Verzweiflung - a short story in Unhallowed Metropolis

Nishiko

Wiedergänger
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15. Juni 2007
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Emily drehte sich von der absurden Szene weg. Durch die halboffene Badezimmertür konnte sie sehen, wie die beiden Ärzte den Kopf des Mourners abtrennten. Leichte Übelkeit stieg in ihr hoch und wie benommen wankte sie quer durch den Hauptraum der Suite und setzte sich schwerfällig in eine Ecke. Ohne noch wahrzunehmen, was um sie herum geschehen mochte saß sie dort und langsam bahnte sich eine einzelne Träne ihren Weg durch das hübsche Gesicht. Es waren viele Menschen gestorben am heutigen Tag, doch keiner dieser Tode hatte sie berührt. Sie kannte diese Menschen nicht und bei einigen bedauerte sie deren Ableben noch nicht einmal. Doch Marcus’ Tod war so real, ihn hatte sie gekannt. Die ganze Zeit über hatte es so ausgesehen, als würde ihre kleine Schicksalsgemeinschaft um Lord Spencer-Callaghan verschont bleiben von den entsetzlichen Schicksalen. Das war nun vorbei.

Wie ein kleines Häufchen Elend saß die junge Frau in der Ecke. Von ihrer eleganten Robe war ihr nur noch der Rock mit seinen zahlreichen Unterröcken geblieben. Überall eingerissen und mit Dreck und Blut besudelt war er nur noch ein schlechter Abklatsch seiner ehemaligen Schönheit. Der Oberkörper war mit mehreren Lagen Verbänden eingewickelt und stabilisiert worden, durch die an einigen Stellen leicht Blut und Wundflüssigkeit nach außen sickerte. Von ihrer ehemals fest gesteckten Frisur standen einzelne Strähnen ab und zierten das zarte Gesicht, das mit Ruß und Blut verschmiert war.

Von fern drangen Geräusche an Emily’s Ohr. Kampfgeräusche, doch nicht aus dem Zeppelin, sondern sie schienen von außen zu kommen. Das gleichmäßige Stampfen von schweren Stiefeln näherte sich und die junge Diebin hob schwermütig den Kopf, um aus dem Fenster hinter dem großen Bett zu schauen. Der Nebel hatte sich etwas gelichtet und … waren das geordnete Truppen? Sie schaute etwas genauer hin und wurde sich gewahr, dass diese koordinierten Bewegungen nicht zu den Animates und Ghulen gehören konnten, die bisher das Bild der Stadt dominiert hatten. Ihre Retter waren gekommen, die Deathwatch. Zu spät, um Markus noch zu retten – doch, sie waren da! Ein winziger Funke der Zuversicht bahnte sich den Weg durch ihre verzweifelte Seele. Emily erhob ihren zarten Körper unter Schmerzen, denn die seelige Morphiumbenommenheit, die sie bisher vor ihnen geschützt hatte, ging Stück um Stück verloren. Mühsam kämpfte sich die junge Frau auf.
„Sie kommen, die Deathwatch ist da“, kam fast schon ungläubig und doch überzeugt über ihre geschwungenen Lippen. Sie musste handeln…

Emily kehrte die Benommenheit und ihre Starre hinweg. Langsam ging sie an die nächste Zimmertür und öffnete diese einen Spalt. „Machen Sie sich bereit, wir werden bald hier weg kommen.“ Nach und nach ging sie die Türen ab, die letzte öffnete sich von selbst und ein ungläubiges Gesicht schaute sie an: „Rettung? Ich hatte uns verloren geglaubt!“, hörte sie die sanfte Stimme von Liliam von Kassel. Langsam kamen die Überlebenden in den großen Hauptraum und immer mehr von ihnen drängten sich vor die Tür, an der der Cousin von Lord Lavender gewacht hatte. Hoffnungsvoll warteten sie darauf, befreit zu werden – und doch unfähig, selbst etwas zu tun. Emily führte ein Gefühl der Verachtung in sich aufsteigen. Sie alle hatten sich eingesperrt, hatten versucht, sich selbst zu verbarrikadieren. Nicht einer von diesen elitären Schnöseln hatte einen Finger gerührt, um ihnen zu Hilfe zu kommen, als es von höchster Wichtigkeit gewesen war. Jetzt standen sie dort, aufgeregt wartend. Dass jemand anderes die Arbeit tat – wie immer.

Emily ging zu dem großen Bett, auf dem erst sie von den Ärzten dem Tode entrissen worden war und auf dem Markus stundenlang mit dem Tode gerungen hatte, bevor dieser ihn schließlich mit in sein dunkles Reich genommen hatte. Sie nahm ihre Handtasche wieder auf, ganz automatisch, bevor sie begann, sich genauer im Zimmer umzusehen. Keiner bemerkte, wie sie einige der kleinen und doch so wertvollen Fabergé-eier in der Tasche verschwinden ließ und auch einige andere kleine Kostbarkeiten ihren Weg dorthin fanden. Wenigstens das hatte sie sich verdient. Dann mischte sie sich unter die Wartenden…
 
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