Belletristik Märchen: Aussagekraft und Gewaltaspekte

Skar

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Welche (klassischen) Märchen kennt ihr, was sollen sie vermitteln und bedienen sie sich dabei Gewaltaspekten?

Und warum tun sie das? Soll der Schockeffekt die Message vertiefen?


Beispiele:

Aschenputtel:
Message: Stand und Aussehen stören die Liebe nicht. Erzwungene Liebe geht nicht.
Gewaltaspekt: Ferse abhacken, Zeh abhacken

Der Wolf und die 7 Geißlein:
Message: Lass den schwarzen Mann nicht herein.
Gewaltaspekt: Bauch aufschneiden, Steine reinfüllen, im Brunnen ersäufen
 
AW: Märchen: Aussagekraft und Gewaltaspekte

Märchen sind Gruselgeschichten für Erwachsene, überleg mal in welcher Zeit sie geschrieben wurden und was zu dieser Zeit die Hauptbeschäftigung der Nichtadeligen armen Bevölkerung war ;)
 
AW: Märchen: Aussagekraft und Gewaltaspekte

Agroschim schrieb:
Märchen sind Gruselgeschichten für Erwachsene, überleg mal in welcher Zeit sie geschrieben wurden und was zu dieser Zeit die Hauptbeschäftigung der Nichtadeligen armen Bevölkerung war ;)
Das ändert aber nichts daran, dass Märchen allgemein als geschätztes Kulturgut für Kinder herhält. K(aum )eine Oma dieser Welt würde Märchen für ihren Enkel verbieten wollen.

Warum darf das Medium Märchen aber etwas, was bei anderen immer kritisiert wird: Gewalt zeigen?
 
AW: Märchen: Aussagekraft und Gewaltaspekte

Weil es Tradition ist, aus der guten alten Zeit.
Und wir alle wissen ja:
Früher war alles besser!
 
AW: Märchen: Aussagekraft und Gewaltaspekte

Warum darf die Bibel sowas? Wenn man gleiches Recht für alle anwenden wollte, müßten eigentlich sowohl Bibel als auch Märchenbücher schnurstracks auf den Index. (Wie war das noch? Da mußte die böse Königin in glühenden Schuhen so lange tanzen, bis sie tot umfiel? Die Hexe wurde in den Ofen geschoben und da verbrannt? Etc pp)

Bb, Stayka
 
AW: Märchen: Aussagekraft und Gewaltaspekte

Ich glaube, das hat etwas mit der Tradierung zu tun und damit, daß eine Botschaft transportiert werden soll. Ein Kind, das ein Märchen hört, wird das immer noch so für sich auflösen, wie es das verarbeiten kann, was dann am Schluß mit den Bösen passiert.

Felix
 
AW: Märchen: Aussagekraft und Gewaltaspekte

Für ein Märchen ist vordefiniert, dass alles nur Fiktion ist. Dadurch ist es auch der (beschränkten) Wahrnehmung und Trennung der Wirklichkeit der Kinder möglich eine Lehre daraus zu ziehen.
Außerdem wird Gewalt in Märchen eigentlich immer besonders behandelt. Entweder kurz und hart gefasst "Der Jäger erschlug den Wolf"
oder in übertriebenen Szenen "Hexe in den Ofen schieben", "Zehen/Fersen abhacken".
So wie Felix das schon sagt, die Botschaft oder Moral eines Märchens ist sein Kern. Alles andere sind nur Stilmittel.
Außerdem sind Märchen für Kinder immer schon interessant gewesen da sie dort aus der Sicherheit heraus mit dem Bösen(TM) konfrontiert wurde, vor dem sie sonst behütet werden. Sie sind sozusagen "cool"
 
AW: Märchen: Aussagekraft und Gewaltaspekte

Oh da fällt mir mein Lieblingsmärchen aus der Sammlung der Gebrüder Grimm ein...

Als die Kinder das Schlachten spielten

In dem geht es darum, dass die Kinder eines Dorfes zusehen wie der Vater des einen (der Metzger) ein Schwein schlachtete.

Also wollten die Kinder das auch spielen. Ein junge spielte den Metzger ein Kind das Schweinchen. Sie haben es mit dem Fleischermesser geschlachtet.

Die Mutter die dabei vom Fenster aus zusah und ihr jüngstes Badetet, rannte runter als ihr Kind sterbend auf dem Dorfplatz lag, nahm das Fleischerbeil 8und erschlug im Zorn das andere Kind.

Gleichzeitig ertrank ihr jüngstes im Badezuber.

Als die Mutter das erfuhr, tötete sie sich selber.

So fand der Vater der heim kam, seine Familie tot vor...
 
