AW: Was Darf der SL? Was Darf er nicht? Was sind seine Aufgaben?
Die Goldene Regel ist dazu da:
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Regelschwächen zu kompensieren.
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Zu Regelschwächen gehört auch, wenn ein System keinen Mechanismus hat, um unglückliche Zufälle abzufangen. Wenn ein Scharfschütze den Geiselnehmer im Visier hat und alles was er hat in den einen Schuß pumpt und alles bedacht hat und dann seine Scheiß-Würfel einen Botch zeigen und das Scheiss-Regelsystem mir ein "next friendly target hit" liefert und die Regeln mir NICHTS anbieten zu verhindern, dass der Schütze die Geisel statt den Geiselnehmer killt, dann ist das eine Regelschwäche.
Zum einen ist das natürlich KEINE "Regelschwäche".
Wie andere hier im Thread schon gesagt haben, handelt es sich um eine "Schwäche", wenn die Regeln NICHT das tun, was sie SOLLEN.
Wenn Du aber mit einem halbwegs auf "Realismus" getrimmten Regelsystem versuchst John-Woo-Gun-Fu-Action-Kino zu spielen, dann hast Du schlichtweg das falsche Regelsystem erwischt.
JEDES Regelsystem kann bestimmte Dinge besser und andere Dinge schlechter. - Wenn ich die Suppe mit der Gabel zu essen versuche, dann muß ich die Gabel nicht erst verbiegen, bis sie ein schlechter Löffel ist, sondern ich kann auch gleich einen Löffel nehmen.
Wenn man also in einem Regelsystem spielt, welches eine "Innocent Bystander"-Regel für knappe Fehlschüsse kennt, und welches keine "Aufweichungen" wie Nachwürfel gegen Helden-Punkte-Einsatz oder ähnliches kennt, dann WILL man bei einem Scharfschützen-Einsatz ganz offensichtlich die existierende Fehlschuß-Wahrscheinlichkeit haben, weil nur so mehr Dramatik und bisweilen eben auch tragische Erlebnisse möglich sind, die den Charakter des Schützen eventuell sogar für immer prägen (somit würde solch ein mißlungener Schuß zu tollen Charakterrollenspielmomenten über Wochen an Spielzeit führen - ganz wie in entsprechenden Vorlagen aus Film oder Roman eben).
Will man hingegen SICHER sein, daß der Schütze zwar vielleicht danebenschießen kann, aber garantiert NICHT die Geisel trifft, dann kann man entweder per Hausregel, die VORHER ALLEN Spielern bekannt gegeben wird, diese "Innocent Bystander"-Regel für die laufende Kampagne - und da für ALLE Charaktere, SCs und NSCs geltend! - außer Kraft setzen. Dann wäre das Resultat OHNE BESCHEISSEN entweder ein Treffer oder ein Fehlschuß bei unverletzter Geisel.
Oder man greift gleich zu einem für solche Situationen passenden Regelsystem. - Beispiel: Savage Worlds. Hier hat der Scharfschützen-SCs eine gewisse Menge Bennies, mit denen er sogar kritische Fehler erneut würfeln darf. Nur das bessere Resultat zählt. - Der Bennie-Einsatz liegt ALLEIN in der Entscheidung des SPIELERS. - So weiß man als Spielleiter auch gleich, ob es dem Spieler in dieser Situation überhaupt wichtig genug war, die Geisel NICHT zu treffen, oder ob er das als Resultat für in Ordnung und somit eine interessante Wendung der Geschichte hält. Dazu braucht der Spieler noch nicht einmal etwas sagen, sondern er gibt einfach keinen Bennie aus, um diesen Treffer auf die Geisel möglicherweise in einen Treffer auf den Geiselnehmer umzuwandeln.
Auch der Spielleiter hat bei Savage Worlds Bennies für seine NSCs. - Wichtige NSCs bekommen eh eigene Bennies und für die minderwichtigen, aber eventuell in bestimmten Situationen interessanten NSCs hat er einen ganzen Pool (in Abhängigkeit von der Zahl der SCs in der Runde). - Wenn nun der Spieler im Bespiel des mißlungenen Schusses auf den Geiselnehmer kein Problem damit hätte, daß die Geisel nun erschossen wird, so kann hier immer noch der SPIELLEITER für seinen Geisel-NSC Bennies ausgeben, um die tödliche Wunde zu vermeiden und in einen Kratzer umzuwandeln, der auf alle Fälle als Treffer erkennbar ist (der Makel für den Scharfschützen-SC), aber den NSC nicht töten wird.
Mit solch einem Regelsystem MUSS NIEMAND BESCHEISSEN!
Wenn man NSCs "abhärten" möchte, so liefert Savage Worlds neben Bennies auch noch Edges (Vorteile), die die Überlebensfähigkeit selbst im Kugelhagel erhöhen - jedoch NIE SICHERSTELLEN! Der Zufall kann immer noch einen noch so "abgehärteten" NSC ins frühe Grab bringen. Das ist bei diesem Regelsystem so gewollt und das mögen auch die Savage-Worlds-Spieler so. (Auch wenn es ihren eigenen SCs passieren kann.)
Wichtig ist aber, daß bei solchen Mechanismen, die mit Bennies, Fate-Chips, Drama-Punkten, Plot-Punkten, Helden-Punkten, usw. arbeiten, die SPIELER die VOLLE ENTSCHEIDUNGSGEWALT darüber haben, ob und wann sie diese Resource für welches "Nachbearbeiten" einer Handlung einsetzen.
Und es gibt auch Regelsysteme, bei denen es zum gespielten Genre (TV-Serien) dazugehört, daß die SCs öfters mal einfach gearscht werden, damit der tolle Plot der Serien-Episode passend weitergeht. - Diese sehen gleich in den Regeln eine ENTSCHÄDIGUNG für die SPIELER in Form von Drama-Punkten, die sie für ihren Charakter später ausgeben dürfen, vor. Das zeigt dem Spieler, daß es klar und offensichtlich ist, daß hier "drehbuchmäßig" getrickst wird, er als Spieler aber nicht dadurch gearscht ist, sondern nur sein Charakter in eine Situation verfrachtet wurde, wo er noch mehr spannende Szenen abliefern kann - und die Unterstützung für mehr Spielerwillen bekommen die Spieler in Form des "Schmerzensgeldes" als Drama-Punkte zur Verfügung gestellt.
NIEMAND muß sich somit heutzutage, wo es wirklich JEDE MENGE Rollenspielregelsysteme gibt, als BESCHEISSER seiner Mitspieler betätigen.
Aber mal ernsthafte Antwort: Wenn ich das nicht will, dann wähle ich ein entsprechendes Regelwerk, dass das umsetzt, was ich will. Es ist ja nicht so, dass es die nicht gäbe.
Das ist genau der Punkt.
Wer meint die "Goldene Regel" zur angeblichen "Behebung" von "Regelschwächen" verwenden zu müssen, der ist zu faul und/oder zu blöde sich mal Gedanken darüber zu machen WAS er eigentlich WIE spielen möchte, und dann das für diese Anforderungen PASSENDE Regelsystem zu verwenden. - Er versucht lieber weiterhin mit der Gabel die Suppe zu essen. Und das ist wirklich bescheuert.