Alternative Enden und Abweichung vom "Kanon"

Skar

Dr. Spiele
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Manchmal gibt es im Angebot des Bonusmaterials von Film-Datenträgern alternative Enden.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich diese alternative Enden - wenn sie nicht nur kosmetischer Natur sind - zwar als interessant verbuche, aber mental anders abspeichere als das Original-Ende.

Ist das bei euch auch so?

Gibt es eine Funktion des Gehirns Erlebtes (hier: "Konsumiertes") in der offiziellen Version vorzuziehen? Ist der gesellschaftliche Konsens über den Inhalt einer Geschichte wichtiger als eine individuelle Variante?

Ist demnach das kollektive Erfahren einer Geschichte (ergänzt vielleicht um den anschließenden Austausch dazu) von höherer Bedeutung für den Menschen als das solitäre Erfahren einer Geschichte?

Und warum ist das so?
 
Fast immer ist bei diesen manchmal vorhandenen alternativen Enden ein guter Grund vorhanden, warum sie es nicht in den Film geschafft haben: sie sind nicht (so gut) gelungen.

Außerdem hat man den Erstkontakt mit dem Original-Ende.
 
Manchmal gibt es im Angebot des Bonusmaterials von Film-Datenträgern alternative Enden.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich diese alternative Enden - wenn sie nicht nur kosmetischer Natur sind - zwar als interessant verbuche, aber mental anders abspeichere als das Original-Ende.

Ist das bei euch auch so?
Nein. Kein Stück.

"Alternative Enden" sind ja nicht nur als Zusatzmaterial in verfilmter Fassung auf einer DVD verfügbar, sondern gerade bei den leider so oft grottenschlechten Verfilmungen literarischer Vorlagen die EIGENTLICHEN, die ORIGINAL-ENDEN!

Wenn also jemand einen Roman verfilmt hat, der mittendrin und erst recht am Ende nicht "stimmt", dann ärgere ich mich oft nicht nur, sondern ich blende DIE EXISTENZ dieser schlechten Verfilmung für meine Welt, in der ich lebe, aus. Diesen Film gibt es nicht.

Wenn zu einem Film ein alternatives Ende auf DVD mitgeliefert wird, das BESSER, STIMMIGER und generell BEFRIEDIGENDER ist, als das in den Kinos und von den auf maximale Vermarktung bei der werbeträchtigen Zielgruppe ausgelegte Ende, dann blende ich das "kanonische" Ende aus und schaue mir den Film nur noch mit dem STIMMIGEREN Ende an. In meiner Welt gibt es dann die SCHLECHTE Fassung (mit dem kanonischen Ende) und die GUTE Fassung (mit dem alternativen Ende).

Gibt es eine Funktion des Gehirns Erlebtes (hier: "Konsumiertes") in der offiziellen Version vorzuziehen?
Nein.

Was auch immer man sieht oder liest, wird NICHT durch einen "genetisch eingebauten Prüfmechanismus auf 'offizielle Versionsbescheinigung' " geschickt, sondern es wirkt direkt so, wie man es wahrnimmt.

Es ist VÖLLIG EGAL, ob auch nur der Nebenmann im Kino den Film gleichermaßen wahrnimmt als ich. - Ich sehe nur für mich. Für niemanden sonst.

Und das ist bei jedem anderen auch so.

Daher ist es vollkommen irrelevant, ob ein konsumiertes Medium "offiziell" ist oder nicht. Das Konsumierte selbst ist, was auf den Konsumenten wirkt.

Ist der gesellschaftliche Konsens über den Inhalt einer Geschichte wichtiger als eine individuelle Variante?
Kommt auf die Geschichte an.

Bei einem Roman? - NEIN.
Bei einem Film? - NEIN.
Bei der Bibel? - JA! (Da werden KRIEGE geführt, nur weil der "gesellschaftliche Konsens über den Inhalte einer Geschichte" nicht gleich ist.)

Geht man von den eingangs angesprochenen Kinofilmen auf DVD mit alternativem Ende aus, dann ist es ja so, daß NUR die Käufer der DVD das alternative Ende überhaupt kennen. - Wer ins Kino ging und viel Geld für die meist kürzere, unkomfortablere und ohne alternatives, möglicherweise stimmigeres Ende dargebotene Version gezahlt hat, der kennt ja nur genau EINE Version. Das ist dann DIE Version.

