Weil mein Wort Sie nicht mehr erreicht

SeelenBlut

Devil was an angel too
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26. Januar 2004
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Ich habe Sie vergessen obwohl ich es nicht wollte. Habe Sie im hintersten Winkel meines Verstandes gedrängt und habe nicht mehr an Sie gedacht. Weder an die Trauer die mir ihre Geschichte aufdrängte, noch an die ehrliche Bewunderung für das was war und das erreichte. Ich hätte Sie öfter besuchen sollen, hätte Frage stellen sollen. Aber wenn man jung ist und den Kopf voller Jungen und seinen kleinen riesengroßen Probleme hat dann erscheint jemandem die Lebensgeschichte eines alten Mannes zwar rührselig, aber sie hat so gut wie keinen Stellenwert, schließlich will man doch ins Kino, auf eine abgedrehte Party, oder mit einem viel ältern Jungen knutschen.
Ich bekenne mich schuldig, das Interesse an Ihnen nur geheuchelt zu haben, auch wenn SIE mich beeindruckt haben, aber eigentlich habe ich Sie nur besucht um meiner Tante einen gefallen zu tun. Sie: Auf einem Auge blind, eine gelähmte rechte Seite, einen Granatsplitter im Lungenflügel. Ich sehe die Szene in Ihrer kleinen aufgeräumten, sauberen Küche vor mir. Überhaupt glänzt Ihre kleine Wohnung, es ist angenehm bei Ihnen und so viele Bilder von ihrer Frau...es bewegt mich...irgendwie
Ich, ein pubertierendes Balg, das nickt und zustimmende Laute von sich gibt, die die Geschichten ihrer Enkel, ihrer Urenkel und ihrer Nachbarin gar nicht hören will und doch kochen sie mir Kaffee.
Die Geschichte von Ihnen und ihrer Frau, eine typische Liebensgeschichte, die erst dem Vater ihrer Frau trotzte und dann dem Krieg. Kein Essen, Gefangenschaft, den Tod mit seinen hundert Gesichtern immer vor Augen. Sie schafften es mit ihrer kleinen Familie, so wie meine Großeltern und andere Großelter meiner Generation. Der Aufbau eines Landes, ihr Aufbau ihrer Familie, mit weiteren Schicksalsschlägen, die es weg zu stecken galt. Dann gab es endlich ein bisschen Frieden, eine schöne Ehe und doch war es nicht von Dauer als ihre Frau zum Pflegefall wurde. Sie pflegten Sie so gut sie eben konnten mit ihren Verletzungen und Behinderungen. Nun fällt mir zum Ersten mal auf, seitdem ich bei Ihnen bin, was ich für eine Persönlichkeit eigentlich vor mir stehen habe, doch fehlt es mir an Sensibilität, die Einsicht als längeres Gefühl zu wahren. Das Geständnis das Ihre Frau bei Ihnen in Ihren Armen starb und sie darüber glücklich waren, ihr den Tod in einem Krankenhaus erspart zu haben trifft mich wie ein Schlag ins Gesicht, ich merke nicht wie die Tränen mir übers Gesicht kullern, erst als Sie mir die Schulter tätscheln und mir sagen, dass Sie mir dankbar sind, dass ich da war und Ihnen zugehört habe, bringt mich wieder ins hier und jetzt, in Ihre Wohnung, in ihre Küche, mit dem selbst gekochtem Kaffee.

Eine seltsamer Besuch, der auch der einzigste bei Ihnen gewesen sein wird. Ich versprach zwar, dass ich mich wieder blicken lasse, doch die Bequemlichkeit siegte. Ich sah sie niemals wieder. Ab und an, habe ich an Sie gedacht, sah die tadellose Wohnung vor mir, rief mir den Geruch ihrer gerauchten Pfeife ins Gedächtnis. Ich erfuhr, dass sie doch und gegen Ihren Willen ins Altersheim geschickt worden und das Sie drei Tage nachdem sie den Pflegevertrag unterzeichnet haben sind Sie eingeschlafen und nicht mehr aufgewacht.

Die Erinnerung an sie verblasste wie ein Nebel der sich langsam am Morgengrauen lichtete, doch dann sah ich ausgerechnet Sie in meinem Traum. Die blauen, klugen Augen, wobei das linke trüber war durch die Blindheit als das andere. Das schlohweiße, lichte Haar. Ihr von Falten durchfurchtes Gesicht und der sehnsüchtige Blick nach ihrer Frau. Ich frage mich jetzt, wo ich hier sitze, aus welchem Winkel meines Verstandes der Besuch bei Ihnen wieder zur Tage tritt. Im Traum habe ich Sie angesehen, ich habe geweint, um mich die nicht verstand, was für ein Geschenk es eigentlich war, einen Mann wie Sie es waren begegnen zu dürfen. Ich habe geweint um ihre Frau und um das was Ihnen wiederfahren ist und Sie haben mich über ihre Kaffeetasse, mit der Pfeife in der Hand angelächelt und gesagt: „So lang es Menschen wie mich gibt, wird niemals etwas in Vergessenheit geraten und das wir uns wiedersehen würden, sie danken mir für meine Tränen, die die ehrlich fließen und die die nur zur Show gehörten. Sie verzeihen mir.“

Ich erwachte und musste feststellen, dass ich nicht nur im Traum geweint habe. Das Gefühl, dass ich mit Ihnen in Verbindung bringe dauert noch immer an. Um Verzeihung kann ich nicht mehr bitten obwohl es mir ein Bedürfnis ist, doch ich habe Blumen gekauft, ich werde Sie morgen besuchen.
 
Sehr traurig, sehr stimmungsvoll... ist gut.
Darf ich fragen, wie du zu der Idee gekommen bist?
 
es errinert mich an einen freund, den ich in meiner ausbildung hatte. wir haben nur einmal eine party zusammen gefeiert, ich hatte ihn ziehmlich gerne, wollte mich eigentlich öfter mit ihm treffen, hatte dann aber anderes im kopf.
später traf ich einen kollegen, der immer mit ihm rumhing, und erführ, das er sich umgebracht hat. vielleicht, hätte man sich öfter getroffen, hätte man etwas tun können.

ein bitteres lehrgeld, das man nicht vergisst, und erinnerungen, die durch solche gedanken wieder hervorgerufen werden, selbst, wenn es jahre zurückliegt.
(ich hoffe, es fühlt sich keiner durch diesen post angepisst, aber diese gedanken kamen mir beim lesen in den sinn und da ich eine gewisse ähnlichkeit sah, erlaubte ich es mir).
stilistische kritik erscheint imo unangemessen, da es sich um wahre begebenheit handelt.
 
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