The Shadow of Yesterday [TSOY] Was macht eigentlich der Spielleiter?

oliof

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Ein kleiner Platzhalter: Da bisher hauptsächlich über die Spieler und deren Spielfiguren und Einfluß auf das System gesprochen wurde, wird hier auch mal der Spielleiter bedacht. Den gibts nämlich auch bei TSoY nicht ohne Grund.
 
AW: Was macht eigentlich der Spielleiter?

Jetzt wirds spannend, denn bisher fand ich TSoY eher als Spieler interessant. :)
 
AW: Was macht eigentlich der Spielleiter?

Wenn man nochmal ins Regelwerk schaut, findet man im Abschnitt Aufgaben des Spielleiters folgende Unterabschnitte:

  • So entwirft man Abenteuer
  • Schlüsselszenen
  • Interessante Spielleiterfiguren
  • Tiere (engl. "Beasts")
  • Das Abenteuer leiten
  • Erfahrungspunkte (wobei das eher "was der Spielleiter nicht macht" ist)

Im Abenteuer-Entwurf werden drei Grundprinzipien aufgestellt: "Kenne die Spielerfiguren", "Kenne die Spieler" und "Kenne Dich Selbst". Also soll entsprechend der Gruppeninteressen (das schließt den SL ein) gearbeitet werden.

Hey! Das gilt für jedes andere Spiel auch!

OK, schauen wir uns den nächsten Punkt an, Schlüsselszenen:

In The Shadow of Yesterday sind Pfade die Hauptquellen für Erfahrungspunkte. Mit ihnen bestimmen die Spieler selbst genau, welche Ereignisse sie am liebsten im Spiel sehen wollen. Der Spielleiter ist aber auch ein Spieler, und kontrolliert deswegen eine weitere Quelle für Erfahrungspunkte: Schlüsselszenen. In anderen Rollenspielen gibt es vergleichbare Mechanismen für die Verteilung von Erfahrungspunkten, wenn man wichtige Punkte eines Abenteuers abschließt. Bei Schlüsselsezenen geht es aber nicht darum, bestimmte Ziele zu erreichen. Deswegen sind „Die Prinzessin retten“, „Den Machenschaften des Erzschurken ein Ende Setzen“ und „Das wilde Tier zähmen“ keine guten Schlüsselszenen. Schlüsselszenen sollten spannend und ergebnisoffen sein und dazu führen, dass die Spielfiguren der Spieler Entscheidungen treffen müssen.

„Herausfinden, wo die Prinzessin gefangen ist“, „Begegnung mit dem Schurken“ und „Das wilde Tier stellen“ sind gute Schlüsselszenen. Sie nehmen das Ergebnis nicht vorweg und bieten den Spielern Entscheidungsfreiheit. Schlüsselszenen müssen keiner übergeordneten Geschichte oder einem Plot dienen. Sie können unterhaltsam und lustig oder ernst und finster sein.

Der Spielleiter baut also ergebnisoffene Szenen ein, die seinem eigenen Geschmack folgen. Idealerweise so, dass die Spieler sich dafür begeistern können. Besonders gut ist es gelaufen, wenn man sich als SL bei solchen Szenen zurücklehnen und das Spiel genießen kann – und der Haupttreffer ist, wenn es in einer Schlüsselszene zu einem spannenden erweiterten Konflikt kommt.

Die Hinweise zu Spielleiterfiguren und nichtmenschlichen Gegnern sind relativ einfach gehalten: Gib jeder Spielleiterfigur und jedem Wesen nachvollziehbare Beweggründe (oder zumindest welche, die man rausfinden kann). Das ist weniger einer Forderung nach Plausibilität geschuldet als der Tatsache, dass man flexibler reagieren kann, wenn man die Ziele und Beweggründe seiner Spielleiterfiguren kennt ("weg von der Freihand-Improvisation!").

Etwas weiter im Text heißt es

Wichtig sind Pausen und Situationen, in denen die Spieler nicht wissen, wie das Spiel weitergehen kann. Dann sorgt man dafür, dass einer der Spielfiguren etwas spannendes passiert. Darauf werden die Spieler reagieren, und man kann sich wieder zurücklehnen.

Man soll also Spannung und Ergebnisoffenheit kombinieren, und die Spieler immer wieder "von der Leine lassen". So ergibt sich durch das Wechselspiel von Szenen ein Spannungsbogen, der die Spieler (wenn man es gut macht) bei der Stange hält.

Dabei muß man sich um Erfahrungspunkte nicht kümmern. Die Spieler selbst begutachten eine Situation und schauen, wie ihre Pfade dazu passen. Und wenn sie wollen, lassen sie ihre Spielfiguren so handeln, dass es zu den Pfaden paßt. Oder sie machen das genaue Gegenteil, um so einen "ausgespielten" Pfad loszuwerden.

Außerdem gibt es noch Tipps und Tricks für den Spielleiter, die ich hier kurz zusammenfassen will:

  • Spiel mit Vollgas!
  • Schaffe riskante Situationen!
  • Gib in Auffrischungsszenen alles!

