Realismus contra Glaubwürdigkeit

Agroschim

mit Nero in Disneyland.
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Es wird oft die Frage gestellt, wie man Rollenspielszenarien realistisch ausgestalten kann, sei es vor historischem Hintergrund oder in bezug auf technische Machbarkeit. Eine herausstechende Antwort ist: "Realismus saugt." Einverstanden. Aber irgendwoher muss dieses Verlangen nach Realismus doch kommen, ich habe also darüber nachgedacht und eben traf mich ein Gedankenblitz. Es ist garnicht Realismus, der gefordert wird, sondern eine glaubwürdige Welt. Ein Spielwelt frei von Widersprüchen und, was den historischen Teil betrifft, einen Authentizitäts Anspruch, also erlebte Realität eher denn wirkliche.

Was meint ihr?

PS: Kurz noch was zu: "Realismus saugt." Rollenspiele haben sich längst von CoSims gelöst und ich gehöre zu den Verfechtern der Idee, dass Rollenspiele besser Literaturspiel denn als simulierte Wirklichkeit zu verstehen sind und Literatur verträgt nunmal keinen Realismus, ausser literarischen ;)
 
AW: Realismus contra Glaubwürdigkeit

Der Weg wird oft beschritten (Realismus durch Glaubwürdigkeit zu ersetzen), bringt aber meiner Meinung nach auch seine eigenen Probleme mit sich. Glaubwürdigkeit ist nämlich wieder so schrecklich subjektiv... ;)

mfG
bel
 
AW: Realismus contra Glaubwürdigkeit

Genau wie Geschmack und da hat sich ein Großteil der Menschen schon mit abgefunden, warum sollte das, deiner Meinung nach, mit Glaubwürdigkeit anders sein?
 
AW: Realismus contra Glaubwürdigkeit

Ich sagte nicht dass das anders ist, ich sagte dass das seine eigenen Probleme mit sich bringt.

mfG
bel
 
AW: Realismus contra Glaubwürdigkeit

Regeltechnisch:
Weder noch. Man braucht keinen Realismus und auch keine Glaubwürdigkeit, um gute Regeln durchzusetzen - man braucht einfache und verständliche.
Der Realismus stört nur im Regelteil, weil die Realität komplex ist und damit in einem Regelsystem kompliziert wird.

In einem Setting braucht man Glaubwürdigkeit - alles andere wäre langweilig.

Da die Frage noch nicht beantwortet wurde: Woher kommt das Verlangen nach Realismus?
 
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Da die Frage noch nicht beantwortet wurde: Woher kommt das Verlangen nach Realismus?
Ich denke dieses Verlangen kommt daher dass es einem in erster Linie darum geht in eine Welt abzutauchen. Wenn dann (echte oder eingebildete) Logikfehler auftauchen dann zerstört das die Illusion sich wirklich in dieser fremden Welt zu befinden, und das Abtauchen wird wertlos weil man sich nicht wirklich in dieser fremden Welt fühlt, sondern eher das Gefühl hat mit einer fehlerhaften Kulissenstadt zu arbeiten.
 
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Und warum erkennt niemand seine Verwechslung?

Warum findet jeder Glaubwürdigkeit lediglich im Realismus? (Von welchem Bereich im Rollenspiel ist überhaupt die Rede?)
 
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Wenn dann (echte oder eingebildete) Logikfehler auftauchen dann zerstört das die Illusion ... weil man ... eher das Gefühl hat mit einer fehlerhaften Kulissenstadt zu arbeiten.
Das ist im Rollenspiel so ähnlich wie mit den lästigen Continuity-Errors in Film und Fernsehen. Wenn der Typ im Film ein volles Glas in der Hand hatte und es in der anderen Kameraeinstellung fast leer ist, dann nervt das. Manchmal nur ein wenig - wie eben auch die typischen "geringnervigen" Rollenspielstimmigkeitsschnitzer.

