[19.05.2008] Treffen mit Jenny

Kalliope

Kainit
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Wie per SMS verabredet stand Raven nach Sonnenuntergang vor der alten Fabrik, in etwa dort, wo sie sich zuletzt von Jenny verabschiedet hatte.
Die Arme hinter dem Rücken verschränkt ließ die Untote mit der kerzengeraden Körperhaltung den Blick über das nächtliche Areal gleiten.
Noch keine Spur von der Anarche. Irgendetwas sagte der Malkavianerin, dass sie es vermutlich gar nicht würde übersehen, geschweige denn überhören können, wenn die Caitiff schließlich hier ankam.
Nebensächlich. Alles völlig ohne Bedeutung.
Gewichtig war das letztnächtliche Gespräch. Und jenes, das nun unzweifelhaft folgen musste. Sowie jener eine Dialog, den sie ganz am Ende der Nacht zu führen gedachte.
Alles für den Clan, nicht wahr?
Und aus Prinzip.

Gab es etwas eigentümlicheres, widersinnigeres als ein Raubtier mit Prinzipien?
 
Nur wenige Minuten vergingen, dann schälte sich der bullige Kopf von Hans Albers aus einem nahen Busch. Neugierig sah der große Rottweiler zu der Malakvianerin hinüber und bellte dann einmal kurz.
Augenblicke später verschwand der Hund wieder im nahen Dickicht.

"Komme!", hallte der Ruf der Anarche über das Areal.
Fast so als hätte sie den Hund verstanden.

Jenny trat durch eine Tür ins freie. Sie trug eine eng anliegende, schwarze Stoffhose mit Schnallen an den Seiten. Ihr Oberkörper war mit einem eng anliegenden Muscle-Shirt bekleidet und zeigte ausreichend Haut um die stark tätowierte Haut der Caitiff zu zeigen. Über die Schulter geworfen und nur mit dem Zeigefinger gehalten trug die Caitiff ihre schwere Lederjacke.

"Pünktlich wie die Maurer! Guten Abend Raven, wie geht es dir?"

Offensichtlich war die Anarche bester Laune.
 
Etwas verdutzt blinzelte die Brünette gen Hans. Kaum war er da, war er auch schon wieder verschwunden. Statt eines Bellens antwortete ihm Jenny.
Ein seichtes, bloß minimales Schmunzeln legte sich auf die Lippen der Malkavianerin.
"Guten Abend Jenny" erwiderte sie der Caitiff mit höflich grüßendem Nicken.

"Schön dass du es einrichten konntest!
Oh, es geht mir den Umständen entsprechend, würde ich behaupten. Du hingegen scheinst ganz und gar formidablen Befindens zu sein. Das freut mich zu sehen."
Diese Worte schienen untrüglich ernst gemeint.

Interessiert musterte Ligeia die Haut der anderen. Offenkundig empfand sie irgendeine Form von Faszination für die Umengen an Tattoos.
Dann jedoch schloss sie die Augen für einen kurzen Moment, so als müsse oder wolle sie sich auf etwas besinnen und sah Jenny schließlich wieder direkt an, mit großen, grünen, bohrenden Augen die sich vergeblich mühten ihre Schärfe zu mildern und doch Schnitte vermieden.
"Aber....ich möchte wirklich nicht all zu lange um die Angelegenheiten, wegen denen ich dich sprechen wollte, herum reden. Sie sind vielleicht und mitunter von wenig angenehmer Art. Ich hoffe allerdings, dass wir danach wieder zu behaglicherem, zwangloserem Dialog zurückkehren können."
Madelaine hoffte dies sogar inständigst.

Die seriös gekleidete Bleichhäutige schenkte der rebellischen Tätowierten ein unleugbar leicht gekünstelt und dennoch nicht unecht wirkendes Lächeln.

"Ich hätte da die eine oder andere Frage an dich betreffs der Stadt....Finstertal.
Ich sollte gleich vorab anmerken, dass ich mir diese Informationen sicherlich auch von der Prinz -welche sich übrigens wenig begeistert über das Asyl, welches du mir geboten hast, zeigte- selbst würde einholen können, allerdings gehe ich Kraft eigener Arroganz davon aus, dass was auch immer du mir erzählen wirst mutmaßlich der Wahrheit näher kommen wird als das, was jemand Preis gibt, der sich als Repräsentant einer ganzen Stadt verstehen muss..."