Zum ersten Punkt nochmal ein Zitat aus den Regeln:

Als Spielleiter sollte man nicht hinter dem Berg halten. Das macht keinen Spaß. Anders gesagt: Man kennt sicher diese Kampagne, wo die Gruppe die ganze Zeit versucht, die Hinweise auf die bedeutsamen Hintergründe hinter dem vordergründig Unbedeutenden zu finden. Das funktioniert in diesem Spiel nicht. Gibt es in einer Kampagne eine wichtige Spielfigur, die eine der mächtigsten Personen der Welt und unglaublich gefährlich ist, weil sie schreckliche Tränke braut und Menschenfleisch ißt, dann sollte sie möglichst früh auftreten. Einer der Spieler macht vielleicht etwas überraschendes und sagt ‚Ohhh! Mit der nehme ich den Pfad der Unerwiderten Liebe!‘. Sowas ist richtig toll!

TSoY ist ein "Pulp-Fantasy"-Spiel. Man kann damit nicht die "Bauernjunge wird mächtiger Magier"-Geschichte spielen, denn schon die Startspielfiguren sind reichlich kompetente Leute. Das ist zwar interpretierbar, weil das Spiel keine hochauflösenden Spielwerte liefert, aber dennoch unbestritten (aus dem Bauch heraus würde ich eine frisch erschaffene Spielfigur mit einem 5. Stufe-Charakter bei AD&D vergleichen – D&D3.x kenne ich nicht gut genug – oder auch mit einem 5-6. Stufe DSA3-Charakter. Das sieht insbesondere im Bereich "Magie" nicht auf den ersten Blick so aus, aber die Magie bei TSoY funktioniert viel freier und ist deswegen selbst in kleinen Dosen deutlich zu spüren). Und wenn man es drauf anlegt, kann man seine Spielfigur in einer Session transzendieren – sie also heldenhaft aus dem Spiel scheiden lassen.

Zurück zum Spielleiter: Entsprechend der Spielfiguren braucht man nicht mit Kleinigkeiten kommen um die Gruppe über (allzu häufig sinnlose) Mini-Encounter aufzupäppeln, sondern kann gleich tief in die Trickkiste greifen. Wenn ich mir einen coolen Schurken ausdenke, kann der bereits in der ersten Sitzung Rabbatz machen –*durch die Regelung, dass man nur im erweiterten Konflikt sterben kann, und die Regelung, dass nur Spieler einen erweiterten Konflikt starten können, hat man eine Absicherung gegen TPKs, wenn man so will[1].


OK, schauen wir uns riskante Situationen an:

Man muß bereit sein, den Spielern für waghalsige Ideen harte Auswirkungen anzudrohen, falls sie nicht klappen. Nichts ist falsch an ‚Wenn Dir die Komposition eines Liedes für den Herzog mißlingt, bekommst Du Schaden auf Stufe 5 in Instinkt und wirst aus seinem Reich verbannt.‘

Schalten die Spieler eine Spielleiterfigur im einfachen Konflikt aus und beginnen keinen erweiterten Konflikt, ist diese Figur ideal dafür, in zwei oder drei Abenteuern wieder eine Rolle zu spielen. Wiederkehrende Schurken sind großartig.

Hier gibts also zwei Dinge, die zu beachten sind: Die Ergebnisse einer Probe, die durchaus vom Spielleiter festgelegt werden (ja, Spielerinput sollte man natürlich berücksichtigen, aber das ist wieder mal sone Sozialkompetenzgeschichte, die nicht am System klebt). Die einzige Änderung gegenüber klassischen Systemen ist, dass man den Spielern sagt, was Sache ist, bevor sie sich auf eine Probe einlassen –*wenn sie sie nicht durchführen können sie natürlich den positiven Ausgang auch nicht herbeiführen, aber so ist das nunmal – Feiglinge werden keine Helden.

Zum anderen der Umgang mit Spielleiterfiguren. Schurken bekommen eine besondere Note, wenn sie eine vorherige Niederlage gegen die Spielerfiguren persönlich nehmen und deswegen ihre Schurkereien so planen, dass die Spielerfiguren dadurch besonders leiden. Wieder hilft die Konfliktregelung hier und zwar auf zweierlei Art: Wenn die Spielerfiguren den Schurken einfach umhauen ohne ihn zu töten und dann im Straßengraben liegen lassen, dann weiß ich als Spielleiter zum einen, dass der Schurke noch nicht böse genug war, als das die Spieler zu nachhaltigen Mitteln greifen würden, und zum anderen habe ich einen liebevoll gedrechselten Schurken nicht durch einen blöden Wurf verloren (quasi die Versicherung gegen TPK, nur andersrum).

Letztlich ist der erweiterte Konflikt, der von Spielerhand eingeleitet wird, auch wieder ein Stück Entlastung und Versicherung für den SL. Ich muß mir keine Gedanken über verschätzte Powerlevels machen. Aufmerksame Spieler nehmen mir das ab. Ich kann mich weiter darauf konzentrieren, einen schurkischen Plan nach dem anderen zu entwickeln, und spiele meine Schurken wie sie sind, und nicht wie sie gegen Stufe-1-Gegner sind.