Das hat keinerlei gesellschaftliche "Reibungspunkte", da hier KEIN VERGLEICH gemacht werden KANN! - Es gibt nur die eine Version. Keine zweite.

Ohne Alternative kann also nicht einmal die Frage gestellt werden, ob den Zuschauern nun der "gesellschaftliche Konsens" die für die meisten im Kino zu sehende Fassung als ihre Favoritenfassung aufzufassen wichtig wäre oder nicht.

Und wenn ALLE möglichen Zuschauer die alternative Fassung UND die im Kino gelaufene Fassung kennen, selbst dann entscheidet NIEMAND nach dem "gesellschaftlichen Konsens" darüber, welche Fassung ihm BESSER GEFÄLLT!

Ist demnach das kollektive Erfahren einer Geschichte (ergänzt vielleicht um den anschließenden Austausch dazu) von höherer Bedeutung für den Menschen als das solitäre Erfahren einer Geschichte?
NEIN!

Selbst bei der Bibel ist es eben gerade NICHT das "kollektive Erfahren" der Geschichte, was irgendwie von höherer Bedeutung wäre. Das Kollektive bei der Bibel kommt ABSEITS vom Medium in der GEMEINSCHAFT, der Gemeinde, all derer, die in ihren PERSÖNLICHEN, rein individuellen Wahrnehmungen durch die Bibel angesprochen werden.

Glaube entsteht NICHT durch einen gemeinsamen Text, sondern durch dessen WIRKUNG. Und Wirkung ist immer HOCHINDIVIDUELL verschieden. Daher glauben auch diejenigen, welche sich an den EXAKT IDENTISCHEN Text als Medium wenden, NIE IDENTISCH.

Und zwar EGAL, was beliebige Kirchen und Kulte einem weiszumachen versuchen. - Genau das ist es ja, was eine lebendige Glaubensgemeinschaft auszeichnet: Menschen sind eben NICHT wie Schafe oder gleichgeschaltete Automaten. Jeder glaubt anders und trotzdem kann man sich demselben Glauben zugehörig fühlen.

Und diese Zugehörigkeit ist es ja, was der Begriff Religion beschreibt.

Da spielt KEIN "kollektives Erfahren" einer Geschichte irgendeine Rolle! - Wohl aber das gemeinsame Beschäftigen mit der Geschichte.

Religion und religiöse Medien (es sind ja bei weitem nicht nur Bücher, um die es hier geht!) sind gerade was gesellschaftliche Wirkung und gemeinschaftliche Beschäftigung anbetrifft eigentlich die Bereiche, in denen man sich überhaupt mit Fragen des Kanon befasst. - Und zwar befassen sich die VERWALTER der Religionen, die KIRCHEN damit, weil eine Religionsorganisation gerne trennt, abgrenzt und zusammenfaßt.

Daher wird VON DER ORGANISATION festgelegt, welche Interpretation einer Geschichte, welches Wort(!) noch im Kanon ist und somit für alle Mitglieder der Organisation zu gelten habe, und welches nicht.

Welche Organisation legt den Film-Konsumenten den Kanon fest?

KEINE!

Welche Organisation legt den Roman-Konsumenten den Kanon fest?

KEINE!



In den 70er-Jahren galten Science-Fiction- und Fantasy-Romane als "Schundliteratur" und wurden - wie die auf feste Seitenzahlen hin geschriebenen Heftromane - auch im Taschenbuchformat als Übersetzungen auf eine feste Seitenzahl "gekürzt". - Da war schon früher bei deren Originalen, die in den USA oft auch im Heft- oder Magazinformat erschienen sind, so dar Fall.

Heute gibt es vollständige, ungekürzte Ausgaben (genauer: Die gab es in den 80ern. Heute sind diese beeindrucken Genre-Klassiker meist überhaupt nicht mehr im Druck zu finden - weder in gekürzter noch ungekürzter Fassung, dafür gibt es heute die seitenschindend abgefaßten "Briketts" an öder Wiederkäuer-Fantasy inzwischen in den Hauptreihen der Verlage. *seufz*).