Natürlich ist das ein sehr subjektives Thema. Jemand, der sich mit Klettern auskennt (wir hatten in unserer Uni-Runde eine zeitlang einen Freikletterer), der WEISS aus seiner persönlichen Erfahrung, wie schwierig oder wie leicht eine bestimmte Kletteraktion ist. Der findet so manche Modifikation auf die üblichen Kletterwürfe in Rollenspielen grundsätzlich unglaubwürdig. Ich habe keine Ahnung vom Klettern und der Rest der Mitspieler auch nicht, und daher sehen wir manch eine Erschwernis eher als dramaturgisches Mittel eine Kletterszene "interessant" zu gestalten.

Die dramaturgische Freiheit an realen Sachverhalten Eigenschaften zu überzeichnen, zu verzerren ist in Film und Rollenspiel gleichermaßen vertreten.

Bei Unknown Armies sind z.B. Messer lächerlich ungefährlich verglichen mit Pistolen. Als alter Messerkampf-Übender kann ich das überhaupt nicht nachvollziehen, wobei ich bei UA als einem sehr US-amerikanischen Spiel schon verstehen kann, warum da der "Machtfokus" auf der Schußwaffe liegt. Es ist trotzdem, und wohl nur für mich, immer wieder ein Moment, wo ich mit Kopfschütteln reagiere, wenn man sich bei UA um eine Alltagsdarstellung einer (fast) realen USA bemüht, und dann Messer nur Kratzen nicht Killen. Als nächstes explodieren Autos, die eine Böschung herunterrollen immer so, als hätte der Kofferraum als Zwischenlager für Al Qaida gedient. ;)

Über manches sieht man weg.

Manches ist aber so stark störend, daß nicht etwa das "Abtauchen" erschwert wird. Dieses von so manchen vermutete Abtauchenwollen kenne ich bei keinem Spieler. Das ist eine ideologisch geprägte, nicht mit der Wirklichkeit in Verbindung zu bringende Voreingenommenheit meist der Theoriefraktion. - Was harte "Continuity-Error"-Probleme bewirken, ist, daß sich der Spieler in all seinen persönlichen Vorkenntnissen verarscht vorkommt. Das greift das sichere Wissen des Spielers an, nicht etwa des Charakters. Dadurch wird auch der Spieler direkt geärgert, wenn etwas nicht stimmt.

Wenn etwas stimmt, dann nenne ich das "Stimmigkeit".

Wenn etwas beim Spielen in einem Setting nicht stimmt, dann ist die Stimmigkeit nicht gegeben.

Dazu gehört neben offensichtlichen Punkten wie z.B. den in jeder Autoillustrierten nachlesbaren Höchstgeschwindigkeiten und Einsatzradien pro Tankfüllung, die in so manch einem Rollenspiel vorkommen, als würden dort nur Ford Model T Daten zugrundegelegt, auch nicht so offensichtliche Punkte wie die Genrekonventionen.

Genrekonventionen sind genau das: Konventionen. Es gibt auch jede Menge Rollenspiele, die bewußt gegen diese Konventionen ausgelegt sind. Aber wenn/falls man ein Spiel spielt, welches innerhalb gängiger Konventionsgrenzen angesiedelt ist, dann ist es sehr störend, wenn diese unerwartet gebrochen werden. War der Bruch zu erwarten, dann wird er ja auch nicht als störend empfunden, da er zu der neuen(!) Konvention gehört.

Man will im Rollenspiel nicht ständig eine Holperfahrt unternehmen, auf der man von einem ärgerlichen "Produktionsfehler" zum nächsten gereicht wird.

Daher der Ruf nach Realismus als dem falschen Etikett für die eigentlich richtige Sache.
 
