Rezension Buchvorstellung: Jörg Böckem - Lass mich die Nacht überleben

Salomé

stupid fucking rope
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15. Juli 2003
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[Gehört zwar weder in das Rollenspiel-Genre, noch SciFi oder Dark Age, aber kann auch eine gute Anleitung für einen drogenabhängigen Charakter sein. :D]​

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>>Ich sah alle 90 Sekunden auf die Uhr.
Die Rückreise nach dem Interview war eine Tortur. Eineinhalb Stunden würde ich noch warten müssen – auf den nächsten Schuss.
Drogensucht macht die Zeit zum Feind. Doch wenn es etwas gab, das ich noch mehr fürchtete als die Entzugsqualen, dann war es, meinen Job zu verlieren. Mein bürgerliches Leben als erfolgreicher und angesehener Journalist.<<

Er ist Journalist, schreibt seit den Neunzigern für die renommiertesten deutschen Zeitungen und Magazine. Und er ist ein Junkie. Im Alter von 14 Jahren hat er sich in den Drogenrausch verliebt, damals in der nordrhein-westfälischen Kleinstadt. Haschisch, LSD, Kokain und Heroin. Mit 19 bringt ihn seine Heroinsucht zum ersten Mal ins Gefängnis, mit 33 versucht der Journalist im Drogenrausch seine Freundin zu erwürgen.
Der Autor erzählt von seinem Doppelleben als Journalist und Junkie: von Verzückung und Verzweiflung, Haft und Hepatitis, Partys und Porno-Dreh, Karriere und Koma, Abstinenz und Absturz. Er durchbricht sein zehnjähriges Schweigen und ein gesellschaftliches Tabu. Wie viele andere Drogensüchtige, die im Beruf Erfolg haben und weiter funktionieren, hat er ein Doppelleben geführt. Ein Leben mit der Sucht – zerfressen von Versagensangst, Scham, Selbsthass und der ständigen Gier nach Drogen. Die Geschichte einer doppelten Karriere.


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>>[Jörg Böckem] will kein Mitleid. „Ich bin kein Opfer“, sagt er. Er beschreibt einfach, was Drogensucht aus einem Menschen macht, wie sie „dir alles und jeden zum Feind macht“, wenn das Heroin irgendwann kein „Lenor für die Seele“ mehr ist, „das dich warm umschließt wie die Fruchtblase den Fötus“, sondern nur noch Gift, das tötet, wenn man es nicht schafft.<<
(HAZ)​

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Ein Buch, dass bei mir ein „das muss ich lesen“ Gefühl auslöste, als ich das erste Mal ein Interview mit dem Autor gelesen habe.
Drogen? Klar. Bekannt, dass viele kreative Köpfe – Ernest Hemingway, The Doors, ... – sie für ihre Werke nutzten, in der ein oder anderen Form. Aber Heroin? Das Zeug, mit dem man als abgerissener Junkie nur in der Gosse landen kann, als leere Hülle seiner selbst?
Das es auch anders geht - aber nicht gehen sollte -, beweist Jörg Böckem in seiner Geschichte.
Schonungslos leuchtet er seine eigene Vergangenheit aus, zeigt nicht (nur) mit dem Zeigefinger auf die bösen Drogen- im Gegenteil, er beschreibt bildreich auch ihre wunderbaren Auswirkungen, die einen schliesslich erst immer tiefer in den Sumpf ziehen -, sondern auf sich selbst. Auch die der Entzug und die Therapien werden von ihm aufgenommen und es gibt eigentlich selten eine Stelle in dem Buch, an dem die Gedanken- und Gefühlswelt des Autors nicht klar nachzuvollziehen ist.

Erschreckend und zugleich wach rüttelnd, ist das Buch sowohl für Leute, die es aus reinem Interesse lesen, wie auch diejenigen, die von dem Thema betroffen sind. Eine Lektüre, die man Jugendlichen ruhig einmal in die Hand geben sollte, aber vor allem ein Buch, dass Erzieher und Sozialpädagogen, die mit entsprechenden Altergruppen arbeiten, unbedingt einmal gelesen haben sollten.
Ich hab das Buch schlichtweg verschlungen und muss sagen, dass es ein stückweit Einblick in die ganzen auswegslosen Situationen der Drogenabhängigen gibt, die oft dargestellt werden, aber von mir nie in einer solchen Intensität nachempfunden werden konnten.
 
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