AW: Märchen: Aussagekraft und Gewaltaspekte

Honigkuchenwolf schrieb:
Als die Kinder das Schlachten spielten

Ist dieses Märchen dein Ernst *ungläubig drein blickend
Ich habe mich im letzen Jahr innerhalb eines Seminares viel mit Märchen und deren Strukturen und Wirkung beschäftigt, aber ein solches ist mit sicherlich nicht untergekommen. Ist das der Titel unter dem man das auch in Märchenbüchern findet, oder gibt es das als Märchen heute nicht mehr?

In Bezug auf die Gewaltaspekte liegt es tatsächlich in der Tradition des Märchens behaftet. Es geht darum das Böses bestraft werden muß, egal in welcher Form und das nur das Gute und Reine gewinnen kann/soll. Dabei wird, wie bereits erwähnt, der Aspekt der gewalt nciht unnötig ausgekleidet oder detailliert beschrieben, sondern als eine Tatsache dargestellt, auf die auch nicht weiter eingegangen werden muß. Desweiteren denke ich das es in Märchen deswegen nicht so streng gesehen wird, weil man sie seinen Kindern meist vorliest und dann auch gleich eine Erklärung abgeben kann, wenn sich Fragen ergeben.
Tatsache ist aber, und da hat Skar recht, das viele Kinder sich gerade diese Szenen merken und es dann zu Situationen kommt wie die letzte mit meinem Cousin: Cool, da kommt die in den Ofen.
Was hätte ich dazu sagen sollen ?!
 
AW: Märchen: Aussagekraft und Gewaltaspekte

Was ist denn das Problem mit den "Gewaltaspekten" in Märchen, Sagen, Heiligen Schriften, ... ?

Die Gesellschaft früher war Gewaltanwendung, und zwar direkt miterlebbare, einfach eher gewohnt, als es irgendwelche modernen Zimperliesen der Industriegesellschaft in ihrer einzig wahren Ideologie wahrhaben wollen.

Mal ein paar Beispiele:
Wenn man ein Hühnchen braten wollte, dann kaufte man es LEBEND auf dem Markt, brachte es um, nahm es aus und rupfte es. Das konnten Kinder in der Küche andauernd mitbekommen.
Schlachthöfe, die die Tiere industriell und sichtverblended töten, sind eine sehr moderne Erfindung, die mehr Abstand zwischen dem blutigen Geschäft des Schlachtens und der Zubereitung des Fleisches für den Verkauf und den Verbrauch legt.

Öffentliche gerichtliche Bestrafungen durch Auspeitschen, Stockhiebe, Verstümmelungen, und öffentliche Hinrichtungen konnten Erwachsene wie Kinder sehen und miterleben (auch als direkt Beteiligte!).

Die Bibel wartet mit Kriegsgreueln auf, die keinem in der schönen Märchenzeit der Napoleonischen Ära unbekannt gewesen sein dürften.

Wir leben hier in Deutschland in einer über 60 Jahre währenden Friedenszeit, die historisch gesehen extrem ungewöhnlich lang anhält. Früher waren Kriege auf unserem Siedlungsgrund einfach häufiger (kleinere gab es immer wieder und alle ein, zwei Generationen mal einen richtig großen).

Warum sollten also in Märchen keine Gewaltdarstellungen enthalten sein, wenn Gewalt doch zum menschichen Alltag gehört?

Mal zurück in unserer Modernen Zeit:

Wir bekommen täglich die Bilder z.B. aus dem Irak und anderen Krisengebieten mit, wie Menschen durch religiöse Fanatiker in die Luft gesprengt werden. Das wird uns zur besten Sendezeit mitten in die Wohnzimmer gebracht. Gute Appetit zum Abendessen. - Hat sich da schon mal jemand wegen der Gewalt in den angeblich "seriösen" Informationssendungen aufgeregt? Ich glaube kaum.

Man kann derzeit die Tagesschau von vor 30 Jahren wiederholt in den Dritten Programmen sehen. Da sieht man, wie früher eine brutale Gewaltberichterstattung, bei der die Kamera direkt auf die zerfetzten Leiber und die Sterbenden gehalten wird, NICHT vorkam. Da wurden solche Nachrichten auch im Fernsehen als TEXTnachricht verlesen, aber eben nicht reißerisch gezeigt. Das hat etwas mit Respekt vor den Leidenden und Toten zu tun. - Dieser Respekt ist heute wegen der Einschaltquotenorientierung entfallen. Heute MUSS es die Sterbeszene sein. Heute muß der Zuschauer das Gefühl bekommen, bei der Erschießung mitten drin, statt nur dabei zu sein.

Warum? - Weil die menschliche Neugier und Sensationsgier heute UND FRÜHER schon immer groß war.