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realismus contra glaubwürdigkeit - da gibt es für mich nicht unbedingt ein contra.

realismus ist dann ein "problem", wenn die spieler aus ihrer eigenen erfahrung heraus es einfach besser wissen - und ihre charaktere aufgrund ihres wissens aus der realität handeln lassen.

z.b. bei nahkampfaktionen, schusswaffen, technischen daten, fähigkeiten von pferden haben wir da schon öfter probleme gehabt. da nicht jeder spieler die regeln auswendig kann, handelt er aus seiner eigenen erfahrung heraus - was dann u.u. zu problemen führt. wenn die spieler oder der spielleiter keine vorkenntnisse haben, treten die probleme nicht auf - alles andere kann zu frust am spieltisch führen. da ist es an der runde eigene hausregeln zu entwerfen.

das hat nichts mit glaubwürdigkeit zu tuen.

glaubwürdigkeit ist ein "problem", wenn das regelwerk eine schieflage hat, z.b. wenn ein regelwerk geschichtliche fakten verdreht. eine schieflage ist für mich auch, wenn z.b. magie überproportional stark ist oder gesellschaftliche strukturen zu linear/ einfach dargestellt werden. wenn die individualität dem klischee allzu sehr geopfert wird. das muß nichts mit realität zu tuen haben. wenn der spieler z.b. das gefühl hat, so "simpel" ist keine welt - auch keine fantasywelt, dann hinterfragt er die glaubwürdigkeit des hintergrundes.
 
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Also ich finde auch das gehört dicht zusammen... Realismus natürlich immer im Bezug auf's Setting: Wenn es da "realistisch" ist das ein Charakter fliegen kann dann meinetwegen auch das. Ich glaube das Wortpaar wird noch gut mit "konsitent" oder "konsequent" ergänzt. Nichts schlimmer als jeden Tag den Schlüsselbund auf den gleichen Tisch zu werfen und die Schwerkraft zeigt immer wo anders hin und ist unterschiedlich stark...
 
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URPG schrieb:
Realismus natürlich immer im Bezug auf's Setting: Wenn es da "realistisch" ist das ein Charakter fliegen kann dann meinetwegen auch das.
Nein, da braucht man keinen Realismus, sondern Glaubwürdigkeit.
Es ist nicht realistisch, dass jemand (ohne Hilfsmittel) fliegen kann, aber glaubwürdig, wenn in dem Setting die Person befähigt ist zu fliegen (ohne Hilfsmittelt).
 
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Realistisch ist was in die Realität paßt in der man sich befindet, nicht was mit unserer Realität vereinbar ist. Wenn ich in einem Fantasysetting mit Zauberspruch fliegen kann ist das Realistisch, wenn nichtmal das schießpulver erfunden ist ist ein Maschinengewehr unrealistisch obwohl physikalisch wohl hier wie da machbar.
 
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Realismus ist auf die Realität bezogen, da Rollenspiele eine Virtualität darstellen, ist Realismus völlig der falsche Begriff. Darum habe ich Glaubwürdigkeit eingeführt...
 
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Und genau da liegt aber auch eines der Probleme von Glaubwürdigkeit.

Wer Realismus fordert, der kann sich objektiv bewertbare, oder zumindest aus einem verlässlichen, gemeinsamen Erfahrungsraum kommende Sachverhalte stützen.
Gerade diese Verlässlichkeit und Objektivität lässt die Glaubwürdigkeit wieder vollkommen vermissen.

mfG
bel
 
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Stimmt exakt, wenn man realismus wirklich auf unsere Welt bezieht... ich bin da wie gesagt anderer Meinung aber das ist wohl eine Frage des Bezugsystemes wenn ich es realistisch finde das man mit einer dicken Ionenkanone einen Frachter am starten hindern kann aber es für unrealistisch halte das zwei hochmoderne superstenenzerstörer einfach miteinander kollidieren und da keine Warnlampe geblinkt hat auf der Brücke. Ist halt "in der Starwars Realität", also eine Frage des Bezugssystemes.

Umgekehrt habe ich ja auch aufgegeben zu fragen warum bei Shadowrun ein 5 schuß clip für die Holdout und der 50 schuß bananenmagazin für das Sturmgewehr gleich schwer sind. Da kann man sich aus "unserer" realität den Mund fusselig argumentieren, in Shadowrun sind die eben alle gleich schwer.
 
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