Die Ausführung der Psychiaterin wies die Caitiff bewusst, wenn auch lediglich implizit, darauf hin, dass es nicht unüblich oder ungewöhnlich wäre Aussagen zu schönen oder zu verkehren um die Stadt oder sich selbst in ein besseres Licht zu rücken. Allerdings erhoffte sie sich natürlich dass die direkte Bezugnahme darauf, dass Euphemismen wohl die Art des 'Oberbonzen' von einem Prinzen persönlich wären, genau gegenteiliges Verhalten bei der Anarche zu bedingen, sie zumindest in ihrer -wie Ligeia sie einschätzte- sehr direkten Weise noch einmal zu bestärken.

"Nun, selbst die Herrin dieser Domäne war so frei mich gleich bei meinem formalen Antrittsbesuch auf das heillose Chaos in dieser Stadt -im Wortlaut: "Gewalt, Mord und Terror beherrschten das Straßenbild"- zumindest in einem Nebensatz hinzuweisen. Ich muss gestehen, dass dergleichen mich beunruhigt und... nunja, ich möchte dich gerne Fragen, was in dieser Stadt eigentlich vor sich geht.
Es ist mehr als das Vermächtnis eines vollkommen größenwahnsinnigen Vorgängers der Prinz Cruiz, nicht wahr? Es gibt auch anderes, was unsereins in dieser Stadt beschäftigt, oder?"

Leicht neigte sie den Kopf zur Seite, hob dabei die Hände in halb entschuldigender, halb bittender Geste.
"Versteh mich recht, es geht mir hier nicht um jene ganz und gar typischen Ego-Projektions-Geschichten. Aber in dieser Stadt sind mir in wenigen Stunden so viele absonderliche Begebenheiten unterkommen, dass ich mich doch gerne ein wenig über das lokale politische Parkett informieren möchte und..."

Ein verschmitztes Grinsen. "...um ehrlich zu sein glaube ich, dass du die vielleicht einzige Person bist, die mir in möglichst kurzen Worten möglichst alles mitzuteilen vermag, was von wirklicher Relevanz ist - und das ohne die ein oder andere als Kunstfehler getarnten Nachlässigkeit unangemessen schön zu reden."

Von ihrem Gespräch mit Ithamar würde Ligeia vorerst nichts erwähnen. Nicht bevor sie nicht erwogen hatte, ob und wie mit dieser Sache zu verfahren sein würde. Noch wusste sie ja nichts, zumindest nichts bedeutsames von Finstertals Pilotprojekt eines Clan Caitiff und der dazugehörigen Primogena. Ein Detail, welches eine völlig neue Perspektive auf die Sachlage zu eröffnen vermochte.

"Ganz abgesehen davon schulde ich dir fraglos etwas dafür, dass du mich in deinem Eigentum hast übertagen lassen. Ich wäre darum auch durchaus daran interessiert zu hören, wie ich mich dafür zu revanchieren vermag."

Wie ernst es der Mondtochter mit den zuletzt gesprochenen Zeilen war, konnte ihr Jenny wohl kaum ansehen. Und doch sprachen ihre Augen Bände.
//Quid pro quo - du hilfst mir, ich helfe dir.//
 
"Natürlich gefällt es der Prinzessin nicht, dass du hier bei mir den Tag verbringst. Sie hat es immer lieber, wenn sie ihre Vampire in Griff- und Hörweite hat. Aber das hast du dir sicher schon gedacht."

Die Nacht war noch jung. Jenny setzte sich auf ein größtenteils zusammengebrochenes Mauerstück und zündete sich eine Zigarette an.

"Ich sehe kein Problem darin, dir zu erzählen was in den letzten Wochen hier los war. Wir hatten Krieg mit einem recht beängstigenden Rudel Garou. Von allen Katastrophen die uns danach noch heimgesucht haben, hat dieser Kampf wohl die meisten Opfer gefordert. Für mich selbst war es auch einige Male verdammt knapp. Ich kann dir sagen, einem ausgewachsenen Werwolf gegenüberzustehen ist wohl das beängstigendste das man sich vorstellen kann. Im gleichen Zeitfenster, der Krieg mit den Bettvorlegern zog sich ziemlich lange hin, wollte ein mächtiger Dämon die Stadt vernichten. Er wurde wohl vom alten Prinzen beschworen, der nebenbei gesagt, der Exmann unserer neuen Prinz ist. ... Die Macht bleibt sozusagen in der Familie."

Ein freches Grinsen.