Ich hatte damals oft als "Erstkontakt" die auf 160 Seiten gekürzte (oder gestreckte!) Fassung gelesen und mir später die ungekürzte Ausgabe zugelegt. - Bei KEINER dieser ungekürzten Fassungen hatte ich den Eindruck "aus Gründen des gesellschaftlichen Konsenses" die teils brutal gekürzte Fassung irgendwie "bevorzugen" zu müssen! Die vollständige Fassung war IN JEDEM FALL die BESSERE!


Hier mal ein Beispiel: Philipp K. Dick "Der unteleportierte Mann".

Dieser Roman hatte vom Autor selbst ein kürzeres, "gefälligeres" und den in den frühen 60ern "akzeptableres" Ende erhalten. Er war schon vor Erscheinen im Magazinformat gekürzt worden. (Siehe hier: http://en.wikipedia.org/wiki/The_Unteleported_Man)

Anfang der Achtziger gab es eine Neuausgabe, in welcher noch vom Autoren die von ihm eigentlich beabsichtigten "alternativen Szenen" und das "alternative Ende" eingearbeitet wurden.

Diese Fassung ist länger und sprengt vom Volumen das damals übliche feste Seitenzahlenformat.

Man kann den Roman - auch in einer deutschen, sehr gelungenen Ausgabe - nun in seiner 60er-Jahre-Version lesen und man kann ihn noch einmal in seiner 80er-Jahre-Alternativ-Version des Autors lesen.

Die alte Version ist nicht weiter bemerkenswert. Einfach ein weiteres Werk von Dick um Geld zu verdienen (er hatte ja eh immer finanzielle Probleme und mußte daher sehen, was er veröffentlicht bekam).

Die alternative Version ist GENIAL. Ein Roman, wie man ihn eigentlich von Dick gewohnt ist, der dem Leser seine Wahrnehmung dessen, was "real" ist, gründlich zerschießt und ihn beutelt und durch die Mangel dreht.

Es haben gewißlich viel mehr Science-Fiction-Leser den alten, kürzeren, gefälliger endenden Roman gelesen als den alternativ endenden Roman.

WARUM sollten sich nun bitteschön die Leser aus irgendwelchen Gründen des "gesellschaftlichen Konsens" an die alte, flache, vorhersehbare Fassung halten? Warum sollten sie sich diese Version mit geradezu religiöser Kanontreue für sich als IHRE Version annehmen?

Die alternative Fassung ist um so vieles beeindruckender, anrührender, intensiver als die flache alte Fassung.



Gesellschaftlicher Konsens als "Gegengewicht" für eine leichtgewichtige, gefällige "Kanon-Fassung"? - NEIN! Das gibt es bei solchen Unterhaltungsmedien einfach nicht. Das hat keinerlei gesellschaftliches Moment.

Ein Unterhaltungsmedium gefällt AUS SICH HERAUS und bei jedem einzelnen Konsumenten INDIVIDUELL UNTERSCHIEDLICH.

Es gibt KEINE Organisation, welche den Konsumenten VORSCHREIBT, was Kanon ist und was nicht.

Somit müssen auch alternative Enden FÜR SICH wirken.

Und diese sind ja nicht immer besser als das im Kino veröffentlichte!

Und warum ist das so?
Es ist NICHT so.

Keine Ahnung, woher Du diesen Eindruck hast.
 
Erstkontakt mit dem Original Ende.
Das ist der Grund.

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Laaaaangsam...
Ich sehe durchaus einen gewissen offiziellen Charakter.
Warum schau ich mir einen Film im Kino an - und nicht zu Hause?

1. 3D - ich finds klasse. Vor allem bei dummen Filmen, die ein optischer Spaß sind. Die gabs schon immer und die waren auf großer Leinwand schon immer lustig. Und in 3D erst recht.
2. Leinwand - riesige Leinwand. Optik, eben.
2. Sound - ich hab zu Hause zum Fernsehen nen Laptop mit 2 Boxen. Die Boxen haben zwar (vor allem im Vergleich zu ihrer mikrigen Größe) nen wirklich angenehmen Sound, aber da fehlt doch was

und

4. Event - den neuen Film eine Woche nach Kinostart mit 100en anderen neugierigen Fans und/oder Neugierigen erstmals zu sehen. Das ist für mich ein besonderes Ereignis. Vielelicht sag ich mal in 20 Jahren zu meinen Kindern "Oh, der gute alte Herr der Ringe, den hab ich damals im Kino gesehen." oder "Oh, Brügge sehen und sterben - da waren wir eher zufällig reingeraten, weil wir nen Kumpel zu seinem Geburtstag ins Kino eingeladen hatten."