Daher sind früher die Leute zur Hinrichtung gegangen, um mal wieder was zu sehen. Daher hat man mißgestaltete Menschen früher auf Jahrmärkten ausgestellt. Daher gehörten Tierquälereien zu den Kinderspielen früherer Zeiten (Max und Moritz ist nur eine bebilderte Darstellung dessen, was früher gängiges "Spielen" von Kindern anbetraf. In Büchern des 18. und 19. Jahrhunderts werden unter den Kinderspielen auch Tierquälereien aufgeführt, wie z.B. eine Gans in eine Grube einzubuddeln und dann mit Stöcken auf sie zu werfen. Es gewinnt, wer ihr den Hals mit einem Stockwurf gebrochen hat. Das ist normales Kinderspiel, da Kinder damals wie heute bedenkenlos Tiere "verbrauchen".

Deshalb konnten die Großmütter den Kindern auch ohne Probleme Märchen erzählen. Da haben die Kinder nichts mitbekommen, was nicht aus ihrem Erfahrungsalltag nachvollziehbar gewesen wäre.

Das Kinder besonders behütet, vor Gewalt ferngehalten werden müßten, ist ein sehr modernes Menschenbild. Früher galten Kinder als kleine Erwachsene. Warum sollte man Kinder vor Märchen behüten, wenn man 10-Jährige in die Englischen Kohlegruben schicken kann, wo sie den Stoff für die dampftechnische Revolution der Technik abbauen durften, bis sie als junge Erwachsene mit Staublunge verreckten?
Warum sollte man Kinder vor Märchen behüten, wenn sie bei Plünderungen durch Soldaten mitansehen mußten, wie ihre Eltern umgebracht und ihre Geschwister vergewaltigt wurden (wie im Simplicius Simplicissimus z.B. im 30-Jährigen Krieg)?

Wir leben hier in einer Gesellschaft, in der die Gewalt zur Nahrungsgewinnung industrialisiert und aus dem Blick stattfindet. In der die Gewalt des Staates (zumeist) im Wegsperren und damit wiederum aus dem Blick der Öffentlichkeit ausgeübt wird. In der Auseinandersetzungen in den Medien als unrealistische Gewalt vorgespielt werden und damit die durch das gleiche Medium kommenden Bildberichte über Massaker in ihrer Wirkung abschwächen und die Zuschauer abstumpfen lassen (mich erregt keine Meldung über Dutzende Tote bei Bombenanschlägen im Nahen Osten mehr - das registriere ich schon garnicht mehr, weil es schon so ÜBLICH ist. Es ist keine "news" mehr, sondern "olds". Der tägliche Bombenanschlagsbericht. Langweilig.).

Heute sind Gewaltdarstellungen in Medien, Spielen, und damit auch im Rollenspiel und in Märchen eigentlich kein Punkt mehr sich aufzuregen. Diese Gewalt ist so irreal, daß sich nur Zimperliche noch darüber ereifern können. Wer seinen Kinder meint vor X-Box-Gewaltexzessen bewahren zu müssen, der kann ihnen bis zur Volljährigkeit die Teletubbies präsentieren. Nur wird dann das Kind nie lernen MIT GEWALT UMZUGEHEN!

Gewalt ist überall. Gestern bin ich auf der Autobahn im Berufsverkehr auch schier "verunfallt" worden, weil irgendein Arschloch seine angestauten Agressionen unbedingt im Straßenverkehr an Kleinwagenfahrern auslassen mußte. Das ist auch Gewalt.

Wer schon mal gemobbt wurde, der weiß, wie übel solch eine "kalte Gewalt" wirken kann - und wie zerstörerisch das ist.

Wenn jemand in meiner Gegenwart raucht und es ihm scheißegal ist, ob ich vielleicht als Allergiker Atemprobleme bekomme, dann ist das auch Gewalt.

Gewalt ist überall.

Man muß mit Gewalt umgehen lernen, dann macht man sich nicht ständig in die Hose, wenn man mal einen kleinen Bereich an Gewalt, den der phantastischen, märchenhaften Gewalt in den klassischen Märchen, gerät.

In diesem Sinne: "Deal with it!"
 
AW: Märchen: Aussagekraft und Gewaltaspekte

@Zornhau

Mein Kommentar, daß Bibel & Co. eigentlich auf den Index gehören, bezog sich eher darauf, daß heutzutage die Politiker und diverse andere Organisationen sich zB in die Sache mit Computerspielen, Anime, Filmen u.ä. einmischen, weil die ja "viel zu gewalttätig" sind. Aber die pittoresken Beschreibungen zB in der Bibel interessieren da weniger. Ich finde es ziemlich scheinheilig, an allen Ecken und Enden mit zweierlei Maß zu messen.