"Ein uralter Vampir, vollkommen durchgeknallt und böse bis ins Mark terrorisierte uns ebenfalls. Er hatte die Macht uns falsche Realitäten vorzugaukeln, alles wahnsinnig verwirrend und Konfus. Das Ziel des Typen, Zacharii hieß er, war es, seine verstorbene Liebe in die Welt der Lebenden zurückzuholen und nebenbei natürlich auch selbst wieder ins Leben zurückzukehren. Doof nur, dass seine Geliebte nicht mehr allzugut auf ihn zu sprechen war und ihrerseits versuchte Zacharii zu vernichten. Im Grunde geriet die Stadt also in einen saftigen Rosenkrieg. Wenn ich dir die Deatils dazu erzählen soll, sitzen wir die ganze Nacht hier und wenn ich ehrlich bin habe ich nicht alles von dem was passiert ist verstanden. Wir Kainiten kämpften wie die Löwen, viele starben, ganze Stadtteile explodierten... Oh, die Tussi die heute Prinz ist, war damals zwischenzeitlich sogar von Zachariis Schickse besessen und hätte uns in dieser Form damals alle beinahe fertig gemacht. Ist aber nicht so gekommen und die Cruiz scheint heute wieder ganz normal zu sein. Wenigstens hat sie uns zum Ende der Kämpfe geholfen.
Zacharii zog auch die Wölfe auf seine Seite und verstärkte damit den Ärger den wir hatten. Der alte Prinz war zu der Zeit verschwunden. Ich kann gar nicht genau sagen, wer letztlich die Macht hatte? Enio Pareto von den Brujah war sowas wie ein Kriegsfürst, Madame Cruiz die Seneshall und die Tremere hatten auch irgendwas am Laufen."

Jenny kratzte sich am Kopf und zog einige Male an der Zigarette.

"Ich weiß, dass sich das alles vollkommen wirr anhört, aber genauso haben wir es erlebt. Dieser Zacharii hat riesige Plagen auf uns losgelassen, irgendwann haben einige wenige Werwölfe erkannt, was sie da eigentlich anrichten und sind dann zu uns übergelaufen. Es gab weitere Kämpfe, weitere Opfer und jede Menge Blut. Am Ende hatten wir dann gesiegt.
Dabei trat dann eine weitere Sache in den Vordergrund, die zumindest ich wegen dem ganzen Durcheinander nie wirklich auf dem Schirm hatte. Hier in Finstertal gibt es einen wahrhaft Unsterblichen. Ein mieser Wichser, dessen Leben irgendwie an ein Bild geknüpft ist. Dieser Mistkerl, alle nennen ihn Ziege, war ein Diener Zachariis. Oliver Buchet, der alte Prinz und Ehemann unserer neuen Prinz, hatte das Bild in seinem Besitz und versuchte -wohl über mindestens hundert Jahre- das Geheimnis dieser Unsterblichkeit aufzudecken. Ist ihm aber wohl nicht gelungen. Erinnerst du dich an den Dämon von dem ich ganz am Anfang erzählt habe? Mit dem hatte der Prinz wohl einen Deal, die Lösung des Geheimnisses im Tausch gegen die gesamte Stadt. Oder so!? Irgendwie soll der Dämon auch etwas mit Zachariis Existenz als... Geist.... das falsche Wort aber ich kenne kein anderes... verantwortlich sein."

Alles was der Anarche blieb, war ein Schulterzucken.

"So habe ich er erlebt und verstanden. Muss nicht alles richtig sein, aber im großen und ganzen kommt's hin!"
 
Kontrolle, die Dinge im Griff haben. Die Zahl der Kainskinder, die noch immer dem schrecklich naiven Glauben an ihre all zu engagierte, geradezu ridiküle Pläneschmiederei nachhingen, war geradezu inflationär hoch. Hatte ihnen der Empfang des Kusses durch ihren jeweiligen Erzeuger nicht mustergültig bewiesen, dass es soetwas wie vollständige Gewissheit, Sicherheit des Kalküls nicht geben konnte? In aller Regel war es doch ein einzelner Lidschlag, der Bruchteil eines Augenblicks, der genügte um ganze Welten aus ihren Angeln zu heben, in sich einstürzen zu lassen, gleichsam jedoch auch neue Dimensionen zu errichten und alle Gesetze des Alten gegen bis dahin als unmöglich geleugnete, nun jedoch vermeintliche unumstößliche Regelkonstrukte auszutauschen. Chaos! Alles war Chaos! Nicht ohne System.
Ganz abgesehen davon, dass es schon eine seltsame, bemerkenswert vermessene Tollheit sein musste, die einen zu der Annahme gelangen ließ, man wäre im Stande auch bloß einen einzigen Deut an Kontrolle auf den Clan des Mondes auszuüben obgleich man ihm nicht angehörte.