Das ist für mich wie Fußball - und nur mal am Rande: Dortmund wird heute von Robbery den Hintern versohlt bekommen:
NATÜRLICH kann ich das auch erst morgen in der Aufzeichnung sehen. NATÜRLICH ist das Spiel gleich gut, egal wer daneben sitzt.
Aber es ist einfach ein Event, dass man teilen will.
Und das mit den richtigen Leuten mehr Spaß macht.

Und wer am Ende gewonnen hat, hängt NATÜRLICH auch davon ab, wen die anderen als Sieger gesehen haben. Würde lediglich das erste gesehene gelten, wären die Schalker bis heute der Meinung, sie wären in den letzten Jahren mal Meister geworden.

Zwar zählt mMn auch nicht einfach der allgemeine gesellschaftliche Konsens. Auch ich finde "Han shot first"...
aber meine Freudin findet das auch. Obwohl sie von StarWars nur wenig Ahnung hat. Aber wenn ich davon schwärme, dann sieht sie mein StarWars vor Augen.
Wenn sich Kumpels über die Szene unterhalten, können die Meinungen da durchaus differenzieren, aber durch Kommunikation entsteht immer auch ein wechselseitiger Einfluss auch Meinung und Sichtweise. Der eine fühlt sich bestärkt, der andere beginnt selbst das gesehene neu zu interpretieren, der dritte stellt aus Prinzip auf stur...
Wie auch immer: In einer sozialen Blase leben selbst wir RPG-Nerds nicht.

Und gerade "Han shot first" ist für mich ein Beispiel, wo ich durchaus glaube, dass wenn ich heute zum ersten Mal mit jemandem StarWars gucke und dem das danach sage, dass er mir zustimmt und sagt "Ja, verstehe ich - der Kerl ist ein Badass. Der macht sowas."
und er diese Version als "richtig" speichert.
 
1.) Bayern geht unter! Fakt! Auch wenn es mich ein halbes Jahr lang begleitet, wenn es nicht so ist, aber Fakt ist Fakt!
2.) Zimmer 1408 hat ein geniales alternatives Ende!

Sprich es kommt drauf an, was man zum Schluß des Films fühlen will. Mainstream Filme haben ein Happy End, da kann es kaum gute alternative Enden geben. Aber Indie Filme vor allem aus der Horror Ecke sind da freier, weil nicht immer der Gute gewinnen muss, bzw. nicht immer der Böse in der letzten Einstellung mit einer, aus einen Schuttberg, rausragenden Hand zucken muss.
 
Auch wenn ich jetzt diese Extreme so nicht teile: Happy End vs. Evil End wobei Evil End > Happy End, denke auch ich, dass es enorm auf das ankommt was man zum Schluss haben möchte. Es gab einige Enden, die mich unbefriedigt gelassen haben und dann im alternativen total überraschten bzw. auch total angezogen haben. Darunter fällt beispielsweise Butterfly Effect ... im offiziellen Ende gehts gut aus, im alternativen ebenfalls ... nur auf wesentlich morbidere und traurigere Weise. Es gibt auch für 28 days later mehrere Enden bei denen unterschiedliche Ansprüche abgeklopft und befriedigt werden. Bei dem Film ziehe ich beispielsweise kein Ende wirklich vor ... haben beide was (die, die ich jetzt vor Augen habe).
Es gibt Filme, da machen alternative Enden Sinn ... es kommt allein auf den Zuschauer an, welches er nun toll findet. Dann gibts Filme, da sind sie ziemlich sinnlos ... das löst dann so ein "WTF?" im Kopf aus. Kommt also auch stark auf die Geschichte zuvor an. Ich jedenfalls schau mir gerne alternative Enden an und erfreue mich eben an gut gemachten Schlussszenen.
 
Wahrscheinlich das, was du als übel krass bezeichnest. Ich empfinde Freitod in Medien (!) nicht zwingend als etwas trauriges. Ich mag aber auch Märtyrer ... in fiktionalen Medien.
 
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