisch in sicherere Gewässer lenken. Diesen Teil der Unterhaltung hatte er scheinbar schon öfter geführt.
Während Tanja sprach hörte man nur hin und wieder ein Atmen und ein aufmunterndes 'Hmmm'. Pater Gans schien kein Problem damit zu haben das sie ersteinmal alle Puzzleteile ihres Problems wahllos auf dem metaphorischem Tisch ihrer Beichte ausbreitete. Ordnen konnte man das Ganze immer noch.

Es wird ganz bestimmt helfen das du hergekommen bist.

Es war irritierend einen erwachsenen Mann so überzeugt und völlig frei von Ironie oder schützendem Sarkasmus davon reden zu hören das es etwas bringen mochte in die Kirche zu gehen.
Andererseits wäre er sicher nicht in seinem Job wenn er denken würde das mann in seiner Kirche nur ein wenig Sonntags Spektakel abhalten würde, ohne das man erwarten musste das es den Gläubigen großartig helfen würde.

Das Wirrwarr das Tanja vor ihm ausgebreitet hatte schien ihn nicht einzuschüchtern, man hörte ein Geräusch, so als ob sich jemand konzentriert mit der Zunge an der Lippe spielte, dann sprach Martin mit warmer und wesentlich sicherer Stimme weiter. Vielleicht machte ihn die konkrete Aufgabe ihr Problem zu lösen entspannter, vielleicht merkte er das sie viel aufgeregter war als er, was es auch war, er kam scheinbar langsam in Fahrt.

Es gibt leider viel Leid auf der Welt. Das ist eine banale Feststellung und sie bringt wohl niemanden wirklich weiter, aber es liegt hinter dieser Wahrheit manchmal mehr Wucht als wir an uns heranlassen wenn wir diese Worte hören. Du hast hingesehen und bist überwältigt worden von all den furchtbaren Dingen. Das ist normal und es ist gut. Verzweifeln ist menschlich im Angesicht der großen Not die viele Menschen erdulden müssen. Hinsehen, verstehen und annehmen sind die ersten wichtigen Schritte. Erinnere dich nur daran das es nicht nur schlechtes gibt. Die Welt ist auch voller guter Dinge.

Er machte eine kurze Pause, so das man ein oder zweimal durchatmen konnte, wenn man denn atmete.

Aber fangen wir doch ersteinmal bei dir an. Warum glaubst du stehlen zu müssen ? Hast du schoneinmal daran gedacht einen Arzt ins Vertrauen zu ziehen ?

Der Witz des Jahrhunderts. Man hätte laut los gröhlen können. Der Pater schien von irgendeiner Art Kleptomanie auszugehen. Tanja hatte das Problem das sie den Menschen das Leben aus ihren Adern stahl und der Pfaffe wollte sie zum Seelenklempner schicken.
Die Tragik-komische Sorge in der Stimme des Geistlichen erstickte so ein Lachen aber mit einem dickem, traurigem Kloss der sich im Hals bildete.
 
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Sie lauschte ihm dennoch. Lauschte diesem Menschen in der Robe eines Priesters, einem jener der als Sprachrohr Gottes dienen sollte... Und nichts wusste. Weniger als sie, die mit all dem nicht fertig wurde. Tanja bemühte sich. Sie tat es wirklich. Aber sie wusste, dass sie auf lange Sicht immer mehr zerissen werden würde. Überleben und Erfolg oder Mitleid und Tod... Geile Wahl.

Noch während er sagte, es würde helfen, begann die Vampirin zu zweifeln. Zu zweifeln und zu hoffen gleichermaßen. Was hätte sie tun sollen ?

"Ja, Pater. Es gibt viel Leid auf dieser Welt... Und hinter dieser Wahrheit... Liegt wahrlich einiges mehr. Ich habe nicht nur hingesehen, ich bin förmlich mit dem Gesicht hineingestossen worden... Ich wollte es nie. Ich wollte ein normales Leben... Aber sei es wie es sei... Ich klammere mich an das Gute, das ich sehe, das ich habe... Und ich versuche zu helfen wenn ich kann. Aber oft zucke ich zurück, weil ich Angst um mich selbst habe. Dann... Wende ich mich ab. Versuche nicht daran zu denken. Aber derlei verschwindet nicht von selbst."

Sie starrte auf seine nächsten Sätze einige Momente lang in die Dunkelheit...

"Weil ich sonst sterbe," entgegnete sie dann, vollkommen ernst.

Doch noch bevor er antworten konnte, sprach sie weiter.

"Verzeiht, dass ich euch belästigt habe, Pater Martin."

Euch, nicht sie...

"Ich habe mir selbst etwas vorgemacht... Es war ein Fehler her zu kommen, denn ich bin schon lange keines der Schäfchen in der Herde mehr."

Stoff raschelte, als sie sich erhob und den Vorhang beiseite strich.

"Schützt eure Mitmenschen, Pater... Das Unheil kommt schneller und unerwarteter als man denken mag..."
 
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Wenn sie zurück sah würde sie nur die staubige Dunkelheit des schwarz lackierten Beichtstuhls sehen und den schweren, alten Stoff des Samtvorhanges riechen. So entließ sie das unbequeme Folterinstrument zur Wahrheitssuche für Sünder in die lange Hoffnungslosigkeit der Nacht.

Martin saß auf seiner Seite des Beichtstuhl und blickte Nachdenklich auf das Holzgitter.

Gott schütze dich.
 
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Einen Moment lang wandte sie sich um.

"Wenn ihn irgendetwas an meinem Dasein interessiert... Gott schütze auch euch, Pater."

Damit verschwand Tanja... Mit einer weiteren zerstörten Illusion im Herzen.

...

...

...

Vieleicht kam sie irgendwann einmal wieder.
 
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