Allerdings war der Rabe nicht hier um dergleichen Leichtsinn aufzuzeigen, zumindest nicht vorrangig.
Zunächst würde Ligeia bloß Jennys Schilderungen lauschen.

Die Brünette quittierte die Schilderungen betreffs des Konfliktes mit den Garou indem sie ernst sinnend nickte. War sie nun auch alles andere als eine Werwolfexpertin, so konnte sie sich doch lebhaft vorstellen, welch hohen Blutzoll eine solche Auseinandersetzung wohl fordern müsste.
Als die Sprache nun jedoch auf einen Dämon kam und darauf, dass der letzte Prinz der Stadt diesen angeblich beschworen habe, hob die Bleichhäutige kritische die Braue. Leises Gekicher in ihrem Kopf.
Die Schilderung der Caitiff sollte jedoch noch längst nicht am Gipfel der Skurilllitäten angekommen sein. Cruiz war also die Gemahlin ihres Vorgängers. Ein nicht uninteressantes Detail.

Dann jedoch Erzählungen von einem uralten Vampir, Rosenkrieg der Welten, Besessenheit als Ursprung der Schwärze, verschollene Prinzen…
Mittlerweile hatte sich die Braue wieder gesenkt. Statt dessen lag die weiße Stirn nun in kritischen Falten und aus Gekicher war ausgewachsenes, schallendes Gelächter geworden.
Raven schlug die Lider nieder und verschränkte die Arme vor der Brust während die Erzählende allmählich zu einem Ende gelangte.
Dorian Grey und die Toreador standen ihm Beiseite. Welch eine Überraschung! hallte eine spitz klingende Stimme durch ihren Verstand.

Noch einmal Dämon. Die allgemeine Erheiterung war auf einen Geräuschpegel angewachsen, welchen die Malkavianerin nun doch als ein wenig unangenehm empfinden musste. So hob sie also eine ihrer Hände und massierte sich die Schläfen, obgleich der Nutzen dieser Geste im Effekt eher einem Placebo gleichkommen musste.

"Das ist….nun wirklich eine rechte Menge ungewöhnlicher Vorkommnisse…" bemerkte Ligeia trocken nachdem ihr Gegenüber geendet hatte und schlug die Augen wieder auf. Offenkundig bedürfte sie noch eines Momentes um das soeben vernommene einzuordnen, dein ein oder anderen Impuls noch einmal von allen Seiten genau zu besehen und zu katalogisieren ehe sie ihn vorerst archivierte, auf dass er bei Bedarf baldigst wieder zur Hand sein würde.
Beinahe hätte sie gehofft, dass es sich hierbei um einen Scherz gehandelt habe. Allerdings kam die Psychiaterin doch nicht umhin zu bemerken, dass niemand, der noch bei einigermaßen klarem Verstand war, sich etwas derartiges einfach ausdenken würde, immerhin musste ein Rezipient den Sprechenden nach solchen Schilderungen für das Opfer ausgeprägter Halluzinationen und Wahnvorstellungen halten. Zumeist war die Wahrheit um Weiten unglaubwürdiger als alles, was ein anderer hätte ersinnen können.

"Wenigstens sehe ich nun klar, was es ist, das in dieser Stadt allerlei unkonventionelle Gebaren nach sich zog. Ich danke dir."
Die Brünette lächelte anerkennend. Ein solcher, wenn auch recht kompakter, Gesamtüberblick über die letzten Tage und Wochen würde sich bei Zeiten gewiss noch als nützlich erweisen.

"Sofern es mir gestattet ist, möchte ich dir gerne noch die eine oder andere weitere Frage stellen. Wie ich bemerkte, wird hier manches anders angegangen als es sonst Brauch ist. So standen in der gestrigen Nacht alle Türen zum Innern der prinzlichen Verwaltung offen und… noch manches mehr.

Doch seien diese Dinge wie es ihnen beliebt. Mir geht es viel mehr darum, ob es in Finstertal weitere, vielleicht gar ungewöhnlichere Ansprüche, Gewohnheiten oder Alltäglichkeiten gibt, über die ich mir im Klaren sein sollte? Inoffizielle Anspruchsgebiete abseits der gewöhnlichen Jagdterreints und Elysien, welche es zu meiden gilt oder signifikante Abweichungen vom allgemeinen Kanon der Camarilla vielleicht?"

Raven hätte es kaum für möglich gehalten, doch das Gelächter konnte tatsächlich noch an weiterem Klangvolumen gewinnen. Doch was war so erheiternd? Welche Pointe hatte sie übersehen?
 
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