Kommen wir zum letzten Punkt, den Auffrischungsszenen. Die werden von Spielern abgefordert (aber nach Entscheid des Spielleiters ein- und aufgebaut), wenn sie eine (oder mehrere) ihrer Reserven auffrischen müssen. Da dies in der Regel nach erweiterten Konflikten geschieht, sollte hier die Handlung auch entspannter sein und nicht mit vollem Druck weitergeführt werden. Es ergibt sich ein einfaches Instrument, die Spielgeschwindigkeit zu regulieren. In Auffrischungsszenen kann man ganz entspannt neue Handlungsorte und Spielleiterfiguren platzieren, die vielleicht erst viel später tragende Funktionen übernehmen. Hier kann man befreit von der Gefahr allgemeinen Desinteresses Badehäuser-Besuche, Schankmaid-Verführungen, Ritterspiele, Epen-Vorträge etc. einbauen, denn all diese Dinge haben auf einmal auch mechanische Bedeutung (auch hier gilt wieder: Nichts übertreiben, Längen vermeiden, nur so lang und detailliert wie es Spaß macht).


[1] Rein theoretisch kann man auch an eine einfache Probe "Wenn die mißlingt, seid Ihr alle tot!" dranhängen, aber das ist lahm, oder?
 
AW: Was macht eigentlich der Spielleiter?

Ich kann mich immer noch nicht des Eindrucks erwehren, dass die Spielleiterei bei TSoY im großen und ganzen so funktioniert wie in klassischen Spielen. Was übersehe ich?
 
AW: Was macht eigentlich der Spielleiter?

Man lehnt sich als Spielleiter mehr zurück und kann das Spielen der SCs beobachten. Dadurch entwickelt die Geschichte ihren eigenen Drive. Das ist schon mal ne gute Sache, weil Bewegung drin ist, aber es ist nicht unbedingt die geplante Bewegung des Spielleiters.

Klassisch hat man seine eigenen Vorstellungen, welche Voraussetzungen man hat und wo ein Spiel ungefähr hinlaufen sollte. Man möchte vielleicht einen Plot aus einem Film darstellen oder erreichen.

Das entzieht sich aber u.U. der Kontrolle des SLs. Daher sehe ich einen Unterschied zu klassischen Spielen.
 
AW: Was macht eigentlich der Spielleiter?

Ja, es ist mehr dem flexiblen SL gedient, der keine Eisenbahnen mag (so kann man natürlich auch klassische Systeme leiten, und ich hab das wohl immer getan). Nach den ersten drei, vier Sessions sollte man aber genügend gemeinsames Material erspielt haben, dass man auch als SL kampagnen-artig planen kann.

Was vielleicht auch noch wichtig ist: Wahrscheinlich ist TSoY für längere Kampagnen (mehr als 25 Sitzungen) nur mit Anpassungen in der Entwicklungsgeschwindigkeit der Spielfiguren geeignet. Dafür gibts ja aber die Möglichkeit, den Faktor EP<>Steigerungen anzupassen.
 
AW: Was macht eigentlich der Spielleiter?

Ja, es ist mehr dem flexiblen SL gedient, der keine Eisenbahnen mag (so kann man natürlich auch klassische Systeme leiten, und ich hab das wohl immer getan).
Naja, ich hab das extra vorsichtiger formuliert, schließlich gibt es im Railroading durchaus Abstufungen und auch gute Seiten daran.

Hey! Das gilt für jedes andere Spiel auch!
TSoY ist aber in diesem Bezug anders als klassische Rollenspiele - und bevor der gemeine Rollenspieler hier Chancen und Nutzen abwägt, muss erstmal irgendwas passieren, sonst wird es rigoros abgelehnt.

Ich würde sagen TSoY entwickelt seinen eigenen Drive und kann daher dem klassisch vorbereiteten Spielleiter aus den Händen rinnen. Ich sehe zum Beispiel deutliche Parallelen von den Pfaden zu Hyperborea (wenn jeder Spieler seinen Charakter und die Waffe eines anderen spielt).
 
AW: Was macht eigentlich der Spielleiter?

Ja, zuviel Vorbereitung kann frustrieren, wenn sie nix nützt. Auch hierzu gibts einen Regel-Abschnitt:

Tragen die Spieler das Geschehen in eine unerwartete Richtung, muß man flexibel bleiben. Die Ideen sollten sich immer an das anpassen, wohin das Spiel sich entwickelt. Man sollte beachten, dass nichts in der Spielwelt wichtig ist, bevor sich eine Spielerfigur damit beschäftigt. Es ist ganz leicht, sich selbst ein Bein zustellen, wenn man sich einen tollen Ort für ein Abenteuer ausgedacht hat, und es dann dorthin zwingen will. Das ist eine schlechte Idee: Es existiert nur das, was im Spiel vorkommt. Der Rest liegt im Reich des Möglichen.

Positiv gewendet:

Um also das Geschehen dahin zu leiten, worauf man sich vorbereitet hat, braucht man nur die Spieler dafür zu begeistern. Und TSoY bietet wiederum (u.a. über die Pfade) klare Kommunikationskanäle, um herauszufinden, wofür die Spieler sich begeistern können.
 
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