Bb, Stayka
 
AW: Märchen: Aussagekraft und Gewaltaspekte

Zornhau schrieb:
Man muß mit Gewalt umgehen lernen, dann macht man sich nicht ständig in die Hose, wenn man mal einen kleinen Bereich an Gewalt, den der phantastischen, märchenhaften Gewalt in den klassischen Märchen, gerät.
Das sagst du - sprichst der FSK aber im Allgemeinen bestimmt nicht aus der Seele.

Warum die FSK (oder andere) da potentiell zwischen Märchen und Rollenspiel differenzieren würde. Das ist das Problem (auf das ich hinaus wollte).
 
AW: Märchen: Aussagekraft und Gewaltaspekte

Aalisha schrieb:
Ist dieses Märchen dein Ernst *ungläubig drein blickend
Ich habe mich im letzen Jahr innerhalb eines Seminares viel mit Märchen und deren Strukturen und Wirkung beschäftigt, aber ein solches ist mit sicherlich nicht untergekommen. Ist das der Titel unter dem man das auch in Märchenbüchern findet, oder gibt es das als Märchen heute nicht mehr?

Das Märchen ist mein Ernst.

Der richtige Titel lautet Wie die Kinder schlachten spielten

in den meisten Büchern ist es nicht enthalten, aber in einigen alten existiert es noch. Gerade dann wenn du Bücher findest wo die Märchen noch in der ursprünglichen Fassung und nicht in der heutigen "zensierten" existieren.
 
AW: Märchen: Aussagekraft und Gewaltaspekte

Ja die ursprünglichen Märchen waren noch um so einiges "derber".
Kenn jemand die Grundaussage von Rumpelstielzchen?

Alles in allem passt das Wie die Kinder schlachten spielten
sehr gut in das Portfolio der Grimms.

Und um auf Skars kaum beachtete Frage zu kommen, Märchen sind den meisten mehr als vertraut. Rollenspiele gelten nur für unsereins vertraut. Für die FSK-Leute sind wir und unsere Spiele/Szenarien nach wie vor "gaga/irre" aber Märchen etwas normales.
Also wie üblich nach Willkühr und Gewohnheit ;)
 
AW: Märchen: Aussagekraft und Gewaltaspekte

Demon_HK schrieb:
Ja die ursprünglichen Märchen waren noch um so einiges "derber".
Kenn jemand die Grundaussage von Rumpelstielzchen?

Ja kenn ich sie saß beim spinnen auf einem schmalen Stock

und die Aussage war, das Selbstbefriedigung unfruchtbar mache...

genauso böse ist das ursprüngliche Ende bei Rotkäppchen, wo kein Jäger kommt, und der Wolf nicht stirbt.

Auf Skars Frage gäbe es nichts zu sagen, was nicht schon erwähnt wurde.
 
AW: Märchen: Aussagekraft und Gewaltaspekte

Bitte nicht hauen aber meiner meinung nach existiert da ein ganz großer Unterschied zwischen einer Geschichte die ich lese und einem Film oder Anime. Ich habe noch nie gesehen das in einer Märchenverfilmung die Szene mit den glühenden Schuhen explizit dargestellt worden wäre und wenn dann wäre dieser Film bestimmt auch ab 12 oder 16. Es macht einen riesen Unterschied ob ich Gewalt lese und die Bilder dazu nur aus meinem Kopf kommen oder ob ich sehe wie jemand gequält oder getötet wird. Und ich hab noch nie gehört das jemand Fantasyromane zensieren wollte also??
 
AW: Märchen: Aussagekraft und Gewaltaspekte

@Tarma

und warum kommt das Rollenspiel regelmäßig als Sektentum, Freaks etc. in die Schlagzeilen? Was ja auch nur auf der eigenen Fantasie basiert?
 
AW: Märchen: Aussagekraft und Gewaltaspekte

Tarma schrieb:
Und ich hab noch nie gehört das jemand Fantasyromane zensieren wollte also??
Da siehst du wie gut der Index funktioniert.

Zusätzlich zu der offen gezeigten Gewallt in Märchen gibt es da auch recht oft sexuelle anspielungen. Und die Bibel ist sowieso ein Porno.
 
AW: Märchen: Aussagekraft und Gewaltaspekte

@Tarma

Ein Problem das ich dabei sehe ist das beim Film mir das Bild schon vorgegeben ist was ich an Gewalt sehe, Bei Büchern ist es meist schlimmer, da meine Eigene Phantasie mir die "Bilder" dann zeigt, und wenn ich genung " schlechte/brutale" Filme gesehen habe, dann hab ich einen ganzen mix aus eindrücken die meine Phantasie in ein Buch noch miteinarbeiten kann.


@ all
Könnt ihr mir sagen wo ich mehr über die ürsprünglichen Märchen herausfinde, da ich bis jetzt noch nie etwas von diesen Versionen gehört habe.Und ich es sehr Interesant finde.

mfg
 
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